Mecklenburg-Vorpommern ist ein Land der weiten Fläche. Mobil ist, wer ein Auto hat oder wenigstens in der Nähe eines Bahnhofs wohnt. Im Hinterland, in den Regionen, die wenig touristisch sind, ist das Angebot im öffentlichen Nahverkehr dagegen spärlich. In einer nichtrepräsentativen Instagram-Umfrage haben wir unsere Followerinnen gefragt, ob sie das D-Ticket nutzen. Siehe da: 57 Prozent antworten mit Nein. Warum das so ist, zeigt die anschließende Frage. Wir wollten wissen, ob die Infrastruktur des ÖPNVs im Land ausreichend sei. 94 Prozent (888 abgegebene Stimmen) verneinten.
Susann Hudy zum Beispiel schreibt uns, dass sie mit ihrer Familie in einem kleinen vorpommerschen Ostseebad wohne. „Auch wenn ich zur Arbeit ins nächste Dorf mit dem Rad fahren kann, sind wir gezwungen, zwei Autos zu haben. Mein Mann fährt mit dem Auto zur Arbeit, weil keine ÖPNV-Verbindungen vorhanden sind, und ich fahre die Kinder zu Sportverein, Fahrschule, Arzt, Freunden.“ Zwar seien die Busverbindungen vergleichsweise gut, aber ausschließlich auf touristische Bedürfnisse ausgelegt und im Alltag oft nicht brauchbar. Der nächste Bahnhof ist rund eine Dreiviertelstunde mit dem Auto entfernt.
Die drei häufigsten Kritikpunkte am Deutschlandticket, die die Teilnehmerinnen unserer Umfrage nannten, sind der zu hohe Preis, die geringe Attraktivität des ÖPNV im ländlichen Raum und das Abomodell. An das D-Ticket ist aber auch die Hoffnung geknüpft, dass mehr in die Infrastruktur investiert werde. Es werde mehr Mobilität geben für jene, die es sich vorher nicht leisten konnten, heißt es in einem Kommentar. „Ich kann endlich meine Mutter besuchen, ohne für jede Busstrecke zehn Euro zu zahlen“, schreibt jemand. „Mehr Urlauber. Mehr Geld in den Kassen. Für MV ist es gut“, urteilt eine Nutzerin. Jemand antwortet auf die Frage, ob sich das D-Ticket für MV lohne: „Nur, wenn man nach Berlin oder Hamburg will.“
Besonders im ländlichen Raum fehle ein akzeptables Nahverkehrsangebot für potenzielle Fahrgäste, erklärt Marcel Drews, Landesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn. Das Deutschlandticket lohne sich in der Fläche nur, wenn mit dem ÖPNV unkompliziert Einkäufe, Arztbesuche und der Weg zur Arbeit oder Schule erledigt werden könnten.
Mobilitätsoffensive im ÖPNV
In Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung nach den Erfahrungen rund um das Neun-Euro-Ticket Anfang April eine Mobilitätsoffensive angekündigt, um die Angebotslücken im Nahverkehr zu schließen. Der zuständige Minister Reinhard Meyer (SPD) möchte ein Landesmobilitätsnetz schaffen, das „mit flächendeckenden schnellen, vertakteten Bahn- und Busangeboten und Rufbussen“ jedes Dorf erreichen kann. Für eine Verkehrswende brauche es „attraktive Verkehrsangebote und sozialverträgliche und moderne digitale Tarif- und Vertriebsstrukturen“, heißt es weiter.
Marcel Drews von Pro Bahn begrüßt die Mobilitätsoffensive, schränkt jedoch ein, dass der geplante Ausbau des Netzes einige Jahre dauern werde. Entscheidend sei dabei eine ausreichende Finanzierung des Nahverkehrs in den Landkreisen. „Das Landeskonzept funktioniert nur, wenn auch das bestehende Grundnetz der Buslinien ausreichend finanziert ist“, so Drews.
Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es, dass die Chance sowohl für eine nachhaltige Verbesserung des Nahverkehrs als auch für eine einfachere Tarifstruktur nie größer gewesen sei. Gleichzeitig stehen Land und Kommunen vor der Herausforderung des flächendeckenden Ausbaus und der Schaffung attraktiverer Angebote an öffentlicher Mobilität im ländlichen Raum.
Kurz: Es ist alles wie gehabt. Seit Mai gilt das bundesweite D-Ticket, aber in der Fläche gibt es keine Angebote, um es sinnvoll zu nutzen.
Erfolg des D-Tickets abhängig von der Infrastruktur
„Für mich ist das Deutschlandticket ein finanzieller Segen, denn damit spare ich pro Monat mehr als 100 Euro und habe außerdem die Möglichkeit, auch andere Fahrten zu machen“, schreibt Juliane, die beruflich zwischen Greifswald und Stralsund pendelt. Wie sie berichten mehrere Pendlerinnen zwischen den beiden vorpommerschen Hansestädten von den Vorteilen des D-Tickets. Hier scheint der Umstieg vom Auto auf den ÖPNV tatsächlich möglich zu sein. Außerdem sei das Deutschlandticket ein riesiger Sprung hin zu einem attraktiven Tarifangebot im ÖPNV, erklärt Stefan Lösel, Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Ludwigslust-Parchim (VLP). Bisher sei der größte Teil der Landesfläche ein „tariflicher Flickenteppich“ gewesen. Zusätzlich setze das Deutschlandticket bei Zeitfahrausweisen eine preisliche Obergrenze, unter der sich weitere Zeitfahrkarten etablieren. So ermögliche das Land etwa Azubi- und Seniorentickets für jeweils 29 Euro pro Monat. Schülerinnen, die im Landkreis Ludwigslust-Parchim wohnen, erhalten bei der VLP das Deutschlandticket für 19 Euro im Monat.
Mit dem Einstiegspreis für Vollzahlerinnen von 49 Euro ist das D-Ticket eine günstige Alternative für die Monatskarten der einzelnen Verkehrsgesellschaften und -verbünde. Dennoch gibt es Kritik am Preis. Wir wollten in unserer Umfrage wissen, ob der Preis für das D-Ticket angemessen sei. 51 Prozent (519 Stimmen) der Teilnehmerinnen waren der Meinung, dass er es nicht sei. Zugleich war der Preis die mit Abstand meistgenannte Schwäche des D-Tickets. 49 Euro gelten vielen Teilnehmerinnen offenbar als zu teuer. Eine Nutzerin schreibt auf Instagram: „31 Euro wäre total in Ordnung gewesen.“
Das D-Ticket lohnt sich für alle, die häufig mit dem ÖPNV unterwegs sind. Das gelingt aber nur, wenn es entsprechende Verbindungen gibt. So ist das Deutschlandticket nicht nur für Pendlerinnen zwischen Stralsund und Greifswald attraktiv, sondern auch für Pendlerinnen im Verkehrsverbund Warnow (VVW), der die Hansestadt und den Landkreis Rostock bedient.
Geschäftsführer Stefan Wiedmer geht davon aus, dass sich der Verkauf des D-Tickets auch auf Wochen-, Tages- und Einzelfahrkarten auswirken wird. Aus gelegentlichen Fahrgästen würden Stammfahrgäste im ÖPNV, ist er überzeugt. Bis Anfang Mai habe der VVW etwa 26.000 Deutschlandtickets verkauft. Rund 8.000 davon seien neue Abos gewesen, während 18.000 Bestandskundinnen zum D-Ticket gewechselt seien. Auch etwa 2.000 Studentinnen hätten ihr Semesterticket auf ein Deutschlandticket ausgeweitet.
„Das D-Ticket ermöglicht den Fahrgästen eine preislich attraktive Mobilität, entlastet zugleich die Menschen und hat darüber hinaus mit der bundesweiten Gültigkeit einen echten innovativen Charakter“, beschreibt Wiedmer die Vorteile insbesondere dort, wo der ÖPNV gut ausgebaut ist. Ohne passende Angebote im öffentlichen Nahverkehr könne das D-Ticket dagegen nicht erfolgreich sein. Es brauche zeitnah mehr Busse und Bahnen im ÖPNV sowie finanzielle Mittel von Bund, Land und Gemeinden.
„Sofern bereits ein annehmbares ÖPNV-Angebot vorhanden ist, beginnt mit Umsteigern vom PKW auf den ÖPNV bereist die Verkehrswende“, erklärt Fahrgastverbandschef Drews. Allerdings sei es auch auf stark nachgefragten Nahverkehrslinien notwendig, das Angebot mit einer engeren Taktung und größeren Fahrzeugen auszubauen. Nur so könnten neu gewonnene Fahrgäste langfristig gebunden werden.
Touristische Strecken top, alle anderen flop?
Das Wirtschaftsministerium erwartet wie in jedem Jahr steigende Fahrgastzahlen in den Sommermonaten. Insbesondere gilt dies für die Regional-Express-Verbindungen von Hamburg, Lübeck und Berlin sowie die Bahnlinie entlang der Küsten von Rostock nach Rügen. Zusätzliche Kapazitäten und Angebote werde das Land bereitstellen, berichtet Pressesprecher Gunnar Bauer. Ebenso erklärt VVW-Chef Wiedmer, dass die Rostocker Straßenbahn AG sowie DB Regio Nordost auf den touristisch stark nachgefragten Strecken das Angebot für das D-Ticket kurzfristig verstärken werden.
Nun besteht MV aber nicht nur aus touristischen Strecken. Selbst dort nicht, wo der Tourismus das Leben der Menschen bestimmt. Beispiel: Kap Arkona im Norden der Insel Rügen. Wer vom Festland mit dem Auto anreist, benötigt ungefähr eine Stunde. Mit dem ÖPNV ist die Anreise schwieriger. Die Regionalbahn braucht zunächst eine Dreiviertelstunde von Stralsund nach Sagard. Dort angekommen, fährt ein Bus im Zweistundentakt weiter in den Norden der Insel. Entweder hat man Glück und wartet lediglich eine halbe Stunde auf den nächsten Bus, oder man hat weniger Glück und wartet anderthalb Stunden.
Im Bus der Linie 13 dann die nächste Herausforderung: Der Fahrplan zeigt zwei Umstiege an, weil der Nahverkehr auf Rügen in einem Wabensystem mit Knotenpunkten organisiert ist. Jeder Knotenpunkt wird als Umstieg angezeigt, auch dann, wenn der Bus in die richtige Richtung weiterfährt. Klingt verwirrend? Ist es auch. Wer es mit dem Bus bis nach Altenkirchen geschafft hat, muss nun tatsächlich umsteigen und erreicht nach einer insgesamt 54-minütigen Busfahrt Putgarten. Von hier sind es anderthalb Kilometer zum Kap Arkona. Inklusive Fußweg dauert die 73 Kilometer lange Strecke mit dem ÖPNV drei bis vier Stunden. Diese Verbindung ist nicht besonders schlecht, sondern Alltag auf der Insel. Wer hier kein Auto hat, braucht viel Zeit.
Auf unsere Frage, ob sich das D-Ticket für MV lohne, schrieb eine Instagram-Nutzerin: „Lohnt nicht. Mit Bus und Bahn ist man länger unterwegs als mit dem Auto, da selten so getaktet, dass es mit den Anschlüssen passt. Auch zu umständlich. X-mal umsteigen, wenn man irgendwo hinwill.“ So ähnlich kommentieren es einige andere Nutzerinnen. „Leider habe ich täglich eine einfache Strecke von 45 Kilometern durch zwei Landkreise. Die Busse sind nicht aufeinander abgestimmt und da, wo ich hinmuss, fehlt die Haltestelle.“ Keine Infrastruktur im ÖPNV ist offenbar Standard in der Fläche.
Für Susann aus dem vorpommerschen Ostseebad ist das D-Ticket deshalb auch ungerecht, weil es diejenigen bevorzuge, die bereits einen gut ausgebauten ÖPNV nutzen können. „Gerechtigkeit bedeutet für mich nicht: alle das Gleiche, sondern: jeder das, was er braucht.“ Wer in Kemnitz oder Putgarten oder Benitz wohnt, wird Susann wohl verstehen.
Noch ein Beispiel aus unserer Umfrage: Wer von Greifswald nach Waren möchte, ist mit dem Auto etwa anderthalb Stunden unterwegs. Mit den Regionalzügen dauert die schnellste Verbindung mit Umstieg in Rostock knapp dreieinhalb Stunden. Es geht auch deutlich länger (etwa sechs Stunden über Berlin-Gesundbrunnen).
Ein D-Ticket, ein Durcheinander
Das Deutschlandticket ist ein großer Wurf hin zu bundesweit einheitlichen Beförderungsbedingungen. Allerdings, und schon wird es undurchsichtig, können je nach Unternehmen und Verkehrsverbund zusätzliche, lokal begrenzte Leistungen gegen einen Aufpreis zugebucht werden, berichtet Marcel Drews von Pro Bahn. Dazu zählt etwa die Mitnahme einer weiteren Person oder eines Fahrrads. Auch bei Rufbussen und Fähren gibt es Hürden. So ist die Fährverbindung von Schaprode nach Hiddensee mit dem D-Ticket nutzbar, die saisonalen Fähren von Wiek oder Dranske nach Hiddensee jedoch nicht, obwohl alle drei Verbindungen von der gleichen Reederei bedient werden.
„Das Deutschlandticket zielt auf den öffentlichen Personennahverkehr. (…) Ein finanzieller Ausgleich für die entgangenen Einnahmen der Reederei erfolgt ausschließlich auf diesen Linien“, begründet Martin Breitkreuz von der Weißen Flotte. Verbindungen im saisonalen Ausflugsverkehr gehörten nicht zum Geltungsbereich des D-Tickets.
In den Bäderbahnen Molli und Rasender Roland gilt zwar das Deutschlandticket, allerdings zahlen Fahrgäste einen Aufpreis in Form einer Tages- oder Wochenkarte.
Aber auch die Deutsche Bahn mischt im Durcheinander des D-Tickets mit. So gilt es nicht in Nahverkehrszügen, die von DB Fernverkehr betrieben werden, obwohl sie auf der Website bahn.de unter der Auswahl „nur Nahverkehr“ angezeigt werden.
Bei der Nutzung der Züge von DB Fernverkehr gebe es je nach Strecke unterschiedliche Regelungen, „die für Fahrgäste leider nicht so einfach durchschaubar sind“, erklärt Martin Drews. So gilt das Deutschlandticket auf der Strecke Stralsund–Rostock auch in den IC- und ICE-Zügen, die nicht als Nahverkehr gekennzeichnet sind. Dagegen sind die IC- und ICE-Züge auf der Strecke Prenzlau–Berlin auch als Regionalexpresszüge gekennzeichnet. Fahrkarten des Regional- und Nahverkehrs werden in den Zügen anerkannt, das Deutschlandticket jedoch nicht. Den Fahrgästen fehle eine verständliche und zugängliche Gültigkeitsinformation, so Drews.
Auch die Fahrgastrechte wurden beim Deutschlandticket aufgeweicht. So beschloss der Bundesrat in seiner Sitzung vom 12. Mai, dass das Deutschlandticket ab 7. Juni als ein Fahrschein mit erheblich ermäßigtem Beförderungsentgelt gelte, berichtet Drews. Trotz großer Verspätung von mindestens 20 Minuten oder Zugausfall kann ein Fahrgast mit D-Ticket dann nicht ohne zusätzliche Kosten in einen Fernverkehrszug umsteigen, um das Reiseziel zu erreichen. Wer mit dem Ticket unterwegs ist, sollte deshalb mehr Zeit einplanen.
Schon jetzt haben Bahnkundinnen das Nachsehen, wenn sie das Deutschlandticket in Kombination mit dem Fernverkehr nutzen möchten. Wer etwa von Parchim über Ludwigslust nach Hamburg reisen möchte und die RB-Teilstrecke mit dem Deutschlandticket fährt, geht mit der Bahn zwei Beförderungsverträge ein (nämlich D-Ticket im Nahverkehr und ICE-Ticket nach Hamburg im Fernverkehr). Es gelten keine durchgängigen Fahrgastrechte. Verspätet sich die RB auf der Strecke Parchim-Ludwigslust und wird dadurch der Anschluss nach Hamburg verpasst, bleibt die Zugbindung für die Fahrkarte im Fernverkehr dennoch bestehen. Für einen späteren Fernverkehrszug muss eine neue Fahrkarte gekauft werden. Auch eventuelle fahrgastrechtliche Entschädigungsansprüche werden nur für das jeweilige Fernverkehrsticket und das Deutschlandticket getrennt betrachtet.
Ticketabsatz und Finanzierung
Zum Start des Deutschlandtickets meldeten die Verkehrsunternehmen in MV gemeinsam mit dem Verkehrsverbund Warnow etwa 36.500 ausgegebene Exemplare, teilt das Wirtschaftsministerium mit. Darunter waren rund 10.800 Azubitickets, die auf das Deutschlandticket umgestellt wurden. Bundesweit wurden im Vorverkauf rund sieben Millionen D-Tickets verkauft, heißt es.
Finanziert wird das Deutschlandticket von Bund und Ländern, die zusammen für 2023 einen Verlustausgleich von drei Milliarden Euro für Verkehrsunternehmen bereitstellen. Mögliche Mehrkosten tragen Bund und Länder ebenfalls zur Hälfte.
Zusätzliche Mittel für Investitionen und Streckenausbau stünden in diesem Zusammenhang nicht zur Verfügung, erklärt Stefan Wiedmer vom Verkehrsverbund Warnow. Diese seien perspektivisch für einen attraktiven ÖPNV allerdings notwendig. Das gelte sowohl für eine nachhaltige Finanzierung des D-Tickets ab 2024 als auch für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sowie des Mobilitätsangebots im VVW und im Land MV. Ein gut ausgebauter ÖPNV habe positive volkswirtschaftliche Effekte, unterstütze die Klimaschutzbestrebungen in Bund, Ländern sowie auf kommunaler Ebene und sei zugleich Gemeinschaftsaufgabe und Daseinsvorsorge für die Menschen, so Wiedmer weiter.
Im Landkreis Ludwigslust-Parchim setzt die VLP aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte auf den Ausbau des bestehenden Rufbussystems. Auf stärker nachgefragten Strecken soll ein Taktverkehr eingerichtet werden. Das Land Mecklenburg-Vorpommern werde die Landkreise ab 2024 finanziell bei den Rufbussen und landesweit bedeutsamen Linien unterstützen, so VLP-Chef Lösel. Durch die Einführung des D-Tickets werde aber schon jetzt eine deutlich stärkere Nachfrage erwartet, weshalb er sich bereits für 2023 finanzielle Hilfe durch das Land wünscht.
Bedingt zugänglich
Dass das Deutschlandticket vor allem als digitales Produkt beworben wird, kann als Fingerzeig in Richtung eines digitalisierten Nahverkehrs der Zukunft verstanden werden. Gleichzeitig wird kritisiert, dass Bevölkerungsgruppen, die mit der digitalen Welt nicht vertraut sind, benachteiligt werden.
Niemand werde direkt vom Deutschlandticket ausgeschlossen, allerdings seien Zugangshürden geschaffen worden, die es beim Neun-Euro-Ticket noch nicht gab, erklärt Marcel Drews von Pro Bahn. Das digitale Abo-Ticket lasse sich nicht einfach beim Busfahrer oder am Fahrkartenautomaten kaufen. Wer keinen Internetzugang hat, muss zur Filiale eines Verkehrsunternehmens, das das Deutschlandticket verkauft.
„Das Deutschlandticket wird als Handyticket oder als Chipkarte ausgegeben“, schreibt Pressesprecher Bauer aus dem Wirtschaftsministerium. Die Abos könnten aber auch in Papierform beantragt werden. In MV sei das bei einigen Verkehrsunternehmen und im Bereich des Verkehrsverbundes Warnow möglich. Für alle Fahrgäste, die mit der Digitalisierung noch nicht vertraut seien, biete der VVW eine „persönliche Beratung in den Kundenzentren“ an, so Geschäftsführer Wiedmer. Auch bei der VLP im Landkreis Ludwigslust-Parchim könne das D-Ticket mit einem Papierformular beantragt werden. Niemand sei ausgeschlossen, solange die Person eine Kontoverbindung habe und eine Lastschrift einrichten könne, erklärt Geschäftsführer Lösel.
Die beantragte Chipkarte werde anschließend per Post verschickt. Allerdings kam es im Vorverkauf bereits zu Verzögerungen in der Produktion und im Versand der Chipkarten, sodass nicht alle Abonnentinnen zum Start am 1. Mai ihre Tickets erhielten. Grund dafür sei der Weltmarkt, auf dem kurzfristig nicht genügend Chipkarten beschafft werden konnten. „Wir benötigen bis zu 30 Millionen Chipkarten für den deutschen ÖPNV. Da kommt es angesichts der Halbleiterkrise, der hohen Chipnachfrage aus vielen Branchen und des Krieges in der Ukraine zwangsläufig zu Verzögerungen bei der Lieferung“, so Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen.
Was leistet das Deutschlandticket?
Das Deutschlandticket ist eine Fahrkarte und als solche leistet es Erstaunliches. Nie zuvor wurde ein dauerhafter, bundesweit einheitlicher Beförderungstarif eingeführt. Wer viel unterwegs ist oder im Umland von Ballungsräumen und größeren Städten pendelt, profitiert umso mehr, weil der Tarif des D-Tickets deutlich unter den Monatstarifen der meisten Verkehrsunternehmen liegt.
Wenig attraktiv ist das Deutschlandticket hingegen dort, wo eine Fahrkarte allein nichts ausrichten kann. Gibt es keinen Nahverkehr, ist auch die Fahrkarte nutzlos. Möglicherweise eignet es sich dennoch für gelegentliche Fahrten durchs Land. Ein Deutschlandticket kostet aktuell etwas mehr als zwei MV-Tickets für eine Person. Bei einem Wochenendausflug mit zusätzlicher Nutzung des lokalen Nahverkehrs kann auch das D-Ticket in MV ein Gewinn sein.
Ob das Deutschlandticket mit der aktuellen Infrastruktur eine Verkehrswende einleiten kann, ist indes fraglich. Was bleibt, sind weiterhin fehlende Investitionen in die Infrastruktur des ÖPNV. Erst wenn hier eine deutliche Verbesserung eintritt, kann auch das D-Ticket das ihm innewohnende Potenzial entfalten.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 20 von KATAPULT MV.
Quellen
- Autor verwendet generisches Femininum.↩
- E-Mail von Susann Hudy vom 5.5.2023.↩
- E-Mail von Marcel Drews vom 8.5.2023.↩
- Verkehrsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern (Hg.): Mobilitätsoffensive Mecklenburg-Vorpommern, auf: vmv-mbh.de (5.4.2023).↩
- E-Mail von Gunnar Bauer, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Ministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit Mecklenburg-Vorpommern, vom 8.5.2023.↩
- E-Mail von Stefan Lösel vom 10.5.2023.↩
- E-Mail von Stefan Wiedmer vom 8.5.2023.↩
- E-Mail von Martin Breitkreuz vom 11.5.2023.↩
- Mecklenburgische Bäderbahn Molli (Hg.): Das Deutschland-Ticket, auf: molli-bahn.de / Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn (Hg.): Tarife, auf: ruegensche-baederbahn.de.↩
- E-Mail von Martin Drews vom 8.5.2023.↩
- E-Mail von Martin Drews vom 10.5.2023.↩
- E-Mail von Martin Drews vom 12.5.2023.↩
- DB Fernverkehr (Hg.): Häufige Fragen zu „Deutschland-Ticket“, auf: bahn.de.↩
- E-Mail von Gunnar Bauer vom 8.5.2023.↩
- Deutschland mobil 2030 (Hg.): Rund sieben Millionen Menschen haben ein D-Ticket, auf: d-ticket.info (10.5.2023).↩
- Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.): Ein Ticket für ganz Deutschland, auf: bundesregierung.de (9.5.2023.)↩
- E-Mails von Stefan Wiedmer vom 8. und 9.5.2023.↩
- E-Mail von Stefan Lösel vom 10.5.2023.↩
- E-Mail von Marcel Drews vom 8.5.2023.↩
- E-Mail von Gunnar Bauer vom 8.5.2023.↩
- Deutschland mobil 2030 (Hg.): Rund sieben Millionen Menschen haben ein D-Ticket, auf: d-ticket.info (10.5.2023).↩