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Verkehrskonzept Greifswald

CDU, Konservative und AfD wickeln Verkehrswende ab

Eigentlich sollte im Rahmen eines Verkehrsversuchs der Durchgangsverkehr in der Greifswalder Innenstadt für ein Jahr beschränkt werden. Doch daraus wird nun nichts. Mit Stimmen der AfD stoppten CDU und Christlich-Konservative in der gestrigen Bürgerschaftsitzung das mit Partner:innen aus der EU geplante Experiment. Zusätzlich wurden weitere Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in der Innenstadt gestrichen. Auch um die Stadtbuslinien steht es schlecht. Wie geht es weiter mit der Greifswalder Verkehrswende?

„25 Jahre hat die CDU hier in der Stadt das Sagen gehabt und zehn Jahre dann ein anderes Kräfteverhältnis. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in diesen zehn Jahren irgendeinen Beschluss, den die CDU herbeigeführt hat, wieder zurückgenommen haben.“ So kommentierte die Linken-Politikerin Birgit Socher gestern Abend in der Bürgerschaft den Antrag der Christlich-Konservativen Bürgerschaftsfraktion. Diese hatte in einer Beschlussvorlage den Stopp des geplanten Verkehrsversuchs – einer aus ihrer Sicht „unzureichend bedachten Maßnahme“1 – in Friedrich-Loeffler- und Domstraße gefordert. Und setzte diesen dann mit 22-Ja-Stimmen (17 Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen) auch durch. Das Experiment war Teil des 2021 durch die Bürgerschaft beschlossenen Verkehrskonzeptes Innenstadt.

Stadt sieht Imageschaden durch Projekt-Aus

Im Verkehrskonzept ist die Installation sogenannter Modal-Filter in beiden Straßen als Maßnahme empfohlen worden. Diese Durchfahrtssperren sollten Durchgangsverkehr ausschließen. Versuchsweise für ein Jahr. So könne unter anderem die Verkehrssicherheit erhöht, die Attraktivität für den Fuß- und Fahrradverkehr sowie die Erreichbarkeit des ÖPNVs verbessert werden, heißt es darin. Anwohner:innen wären von den Einschränkungen nicht betroffen.2
Das Vorhaben ist Teil eines EU-Projekts zur nachhaltigen Mobilitätsplanung. Dadurch konnten nicht nur Kosten für die Stadt gespart werden. Im europäischen Kontext, gemeinsam mit den Projektpartnern aus sieben Ländern, versprach man sich daraus, auch „Erkenntnisse für zukünftige Verkehrsmaßnahmen“ zu ziehen.3

Die Grafik zeigt die Greifswalder Innenstadt mit den im Verkehrskonzept geplanten Durchfahrtsbeschränkungen.

Die für das Projekt abgeschlossenen Vereinbarungen führt Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) am Abend an, um ein letztes Mal für das Weiterführen zu werben. Man lasse das komplette „EU-Projekt platzen“, sollte der Versuch abgebrochen werden. Das stelle die Stadt als „unzuverlässigen Partner“ dar, „auf den kein Verlass ist“, so Fassbinder. Darüber hinaus sorge er sich um die anderen EU-Projekte, die derzeit bereits in Arbeit wären. Diese seien bei einem Ausstieg „alle vom Tisch“ und das habe langfristig finanziell und auch materiell negative Folgen für die Stadt.

Ähnliche Kritik am Antrag kam im Vorfeld vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club Greifswald (ADFC). Anträge der Christlich-Konservativen oder der CDU, die das Verkehrskonzept betreffen, seien wenig sachlich, nicht faktenbasiert und teilweise widersprüchlich.4

Mit AfD-Stimmen gestoppt

Die Christlich-Konservative Fraktion um Axel Hochschild, die die Vorlage eingereicht hatte, begründete ihre Ablehnung des Vorhabens vor allem mit den Anwohner:innen und deren vermeintlichem Protest. Diese hätten ganz andere Probleme, behauptete Hochschild im Rahmen der Sitzung: „Die Leute wollen wissen, wo sie nach getaner Arbeit ihr Auto hinstellen sollen.“ Durch den Versuch sieht er die Autofahrer:innen benachteiligt. Dieser bringe daher überhaupt nichts und müsse gestoppt werden.

„Das ganze Verkehrskonzept ist damals schon mit einer Bürgerbeteiligung ausgestattet gewesen“, reagierte Grünen-Politiker Jörg König. Darüber hinaus sei natürlich das Einfahren in die Stadt weiterhin möglich. Eine Einschränkung, etwa für Händler:innen, sieht er durch einen fehlenden Durchgangsverkehr nicht. Vielmehr sei es doch für die Geschäfte in der Innenstadt sogar zuträglich, da so der Umsatz durch Fußgänger:innen und Radfahrer:innen steige. Das sei nicht außer Acht zu lassen, findet König.

Ingo Ziola, ebenfalls Mitglied der Christlich-Konservativen, stellt in seiner Rede die Machbarkeit des Versuchs für Handwerker:innen in Frage. „Wie haben Sie sich das vorgestellt? […] Ob man alles mit dem Fahrrad machen soll“, wandte er sich an die progressiven Fraktionen. Die negativen Konsequenzen der veränderten Zu- und Abfahrtswege sei „den Betroffenen nicht zuzumuten“, heißt es dazu in der Vorlage.5

Aus den Reihen von SPD/Linke und Grünen wurde zusätzlich auf die Verkehrssicherheit für Familien und Kinder hingewiesen. Es sei „ein ausgesprochenes Wunder“, dass vor der Kollwitz-Schule in der Loeffler-Straße bisher noch nichts passiert sei, sagte etwa Andreas Kerath (SPD). Dass die Kinder sich dort mit ihren Fahrrädern am Morgen und zum Mittag in Konkurrenz mit einer großen Zahl an Autos befinden, sei „nicht zielführend“.

Dass es am Ende in der Abstimmung doch zum Stopp kommt, verdankt die Fraktion der Christlich-Konservativen den Stimmen von CDU, BSW und AfD, die sich ebenfalls am Verkehrsversuch störten. Das Ergebnis eines solchen Versuchs stehe doch eh jetzt schon fest, unterstellte AfD-Politiker Jörg-Uwe-Krüger zum Ende der Diskussion.

Fahrradstraßenring ebenfalls beerdigt

Mit der Entscheidung im nachfolgenden Tagesordnungspunkt – einem „Moratorium für nicht notwendige Verkehrsprojekte“, eingebracht von der CDU – steht auch die Schaffung eines Fahrradstraßenrings vor dem Aus. Dieser sollte, ebenfalls als Teil des Verkehrskonzepts, unter anderem auf Dom- und Loeffler-Straße entlanggeführt werden. Die Stadt würdeso für die bereits vielen Radfahrer:innen komfortabler werden und könne dadurch auch weitere Menschen zum Radfahren motivieren, heißt es im Verkehrskonzept.6 Daraus wird nun ebenfalls nichts.
Auch hier konnten sich CDU und Christlich-Konservative der Unterstützung der AfD sicher sein. Mit 24-Ja- und 17-Nein-Stimmen wurde der Vorschlag angenommen.

Die Grafik zeigt eine Karte der Greifswalder Innenstadt. Eingezeichnet ist der bisher vorgesehene Fahrradstraßenring entlang der Friedrich-Loeffler- und Domstraße.

Lediglich der Umbau des Kreuzungsbereichs Karl-Liebknecht-Ring/Pappelallee, mit dem ebenfalls mehr Platz für Fahrradfahrer:innen geschaffen werden soll, kann angegangen werden. Der Antrag, auch diese Maßnahme abzubrechen und keine weiteren Mittel dafür bereitzustellen, wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt.

Keine Stadtbusse mehr ab 2026?

Von der Tagesordnung der Bürgerschaftssitzung nahm Oberbürgermeister Fassbinder zu Beginn ein weiteres, den Greifswalder Verkehr betreffendes Thema: die Vertragserneuerung zwischen Stadt und Landkreis zum ÖPNV. Es habe dazu in der vergangenen Woche eine Nachricht vom Kreis gegeben, die entscheidende Veränderungen an den Vorschlägen der Stadt enthalten habe. Ein Gespräch mit dem Kreis ist noch in dieser Woche anberaumt. Daher sei eine Verschiebung der Diskussion auf die letzte Bürgerschaftssitzung des Jahres – am 11. Dezember – angebracht.

Wie kritisch dieses Thema wirklich ist, machte Grünen-Politiker Jörg König dennoch klar. Sollte es in diesem Jahr keine Einigung mehr mit dem Kreis zum ÖPNV geben, droht die Kündigung des bestehenden Vertrags durch die Stadt zu Ende 2025. Damit fiele die Verantwortung für den Nahverkehr ab 2026 wieder zurück an den Kreis, der für diesen Fall bereits das Zusammenstreichen des Angebots angekündigt hatte. So könnten dann womöglich nur noch drei Landbuslinien durch die Stadt fahren.

Das Problem mit dem ÖPNV in Greifswald ist, wie so vieles andere auch, ein finanzielles. Der jetzt bestehende Vertrag könnte zwar theoretisch weiterlaufen, sei aber für die Stadt aufgrund hoher Kosten nicht mehr tragbar. Das bisher durch den Kreis zur Verfügung gestellte Geld decke diese schon lange nicht mehr. Auch für die Stadtwerke, die derzeit den Busverkehr betreiben, komme eine Querfinanzierung nicht infrage. Das dafür nötige Geld müsse schließlich erwirtschaftet werden. Dass das auch gelingt, sei nicht sicherzustellen.

Von Seiten des Kreises wurden bisher eine Millionen Euro im Jahr in den Raum gestellt. Auch eine sogenannte Dynamisierung des Zuschusses sei Teil der Vereinbarung. Damit würde der Betrag jedes Jahr ansteigen. Doch auch das ist wohl nicht ausreichend. Zusätzlich steht der Zeitpunkt, ab wann der Zuschuss steigt, wohl erneut in Frage.
Er gebe die Hoffnung auf eine Einigung trotz des engen Zeitplans noch nicht auf, kommentierte Oberbürgermeister Fassbinder auf Nachfrage aus der Bürgerschaft.

  1. Bürgerschaftsfraktion Christlich Demokratische Konservative-IBG-AdbM (Hg.): Stopp des geplanten Verkehrsversuches „Durchfahrtsverbot in der Friedrich-Loeffler-Straße und in der Domstraße“, auf: greifswald.sitzung-mv.de (24.10.2024). ↩︎
  2. Universitäts- und Hansestadt Greifswald (Hg.): Verkehrskonzept Innenstadt, S. 67-69, auf: greifswald.sitzung-mv.de (Oktober 2021). ↩︎
  3. Universitäts- und Hansestadt Greifswald (Hg.): Stellungnahme der Verwaltung vom 18.10.2024 zur Beschlussvorlage BV-P-ö/08/0098, auf: greifswald.sitzung-mv.de. ↩︎
  4. E-Mail von Johannes Apelt vom ADFC am 22.11.2024. ↩︎
  5. Bürgerschaftsfraktion Christlich Demokratische Konservative-IBG-AdbM 2024. ↩︎
  6. Hanse- und Universitätsstadt Greifswald 2021, S. 85. ↩︎

Autor:innen

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.

  • Porträt von Lilly Biedermann Redakteurin Katapult MV in Greifswald

    Redakteurin in Greifswald

    Geboren und aufgewachsen in Sachsen. Ist zum Studieren vom tiefen Osten in den kalten Osten nach Greifswald gezogen.

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