Katja Ross ist Gewerkschaftsmitglied und Erzieherin in der Rostocker Kita Kinderwelt. Sie schildert einen typischen Morgen: Ein Kind hat Trennungsschwierigkeiten von der Mama, einem anderen kippt der Tee um, zwei Kinder sind auf der Toilette fertig, elf weitere Kleinkinder im Alter zwischen drei und vier Jahren machen Kleinkindersachen. Ross versucht zu organisieren, was allein kaum organisiert werden kann. „Die große Herausforderung ist es, Kinder individuell zu betreuen und gleichzeitig die Gruppe anzuleiten“, erzählt sie am Telefon. Ross betreut 15 Kinder. Das entspricht dem vorgesehenen Fachkraft-Kind-Verhältnis für Kitas in MV.
Landkreise und kreisfreie Städte legen in eigenen Satzungen zur Kindertagesförderung einen Mindestpersonalschlüssel (MPS) für Krippe, Kita und Hort fest. Die Aufgabe lautet dabei ungefähr so: Wie viele Fachkräfte sind notwendig, um auch im Krankheits- und Urlaubsfall die Betreuung aufrechterhalten zu können? Abhängig von der Finanzierung gelangen Landkreise und kreisfreie Städte dabei allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen, denn der Personalschlüssel wird nicht nach Notwendigkeit, sondern nach Kassenlage berechnet, erklärt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) MV.
Michaela Skott, freie Pressereferentin der GEW, verweist auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Greifswald, nach dem der Personalschlüssel auf Landes- und nicht auf Kreisebene regelt werden muss. In Rostock liegt der Personalschlüssel in Kitas mit Ganztagsbetreuung bei 1,56 Erzieherinnen zu 15 Kindern. In fast allen Landkreisen liegt der Personalschlüssel in Kitas dagegen bei 1,5. Lediglich der Landkreis Nordwestmecklenburg verfügt über einen ähnlichen Personalschlüssel wie die Hansestadt Rostock. Für die Krippen im Land schwankt der MPS zwischen 1,1 und 1,46 zu sechs Kindern. Dieser vermeintlich geringe Unterschied kann sich in größeren Einrichtungen erheblich auswirken.
Wie gravierend die Situation ist, wird im Vergleich der ostdeutschen Bundesländer deutlich. Nur Thüringen hat im ältesten Krippenjahrgang und in Kitas einen noch kleineren Betreuungsschlüssel als Mecklenburg-Vorpommern. Auch deshalb wünscht sich Katja Ross eine klare Verbesserung des Fachkraft-Kind-Verhältnisses in MV hin zu 1 zu 4 in Krippen und 1 zu 13 in Kitas. Doch dafür fehle momentan der politische Wille, sagt sie.
Bessere Finanzierung der Kinderbetreuung gefordert
Der ungünstige Personalschlüssel wirke sich direkt auf die Betreuung aus und führe zu einer Ungleichbehandlung der Kinder, erklärt die GEW und rief gestern zum Warnstreik in Hagenow und zu einer Kundgebung in Rostock auf. Unter dem Motto #HerDamit fordert die GEW einen gesetzlich geregelten, einheitlichen Mindestpersonalschlüssel, der alle Aufgaben aus dem Kindertagesförderungsgesetz berücksichtigt und auskömmlich finanziert. Zudem fordert sie mehr Zeit, mehr Geld, mehr Personal und attraktivere Arbeitsbedingungen. Kinder in MV sollen gleiche Bildungschancen erhalten und das Personal in der Kinderbetreuung attraktive Arbeitsbedingungen.
Zwar sei im Koalitionsvertrag Mecklenburg-Vorpommerns die Einführung des MPS vorgesehen, doch „wir befürchten, dass der Mindestpersonalschlüssel entweder nur sehr unterfinanziert gestaltet sein wird oder vielleicht sogar gar nicht kommen kann“, erklärt Pressereferentin Skott. Mit der Bildungsdemo fordert die Gewerkschaft endlich eine bessere Finanzierung der Kindertagesförderung.
Bildung beginnt bereits in der Krippe
„Die Arbeit einer Erzieherin wird immer mehr, denn es gehören immer mehr Aufgaben dazu, die nicht direkt am Kind stattfinden“, sagt Katja Ross. Dazu gehöre die Dokumentation der Entwicklungs eines Kindes. Das sei wichtig, gleichzeitig fehle Zeit, um sich gebührend um die individuellen Belange der Kinder zu kümmern. „Ein gutes Arbeiten wäre es, die Individualität eines Kindes berücksichtigen zu können und Zeit für Probleme, Wünsche und Sorgen zu haben, ohne dass man schauen muss, was der Rest der Gruppe macht.“ Doch das sei bei 15 Kindern je Erzieherin schwer, sagt Ross.
Gute Bildung beginne in der Krippe, höre im Kindergarten nicht auf und bedeute im Hort mehr als Hausaufgabenbetreuung, heißt es von der GEW MV. Eltern erwarten zu Recht von Erzieherinnen die umfassende Bildung und Betreuung ihrer Kinder auf höchstem Niveau. Doch offenbar fehle der politische Wille, die aktuellen Bedingungen in der Kinderbetreuung zum Positiven zu verändern, meint GEW-Mitglied Ross. Anders lasse es sich nicht erklären, dass die politisch Verantwortlichen seit Jahren zwar definieren, welche Leistungen erbracht werden sollen, aber nicht bereit sind, alle diese Erwartungen auch angemessen zu erfüllen.
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Korrekturhinweis:In einer vorherigen Version des Textes hieß es: Der Personalschlüssel ist eine Berechnungsgröße, die wesentlich vom Fachkraft-Kind-Verhältnis, dem Betreuungsschlüssel, bestimmt wird. Dieser Satz stellt einen missverständlichen Zusammenhang von Personalschlüssel und Betreuungsschlüssel dar.
Quellen
- Autor verwendet generisches Femininum.↩
- Hanse- und Universitätsstadt Rostock (Hg.): Satzung zur Kindertagesförderung in Kindertageseinrichtungen in der Hanse- und Universitätsstadt Rostock (KiföG-Satzung), § 8, Abs. 2, auf: rathaus.rostock.de (11.9.2021).↩
- Landkreis Nordwestmecklenburg (Hg.): Satzung des Landkreises Nordwestmecklenburg zum Kindertagesförderungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (KiföG M-V), § 1, Abs. 2, auf: nordwestmecklenburg.de (12.12.2019).↩
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft MV (Hg.): #HerDamit – Bildungsdemonstration in Rostock am 22. März, auf: gew-mv.de (10.3.2023).↩
- E-Mail von Michaela Skott vom 16.3.2023.↩
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft MV (Hg.): #HerDamit – Bildungsdemonstration in Rostock am 22. März, auf: gew-mv.de (10.3.2023).↩