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Makerspaces

Handwerk trifft Innovation

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Lesedauer: ca. 9 Minuten

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„Was heute hip ist, hat einen englischen Namen“, erklärt Hannes Trettin bei der Eröffnungsveranstaltung des Makerspaces in der Sassnitzer Berufsschule. „Wir könnten auch offene Werkstatt sagen, aber es ist ein Makerspace“, schiebt er lächelnd hinterher. Ein Ort für kreative Mitmachmöglichkeiten.

Trettin ist Gründer des Co-Working-Spaces „Project Bay“ in Lietzow und gemeinsam mit seinem Partner Toni Gurski verantwortlich dafür, dass Rügen nun ein weiteres hippes Element präsentieren kann.

In den Werkräumen der Berufsschule Sassnitz haben die beiden in Kooperation mit dem Landkreis, der Kreishandwerkerschaft Rügen und der Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern ihren Makerspace eröffnet. Es soll ein Ort für innovatives Handwerk sein, wo neue Ideen, Prototypen, Kleinserien und Einzelstücke gefertigt werden können. Diese Gemeinschaftswerkstatt steht dabei allen Menschen offen, die Dinge herstellen wollen, aber keinen Zugang zu komplexen und teuren Werkzeugen haben.

Der Makerspace ist mit allem ausgestattet, was man zur Fertigung braucht – für jedes Handwerk und Gewerk. „Wir wollen die Berufsschule wiederbeleben und vor Ort die Berufsschüler mit den Firmen aus der Region zusammenbringen“, sagt Erik Heidecker, Koordinator der neuen Werkstatt. Aber auch Privatpersonen, Handwerksbetriebe, Start-ups oder Schulklassen erhalten Zugang.

Die Werkstätten der Berufsschule bieten dafür hervorragende Voraussetzungen. Zur Verfügung stehen Werkzeuge für umfassende Holz- und Metallarbeiten, hinzu kommen 3D-Drucker, ein Lasercutter, mit dem Holz graviert werden kann, und eine CNC-Fräse. „Wir ergänzen die vorhandenen Geräte in der Berufsschule mit neueren Technologien“, erklärt Heidecker. Wer mit einem Projekt zum Makerspace kommt, soll sofort loslegen können.

„Das ist der Missing Link in der Region“, der fehlende Baustein, benennt Landrat Stefan Kerth (SPD) die ambitionierte Idee. Weil es an der Berufsschule keine Tischlerausbildung mehr gibt, hofft er darauf, dass die offene Werkstatt die vorhandene Infrastruktur wieder zu ihrer eigentlichen Bestimmung führen wird. Der Makerspace, so wünscht es sich Kerth, soll zu einer Keimzelle für mehr Ausbildung in der Region werden.

Nippes aus dem 3D-Drucker im Makerspace Sassnitz

Makerport für Start-ups und Gründer:innen

Was in Sassnitz gerade erst beginnt, ist nebenan auf dem Festland bereits erprobt. In Stralsund gibt es seit 2019 den Makerport als einen von sechs Digitalen Innovationszentren in Meck-Vorp. Hier werden Gründer:innen und Start-ups der Hansestadt betreut. „Wir haben mit einer Community im IT-Bereich angefangen und wollten schon früh das Thema Digitalisierung in die Köpfe bringen, um Nachwuchskräfte zu generieren“, erklärt Jenny Kempka, Standortkoordinatorin des Makerports.

„Aus dieser Gruppe heraus gab es den Wunsch nach einem Ort, wo Ideen entstehen und umgesetzt werden können.“ Es sollte ein geschützter Ort sein, wo man sich ausprobieren und tüfteln kann. Der integrierte Makerspace ist eine wichtige Säule des daraus entstandenen Konzeptes. Wobei der Makerspace eher die Bezeichnung FabLab verdient, also ein Experimentallabor mit starkem IT-Bezug ist.

„Hier haben wir verschiedene Sachen im Bereich Robotik, wir haben Drohnenbausets, Löt- und Schraubstationen: alles, was zu den Bereichen Elektrotechnik und Informatik gehört“, zählt Kempka auf. Anders als der Makerspace in Sassnitz, wurde die Werkstatt exklusiv für Start-ups und Gründer:innen geschaffen, die im Makerport betreut werden. Neue Produkte und Prototypen sollen hier gebaut werden. „Man hat eine Idee, mit der man sich selbständig machen möchte, und kommt damit zu uns in die Betreuung. Dann steht der Makerspace zur Verfügung.“

Auch studentische Vereinigungen haben Zugang. In einem Projekt aus dem Bereich Luft- und Raumfahrt löten Student:innen Platinen zusammen und bauen Antriebswerke für Raketen, wie Kempka berichtet. In der Corona-Zeit wurden 40 3D-Drucker aufgestellt, die rund um die Uhr Face-Shields druckten, die von einem Start-up gemeinsam mit Rettungskräften entwickelt worden waren.

Für einen öffentlichen Zugang fehle es momentan an Kapazitäten. Allein die vorhandene Fläche begrenze bereits die Mitmachmöglichkeiten, räumt Kempka ein. Doch der Makerport bietet auch verschiedene Workshops für Einsteiger:innen an, etwa zum Bau von 3D-Modellen. Die Angebote sind offen für alle und kostenlos. Auch regelmäßige öffentliche Stammtische sind Teil des Angebots.

Ein neuer Lasercutter für das Laserlab wird im Makerspace Greifswald zusammengebaut (Foto: Makerspace Greifswald)

Offene Werkstätten in Greifswald

In Greifswald gibt es ebenfalls einen Makerspace. Auf dem Innovationsgelände „Heile Welt“ im Ortsteil Ladebow befinden sich viele Geräte zum Bearbeiten von Holz und Metall. Auch eine CNC-Fräse gehört zur Ausstattung. Ende April wurde ein eigenes kleinen Techniklabor mit Lasercutter, 3D-Druckern, VR-Brillen und Lötstationen eröffnet. „Unsere Idee ist es, eine Community zu schaffen und miteinander Handwerk zu lernen, uns gegenseitig Tipps zu geben und Tricks beizubringen“, erklärt Jonas Bethmann, Mitbegründer des Makerspaces Greifswald. „Der ‚Do it yourself‘-Gedanke steht bei uns im Vordergrund. Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe.“

Organisiert als gemeinnütziger Verein, steht die Werkstatt allen offen, die eigene Projekte umsetzen wollen. Es werden Möbel gebaut und Reparaturen durchgeführt. „Im Makerspace entsteht immer ein Austausch, denn hier engagieren sich Menschen mit verschiedenen Hintergründen. Viele Studierende sind dabei, aber auch ältere Menschen“, sagt Bethmann.

An jedem zweiten Samstag gibt es offene Werkstätten, die von jedermann kostenfrei genutzt werden können. „Wer unter der Woche im Makerspace basteln möchte, wird Mitglied im Verein“, sagt Vorstandsmitglied Leonard Schmitz. Etwa 30 Personen sind regelmäßig dort aktiv. „Wir bieten aber auch Workshops und Events an“, erzählt der 27-Jährige. „Zuletzt hatten wir einen Intensivkurs zum Thema Heizungstechnik. Demnächst organisieren wir einen Fliesenlegerworkshop und auch mit einer Gießerei sind wir im Gespräch.“

Die Macher:innen des Makerspaces Greifswald wollen Handwerk und Technologie in der Region vernetzen und Wechselwirkungen schaffen. Handwerker:innen sollen neue Arbeitstechniken und Geräte kennenlernen und gleichzeitig ihre handwerklichen Fähigkeiten weitergeben. Zu diesem Plan gehört auch ein mobiler Werkzeugkoffer auf Rollen, der von Vereinen und Organisationen geliehen werden kann. „Damit wollen wir den Makerspace mobil in die Region tragen“, sagt Schmitz.

Gezielt Handwerker:innen in den Makerspace bringen

Der Makerspace in Sassnitz ist einer von mittlerweile 300 in Deutschland. Projektkoordinator Heidecker schätzt die Vorteile dieser kleinen Produktionsstätten, in denen Einzel- und Ersatzteile lokal und ohne lange Lieferketten hergestellt werden können. „Wir wollen mit unserem Angebot und unseren Kooperationen gezielt die Handwerker auf der Insel ansprechen.“ Viele Handwerksfirmen in der Region haben nur eine:n oder zwei Mitarbeiter:innen. Ihnen fehlt es oft an Lagerplatz, Maschinen oder Spezialwissen über neue Fertigungsverfahren. „Unser Makerspace kann die Anlaufstelle für diese kleinen Unternehmen sein.“

Das Potenzial ist groß: Im Landkreis Vorpommern-Rügen gibt es rund 1.200 Handwerksfirmen, so Heidecker. Aber auch für Privatpersonen wie Surfer, Bootsbauerinnen oder Camper steht der Makerspace offen. Letztendlich sollen Menschen im Makerspace aufeinandertreffen, sich gegenseitig unterstützen und voneinander profitieren. „Wir wollen hier eine Community aufbauen“, sagt Toni Gurski von Project Bay.

Während eines Schweißworkshops werden Erfahrungen gesammelt und Wissen geteilt (Foto: Makerspace Greifswald)

Quartiersuche in Rostock

Das Rostocker Kreativquartier „Warnow Valley“ in unmittelbarer Nähe zum Stadthafen platzt aus allen Nähten. „Es fehlen Räume, um alles, was möglich wäre, umzusetzen“, erklärt Karolin Quandt, Vorstandsvorsitzende des gleichnamigen Vereins. Seit 2015 besteht das Warnow Valley in mehreren Gebäuden auf einem Gelände am Warnowufer und war von Beginn an ein Provisorium. Es scheitert immer wieder am fehlenden Raum. „Wir sitzen hier wirklich in Baracken“, klagt Quandt. Gemeinsam mit der Stadt Rostock sucht das Warnow Valley nun einen neuen Standort. „Wir haben aktuell 70 verschiedene Akteure, verteilt auf knapp 1.000 Quadratmeter.“ Die neue Fläche soll etwa dreimal so groß sein.

Zurzeit befinden sich Töpfer- und Bildhauerwerkstätten im Warnow Valley. Ein Nähatelier gehört dazu und der Hackspace. Letzterer ist eine Mischform aus klassischem Makerspace mit Lasercutter und 3D-Drucker und dem IT-Bereich. Aber auch Organisationen wie Greenpeace, Radentscheid Rostock, Rostock Plastikfrei und Grüne Jugend haben einen Platz im Kreativquartier.

„Es gibt aktuell überhaupt keine Räume, um öffentliche Angebote zu schaffen“, sagt Quandt. Eine Holzmanufaktur würde gern eine offene Werkstatt einrichten. Der Hackspace möchte Workshops für Kinder und Jugendliche anbieten. „Es gibt tausend Ideen, aber keine Möglichkeiten zur Umsetzung.“ Quandt denkt groß. Sie ist überzeugt, dass ein Kreativquartier für Rostock wichtig ist, gerade auch mit Blick auf die sich wandelnde Stadt. „Man kann sich gut vorstellen, dass die Kreativbranche der Stadt etwas bringt. Die Branche wird weiter wachsen. Das ist ein Thema in Rostock. Gerade auch bei der Suche nach Räumen“, sagt sie.

Open Ocean Lab in Rostock

Während das Warnow Valley nach einem neuen Standort sucht, eröffnet im Rostocker Fischereihafen heute ein weiterer Makerspace. Im Rahmen des Projekts Ocean Technology Campus (OTC), das mit 15 Millionen Euro über drei Jahre vom Bund gefördert wird, soll Rostock zu einem Spitzenstandort für Unterwassertechnologie ausgebaut werden, erklärt Boy Niklas Pünjer von der Wirtschafts- und Technologieförderung „Rostock Business“. In den nächsten Jahren soll das OTC ein international anerkanntes Zentrum innovativer maritimer Technologien und Anwendungen werden. Schon jetzt hat sich unter dem Dach des OTC ein Netzwerk verschiedener Unternehmen zusammengeschlossen, die im Bereich maritimer Technik und Forschung voneinander profitieren.

Unterwasserroboter im Open Ocean Lab (Foto: Open Ocean Lab)

Pünjer betreut den OTC, zu dem auch der neue Makerspace mit dem Namen Open Ocean Lab gehört. An Werkbänken, 3D-Druckern und Lötstationen sollen sich Bürger, Studierende und Gründerinnen ausprobieren. „Es ist eine neue Form der Lehre“, erklärt Pünjer. „Der Makerspace bietet Experimentiermöglichkeiten, die sonst nur Leuten vorbehalten sind, die diese Ausrüstung haben.“ Geleitet wird das Ozeanlabor vom Forschungsverbund MV. „Wir wollen, dass Innovationen in der Unterwassertechnologie aus dem Makerspace hervorgehen“, sagt Projektmanagerin Wiebke Külper. Neben Oszilloskopen und viel Werkzeug stehen bereits zwei autonome Unterwasserroboter zur Verfügung.

Wertschätzung des Handwerks steigern

Zurück in Sassnitz druckt ein 3D-Drucker gerade einen Türstopper. Im Hof der Berufsschule stehen Hannes Trettin und Toni Gurski am Grill. Bratwurst für die Gäste aus Politik und Pressevertreter. Sie haben ihre Vision des ersten Makerspaces auf Rügen ins Leben gerufen und bekommen dafür Applaus. Heiko Miraß (SPD), der Parlamentarische Staatssekretär für Vorpommern und das östliche Mecklenburg, zeigt sich beeindruckt. Für ihn ist der Makerspace eine Bereicherung für die Insel Rügen. Zur Berufsschule meint er, es sei „ein Geschenk, so einen Ort zur Verfügung zu haben“.

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Fußnoten

  1. FabLab: Fabrikationslabor oder fabrication laboratory.
  2. Gesichtsschutz mit durchsichtigem Visier.

Autor:innen

ist KATAPULT MVs Inselprofi und nicht nur deshalb gern am Wasser. Nutzt in seinen Texten generisches Femininum.

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