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KATAPULT MV: Frau Marx, wir haben nachgefragt und erfahren, dass Politikerinnen und Politiker in MV seit der Corona-Pandemie verstärkt Hass- und Drohnachrichten ausgesetzt sind, vor allem im Internet. Woran liegt das?
Konstanze Marx: Hass und verbale Gewalt im Netz, in den Sozialen Medien sind seit Jahren ein Problem. Hass gegen Wissenschaftler:innen, Politiker:innen und auch Medienvertreter, gegen Frauen und als solche gelesene Minderheiten im Besonderen ist ein bekanntes und vielfach erforschtes Phänomen. Die Pandemie wirkt in dieser Situation wie ein Brennglas.
Was sehen Sie unter dem Brennglas?
Mein linguistisches Interesse gilt der sprachlichen Oberfläche, den Strategien und der Interaktion. Auch im Kontext von Corona zeigen sich inzwischen etablierte Muster verbaler Gewalt. Themen und adressierte Personen wechseln, aber die Verfahren zur Diskreditierung und Diffamierung in Kontexten von Hass und Hetze sind recht vergleichbar. Also egal ob Greta Thunberg oder Karl Lauterbach adressiert sind, wird Täter-Opfer-Umkehr, Hashtag- Annexion oder auch Delegitimierung von Kritik betrieben.
Welche anderen Themen gibt es neben Corona?
Anlässe für Hate Speech sind Themen wie die Pandemie, die Klimakrise, das Selbstbestimmungsgesetz oder die Aufnahme von Geflüchteten. Aus linguistischer Sicht ist nun interessant, dass diese Themen immer nur den Rahmen bilden für wiederkehrende Formulierungen, Strategien und multimodale Muster, also Kombinationen aus Bildern, Videomaterial und Text, mit denen eine Grenzüberschreitung begangen wird.
Markiert die Pandemie einen Höhepunkt dieser Form der verbalen Gewalt?
Das ist schwierig zu beantworten. Bei jedem weiteren Tabubruch, denken Sie etwa an das Deadnaming im Bundestag, scheint ja eine neue Eskalationsstufe erreicht. Aber zugleich hat sich in den letzten Jahren die Zugänglichkeit zu Sozialen Medien immer weiter verbessert, fast alle verfügen über ein Smartphone und nutzen Messengerdienste. Gerade in der Pandemie, in der ja insbesondere zu Beginn eine große Unsicherheit herrschte, spielten die Information und der Austausch über diese Dienste eine große Rolle. Wer dabei nicht in der Lage war, Informationen nach ihrem Faktengehalt zu beurteilen, oder auf Verwandte und Bekannte vertraute, die vielleicht auch unwissentlich Desinformationen weiterleiteten, hat natürlich in einer ohnehin sehr komplexen und herausfordernden Situation auch zu einer Dramatisierung beigetragen.
Wer steckt hinter den Hass- und Drohnachrichten?
Herauszufinden, wie viele Accounts eine Person zum Beispiel bedient, wer hinter welchen Accounts steckt und ob es sich um Bots handelt, steht nicht im Fokus meiner sprachwissenschaftlichen Forschung. Es gibt hierzu aber Untersuchungen, die auf Netzwerkanalysen und journalistischen Recherchen beruhen. Durch die Funk-Dokumentation Lösch dich: So organisiert ist der Hass im Netz recht bekannt geworden ist zum Beispiel „Reconquista Germanica“, zu deren Mitgliedern Aktivist-:innen der Identitären Bewegung sowie Funktionäre der Jungen Alternative gehörten.
Uns liegt ein Schreiben an die Fraktion der Grünen im Landtag vor: Auf vier eng beschriebenen Seiten sind Beschimpfungen vermischt mit vagen Drohungen und alles fußt auf Verschwörungsmythen.
Dass Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, umfassende Nachrichten und Briefe schreiben, ist schon länger bekannt – auch aus der Antisemitismusforschung. Diese Briefe sind häufig inkohärent, in sich also unlogisch, und daher kaum verständlich. An Politiker:innen und Wissenschaftler:innen gerichtete Schreiben liegen mir auch mit Bezug zur Pandemie vor. Man kann sich vorstellen, dass gerade in der Isolation, die die Pandemie ja zeitweise dringend erforderlich machte, ein Korrektiv von Menschen in der Umgebung fehlte. Sicherlich haben einige das zum Anlass genommen, verstärkt in den Sozialen Medien Halt zu finden, Kontakte über das Netz aufzubauen. Auf diese Weise können Netzwerke entstehen, die sich selbst bestätigen. Das kann gegen die gefühlte Einsamkeit vielleicht kurzfristig helfen, birgt aber auch die Gefahr, dass andere Perspektiven und Argumentationen aus dem Blick geraten und damit eigener Standpunkt und Realität beginnen, auseinanderzudriften.
Wie gefährlich ist es, wenn in den Sozialen Medien Gewalt angedroht wird?
Ich stufe das als gefährlich ein. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die Folgen dieser Gewaltandrohungen und Gewaltfantasien in physischer Gewalt niedergeschlagen haben. Denken Sie an den Mord an Walter Lübcke, denken Sie an Hanau, an Halle oder den Mord an dem Studenten in einer Idar-Obersteiner Tankstelle.
In Analysen von Verbalgewalt achten wir jeweils darauf, ob sich eine Interaktion typisch und musterhaft gestaltet. Eine Verabredung zum Beispiel geschieht meist in kurzen Interaktionen. Es genügen wenige Sequenzen, um Anlass, Ort und Zeit festzulegen. In meinen Daten zum Cybermobbing haben sich häufig auch Verabredungen zu Gewalt gefunden, die allerdings anders aussahen: Lange Ausführungen zum Zweck der Verabredungen, Schilderungen von künftiger Gewalt, ausufernde Überlegungen zur Art des Zusammentreffens. Hier entsteht der Eindruck, dass solche Interaktionen schon als Deeskalation fungieren, so paradox das klingen mag. Das heißt, dass detaillierte Beschreibungen von Plänen eher eine Inszenierung von Gewalt sein können als eine Absichtserklärung.
Gibt es eine direkte Verbindung zwischen Gewalt im Netz und den Corona-Demonstrationen, auf denen die Pandemie geleugnet oder behauptet wird, Politiker:innen und Medien seien für die Pandemie verantwortlich?
Corona-Demonstrationen sind bislang für eine Antwort auf die Frage zu wenig dokumentiert oder falls es Daten gibt, sind sie noch nicht transkribiert. Relevant wäre neben den Redeinhalten und Aufschriften auf Plakaten auch die Beteiligungsstruktur. Es scheint hier so zu sein, dass Menschen aus sehr unterschiedlichen Beweggründen teilnehmen. Ob es bereits strukturierte Interviews mit ihnen gibt, ist mir nicht bekannt. Schnittmengen zu Informationen, die über Soziale Medien ausgetauscht werden, finden sich durchaus auf Protestplakaten oder in skandierten Phrasen auf den Kundgebungen. Das ist allerdings nicht verwunderlich, weil die Interaktion in Sozialen Medien nun einmal einen Teil unseres täglich genutzten Kommunikationsspektrums ausmacht. Sie ist einfach Teil unserer Welt, nicht davon abgespalten, und findet eine Resonanz in unserem Alltag.
Was sollte man tun, wenn man Hass, Gewaltaufrufe oder Drohungen im Netz liest?
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie man reagieren kann. Wer selbst betroffen ist, sollte Hass zur Anzeige bringen. Dazu gibt es zum Beispiel über HateAid oder hassmelden.de Hilfe. Auch die Meldestelle respect! des Bundeskriminalamts nimmt Hinweise zu Hetze im Internet entgegen. Für die Reduktion von Straftaten im Netz ist das ein wichtiger Schritt, den auch Politiker:innen viel häufiger gehen sollten. Der gesetzliche Rahmen ist mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz und seinen Novellen ja geschaffen. Die Haltung „nicht mal ignorieren“, die einige Politiker:innen einnehmen, ist nicht hilfreich. Wer nicht selbst betroffen ist, aber Hass im Netz beobachtet, sollte sich solidarisch gegenüber der betroffenen Person positionieren. Es gibt Studien dazu, dass ziviler Widerstand – also Gegenrede – gegenüber Verbalgewalt im Netz Wirkung zeigt und mehr Gegenrede erzeugt. Wir können also alle dazu beitragen, ein gutes kommunikatives Umfeld im Netz zu schaffen. Problematisch wird es allerdings, wenn berechtigte Kritik als Hass gedeutet wird, hier entsteht eine weitere Gefahr für den demokratischen Diskurs.
Inwiefern?
Kritik ist ein Motor, dafür muss es Raum geben, sie belebt den Diskurs und ist essenziell für eine lebendige Demokratie. Wenn nun jemand Kritik als Hetze ausweist, versperrt er oder sie sich dem Diskurs. Eine konstruktive Auseinandersetzung scheint dann nicht mehr notwendig und gerechtfertigt. Gegenüber Menschen, die tagtäglich mit Verbalgewalt konfrontiert sind, ist das darüber hinaus despektierlich. Es verhöhnt die Betroffenen und delegitimiert ihre Anliegen.
Was passiert, wenn die Pandemie vorbei ist – gehen dann auch die Hassposts zurück?
Hetze im Netz gab es vor Corona und wird es nach Corona geben. Es werden sich sehr schnell neue Rahmenthemen finden oder man schließt einfach an die Themen an, die vor Corona im Mittelpunkt standen, zum Beispiel die Klimakrise. Mir ist es aber wichtig, zu sagen, dass Hass zwar laut ist, dahinter aber nicht der durch Soziale Medien entstandene – und wichtige – Diskurs übersehen werden darf. In den Sozialen Medien tauschen sich Menschen über viele Themen aus, lernen und lachen miteinander, trauern miteinander, haben sich kennengelernt und waren gerade auch in der Pandemie Unterstützung füreinander.
Dieser Text erschien in Ausgabe 7.