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Rechtsextremismus

Das Nazidorf (Teil 2): Der Szenetreff

Jamel zählt zu den bekanntesten Dörfern Deutschlands. Hier konnten NPD-Anhänger:innen ihren Traum von einer ethnisch-homogenen Volksgemeinschaft durch gezielte Ansiedlungen Wirklichkeit werden lassen. In einer dreiteiligen Serie beleuchten wir Ihre Strukturen und Netzwerke, die bis zum organisierten Rechtsterrorismus reichen.

Im März 2010 hatte Jamels faktischer Dorfchef Sven Krüger in Grevesmühlen das „Thinghaus“ eröffnet. Das umgebaute Betonwerk fungiert seither als einer der wichtigsten Szenetreffpunkte in Mecklenburg-Vorpommern. NPD-Abgeordnete bezogen dort Büros. Der NPD-Abgeordnete David Petereit betrieb von dort aus das parteinahe Webportal „MUPinfo“. Dieses bezeichnete Jamel nach Auskunft des Innenministeriums MV im Jahr 2010 als „Musterdorf gegen Abwanderung und Aussterben des ländlichen Raums“. 

Nach seiner Haftentlassung veröffentlichte Krüger dort am 10. Februar 2014 einen offenen Brief. Darin meldete sich Krüger bei den „Männern und Frauen des Nationalen Widerstands“ zurück und verkündete, dass sich die „Idee des nationalen Volksstaates“ langfristig durchsetzen werde und das derzeitige „System“ überwindbar sei. Der Brief schließt mit den Worten: „Wir werden siegen, irgendwann einmal… Und ich lebe nur für diesen einen Tag!“

Ob der Schulterschluss der NPD genutzt hat, ist fraglich. 2011 entdeckte eine Reporterin im Hinterhof des Thinghauses einen Grill mit der Aufschrift „Happy Holocaust“. Bekannt ist auch dessen Wachturm. Dieser ähnelt auffällig einem Turm, der auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz besichtigt werden kann. Die NPD kassierte dafür Hohn und Spott. Ihre Landtagsfraktion ist seit 2017 Geschichte. Das Thinghaus gibt es immer noch. 

Nicht nur der Corona-Auflagen wegen konnte sich die Szene im Thinghaus zuletzt nur noch eingeschränkt versammeln. Ab 22 Uhr hat dort nämlich Zimmerlautstärke zu herrschen. So verlangt es das Bauordnungsamt. 2020 stellte Krüger einen neuen Bauantrag mit dem Ziel die Auflage zu kippen. Vergebens. Trotz Vorlage eines Schallgutachtens ist es Krüger bislang nicht gelungen, die Behörde zum Einlenken zu bewegen. „Die Ablehnung des Bauantrages ist erfolgt, weil eine alleinige Büronutzung im Industriegebiet laut dem Bebauungsplan nicht zulässig ist, eine Befreiung die Grundzüge der Planung berühren würde und Vergnügungsstätten in einem Industriegebiet auch nicht ausnahmsweise zulässig sind“, teilte eine Sprecherin mit. Abendliche Veranstaltungen müssen die Neonazis also andernorts abhalten.

Zum Beispiel in Jamel. Dort bewohnt Krüger zusammen mit Ehefrau Janette, dem erwachsenen Sohn Wilhelm und zwei weiteren Kindern ein ehemaliges Bauernhaus. Auf dem Grundstück fanden in den vergangenen Jahren zahlreiche Veranstaltungen der völkischen Dorfgemeinschaft statt. Teilweise reisten mehrere hundert Gäste aus dem In- und Ausland an. Zu Krügers Hochzeit kamen 2010 nach Angaben der Sicherheitsbehörden 300 bis 400 Gäste. Am 30. Juli 2011 lockte ein Konzert 300 Besucher:innen an. Der Verfassungsschutz vertritt den Standpunkt, dass Events wie das Maifest, das Lichterfest und „Grillen gegen links“ vornehmlich dazu dienten, den inneren Zusammenhalt der Szene zu festigen und bestehende Netzwerke zu pflegen.

Neugierige Blicke nicht willkommen

Dass neugierige Blicke nicht willkommen sind, versteht sich da von selbst. Anwohner:innen berichten, dass die Neonazis mittlerweile Sichtschutzplanen aufstellen würden, um unbeobachtet feiern zu können. Dies war nicht immer so. Im Juni 2015 konnten Journalist:innen eine Sonnenwendfeier filmen, in deren Verlauf auch die Kinder der Rechtsextremist:innen das Hitlerjugend-Lied „Nur der Freiheit gehört unser Leben“ intonierten. Unter den rund 150 Anwesenden befanden sich neben Krüger und Petereit der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster und der damalige Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs.

Die meisten Jameler Neonazis spielen im Alltag ein Versteckspiel. Sie wissen um die Konsequenzen, die eine Enttarnung beispielsweise für die berufliche Existenz bedeuten kann. So kehrte der Neonazi Tino Streif 2015 sogar der NPD den Rücken. Nach eigenen Angaben, weil er sich mit ihren Zielen nicht mehr habe identifizieren können. Dies kann bezweifelt werden, bedenkt man, dass er bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie an rechtsextremen Zusammenkünften teilnahm und weiter der rechtsextremen „Dorfgemeinschaft“ angehört. Allerdings bestreitet der Jameler seinen Lebensunterhalt als selbstständiger Schweißfachingenieur, besitzt zwei Unternehmungen und beschäftigt laut eigener Aussage zwölf Mitarbeiter:innen. 

Sven Krüger macht dagegen keinen Hehl aus seiner politischen Gesinnung. Dafür ist er ohnehin viel zu bekannt. Sein altes Firmenemblem zeigte sogar einen Arbeiter, der mit einem Vorschlaghammer einen Davidstern zertrümmert.

Das Nazidorf ist eine dreiteilige Artikelserie über rechtsextreme Strukturen, Netzwerke und Personen im mecklenburgischen Jamel.

Teil 1: Der Dorfchef von Jamel
Teil 2: Der Szenetreff
Teil 3: Untergrundorganisationen

Quellen

  1. Brodkorb, Mathias: NPD-Festung offiziell eröffnet: Bauunternehmer Krüger stolz auf sein „Thing-Haus“, auf: endstation-rechts.de (19.4.2010).
  2. MUPINFO Redaktion (Hg.): Nach 1.000 Tagen Haft: Sven Krüger meldet sich zurück vom 10.2.2014, veröffentlicht auf www.mupinfo.de, abgerufen am 11.2.2014.
  3. Barbara Dabrowska: Die Geschichte hinter dem Happy-Holocaust-Grill, auf: vice.com (4.10.2011).
  4. Auskunft des Innenministeriums vom 24.5.2022.
  5. Ministerium für Inneres und Europa (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2019, Schwerin 2020, S. 23.
  6.  Röpke, Andrea: Sonnenwende mit NS-Liedgut, auf: endstation-rechts.de (22.6.2015).
  7. Das Logo liegt der Redaktion vor.

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