Forschungsschifffahrt in MV

„Einen Blindflug können wir uns nicht leisten“

Elisabeth Mann Borgese und Maria S. Merian sind von Rostock aus auf den Weltmeeren unterwegs. Dabei sind nicht die Wissenschaftlerinnen persönlich auf hoher See, sondern zwei Forschungsschiffe, die nach ihnen benannt sind. Außerdem schippert die „Deneb“ von der Hansestadt aus über die Ostsee. Mecklenburg-Vorpommern ist mit Forschungsschiffen vielfältig aufgestellt. Forschende aus ganz Deutschland unternehmen auf ihnen Fahrten in die entlegensten Winkel der Ozeane. Die Planung der Missionen dauert oft mehrere Jahre.

Elisabeth Mann Borgese war internationale Seerechtsexpertin und kämpfte ihr Leben lang für den Schutz der Meere. 2010 wurde ein neues Forschungsschiff nach ihr benannt. So neu war es allerdings gar nicht. Das Land MV hatte das deutsche Marineschiff Schwedendeck gekauft und es zu einem zivilen Forschungsschiff umgebaut. Heute ist die Elisabeth Mann Borgese an 30 Tagen weiterhin für die Bundesmarine im Einsatz. Den Rest des Jahres ist das Schiff vor allem auf der Ostsee unterwegs.

Eine weitere Frau der Wissenschaft war Maria Sybilla Merian. Sie unternahm im 17. Jahrhundert mit ihrer Tochter ausgedehnte Forschungsreisen. Das war damals ungewöhnlich. Heute ist zumindest ihr Name immer noch auf Weltreise. Das gleichnamige Forschungsschiff steuert von seinem Heimathafen Rostock-Warnemünde aus hauptsächlich den Atlantischen Ozean an.

Von der Planung bis zur Ausfahrt

Die Planung einer Ausfahrt dauert mehrere Jahre. Von der Forschungsidee bis zum ersten Tag an Bord können bis zu vier Jahre vergehen. Fahrtvorschläge für die beiden Schiffe können von allen deutschen Forschungseinrichtungen eingereicht werden. Diese müssen sich dann dem sogenannten Begutachtungspanel Forschungsschiffe stellen. Dieses unabhängige Expertengremium beurteilt die wissenschaftliche Qualität der Vorschläge. Stimmt es dem Vorschlag zu, wird die entsprechende Route in die Jahresfahrtplanung aufgenommen. Diese übernimmt bei der Mann Borgese das Institut für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW), im Fall der Merian die Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe der Universität Hamburg.

Übrigens können sich Forschende nicht auf ihr Lieblingsschiff bewerben. Welches der deutschen Schiffe letztlich zum Einsatz kommt, um ein Forschungsvorhaben durchzuführen, legt das Begutachtungspanel fest.

Was für Untersuchungen während einer Ausfahrt durchgeführt werden sollen, entscheidet sich schon bei der Entwicklung des Fahrtvorschlags. Theoretisch ist vieles möglich. Während die Merian universell auf allen Weltmeeren und in allen Forschungsdisziplinen einsetzbar ist, ist die Mann Borgese beispielsweise nicht für Untersuchungen geeignet, bei denen man Fischereiausrüstung benötigt. Auf beiden Schiffen gibt es mehrere Labore, in denen Messungen noch direkt an Bord stattfinden können.

Die Deneb ist ein Mehrzweckschiff des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das in Rostock eine Außenstelle betreibt. Es kann zur Vermessung, aber auch zur Wracksuche oder für meereskundliche Untersuchungen eingesetzt werden. Dabei ist es ausschließlich im Auftrag des BSH unterwegs.

Die Kosten für den Unterhalt der Merian trägt zum größten Teil die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Mann Borgese finanziert sich aus Haushaltsmitteln des IOW, welche sich sowohl aus Geld des Bundes und Landes als auch aus eingeworbenen Forschungsgeldern zusammensetzen. Die Kosten von 15.000 Euro pro Tag für den Betrieb der Deneb trägt der Bund.

Besser vorher zum Zahnarzt

Volker Mohrholz ist Physiker und arbeitet seit 29 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am IOW. Er hat an über hundert Ausfahrten teilgenommen und sowohl Missionen der Merian als auch der Mann Borgese geleitet. Für ihn ist es jedes Mal wieder aufregend, eine Fahrt zu planen. Er sagt: „Es ist natürlich immer die Frage: Haben wir wirklich alles dabei? Wir können eben nicht mal kurz anhalten und einkaufen gehen.“ Erst wenn das Schiff von der Hafenkante ablegt, wird es entspannter.

An Bord ist er als Fahrtleiter ein Manager, der dafür sorgt, dass die geplante Forschung auch durchgeführt werden kann. Ein Reisetag kostet viel Geld, entsprechend gut soll er genutzt werden. In Zahlen: Ein Tag auf der Elisabeth Mann Borgese kostet rund 11.000 Euro. Deshalb wird 24 Stunden durchgängig im Schichtsystem gearbeitet. Sind Geräte kaputt oder können bestimmte Gebiete nicht befahren werden, muss umdisponiert werden. Auch wenn alles nach Plan läuft, fällt Mohrholz zu den Ruhezeiten erschöpft in seine Koje: „Es ist eine vielschichtige Arbeit, die einen den Tag über beschäftigt hält. Man ist froh, wenn man auch mal Luft holt.“

Bei seiner nächsten Ausfahrt wird Volker Mohrholz drei Wochen auf der Ostsee unterwegs sein – „relativ kurz“, wie er findet. Andere Reisen können schon doppelt so lange dauern. Seine Freizeit kann man auf der Merian oder Elisabeth Mann Borgese vielfältig verbringen. Es gibt eine Bibliothek an Bord, eine kleine Bar, Internet und natürlich eine tolle Aussicht auf das Meer. Obwohl alle Mitfahrenden lange zusammen auf dem Schiff sind, gebe es zwischenmenschlich keine großen Probleme, schildert Mohrholz seine Erfahrungen: „Alle sind froh, wenn sie es wirklich geschafft haben, an Bord zu kommen. Es ist eine wunderbare Gemeinschaft von Leuten, die da gemeinsam unterwegs sind.“ Bevor man auf See fährt, sollte man größere familiäre Konflikte allerdings klären. „Bei solchen langen Reisen ist die Familie zuhause auf sich gestellt und das ist nicht immer einfach. Es ist keine gute Idee, mit einem Rucksack voller Probleme an Bord zu gehen“, erklärt der Physiker.

Vor einer Ausfahrt sollten auch medizinische Routineuntersuchungen erledigt werden. So wird Mitfahrenden der Merian beispielsweise empfohlen, sich vorher zahnärztlich durchchecken zu lassen und den Impfpass aufzufrischen. Schwangere dürfen nicht mit an Bord. Das liegt an der eingeschränkten medizinischen Versorgung. Ärzt:innen haben dort nur bestimmtes Equipment zur Verfügung, wenn es sie überhaupt gibt. Nur wenn das Schiff nicht mehr in Reichweite eines Helikopters ist, reist medizinisches Personal mit.

Volker Mohrholz berichtet von einem Fall, bei dem sich bei einem Mitreisenden der Blinddarm entzündete: „In diesem Fall hat der Arzt nicht selbst operiert, sondern hat versucht, den Patienten so lange zu stabilisieren, bis er in einer Klinik behandelt werden konnte.“ Die Sicherheit stehe an erster Stelle – auch vor der Forschung.

Ein weiteres medizinisches Problem ist die Seekrankheit. Er selbst sei auch schon seekrank geworden, so der Wissenschaftler, aber mit dem Alter und der Erfahrung lege sich das. Er kenne nur sehr wenige Kolleg:innen, die es jedes Mal wieder erwischt. Und sollte es doch passieren, gibt es an Bord Mittel dagegen.

Entscheidender Beitrag zum Verständnis des Klimawandels

Im Jahr 2022 leitete Mohrholz eine Ausfahrt mit der Merian. Das Ziel war damals die Küste vor Namibia. Die Erkenntnisse der Reise sollten helfen, das sogenannte Benguela-System zu verstehen. Dabei handelt es sich um ein Auftriebssystem im Meer, das sich häufig verändert. Nährstoffreiches Tiefenwasser wird dort in die oberen Wasserschichten transportiert und sorgt damit für fischreiche Gewässer. Doch gleichzeitig können die vielen Nährstoffe auch zum Problem werden. In den tieferen Wasserschichten können sich durch den hohen Gehalt an organischem Material Zonen mit wenig Sauerstoff und giftiges Sulfid bilden. Unter bestimmten Bedingungen gelangt dies an die Oberfläche und tötet die Fischbestände. Ziel der Mission war es unter anderem, zu verstehen, wie sich das System angesichts des Klimawandels voraussichtlich verändern wird. „Die Fahrt hat einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis geleistet“, resümiert Mohrholz.

Bei seiner nächsten Ausfahrt wird es wieder um Stoffkreisläufe gehen, diesmal jedoch in der Ostsee. Für den Wissenschaftler ist es wichtig, immer wieder rauszufahren und seinen Forschungsgegenstand zu erleben. Er sagt: „Wir können unsere Daten nur vor Ort erheben. Der Ozean ist eine der wesentlichen Komponenten im Erd- und im Klimasystem und wir müssen wissen, welche Auswirkungen die menschlichen Tätigkeiten haben. Das wäre sonst ein Blindflug, den wir uns nicht leisten können.“

Auch in Zukunft möchte Volker Mohrholz weiter auf den Ozeanen unterwegs sein. Es sei einfach viel zu schön, um darauf zu verzichten.

Quellen

  1. Westhoff, Andrea: Anwältin der Meere, auf: deutschlandfunk.de (24.4.2018).
  2. E-Mail des Instituts für Ostseeforschung Warnemünde vom 6.3.2024.
  3. Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe (Hg.): Eisrandforschungsschiff Maria S. Merian, auf: lfd.uni-hamburg.de.
  4. Portal deutscher Forschungsschiffe (Hg.): Cruise Proposal Preparation Instructions, auf: portal-forschungsschiffe.de.
  5. E-Mail der Universität Hamburg vom 5.3.2024.
  6. E-Mail des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie vom 12.3.2024.
  7. Telefonat mit Volker Mohrholz am 6.3.2024.

Autor:in

  • Porträt von Lilly Biedermann Redakteurin Katapult MV in Greifswald

    Redakteurin in Greifswald

    Geboren und aufgewachsen in Sachsen. Ist zum Studieren vom tiefen Osten in den kalten Osten nach Greifswald gezogen.