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Rechtsextremismus

Das Nazidorf (Teil 1): Der Dorfchef von Jamel

Jamel zählt zu den bekanntesten Dörfern Deutschlands. Hier konnten NPD-Anhänger:innen ihren Traum von einer ethnisch-homogenen Volksgemeinschaft durch gezielte Ansiedlungen Wirklichkeit werden lassen. In einer dreiteiligen Serie beleuchten wir Ihre Strukturen und Netzwerke, die bis zum organisierten Rechtsterrorismus reichen.

Jamel ist das, was Neonazis eine „nationalbefreite Zone“ bezeichnen würden. In dem Dorf leben 42 Einwohner:innen, darunter zwölf Kinder und Jugendliche. Alle besitzen den deutschen Pass. Niemand hat einen Migrationshintergrund. In dem Dorf, das zur Gemeinde Gägelow zählt, stehen gerade einmal zehn Wohnhäuser. In sieben leben Personen mit Verbindungen zur rechtsextremen Szene. 

Rechte Ideologie ist dort allgegenwärtig. Ein Wegweiser in der Dorfmitte weist den Weg in Städte wie Königsberg und Braunau am Inn. Auf einem Findling ist die Aufschrift „Dorfgemeinschaft Jamel“ eingraviert. Und an einer Garage prangt ein Wandbild, das eine weiße Familie in traditioneller Kluft zeigt. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2017 in seiner Entscheidung zum NPD-Verbotsverfahren „kein[e] Zweifel, dass es sich bei Jamel um einen durch rechtsextremes Denken geprägten Ort“ handele. Kurzum: Jamel ist deutschlandweit als “Nazidorf” bekannt.

Ziel ist die Volksgemeinschaft

Nicht unschuldig an dem rechtsextremen Image ist Sven Krüger. Der gebürtige Wismarer ist in Jamel so etwas wie der faktische Chef im Dorf. Der Abrissunternehmer, Jahrgang 1974, zählt heute zu den bekanntesten Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern. Zwischen 2009 und 2011 saß Krüger für die NPD im Kreistag Nordwestmecklenburg. Von November 2010 bis Januar 2011 war er zugleich Beisitzer im Landesvorstand der rechtsextremen Partei. Seine politische Agenda fasste Krüger 2011 folgendermaßen zusammen: „Darum ist mein Ziel nicht die Demokratie der Kapitalisten und Halsabschneider, sondern die Volksgemeinschaft der Deutschen!“

Krüger weiß seine Gegner:innen zu provozieren. Findet im Dorf das Anti-Nazi-Festival „Jamel rockt den Förster statt“, versteckt Krüger sich nicht. In den Jahren 2018 und 2019 organisierte er auf seinem Grundstück ein „Grillen gegen links“. 2019 schaltete Krüger eine Annonce für sein Abrissunternehmen in einem Kindermalheft der Deutschen Polizeigewerkschaft. 

Auf seinem öffentlichen Facebook-Profil postete Krüger am 2. März 2021 ein Bild mit einem grafisch verfremdeten Kindheitsfoto Adolf Hitlers. Darunter steht zu lesen: „Think different.“ „Sag ich schon lange…“, kommentierte der Neonazi. Eine andere Grafik in Krügers Profil stellt Homosexuelle und Cannabis-Konsumenten als Zombies dar, gegen die man sich gewaltsam zur Wehr setzen müsse. Am 29. Mai 2021 veröffentlichte Krüger ein Bild des 2007 verstorbenen Rechtsterroristen David Eden Lane. Der Anführer der amerikanischen Terrorgruppe „The Order“ wird in der Szene verehrt. Ihm werden die „Fourteen Words“ zugeschrieben, eine Art Glaubessatz von Rechtsextremist:innen. „We must secure the existence of our people and a future for our white children.“ Neonazis nutzen die „14“ häufig in Verbindung mit der Zahl „88“, die für „Heil Hitler“ steht, als Chiffre, etwa in Usernamen, Mailadressen, Grußbotschaften oder Kfz-Kennzeichen. 

Seit 2019 sitzt Krüger für die „Wählergemeinschaft Heimat“ im Rat der Gemeinde Gägelow, deren Ortsteil Jamel ist. Die Wählervereinigung hatte der Neonazi kurz zuvor zusammen mit seinen Mitstreitern Tino Streif und Steffen Meinicke gegründet, um unter einem unverfänglichem Namen auf den Wahlzetteln stehen zu können. Die ehemaligen NPD-Aktivisten konnten auf diese Weise unter einem unverfänglichen Label kandidieren. Krüger erreichte unter allen Bewerber:innen das zweitbeste Ergebnis. Nur die prominente Linken-Politikerin Simone Oldenburg erhielt bei den Kommunalwahlen mehr Stimmen.

Vielfach vorbestraft

Im Laufe seiner Neonazi-Karriere geriet Krüger vielfach mit Polizei und Justiz in Konflikt. Die Polizeidatenbank „INPOL“ wies zu seiner Person im September 2015 insgesamt 63 Einträge aus. Von 1992 bis 1999 saß Krüger wiederholt im Gefängnis. 1999 wurde der Rechtsextremist nach einem Überfall auf eine Jugendgruppe auf einem Campingplatz als Haupttäter zu drei Jahren und neun Monaten verurteilt. 

Bei einer Razzia Ende Januar 2011 entdeckten die Polizist:innen auf seinem Jameler Anwesen ein Maschinengewehr, eine Pistole, ein Butterflymesser, zwei Springmesser und rund 400 Schuss Munition.  Außerdem fielen Krüger fragwürdige Geschäfte mit Baumaschinen auf die Füße. Es folgte eine Verurteilung zu vier Jahren und drei Monaten Haft wegen gewerbsmäßiger Hehlerei und unerlaubten Waffenbesitzes.

Kurz zuvor war Krüger in den NPD-Landesvorstand gewählt worden. Zu dieser Zeit nahm der Unternehmer für die Partei ein Kreistagsmandat wahr. Dieses legte er nach seiner Inhaftierung nieder, wohl um der NPD nicht zu schaden.

Bei einer anderen Durchsuchung von Krügers Wohnräumen entdeckten Ermittler 72 Fotos prominenter Politiker und Personen jüdischen Glaubens, die als Zielscheibe gefertigt waren und teilweise Einschusslöcher von Luftdruckwaffen aufwiesen.

Das Nazidorf ist eine dreiteilige Artikelserie über rechtsextreme Strukturen, Netzwerke und Personen im mecklenburgischen Jamel.

Teil 1: Der Dorfchef von JamelTeil 2: Der SzenetreffTeil 3: Untergrundorganisationen

Quellen

  1.  Auskunft der Stadt Grevesmühlen vom 9.5.2022.
  2. Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 17.1.2017 – 2 BvB 1/13.
  3. Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 177
  4. „De Meckelbörger Bote“, Ausgabe 1/2011, S. 2, zitiert nach: Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 17.1.2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 776.
  5. Adam, Jan: Erfinder des rechtsextremen Zahlencodes „14 words“ gestorben, auf: endstation-rechts.de (27.6.2007).
  6.  Litschko, Konrad: Wähler stimmen für Neonazi, auf: taz.de (1.6.2019).
  7.  Speit, Andreas: Krimineller Inländer vor Gericht, auf: taz.de (14.7.2011).
  8. Speit, Andreas: Krimineller Inländer vor Gericht, auf: taz.de (14.7.2011).
  9. Gensing, Patrick: Wenn der parlamentarische Arm zuschlägt, auf: tagesschau.de (17.1.2012).

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