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Montagsdemos in Greifswald

Eindimensionale Normalität

Drei Wochen hat KATAPULT MV die Greifswalder Montagsdemos begleitet. Welche Menschen sprechen dort zu welchen Themen? Keine Überraschung: Es sind oftmals die gleichen. Eine Beobachtung.

Es ist der 25. September. Unter dem Motto „Bürgerdialog/Friedensdemo – für Frieden und gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, für den Erhalt des Grundgesetzes, für die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, für die Aufarbeitung der Corona-Krise, gegen neue WHO-Verträge und für politisch neutrale Wissenschaft“ laden die Veranstaltenden mit einem breiten Themenspektrum auf den Greifswalder Markt.

Im Vorfeld der Demo wird das Erntedankfest gefeiert. Etwa 16 Personen kommen zusammen. Getränke und Speisen sollen von allen selbst mitgebracht werden. Im Hintergrund läuft Musik. Ein Beispiel: Gebt uns unser Land zurück von Alex Olivari. Der Song ist professionell produziert, das hört man. Auf Olivaris Homepage ist zu lesen, er habe mit Größen wie Jennifer Rush, Matthias Reim oder Guildo Horn zusammengearbeitet.

Die meiste Diversität steckt in den Themen

Die Themen des Songs sind vielfältig. Es geht um deutsche Asylpolitik: „Wir sollen Millionen hier willkommen heißen, die offen auf unser Land scheißen.“ Aber auch mit ukrainischen Geflüchteten beschäftigt sich der Musiker: „Sie fahren in dicken Limousinen, rufen Slava Ukraine.“ Auch mit seiner Meinung zur LGBTQI+-Szene hält Olivari nicht hinter dem Berg: „Regenbogenmenschen der Nacht haben es bis in die Kitas geschafft, und sie töten Kinderseelen.“ Und so tönen klar queerfeindliche Positionen, gesungen zu lockerer Pop-Rock-Melodie, über das Greifswalder Kopfsteinpflaster. Die Anwesenden beißen genüsslich in ihr Brötchen und trinken dazu Bier. Ob sie sich mit den Liedern oder Texten auseinandersetzen, oder in dem Moment überhaupt aktiv auf die Texte hören, ist offen.

Inzwischen ist es 19 Uhr. Zum Auftakt der Demonstration erklingt laut Freude, schöner Götterfunken. Als Europahymne bekannt, gibt Beethovens Sinfonie das Startsignal für die nach Polizeiangaben knapp 100 Personen, die sich an der Ecke Rakower und Mühlenstraße versammelt haben. Angemeldet war die Demo für 500 Personen. 

Hans-Uwe Fischer, Anmelder der Montagsdemos, beginnt mit seinem Wortbeitrag. Er reißt in knapp 15 Minuten mehrere Themen an: So sieht er etwa einen Zusammenhang zwischen der Qualität der universitären Arbeit und der Namensablegung vor fünf Jahren. Damals strich die Universität Greifswald ihren Namenszusatz „Ernst Moritz Arndt“. Ein momentaner Zwischenstand, wenn es nach ihm geht. Seiner Meinung nach sind „Zugereiste“ dafür verantwortlich gewesen.

Auch Kritik an der Ampel-Regierung kommt nicht zu kurz. Dabei im Fokus: Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, die er ablehnt.

Mit einem Wortwitz über Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – „Herr Leiserfluss“ – in Verbindung mit einer Rücktrittsforderung übergibt Fischer an Rednerin Franzi, eine offenbar überzeugte Impfgegnerin. Sie sei stolz darauf, einen „sauberen Enkel ohne Genmanipulation“ zu bekommen. Außerdem führt Franzi aus, sie sei kein Fan vom Gendern, und vergleicht es mit Stottern. Ihr Beitrag endet mit der Migrationspolitik und der Gefahr, die sie auf sich zukommen sieht. Es folgen weitere Redebeiträge und Wortmeldungen.

Zum Abschluss der Veranstaltung bilden die Teilnehmenden eine Menschenkette als Zeichen des Friedens. Dazu läuft das Lied Nein, meine Söhne geb’ ich nicht. „Sie werden nicht in Reih und Glied marschieren.“ Ein Antikriegslied, das auch zum Abschluss der Folgedemos zu hören sein wird.

Forderung nach einem neuen Wahlsystem

2. Oktober, einen Tag vor dem Tag der Deutschen Einheit. Diesmal haben sich laut Polizei 110 Demonstrierende in der Marktmitte eingefunden. Nachdem Freude, schöner Götterfunken erklungen ist, hält Anmelder Fischer seine Rede, erneut zu einer breiten Mischung an Themen. Zu Beginn fordert er, die Regierung abzusetzen und sie vor Gericht zu stellen. Drastisch. Eine Frau, die sich gerade auf eine der umliegenden Sitzbänke setzen will, unterstreicht das mit einem lauten „Ja“. Ein Mann mit Hund geht in Richtung Demo. Zu seinem „Ja“ reckt er die Faust in die Luft.

Fischer spricht weiter davon, dass aus seiner Sicht das Wahlsystem erneuert werden sollte: Einzelkandidaten sollen direkt gewählt und keine Wahlgänge mehr durchgeführt werden. Außerdem würden Briefwahlen zu Verfälschung führen. Gerade Nichtwähler und ältere Menschen würden dazu animiert, an Briefwahlen teilzunehmen, so Fischer. Die Stimmen alter Menschen aus Heimen würden dabei systematisch aufgekauft, behauptet er. Puh.

Weiter begrüßt Fischer die Demo zum 3. Oktober in Berlin, zu der Verschwörungsideolog:innen unter dem Motto „Transparenter politischer Dialog“ aufgerufen haben. Zum Abschluss pocht er darauf, weder der Weltgesundheitsorganisation noch dem Weltwirtschaftsforum oder der Nato zu folgen. Diese Aufforderung, die zum Credo geworden ist, kennen die Anwesenden bereits von vergangenen Veranstaltungen.

Der folgende Sprecher, Rolf, stimmt Fischer darin zu, dass das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Regierung unausgeglichen sei: In Berlin säßen „Politverbrecher, die sich am deutschen Volk bedienen“. Sein Wortbeitrag richtet sich an die Politik von Bündnis 90/Die Grünen, deren Pläne für Solarenergie, Windkraft oder das sogenannte Heizungsgesetz.

Auffällig ist, dass er sehr laut ins Mikrofon spricht, fast schon schreit. Will er seinen Worten damit mehr Bedeutung verleihen? Im Gegensatz zu den anderen Beiträgen wirkt es strukturiert. Seine Erkenntnisse habe er über Google-Recherchen erlangt, räumt Rolf ein.

Weiterer Sprecher des Abends ist Gunter Jess, AfD-Politiker, von 2016 bis 2021 Landtagsabgeordneter. Er war außerdem von 2006 bis 2014 Mitglied des Gemeinderates der Greifswalder Marienkirche. Ein Freund von Kirchenasyl ist er aber nicht: 2016 befürwortete er einen Antrag der NPD, die die Kirchengemeinde Wolgast aufgefordert hatte, einem Mann aus Mali Asyl zu verwehren. Für Jess andernfalls ein Rechtsbruch. Vertreter:innen anderer Parteien als der AfD sprechen an diesem Abend nicht.

Vernetzung mit Bürgerinitiative

9. Oktober. Pünktlich um 19 Uhr beginnt die nächste Montagsdemo. 150 Personen haben sich nach Angaben der Polizei versammelt. Die Zahl ist im Vergleich zum letzten Mal etwas höher. Ort des Geschehens ist wieder die Mitte des Marktplatzes. Zwei Demoteilnehmer sind auf dem Weg zur Menge. Der eine fragt den anderen: „Wo sind denn die Bullen?“ Tatsächlich trifft ein Streifenwagen heute erst fünf Minuten nach Beginn ein.

Wieder startet Anmelder Hans-Uwe Fischer und geht in seiner Einführung auf die Landtagswahlen in Bayern und Hessen ein. Er wundert sich, warum die Ampelkoalition nicht eine eindeutigere Quittung erhalten habe. Applaus. Vor allem die Energiepolitik wird kritisiert: Das Tanken werde teurer, aber auch Nahrungsmittel und Banken. Den Themenwechsel vollzieht er oberflächlich in einem Satz. Weiterhin beschäftigt Fischer der Angriff der Hamas auf Israel. Das Land sei heimtückisch überfallen worden mit Waffen, die seiner Ansicht nach aus dem Ukraine-Krieg stammen.

Der erste Redebeitrag des Abends kommt im Anschluss von Ralf Leonhard. Er ist bekannt als einer der Initiatoren des Greifswalder Bürgerentscheids. Er bittet um finanzielle Unterstützung für die Bürgerinitiative. Versehentlich nutzt Leonhard das Wort „spenden“ und korrigiert sich, um noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Initiative nur bestehen kann, wenn sie mit Geldern unterstützt wird. Später am Abend sammelt er bei den Anwesenden noch Geld ein. Im nächsten Jahr will sich die Bürgerinitiative zur Bürgerschaftswahl aufstellen lassen, berichtet Leonhard außerdem. Dort wolle man die Zweidrittelmehrheit erlangen, um Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) seines Amtes zu entheben. Daran anschließend äußert Bürgerschaftsmitglied Thomas Kerl – ehemals AfD –, dass er dann mit einem großen Holzbollerwagen den Oberbürgermeister abholen möchte, wenn dieser verlieren sollte. Das gemeinsame Feindbild ist eindeutig.

Auch Gunter Jess spricht wieder. Dieses Mal über den Historiker Heinrich August Winkler, den er als Linken einordnet. Jess moniert Winklers „arrogante“ Denkweise: zum Beispiel, dass die Ostdeutschen demokratisch nicht stabil seien.

Vieles wiederholt sich

Die Vielfalt der Inhalte wirkt hoch, doch durch thematische Wiederholungen von Woche zu Woche entpuppt sich das Programm eher als eindimensional. Selten ist ein roter Faden zu erkennen und die Argumentationen sind eher polemisch als konstruktiv. Die Montagsdemos bieten mit aktuellen Themen zwar einen leichten Zugang, doch es entsteht der Eindruck, dass die Teilnehmenden nur darauf warten zu applaudieren, wenn Politiker:innen – gerade Angehörige der Ampelparteien und speziell der Greifswalder Oberbürgermeister – angeprangert werden. Dabei wird eine bürgerliche Normalität suggeriert, auch da angeblich alle eingeladen sind, in einen Dialog zu treten. Einige der Redner:innen sind aber eindeutig der AfD und rechtsoffenen Initiativen zuzuordnen. Sie werden unkritisch geduldet, wenn nicht sogar gefeiert. Der Ton kann sich schnell ändern. Auch das wird von den Teilnehmenden hingenommen. Dass die Veranstaltungen ideologisch stark gefärbt scheinen, ergibt sich von selbst.

Quellen

  1. Olivari, Alex (Hg.): Bio & Referenzen, auf: ao-ton.com.
  2. RBB 24 (Hg.): Mehr als 4.000 Demonstranten protestieren in Berlin-Mitte, auf: rbb24.de (4.10.2023).
  3. Landtag MV (Hg.): Dr. rer. nat. Gunter Jess, AfD, auf: landtag-mv.de.
  4. Teevs, Christian; Weiland; Severin: Rechts außen bestens aufgestellt, auf: spiegel.de (6.9.2016).

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