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Doch das neue Jahr beginnt besorgniserregend. Bereits um die Weihnachtsfeiertage gab es erste Meldungen über mehrere angeschwemmte Fischkadaver. Bisher sind es Hunderte, die im Uferbereich gesichtet wurden. Tausende tote Fische werden im Wasser vermutet. Viele der hier vorkommenden Arten sind betroffen. Hechte, Brassen, Barsche, Plötze, alle verendet am Ufer.
Die Ursache des plötzlichen massenhaften Fischsterbens ist bisher unklar. Bereits am 25. Dezember wurden erste Wasserproben entnommen und analysiert, ohne einen auffälligen Befund der Basiswerte. Weder überhöhte Nährstoffwerte noch niedriger Sauerstoffgehalt konnten bisher nachgewiesen werden. Claus Tantzen, Pressesprecher des Ministeriums für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt, bittet um Geduld und erklärt: „Wir warten auf Zulieferung von den Augen vor Ort.“
Nicht nur das Wasser wird analysiert, auch einzelne Fischkadaver wurden seziert und vom Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei toxikologisch untersucht. Eine Massenvergiftung könnte Ursache des Fischsterbens sein. Zu Beginn der kommenden Woche werden erste Ergebnisse erwartet.
Fischsterben breitet sich aus
Auch der angrenzende Große Jasmunder Bodden ist vom Fischsterben betroffen. Dabei lasse sich das Ausmaß „erst überblicken, wenn man die Fische geborgen hat“, erklärt Tantzen. Ob das Sterben vorbei ist oder noch immer Tiere verenden, ist aktuell ebenfalls nicht klar.
Auch die Rechtslage macht eine Untersuchung nicht einfacher. „Solange Fische im Wasser schwimmen, ist das Land zuständig. Sobald die Fische an Land liegen, wäre der Landkreis zuständig für die Bergung“, erläutert Tantzen. Beide Parteien planen ein gemeinsames Vorgehen. Ab kommendem Montag wollen das Technische Hilfswerk und Mitarbeiter des Veterinäramtes in Zusammenarbeit mit einem örtlichen Entsorgungsunternehmen die Kadaver bergen.
Zu Wasser und zu Land sollen möglichst viele verendete Fische beseitigt werden. Das Unterfangen wird vermutlich Tage in Anspruch nehmen, denn der Kleine Jasmunder Bodden ist mit seiner gewundenen Uferlinie und einer Fläche von mehr als 28 Quadratkilometern alles andere als klein. An seinen Rändern ist er unwegsam, steinig, mit Schilf bewachsen. Die vielen Kadaver lassen sich nicht einfach mit einem Kescher aus dem Wasser ziehen.
Fischer in Bedrängnis
Andreas Zietemann ist im Haupterwerb Fischer auf den Jasmunder Boddengewässern. Er ist einer der wenigen, die im Kleinen Jasmunder Bodden fischen dürfen. Jetzt im Winter ist für ihn Hauptfangsaison. Bereits vor Weihnachten beobachtete Zietemann eine Eintrübung des Wassers und apathische Fische. Mittlerweile sieht er gar keine lebenden Fische mehr.
Die Fischer haben eigene Wasserproben entnommen und Messungen durchführen lassen. Doch auch ihre Ergebnisse liefern nichts Auffälliges. Salzgehalt, pH-Wert und Sauerstoffgehalt liegen im Sollbereich. Zietemann hat eine weitere Vermutung: Es könnte im Bodden zu einer Vergiftung gekommen sein. „Wir haben im Uferbereich an manchen Stellen weißen Pilz oder Schimmel am Untergrund entdeckt“, berichtet er. Auch hier habe er Proben genommen und eingeschickt.
Für Zietemann ist die Situation schwierig. Das Fischsterben nimmt ihm die Erwerbsgrundlage. In welchem Umfang, ist noch nicht abzusehen. „Wir müssen uns eine Alternative suchen, wenn es denn eine gibt. Der schlimmste Weg wäre, die ganze Sache [die Fischerei, Anm. d, Red.] aufzugeben.“
Doch so schnell lässt sich Zietemann nicht aus der Bahn werfen. „Es gibt immer mal schwierige Zeiten in der Fischerei“, sagt er. „Es hätte jetzt auch drei Monate Eis sein können. Da hätten wir auch nicht fischen können. Diese Zeit zu überbrücken, ist die Kunst des Fischers, und dann wieder aufzustehen und zu sehen, dass es wieder weitergeht.“
Lediglich von den örtlichen Behörden fühlt er sich etwas im Stich gelassen. „Vom Veterinäramt kam bisher überhaupt keine Aussage, wie wir mit den Fischen umgehen sollen“, klagt Zietemann. Ob er überhaupt noch Fisch aus dem Bodden entnehmen und verkaufen darf, weiß er nicht.
Ausmaß des Sterbens noch unbekannt
Obwohl noch kaum etwas über die Ursache des Fischsterbens bekannt ist, mehren sich unbestätigte Behauptungen und Gerüchte. So ist die Rede von toten Vögeln und Wildschweinen, die in der Nähe der Jasmunder Bodden gesichtet worden seien. Ein Zusammenhang mit dem Fischsterben wird suggeriert.
Torsten Schulze, zweiter stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde Lietzow, relativiert diese Vermutungen: „Dass es mal einen toten Schwan im Winter gibt, ist immer so. Die sterben an Schwäche und Futtermangel“, erklärt er. Schulze selbst hat bereits in den letzten Tagen tote Fische aus dem Kleinen Jasmunder Bodden geborgen und sagt: „Im Bereich des Kleinen Boddens habe ich keine toten Schwäne gesehen.“ Auch von verendeten Wildschweinen habe er nur gehört, „aber da wüsste ich gar nicht, wo sie die gefunden hätten“.
Nicht das erste Fischsterben im Jasmunder Bodden
Besorgt schaut Lars Riske über das Wasser. Von Lietzow überblickt er sowohl den Kleinen als auch den Großen Jasmunder Bodden. Beide Gewässer gehören seit Kindheitstagen zum Angelrevier des 43-Jährigen Feuerwehrführers. „Dass das Sterben auf beiden Bodden ausgebrochen ist und die Wissenschaft immer noch keinen Hauch einer Idee über die Ursache hat, finde ich schon beunruhigend“, sagt er.
Das Fischsterben erinnert Riske an das Jahr 1990. Damals kippte das Wasser im Kleinen Jasmunder Bodden, nachdem über Jahrzehnte das Abwasser der umliegenden Gemeinden eingeleitet worden war. Giftige Algen und niedriger Sauerstoffgehalt im Wasser verursachten ein Massensterben im Bodden. Doch diese Ursachen schließt die Wissenschaft aktuell aus.
Immer wieder wurden in den letzten Jahren tote Fische am Ufer des Kleinen Jasmunder Boddens angespült. Meist waren es Brassen, die in den nahen Wostevitzer Teichen laichen. Weil das Wasser dort belastet ist, erkrankten die Tiere und verendeten auf dem Weg zurück ins Boddengewässer.
Doch jetzt sind nicht nur Brassen, sondern auch viele anderen Fischarten betroffen. Und das, wo der Kleine Jasmunder Bodden und die umliegende Fläche zum Naturschutzgebiet erklärt werden sollen. Der Prozess dauert an und das Fischsterben verdeutlicht, wie sensibel die Natur hier reagiert.
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Autor:innen
ist KATAPULT MVs Inselprofi und nicht nur deshalb gern am Wasser. Nutzt in seinen Texten generisches Femininum.