Mitte März, der Wind pfeift durch die Obstplantage auf der Insel Usedom. Doch es ist warm, 10 Grad Celsius. Die Aprikosenbäume tragen bereits dicke rote Knospen. Das ist schlecht, sagt Behzod Yuldashev, zuständig für den Obstanbau im Team der Inselmühle Usedom. „Eigentlich könnten sie sich noch zwei Wochen Zeit lassen.“ Denn ideal wäre eine Vollblüte Mitte April, erklärt er.
Die Plantagen und Felder der Inselmühle ziehen sich südlich der Stadt Usedom das Stettiner Haff entlang bis zur Ortschaft Karnin. Hier wachsen neben alten Apfelsorten, Birnen und Kirschen auch Aprikosen und Pfirsiche. Im November 2019 fing alles an, berichtet Antje Hackbarth, die landwirtschaftliche Leiterin des Unternehmens. Damals brachte das Team 6.000 Aprikosenbäume in die Usedomer Erde. Sie hätten gleich verschiedene Sorten gepflanzt, um zu schauen, was funktioniert, erzählt Hackbarth. Damit ist die Inselmühle nach Daten des Statistischen Landesamtes nur einer von zwei Betrieben in MV, die diese Früchte anbauen. Dafür habe der Betrieb auch intensiv mit Gülzow zusammengearbeitet, so die Landwirtschaftschefin.
Von Saft bis Senf
Gülzow ist ein Versuchsstandort des Gartenbaukompetenzzentrums der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei. Dort werden unter anderem Versuche im Bereich Obstbau durchgeführt – etwa neue Sorten angepflanzt und deren Anbaubedingungen in Mecklenburg-Vorpommern untersucht. Auch verschiedene Aprikosensorten wurden auf der Anlage westlich von Güstrow schon getestet. Obwohl die Aprikose „bisher nicht zu den Marktobstarten“ im Norden gehörte, hätten Berichte über die Unempfindlichkeit neuer Sorten während der Blütezeit „das Interesse an [einer] Prüfung“ geweckt, begründete der zuständige Mitarbeiter Friedrich Höhne seinerzeit die Versuche. Höhne war es auch, der für die Plantage der Inselmühle die infrage kommenden Sorten heraussuchte. Aktuell seien es 15, schätzt Obstanbauchef Yuldashev.
Aus den Früchten der Aprikosenbäume stellt die Inselmühle auf ihrem Usedomer Betriebsgelände verschiedene Produkte her – zum Beispiel Saft, Fruchtaufstriche oder Aprikosensenf. „Selbst anbauen und selber verarbeiten“ sei das dahinterstehende Motto, erklärt Antje Hackbarth. Dafür soll alles aus den Früchten herausgeholt werden. Zu diesem Zweck wird demnächst zusätzlich eine Anlage für die Herstellung von Trockenobst angeschafft. Das Unternehmen möchte außerdem seine frischen Aprikosen zertifizieren lassen. Mit einem solchen Qualitätsnachweis der Früchte und des Betriebs gebe es im Sommer noch mehr Abnehmer im Einzelhandel.
Aprikosen und Pfirsiche in großer Menge nicht realistisch
Mutmaßungen, dass bestimmte Obstsorten aufgrund sich verändernder klimatischer Bedingungen vermehrt Einzug in Deutschland und damit auch in MV halten könnten, gibt es. Schließlich führt der menschengemachte Klimawandel zu größerer Trockenheit und höheren Temperaturen im Norden. Sind also bald Pfirsiche und Aprikosen nicht mehr nur aus Spanien, sondern auch aus Mecklenburg-Vorpommern erhältlich? Rolf Hornig, Geschäftsführer des Obst- und Gemüseanbauerverbandes in MV, hält diese Vorstellung für nicht realistisch. Von einer Zunahme des Anbaus dieser Früchte sei „nicht auszugehen“.
Es liege übrigens weniger am Klimawandel, dass solche Obstsorten jetzt auch in MV gedeihen, ergänzt Behzod Yuldashev von der Inselmühle. Vielmehr habe die Wissenschaft die Sorten dementsprechend weitergezüchtet und sie so unter norddeutschen Klimabedingungen nutzbarer gemacht. Entgegen der Vorstellung, Obstbäume wie Pfirsich oder Aprikose würden von den sich verändernden Bedingungen im Norden profitieren, hätten auch diese Arten vor Ort mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie Apfel, Birne und Co.
Klimabedingungen machen Obstbau zu schaffen
Ein Beispiel dafür ist, wie Rolf Hornig erklärt, „die Verschiebung der Vegetationsentwicklung“. Für Obstbäume wie Apfel, Birne oder Kirsche bedeutet das unter anderem eine deutlich frühere Blüte. In den vergangenen 55 Jahren hat sich der Blühbeginn „um wenigstens 15 Tage verfrüht“, so Hornig. Dazu kommt, dass im deutschen Frühjahr auch weiterhin mit Kaltlufteinbrüchen zu rechnen ist – gerade für zeitig blühende Aprikosen und Pfirsiche ein zentrales Problem. Denn das erhöhte Risiko für Frostschäden an den Blüten führt am Ende zu einer geringeren Ertragssicherheit.
Zu diesem Ergebnis kam auch der Versuch mit verschiedenen Aprikosensorten in Gülzow ab 2005. Die „ungenügende Ertragssicherheit durch Spätfrostschäden“ bezeichnete Höhne im entsprechenden Bericht als „ernstes Problem“. So seien zwar die Blüten vieler Sorten bis zu geringen Minusgraden belastbar, die Fruchtansätze dagegen „extrem frostgefährdet“. Die Empfehlung: „Wer ernsthaft Aprikosen anbauen will, benötigt einen schlagkräftigen Frostschutz.“
Dass das Wetter unberechenbarer wird, im Februar schon mal zehn Grad herrschen können und danach wieder Frost und Schnee kommen, bewertet auch Behzod Yuldashev als ungünstig. Der Klimawandel führe diesbezüglich nicht zu einer Besserung, weiß auch Rolf Hornig. Vielmehr treten zum Beispiel Extremwetterereignisse – wie Hagel, Spätfröste oder Trockenheit – häufiger auf und auch Schädlinge folgen den höheren Temperaturen nach Norden. Beides kann sich negativ auf die Erträge auswirken.
Die Aprikosenbäume der Inselmühle Usedom haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal richtig getragen. Der Ernteerfolg sei relativ schnell eingetreten, findet Antje Hackbarth. Zehn Tonnen konnten sie 2022 ernten. Für dieses Jahr rechnen sie mit einer Vollernte, also fünf Kilo Früchten pro Baum. Bei 6.000 Bäumen werden das von Juni bis Ende Juli demnach 30 Tonnen Aprikosen sein. Dass das unter den erwähnten Bedingungen in jedem Jahr möglich ist, bezweifelt Verbandschef Hornig gegenüber KATAPULT MV allerdings. Gerade mit Blick auf das Risiko später Fröste hält er höchstens „vier bis fünf Vollernten“ in zehn Ertragsjahren für realistisch.
Bewässerung ist notwendig
Die Mitarbeiter:innen der Inselmühle betrachten ihren Standort jedoch als besonders. Durch die Lage am Haff seien ihre Bäume „relativ geschützt“, so Hackbarth. Es gebe hier zwar auch Frost, aber nicht so schlimm wie anderswo. Und dennoch müssen auch auf den Plantagen zwischen Usedom und Karnin Maßnahmen ergriffen werden, um den Erhalt und den Ertrag der Bäume zu sichern.
So werden alle Obstbaumflächen, mit Ausnahme der Quitten, bewässert, erzählt Hackbarth. Ohne diese Wasserversorgung wäre es auch den Pfirsichen und Aprikosen auf Usedom zu trocken. Sie würden zwar überleben, aber nicht so gut wachsen und höchstens kleine Früchte tragen. Gerade die Sommer sind das Problem – da regnet es einfach zu wenig. Für die meisten Obstsorten hat die Inselmühle deshalb extra eine unterirdische Bewässerung installiert und teilweise bis zu eine Million Euro investiert, berichtet Yuldashev bei einem Gang über die Plantage. Nur die Aprikosen haben noch eine oberirdische Wasserleitung. Sowohl er als auch Antje Hackbarth mögen die unterirdische Variante jedoch lieber. So geht kein Wasser, etwa durch den Wind, unnötig verloren, erklärt Hackbarth. Nur wenn mal etwas an der Leitung nicht stimmt, sei es unterirdisch natürlich aufwendiger zu reparieren, ergänzt Yuldashev.
Die Gewährleistung der Wasserversorgung sieht auch Rolf Hornig als „höchste Priorität“ an. Die zusätzliche Bewässerung sei aus seiner Sicht „zwingend erforderlich“, um eine „jährlich wiederkehrende, gleichmäßig hohe Baumobsternte“ zu erhalten.
Aprikosen und Pfirsiche schon „völlig normal“
Eine solche stabile Ernte mit ausreichend hohen Erträgen ist am Ende laut Hornig notwendig, um als Unternehmen im Obstanbau „wirtschaftlich überleben zu können“. Auf die Frage, ob sich der ganze Betrieb der Inselmühle aktuell bereits rentiere, schüttelt Antje Hackbarth den Kopf. „Wir hatten aber auch den schlechtesten Start für ein Start-up“, ergänzt sie: Mitten in der Corona-Pandemie im Sommer 2020 ging es los. Da seien fast keine Urlauber:innen gekommen. Dabei richte sich das Angebot momentan noch sehr an Tourist:innen, da die Produkte den Einheimischen eher zu teuer seien. Und jetzt noch die Inflation, die das Geld nicht gerade locker sitzen lässt.
Für diese Saison hoffen sie bei der Inselmühle jedoch, mit ihren Produkten mehr Anklang und auch Absatz zu finden. Experimentierfreudig haben sie sich bisher schon gezeigt. So seien die Aprikosen und Pfirsiche für sie eigentlich schon „normal“, sagt Hackbarth. Der Blick geht also auch bei den angebauten Obst- und Gemüsesorten in die Zukunft. So wachsen auf den Feldern bereits jetzt Aronia, Felsenbirne oder die aus Sibirien stammende Haskapbeere. Und drei Olivenbäume seien ebenfalls bereits gepflanzt, die bei Erfolg noch weitere nach sich ziehen könnten. Auf der Liste der Möglichkeiten stehen außerdem Feigen oder die sogenannte Indianerbanane.
Trotz der vielen ungewöhnlichen Ideen stecken hinter den Überlegungen keine Spinnereien. „Am Ende müssen auch die Zahlen stimmen“, resümiert Antje Hackbarth. Dennoch wollen sie bei der Inselmühle „nicht auf die breite Masse aufspringen, sondern speziell bleiben“. Und vielleicht erst mal mit ihren „normalen“ Aprikosen durchstarten. „Vielleicht werden die Aprikosen unsere Karls-Erdbeeren“, träumt die Landwirtschaftschefin.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 18 von KATAPULT MV.
Quellen
- Statistisches Amt MV (Hg.): Baumobstanbau in Mecklenburg-Vorpommern, S. 7 (14.12.2022).↩
- Hippauf, Frank: Informationen aus dem Obstbauversuchswesen in Gülzow, S. 2 (13.5.2022).↩
- Höhne, Friedrich: Erste Erfahrungen mit neuen Aprikosensorten, S. 174, auf: landwirtschaft-mv.de (9.1.2012).↩
- E-Mail von Rolf Hornig vom 14.3.2023.↩
- Höhne 2012, S. 179.↩
- Die Haskapbeere ist erst seit 2019 in der EU als Lebensmittel zugelassen. Sie bildet rundliche bis längliche schwarzblaue Früchte, die äußerlich an Blaubeeren und geschmacklich an eine Kombination aus Blaubeere, Brombeere und Himbeere erinnern.↩