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Co-Working-Festival MV

Digitalisierung auf dem Land

Mecklenburg-Vorpommern soll ein „digitaler Innovationsraum“ werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Helfen könnten dabei Co-Working-Spaces, Bürogemeinschaften mit Menschen unterschiedlichster Professionen. Doch wie funktioniert digitales Arbeiten auf dem Land – mit langsamem Glasfaserausbau und mangelnder Mobilität?

Flächendeckende Digitalisierung soll in Mecklenburg-Vorpommern Innovationen fördern und den Gründergeist stärken, so steht es im Koalitionsvertrag. Unter der Leitung der Stabsstelle Digitalisierung beim Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung existiert die Marke „digitales MV“, die innovative und kreative Köpfe im Land miteinander vernetzen soll.

Sechs digitale Innovationszentren unterstützen die Zusammenarbeit von Hochschulen, Start-ups und Unternehmen. Seit vier Jahren gibt es einen Digitalisierungsbeirat und Digitalisierungsbotschafter:innen. Sie sollen die Auswirkung der Digitalisierung auf die Gesellschaft untersuchen und Impulse für die weitere Entwicklung setzen.

Glasfaser und Mobilfunk, so steht es im Koalitionsvertrag, erreichen bald nicht nur jede Milchkanne, sondern auch jedes Gewerbegebiet. Das ist dringend notwendig, denn „ohne die Digitalisierung werden immer mehr Menschen den ländlichen Raum verlassen“, glaubt Rolf Hoffmann. Er ist Netzbetreiber auf Rügen und Digitalisierungsbotschafter in MV. Die Infrastruktur ist eine Voraussetzung der Digitalisierung. Doch der Ausbau wird in den nächsten zwei Jahren nicht abgeschlossen sein, auch wenn Bund und Land die Finanzierung übernommen haben.

Co-Working-Festival für mehr Sichtbarkeit

Damit die digitale Infrastruktur im Land voranschreitet, sieht der Regierungsplan die Einbindung von Co-Working-Spaces im ländlichen Raum vor. Dabei arbeiten Menschen mit unterschiedlichen Berufen, meist Selbständige, relativ unverbindlich gemeinsam in einem Büro. „Allerdings hapert es an der überregionalen Sichtbarkeit“, sagt Alexandra Hennig. Sie ist Digital- und Communitylotsin im Co-Working-Space „Project Bay“ in Lietzow auf Rügen. „Gemeinsam wollen wir die Digitalisierung auf dem Land voranbringen. Das bedeutet auch, über die Grenzen hinauszudenken und stärker auf uns aufmerksam zu machen.“

Deshalb haben sich viele Co-Working-Spaces im Land zusammengeschlossen, um in einem gemeinsamen Co-Working-Festival die Vielfalt des digitalen Arbeitens einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen. Vom 28. März bis zum 3. April wird es überall in MV Vorträge und hybride Veranstaltungen geben. Zwischen Lietzow und Nieklitz, Rostock und Feldberg können Besucher und Interessierte sowohl vor Ort als auch online erleben, wo und wie in Mecklenburg-Vorpommern digital gearbeitet wird.

Flexibles, eigenständiges, dezentrales Arbeiten

„Wir haben viele Co-Working-Spaces im ländlichen Raum, die über Mecklenburg-Vorpommern hinaus nur wenige Personen kennen“, erklärt Hennig. Mit dem Festival wollen die Macher:innen das Potenzial im und auf dem Land sichtbar machen. Sowohl die gute Lebensqualität als auch Räume zum Arbeiten im Kontext von „New Work“, stellt Digitallotsin Hennig dabei heraus.

New Work ist ein Konzept der Arbeit mit hoher Flexibilität; eigenständig und vielfältig. „Es ist nicht mehr gang und gäbe, dass man zu seinem Arbeitsplatz irgendwo hinfahren muss“, weiß Hennig, denn Arbeitnehmer:innen könnten sich mittlerweile aussuchen, wo sie arbeiten wollen.

Dass Mecklenburg-Vorpommern auch für die Kreativwirtschaft ein sehr guter Ort sein kann, wollen wir mit dem Festival zeigen. Im Kern wollen wir die Leute animieren, sich die vielen Möglichkeiten anzuschauen.

Alexandra Hennig, Digitallotsin im Project Bay

Dabei sei die gezielte Ansprache von Unternehmen und Personaler:innen wichtig, die mitentscheiden können, wenn Arbeitnehmer:innen „remote“, also nicht am Firmensitz, arbeiten. Personalabteilungen sollen die Co-Working-Spaces auf dem Schirm haben und das dezentrale Arbeiten mit voranbringen.

Zielgerichtetes Arbeiten in der Natur

„Wir sprechen mit unserem Angebot Unternehmen an, die aus dem Dunstkreis Berlin kommen“, sagt Anne-Laure von Fuchs. Gemeinsam mit ihrem Mann betreut sie Gut Zahren in Mecklenburg. „Der Corona-Lockdown hat uns gezeigt, dass das Arbeiten hier viel zielgerichteter und konzentrierter ist als irgendwo in Berlin“, sagt sie. Weniger Reize als in der Stadt, dafür Weite, Stille und Natur.

Aus dem ehemaligen Pferdestall des Gutshauses wird ein „Digital Hub“, ein digitaler Knotenpunkt mit dem Namen „The Outpost“ – zu Deutsch: der Außenposten. Treffender lässt sich der Ort kaum beschreiben. Abgelegen, weit weg von Großstädten. Zahren, im Landkreis Ludwigslust-Parchim, liegt im Nirgendwo. Nicht einmal 500 Einwohner:innen zählt die Gemeinde.

Fehlende Mobilität als Hemmnis

Die Herausforderungen des ländlichen Raumes sind zugleich auch die Tugenden der Co-Working-Spaces. Die Abgeschiedenheit wird regelrecht gesucht. Doch fehlende Mobilität ist auch ein Hemmschuh. Familien würden sich auch deshalb nicht ansiedeln, weil sie auf dem Land nicht die gleiche Versorgung hätten wie in der Stadt, auch im Bereich Gesundheit.

„Da wollen wir agieren“, erklärt von Fuchs. Sie wolle mit dem Co-Working-Space die Umgebung zusammen mit den Einheimischen entwickeln. Gemeinsam mit Medizintechnikunternehmen möchten sie Dinge kreieren, die dem Dorf zugutekommen.

Investitionen auf dem Land notwendig

Auch Rolf Hoffmann sieht mit der Digitalisierung eine große Chance für die medizinische Versorgung in der Fläche. „Wenn ich im ländlichen Raum wohne, kann Digitalisierung dabei helfen, Patienten zu Hause zu überwachen. Ich kann ein Rezept digital zur Apotheke schicken lassen und mit einer Drohne Medikamente zustellen. Es klingt futuristisch, aber das gibt es ja schon“, sagt der Digitalisierungsbotschafter.

Für ihn gehe es darum, den Finger in die Wunde zu legen und zu zeigen, was noch nicht funktioniert. „Auf Landesebene gibt es keine Koordination und keine Sichtbarkeit“, kritisiert Hoffmann. Vieles werde in der Entwicklung nicht unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Insgesamt fehle es auch an Weitsicht. Innovationen und neue Technologien auszuprobieren, sei ein erster Schritt, aber „nachhaltig agieren zu wollen, heißt auch, Geld zu investieren, um eine Aufgabe auch zu erfüllen“. Gerade im ländlichen Raum ist die Umsetzung für Hoffmann mangelhaft.

Entwicklung des ländlichen Raumes mitgestalten

„Wir haben in der Nähe eine Kita, aber noch keine weiterführende Schule. Die wird gerade erst gebaut“, sagt Johannes Milke vom Co-Working-Space und Genossenschaftsprojekt „Wir bauen Zukunft“ in Nieklitz. Auch der öffentliche Nahverkehr sei ungenügend. Der nächstgelegene Bahnhof befindet sich in Schwanheide, 19 Kilometer entfernt. Lediglich ein sogenannter Rufbus fährt wie ein Taxi auf der Strecke.

Und doch hat der Nieklitzer Co-Working-Space eine gewisse Anziehungskraft. Aus dem ehemaligen botanischen Garten und Forschungszentrum für Bionik ist ein Ort entstanden, der sich neben dem Thema Co-Working vor allem mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Dort werden Seminare und Workshops veranstaltet, in der Werkhalle einer ehemaligen Tischlerei werden professionell Tinyhäuser gebaut.

Seminarhaus des Co-Working-Space „Wir bauen Zukunft“ in Nieklitz. (Foto: Wir bauen Zukunft eG)
Seminarhaus des Co-Working-Space „Wir bauen Zukunft“ in Nieklitz. (Foto: Wir bauen Zukunft eG)

„Mittlerweile sind 25 Leute hierhergezogen oder zurückgekehrt“, erklärt Milke. Auf dem zehn Hektar großen Gelände liefert das US-Satellitennetzwerk Starlink eine stabile Internetverbindung. „Vorher hatten wir eine ganz schlechte Leitung“, sagt Milke. Dennoch sei es eine bewusste Entscheidung gewesen, keine vollständige Internetabdeckung zu gewährleisten. Es geht um den bewussten Umgang mit der Technologie.

„Wir brauchen auch Räume, wo eher der Zugang zur Natur im Vordergrund steht oder auch das soziale Miteinander“, beschreibt Milke. Der Waldgarten sei so etwas wie das Herzstück der Anlage.

Begegnungsstätte mit Saatguttauschbörse und Reparaturcafé

Digitalisierung sei mehr als der langsam voranschreitende Breitbandausbau, meint Milke. Er wünscht sich eine stärkere Vernetzung untereinander, nicht nur mit den anderen Co-Working-Spaces, sondern auch mit den Einheimischen.

„Wir wollen die Bürger aus der Region erreichen, die schon lange hier leben und eine andere Lebensrealität haben als die Menschen, die aus Berlin oder Hamburg hergezogen sind.“ Darum sieht sich die Genossenschaft auch als Begegnungsstätte, mit Saatguttauschbörse und Reparaturcafé.

Zustand der Digitalisierung tragisch

Auch Kamila Sösemann, Geschäftsführerin des Guts Pohnstorf, ist das Miteinander mit der Dorfgemeinschaft wichtig. „Ich schaue mir die Kompetenzen vor Ort an, buche einen regionalen Caterer für Veranstaltungen, beziehe meinen Honig vom Nachbarn.“

In der Mecklenburgischen Schweiz bietet ihr Gutshof Unterkünfte für Feriengäste, aber auch Arbeitsraum für Firmen und Unternehmen an. Die Lockdowns während der Corona-Pandemie hätten Leben und Arbeiten stark verschwimmen lassen, meint Sösemann. Sie beobachtet, dass immer mehr Menschen ihre Laptops einpacken und aufs Land fahren.

Arbeit in der Natur auf Gut Pohnstorf (Foto: Gut Pohnstorf)

„Hier können sie den Kopf durchlüften und haben Freiraum, andere Gedanken zu denken“, ist sie überzeugt. Einen Glasfaseranschluss hat Gut Pohnstorf noch nicht. 2023 soll es so weit sein. Bis dahin nutzen die Gäste des Guts den Mobilfunkstandard LTE, aber auch 5G soll bald verfügbar sein. Den Zustand der Digitalisierung in Deutschland und auch in MV bezeichnet Sösemann dagegen als „tragisch“. Besonders mit Blick auf die Nachbarländer hinke Deutschland deutlich hinterher.

„Man kann sich aber auch selbst um eine Verbesserung kümmern“, sagt sie. Seit knapp vier Jahren stehen deshalb vier Ladestationen für E-Autos in Pohnstorf, einem Ort mit 36 Einwohner:innen. „Da haben die uns ausgelacht“, sagt Sösemann und schmunzelt. In diesem Jahr will sie gemeinsam mit ihrem Mann weitere sechs Ladestationen installieren.

Mangelhaftes Glasfasernetz und Mobilität

Project Bay, Gut Zahren, Wir bauen Zukunft und Gut Pohnstorf sind beispielhaft für digitale Räume auf dem Land. Sie versuchen den digitalen Innovationsraum zu schaffen, den die Landesregierung im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. Noch hakt es jedoch, neben dem Ausbau des Glasfasernetzes ist vor allem die Mobilität ein entscheidendes Thema.

„Den öffentlichen Nahverkehr kann man mit der Digitalisierung so viel besser strukturieren“, meint Digitalisierungsbotschafter Hoffmann. Der Landesregierung fehle es an Mut, anzupacken und Entscheidungen zu treffen. Auch in Verwaltung, Tourismus und Bildung könne und müsse noch viel geschehen.

Arbeitsplätze für Geflüchtete

Die Co-Working-Spaces sind nur ein Puzzlestück im Digitalisierungsprozess. Auf dem Land und in der Stadt bieten sie die Möglichkeit, dezentral und selbstorganisiert digital zu arbeiten.

Das wollen sie auch Menschen aus der Ukraine ermöglichen. Project Bay in Lietzow und das „Basislager“ in Rostock stellen Geflüchteten kostenlos Arbeitsplätze und Infrastruktur zur Verfügung, das Digitale Innovationszentrum Schwerin plant, das künftig zu tun.

Hinweis: Am 29.3. um 17.25 Uhr wurde die Stelle über Kinderbetreuungsangebote und den Nahverkehr in Nieklitz korrigiert.

Quellen

  1. Landesregierung MV (Hg.): Koalitionsvertrag, auf: linksfraktionmv.de.
  2. Stabsstelle Digitalisierung (Hg.): digitalesmv.de.
  3. Stabsstelle Digitalisierung (Hg.): Digitalisierungsbeirat, auf: digitalesmv.de.
  4. Landesregierung MV (Hg.): Koalitionsvertrag, auf: linksfraktionmv.de.

Autor:in

  • Freier Redakteur

    Ist KATAPULT MVs Inselprofi und nicht nur deshalb gern am Wasser. Nutzt in seinen Texten generisches Femininum.

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