Ein unangenehmer Geruch nach Teer liegt in der Luft. In Löchern im Boden steht ein zähflüssiger schwarzer Brei. An anderer Stelle sieht man eine ausgehärtete, asphaltähnliche Kruste. Auf dem Grund des Boddens und auf der Unterseite von Steinen befindet sich eine dicke, schwarze Teerschmiere, die stechend riecht. Schilfhalme sind ebenfalls mit stinkendem schwarzem Schleim bedeckt. Bei warmen Temperaturen treiben regenbogenfarbene Schlieren auf dem Wasser. Eine Grundwasseranalyse steht bisher noch aus. Aber, wie Ingolf Stodian vom Nationalpark Jasmund berichtet, es gilt schon jetzt als sicher, dass auch dort gefährliche Bestandteile festgestellt werden.
Gebiet „hochgradig kontaminiert“
In den Dreißigerjahren legte die Luftwaffe auf der Boddenseite im südlichen Teil des Bugs großflächig Landebahnen und Stellplätze für den Betrieb eines Marineflugplatzes an. Dazu benötigte man Asphalt und Teerbaustoffe, die dort im sogenannten Teerhafen angelandet und in Becken eingelagert wurden. Was beim Bau nicht benötigt wurde, bekam später eine oberflächliche Abdeckung und verblieb an Ort und Stelle. Durch Erosion wurden Teile dieser Lagerstätten im Laufe der Jahrzehnte wieder freigelegt.
Die Schwer- und Leichtöle, die Hitlers Luftwaffe hinterlassen hat, verteilen sich seitdem in der Umwelt, sickern in den Bodden und ins Grundwasser oder treten aus dem Erdboden aus. Teer wird meist aus Braun- oder Steinkohle hergestellt und enthält eine Reihe gefährlicher Substanzen. Darunter auch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, welche krebserregend und für Wassertiere tödlich sind. Diese hochgiftigen Substanzen gefährden mittlerweile seit Jahrzehnten Tiere und Pflanzen ringsum. Das ganze Areal, dessen genaue Ausdehnung sich nur schwer abschätzen lässt, ist nach Aussage von Ingolf Stodian „hochgradig kontaminiert“.
Entsorgung bisher gescheitert
Der NS-Heeresleitung war die umweltgerechte Lagerung und Sicherung der Baustoffe nicht wichtig. Später kam die Sowjetarmee, danach die Nationale Volksarmee auf den Bug. Beide nahmen daran wenig Anstoß und trugen selbst noch fleißig zur weiteren Verschmutzung bei, berichtet Gernot Haffner, Leiter der übergeordneten Nationalparkbehörde. Er kennt das Problem genau. Als „besonders üblen Fall von Umweltverschmutzung“ bezeichnet er es.
Nach der Wende habe es ehrgeizige Projekte zur Beseitigung der Misere gegeben, erzählt Haffner weiter. Der Investor des Großprojektes auf dem Bug habe zu Beginn der 2000er-Jahre angeboten, die Schadstoffe am Teerhafen mit einer mobilen Verbrennungsstation thermisch entsorgen zu lassen, ergänzt Ingolf Stodian. Das sei als Ausgleichsmaßnahme für das geplante Riesenresort auf dem Bug gedacht gewesen. Der giftige Abfall wäre auf diese Weise ohne lange Transportwege für immer verschwunden. Aber der Plan wurde nicht verwirklicht, weil das Projekt insgesamt gestoppt wurde.
Problembewusstsein fehlt offenbar
Warum sind diese Missstände bis heute, Jahrzehnte nach der Wende, noch immer nicht beseitigt, zumal sich die Stelle im Nationalpark befindet? Ein Grund bestehe wohl darin, so Gernot Haffner, dass das betroffene Areal weitab vom Schuss liege. Kaum jemand komme dorthin und niemand fühlt sich persönlich betroffen. Es fehle also der nötige Leidensdruck, aber zum Teil vielleicht auch das Problembewusstsein.
In der Tat reagierte das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt nicht auf eine schriftliche Anfrage zum Stand der Dinge am Teerhafen. Das Amt Nord-Rügen hat nach eigenen Angaben keine Kenntnis von der Problematik. Lothar Kuhn, Bürgermeister der Gemeinde Dranske, weiß zwar davon, schreibt aber: „Allein aus der Tatsache, dass die Rückstände dieses Teerhafens bereits seit mehr als 80 Jahre auf dem Südbug existieren, ist nicht davon auszugehen, dass Gefahr im Verzuge besteht.“ Ähnlich sieht es auch Andreas Gräulich vom Fachbereich Umweltschutz beim Landratsamt Vorpommern-Rügen: Die Schadstoffe würden langsam ablaufen, meint er.
Zum Teerhafen „bereits viele Papiere vollgeschrieben“
Ein weiterer Grund für die Untätigkeit der Behörden liegt laut Gernot Haffner darin, dass das Gebiet sich seit der Wende im Eigentum des Bundes befindet. Letztlich sei das Bundesumweltministerium zuständig. Solange sich der Eigentümer nicht bewege, seien allen Beteiligten auf den unteren Ebenen die Hände gebunden.
Nach 1990 sei zunächst die Bundeswehr für die Liegenschaft zuständig gewesen, erklärt dazu Thorsten Grützner von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) auf Nachfrage. Seit 2012 ist es nun die BImA. Dort habe man sich über Art und Ausmaß der Verseuchung ein Bild verschafft und Lösungswege mit den beteiligten Behörden durchgesprochen. Im Mai dieses Jahres sei eine „Genehmigungsplanung zur Verbindlichkeitserklärung vorgelegt“ worden, so Grützner weiter, worunter wohl eine Beschlussvorlage zum weiteren Vorgehen zu verstehen ist. Diese wurde bisher jedoch „seitens der Wasser- und Naturschutzbehörde sowie des Nationalparkamtes nicht bestätigt“. Die Gründe dafür werden „aktuell geprüft und analysiert“.
Gernot Haffner vom Nationalparkamt bestätigt, bei der BImA habe man in Sachen Teerhafen bereits „viele Papiere vollgeschrieben“. Hinter vorgehaltener Hand heißt es von anderer Stelle, die BImA wolle eine Spundwand errichten, um den weiteren Abfluss von Giftstoffen ins Boddenwasser zu verhindern. Es erscheine jedoch mehr als fraglich, ob eine solche Maßnahme die Gefahr tatsächlich beseitigen könne. Denn die gefährlichen Teerrückstände wären damit ja nicht aus der Welt geschafft. Doch die Maßnahmen zur Beseitigung der Giftstoffe seien auch mit Eingriffen in die Natur verbunden, so Haffner, über deren Tragweite man sich bewusst sein müsse.
Keine Lösung erkennbar
Offenbar blockieren sich die Ämter also gegenseitig. Zwar heißt es vonseiten der BImA, man wolle gemeinsam mit den beteiligten Behörden „kurzfristig das weitere Vorgehen abstimmen“, um „möglichst schnell mit der Fortschreibung der Sanierungsplanung zu beginnen“. Aber es sind mittlerweile bereits zehn Jahre unter der Regie der BImA vergangen, ohne dass eine Lösung erkennbar ist.
Um auf diese Situation aufmerksam zu machen und ein entsprechendes Problembewusstsein zu schaffen, lädt nun die Bürgerinitiative Lebenswertes Rügen für den 16. November auf den südlichen Bug bei Dranske zu einem gemeinsamen Ortstermin ein. Daran teilnehmen sollen neben der Nationalparkverwaltung auch der Staatssekretär für Vorpommern, Heiko Miraß, sowie die Bundestagsabgeordnete Anna Kassautzki (beide SPD). Neben Informationen zur Lage vor Ort soll zugleich erörtert werden, mit welchen Maßnahmen Bund und Land das weitere Austreten schädlicher Stoffe verhindern können.
Transparenzhinweis: Der Artikel wurde am 8. November hinsichtlich des Begriffs Erdöl überarbeitet. Korrekt ist Teer.
Quellen
- Flohr, Dieter: Eine Halbinsel voller Geheimnisse. Die Halbinsel Bug/Dranske im Nordwesten Rügens im Visier des Militärs, in: Oceanum Spezial – Rügen und Hiddensee (2022) / Schmidt, Martin: Rügens geheime Landzunge. Die Verschlusssache Bug (2021).↩
- Naumann, Martina: Teer: Giftiger Baustoff aus Kohle, auf: utopia.de (16.4.2020).↩
- Flohr, Dieter: Eine Halbinsel voller Geheimnisse. Die Halbinsel Bug/Dranske im Nordwesten Rügens im Visier des Militärs, in: Oceanum Spezial – Rügen und Hiddensee (2022) / Schmidt, Martin: Rügens geheime Landzunge. Die Verschlusssache Bug (2021).↩
- Telefonat mit Gernot Haffner am 17.9.2022.↩
- Ebd.↩
- Seit Beginn der 2000er-Jahre gab es auf dem Bug immer wieder Planungen für ein großes Tourismusresort in der Nähe von Dranske, das nach ursprünglichen Vorstellungen bis zu 4.000 Betten haben sollte. Ein solches Projekt ist bis heute nicht realisiert worden.↩
- Telefonat mit Gernot Haffner am 17.9.2022.↩
- Mail vom Amt Nord-Rügen vom 19.9.2022.↩
- Mail von Lothar Kuhn vom 16.9.2022.↩
- Telefonat mit Andreas Gräulich am 10.10.2022.↩
- Telefonat mit Gernot Haffner am 17.9.2022.↩
- Mail von Thorsten Grützner vom 28.10.2022.↩
- Telefonat mit Gernot Haffner am 17.9.2022.↩
- Person möchte nicht namentlich genannt werden, ist der Redaktion jedoch bekannt.↩
- Telefonat mit Gernot Haffner am 17.9.2022.↩
- Mail von Thorsten Grützner vom 28.10.2022.↩