„Putins Krieg gegen die Ukraine ist auch ein Kulturkrieg“ – mit diesen Worten wandte sich die ukrainische Galeristin Aljona Karawadsch bereits zu Beginn der russischen Invasion an die Öffentlichkeit. Ihr Anliegen: Die Kunst und das aktuelle Kulturschaffen in dem umkämpften Land sichtbar zu machen und zu halten. Sie ist Mitgründerin der Galerie Asortymenta Kimnata in Iwano-Frankiwsk im Südwesten der Ukraine, die vom ersten Tag an Evakuierungen von gefährdeten Kunstwerken und Archiven organisiert.
Hilfesuchend schauen sie und viele andere ukrainische Kulturschaffende auch nach Deutschland. Doch wer kann helfen? Der Deutsche Museumsbund verweist auf das Netzwerk Europäischer Museumsorganisationen: Auf der Website werden internationale Hilfsangebote für Kulturschaffende aus der Ukraine gesammelt. Aus Deutschland stehen zurzeit beispielsweise das Alliiertenmuseum in Berlin, das private Ausstellungshaus für Fotografie C/O Berlin und die Kunstsammlung Gera auf der Liste der Helfenden. Auch das Museum der Westlausitz in Kamenz und das Historische Museum der Stadt Köln bieten Lagermöglichkeiten für Kunstwerke aus dem Kriegsgebiet an.
Digitale Schau in Schwerin, Benefizkonzert in Rostock
Mecklenburg-Vorpommern taucht dort noch nicht auf. Die renommierten Kunstmuseen des Landes reagieren unterschiedlich auf die aktuelle Situation: Das Staatliche Museum Schwerin zeigt kurzfristig die virtuelle Ausstellung „Kunst gegen den Krieg“ mit Werken von Käthe Kollwitz. Jörg-Uwe Neumann, Leiter der Rostocker Kunsthalle, signalisiert Unterstützung: „Die Kunsthalle Rostock plant derzeit keine Ausstellungen mit ukrainischen Künstler:innen oder mit Kunst aus diesem Land. Falls eine Aktion entwickelt oder Unterstützung benötigt wird, können die Initiatoren sich gerne bei uns melden.“ Um Spenden für Kriegsgeflüchtete zu sammeln, hat die Kunsthalle außerdem gestern ein Benefizkonzert in Kooperation mit jungen Rostocker Musizierenden aus der Ukraine, Russland, Kasachstan und Armenien veranstaltet.
Universität Greifswald arbeitet an Netzwerk
Vernetzung ist das Stichwort für die Kunsthistorikerin Antje Kempe vom Interdisciplinary Centre for Baltic Sea Region Research an der Universität Greifswald: „Über den Verband Deutscher Kunsthistoriker und dessen Mitglied Kilian Heck vom Caspar-David-Friedrich-Institut der Universität Greifswald stehen wir in Kontakt mit Kolleg:innen aus der Ukraine“, berichtet sie. Entstanden sei ein Bündnis von Kunsthistoriker:innen aus Zürich, München, Köln, Oldenburg, Lüneburg und Greifswald, das in Kooperation mit ICOM (International Council of Museums, eine internationale, nichtstaatliche Organisation für Museen), Museumsverbünden und vielen Kolleg:innen Hilfe koordiniert. Ein Netzwerk, das auch Partner aus Österreich, Tschechien, der Slowakei und der Schweiz umfasst. Es bedürfe eines Anlaufpunktes, um Anfragen aus der Ukraine an Expert:innen aus den Bereichen Restaurierung, Denkmalpflege und Museen weiterzuleiten. Nur sie könnten entscheiden, welche Schutzmaßnahmen oder -materialien praktikabel seien, sagt Kempe. So könnten auch gezielt Hilfsgüter wie Feuerlöscher und schwer entzündbares Verpackungsmaterial in die Ukraine geschickt werden. Eine zweite Initiative habe es sich zum Ziel gesetzt, Kulturgüter in der Ukraine zu identifizieren und digital zu dokumentieren. Dazu habe Kempe gemeinsam mit Franziska Klemstein von der Bauhaus-Universität Weimar und Maria Effinger von Arthistoricum, einem Fachinformationsdienst für Kunst, Fotografie und Design von der Universitätsbibliothek Heidelberg und der Sächsischen Landesbibliothek Dresden, die Internetseite Ukraine: Hilfe für gefährdetes kulturelle Erbe eingerichtet.
Visuelle Zeugnisse bewahren
Allein das von massiver militärischer Gewalt bedrohte Kyjiw beherbergt eine reiche Kunst- und Kreativszene, eine Vielzahl bildender Künstler:innen und rund 30 national wie international bedeutsame Museen, etwa das Nationale Kunstmuseum der Ukraine oder das Staatliche Museum für historische Schätze. Doch es gibt nicht nur die Museumslandschaft der Ukraine, die großen Architekturen und das Welterbe. Es gibt auch die Szene der zeitgenössischen Künstler:innen, deren Werke in Galerien und Ausstellungen zu sehen, die auf Theaterbühnen oder Literaturfestivals präsent waren. „Es sind die Kulturschaffenden an der Basis, die gezwungen sind, ihre Städte zu verlassen, deren Arbeit jetzt besonders verletzlich ist“, sagt Aljona Karawadsch. „Die in keinen Katalogen gelistet sind, die keine Bunker für ihre Werke haben. Menschenleben sind am wichtigsten. Aber gleichzeitig ist es für uns wichtig, dass wir die visuellen Zeugnisse unserer Kultur nicht verlieren.“ Ihre Galerie in Iwano-Frankiwsk habe in den ersten zehn Kriegstagen 17 Evakuierungsanfragen aus Kyjiw, Mariupol, Odesa und Saporischschja erhalten. Manchmal haben die flüchtenden Künstler:innen ihnen nur den Schlüssel in die Hand gedrückt, in der Hoffnung, dass es ihnen gelingen würde, zurückgelassene Werke zu retten. Das Team der Galerie konnte inzwischen einen Großteil der Anfragen bewältigen und die Werke in Sicherheit bringen.
Die Hoffnung auf Rückkehr
Eine weitere Aktivistin, der die Flucht gelungen ist, ist Diana Berg. Sie ist Künstlerin, Kulturmanagerin und Gründerin des Kulturzentrums Plataforma Tju in Mariupol. 2014 war sie bereits aus der Stadt Donezk im Donbas in die Hafenstadt am Asowschen Meer geflohen. Ihre Mission: mithilfe eines kulturellen Angebots für Menschenrechte und Frieden werben, regionale und junge Kunst fördern, für kritisches Denken stehen. Am Tag der Invasion der russischen Armee, dem 24. Februar 2022, wollte sie eigentlich zwei Künstlerinnen zum dritten Teil des Residenzprogramms „Stereologia“ am Tju empfangen. Nach „Einsamkeit“ und „Amnesia“ sollte es um „Schönheit“ gehen. Doch dieses Programm ist nun ausgesetzt und findet vorerst keine Fortsetzung. Stattdessen organisiert sie nun Kunsttherapien für geflüchtete Kinder, nachdem sie ein weiteres Mal ihre Heimat verlassen und unter Lebensgefahr aus dem umkämpften Mariupol nach Lwiw fliehen musste. Von der großen Kunstsammlung des Tju konnte sie nur einige Grafiken mitnehmen. Was mit dem Rest geschehen ist, weiß sie nicht. Der Kontakt zu den verbleibenden Teammitgliedern sei abgerissen, man stehe noch immer unter Schock. „Wir hoffen, dass wir wieder zurückkehren können“, sagt Berg. „So funktioniert das, wenn man vor dem Krieg flüchtet: Du hoffst, zurückzukehren, denn du hast keine Energie mehr, um komplett neu anzufangen.“
Viele Künstler:innen bleiben
Bereits einmal geflüchtet zu sein ist einer der Gründe, warum viele Kulturschaffende die Ukraine derzeit gar nicht verlassen möchten. So auch Alewtyna Kakhidze. Die international bekannte ukrainische Künstlerin wuchs in der Donbas-Region auf. Sie beteiligte sich aktiv an den Maidan-Protesten 2013/14. In ihren Werken reflektiert sie die postsowjetische Realität ihres Heimatlandes performativ, schriftstellerisch und bildnerisch. Nun hat sie sich dazu entschieden, trotz zahlreicher Einladungen nach Europa, ihren Aufenthaltsort 25 Kilometer von Kyjiw entfernt nicht aufzugeben. „Man kann nicht ein ganzes Volk umziehen. Was erreichen wir damit, wenn alle ihre Heimat verlassen?“, fragt sie. Angst vor dem Tod habe sie nicht, wenn sie bei Bombenalarm in den Keller flüchtet. Sie wundere sich auch nicht darüber, dass Menschen zu Monstern würden, solange sie Waffen zur Verfügung haben. „Pflanzen sind die pazifistischsten Geschöpfe der Welt“, sagt die leidenschaftliche Pflanzenforscherin. In der Welt der Pflanzen, so ließe sich modellhaft beobachten, schaffe Vielfalt stabile Systeme. Totalitarismus hingegen schaffe eine Monokultur, eine Kultur also, die niemals Früchte tragen könne und werde.
Kulturhilfe aus Deutschland läuft schleppend an
Während in der Ukraine Aktivist:innen aus Kunst und Kultur auf Hochtouren an der Sicherung und Evakuierung arbeiten, sich in Lwiw das „Museum Crisis Center“ von Olha Honchar installiert hat, das Anfragen ukrainischer Museen beantwortet und Hilfsgelder aus Spenden an die Museumsmitarbeiter:innen für das Notwendigste weiterreicht, läuft die Unterstützung der EU langsam an. Auch in Deutschland formieren sich die Hilfsnetzwerke eher schleppend. Am 17. März hat die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur ein Netzwerk „Kulturgutschutzgesetz Ukraine“ ins Leben gerufen. Auf Landesebene gibt es zum Beispiel die Kulturhilfe Ukraine in Baden-Württemberg oder die Ukraine-Förderlinie der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung Berlin.
„Künstler sind wie Soldaten“
Aljona Karawadsch wartet in Iwano-Frankiwsk nicht tatenlos auf diese Unterstützung. Sie und ihr Team blicken in die Zukunft und geben der Frage Raum, welche Rolle Kunst und Kultur im Krieg zukommt. In Kooperation mit Lesya Chomenko hat sie ein „Arbeitslabor“ gegründet, in dem inzwischen mehr als 15 ukrainische Künstler:innen arbeiten, die das Land nicht verlassen wollen oder können, wie Sascha Kurmaz, Kateryna Aleinik und Tajira Umarowa. Lesya Chomenko ist bildende Künstlerin und Kuratorin aus Kyjiw. „Künstler sind wie Soldaten“, sagt sie, deren Ehemann gerade vom Musiker zum Leutnant der ukrainischen Armee geworden ist: „Beide dekonstruieren die Realität.“ Auch Chomenko musste Kunstwerke im Kriegsgebiet zurücklassen. „Meine Einstellung zu materiellen Dingen hat sich komplett verändert.“ Nur wenige Werke konnte sie mitnehmen, vieles hat sie auf einer digitalen Plattform gesichert. Durch die aktuelle Situation und notwendigen Arbeitsformen soll aber Neues entstehen. So muss beispielsweise die künstlerische Arbeit wegen der wiederkehrenden Luftalarme immer wieder unterbrochen werden. Die „unfertigen Bilder“ könnten dann von anderen Künstler:innen weiterbearbeitet werden. Ein anderer Künstler spielt Onlineschach gegen russische Gegner und dokumentiert diese Spiele. „Und gewinnt fast immer“, sagt Lesya. „In einer Zeit der physischen Zerstörung wollen wir Physisches neu erschaffen. Kultur und Kunst sind immer wichtig. Das ist keine Frage der Notwendigkeit und keine Frage des Überlebens. Es ist diplomatisch und geopolitisch wichtig, dass wir das symbolische Kapital nutzen, das uns als Protagonisten des öffentlichen Lebens zur Verfügung steht.“