Es ist der letzte Samstag im April, acht Uhr früh am Alten Strom in Warnemünde. Nur wenige Menschen sind bereits unterwegs. In den Fischbrötchenkuttern werden allmählich die Auslagen vorbereitet. Selbst die Möwen sind noch nicht bereit für ihr berüchtigt aggressives Auftreten. Christian Kupfer und Christopher Filinski stehen an der Mittelmole. Seit zwei Stunden sind sie schon im Dienst. Der erste Kontrollgang im Morgenlicht entlang der Mole liegt bereits hinter den beiden. Nun geht es aufs Wasser.
Kupfer und Filinski sind zwei von insgesamt 17 hauptamtlichen Fischereiaufsehern in MV. Ihr Einsatzgebiet reicht vom Darß bis nach Rerik. Zu Wasser und an Land sorgen sie mit ihren Kollegen der Fischereiaufsichtsstation in Warnemünde dafür, dass Fischereirecht ein-
gehalten wird. Sie ahnden Verstöße, ermahnen und erklären. Je nach Wetterlage geht es raus aufs Wasser – etwa dreimal in der Woche. 70 Seetage haben die Fischereiaufseher von Warnemünde im Jahr 2023 absolviert.
Rauer Ton seit Corona
Im 15 Meter langen Fischereiaufsichtsboot (FAB) Steinbutt verlassen wir die Anlegestelle.
„Wir haben einen Tiefgang von 80 Zentimetern“, erklärt Filinski. Das sei wichtig, denn vor allem in den Uferbereichen der Warnow befinde sich viel Schlick. Über Funk knarrt der Schiffsverkehrsdienst Warnemünde Traffic und teilt Informationen über das Verkehrsgeschehen auf der Ostsee zwischen Darßer Ort und Mecklenburger Bucht mit. Das Wetterradio verspricht einen sonnigen Tag mit Wind aus Südost. Es liegen keine Warnungen vor. Echolot und Radar bilden die Umgebung ab.
Im Maschinenraum brummen zwei Motoren, die gemeinsam eine Leistung von 1.000 PS erreichen und das FAB Steinbutt auf eine Höchstgeschwindigkeit von 37 Knoten, knapp 68 km/h, beschleunigen können. Doch so schnell wird es heute nicht. Die Steinbutt tuckert aus dem Alten Strom heraus und biegt in Richtung Unterwarnow ab. Auf der Ostmole stehen Angler und hoffen darauf, Hornhechte zu fangen. Seit ein paar Wochen ziehen Heringsschwärme die Warnow hinauf. Und wo die auftauchen, sind auch die Anglerinnen nicht weit.
„Wir machen hier unsere Arbeit, nehmen Fälle auf, schreiben Berichte, und wenn es notwendig wird, sagen wir auch vor Gericht aus“, erklärt Filinski. Wenn Ordnungswidrigkeiten gegen das Fischereirecht nicht mehr mit einem Verwarnungsgeld bis 55 Euro geahndet werden können, wird ein förmliches Bußgeldverfahren eingeleitet. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn untermaßige, also zu kleine Fische, nicht zurückgesetzt oder Schonzeiten nicht eingehalten werden. Grundsätzlich sei die Kommunikation mit den Anglerinnen freundlich, aber seit den Coronajahren auch rauer geworden, berichtet der Fischereiaufseher. Auch Handgreiflichkeiten nehmen zu.
Große und kleine Aufgaben der Fischereiaufsicht
Auf Höhe des Rostocker Stadtteils Schmarl erreichen wir die ersten Angler in ihrem Boot. „Guten Morgen, Fischereiaufsicht“, ruft Filinski und reicht einen Kescher über die Bordwand. Die beiden Angesprochenen legen ihre Fischereischeine und Gewässerkarten hinein. Freundliche Floskeln werden gewechselt. Filinski ist fröhlich, die Angler tun es ihm gleich. Es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig, denn hier auf dem Fluss haben sie keine Chance, der Kontrolle zu entgehen.
Filinski nickt in Richtung Steuer, hinter dem sein Kollege und Chef Kupfer sitzt. „Wir hätten schlechte Karten, wenn wir uns alle zum Feind machen. Das können wir uns nicht leisten“, schmunzelt er. Schon allein deshalb nicht, weil man mitten in der Natur im Zweifel aufeinander angewiesen sei.
Filinski kommt aus der Nähe von Teterow. Der gelernte Landwirt ist passionierter Angler und als Quereinsteiger in die Fischereiaufsicht gekommen – um die seit 2017 eingeführte Fangquote für Dorsche in der Freizeitfischerei zu kontrollieren. Weil der Bestand vor MVs Küsten immer mehr abnahm, dürfen Anglerinnen seit Januar 2024 keine Dorsche mehr fangen. Auch in der Küstenfischerei ist Dorsch nur noch als Beifang zulässig. Dem Bestand geht es nach wie vor nicht gut, denn sein Lebensraum ist gerade in den Sommermonaten eingeschränkt. Zwischen zu warmen Wasserschichten und Schichten mit zu geringem Sauerstoffgehalt bleibt ihm nur ein schmaler Korridor.
An diesem Morgen auf der Warnow ist Dorsch allerdings kein Thema. Vielmehr sind es Routinekontrollen, die Filinski vornimmt. Dabei schaut er nicht nur, dass die richtigen Papiere vorliegen, sondern prüft auch, ob sich Anglerinnen an die Spielregeln ihres Hobbys halten.Gerade bei Angeltouristinnen aus anderen Bundesländern seien die Feststellungen hoch, weil notwendige Papiere wie Tageskarte oder Gewässererlaubnis fehlen. Auf der Warnow und im Mündungsbereich sind die Kontrollen besonders ergiebig, denn hier grenzen zwei Gebiete mit unterschiedlichen Fischereirechten aneinander. Von der Unterwarnow bis zum Tonnenhof Hohe Düne gilt das Fischereirecht der Hansestadt Rostock, dahinter jedoch das Fischereirecht des Landes MV. Schon ein paar Meter die Warnow rauf oder runter reichen aus, um fischereirechtlich das Gewässer zu wechseln.
Zwischen Fälschungen und Fischräuberinnen
Eine fehlende oder falsche Angelerlaubnis ist jedoch kein Kavaliersdelikt, sondern erfüllt den Straftatbestand der Fischwilderei. Auch wenn ein mögliches Verfahren wegen Geringfügigkeit oft eingestellt wird, bleibt dennoch ein Bußgeld.Im Bereich der Straftat gibt es klare Regeln, etwa wenn es um den Tierschutz geht. Bei Vergehen, die weniger schwerwiegend sind, sei immer Fingerspitzengefühl gefragt, denn nicht alles geschieht absichtlich. „Es sind viele gefälschte Fischereischeine im Umlauf“, so Aufseher Filinski.
Es gebe sehr gute Fälschungen und solche, die auf den ersten Blick zu erkennen seien. „Ich habe mal einen Ausweis aus Hamburg kontrolliert, der hatte weder das richtige Papier noch das richtige Stadtwappen“, lacht Filinski. Grundsätzlich akzeptieren die Anglerinnen allerdings die geltenden Regeln, denn auch ihnen sei es wichtig, dass weiterhin möglichst viel Fisch in den Gewässern des Landes schwimme. Natürlich gebe es auch schwarze Schafe, „aber die bezeichnen wir als Fischräuber und nicht als Angler“.
Fischereiaufsicht und Fingerspitzengefühl
Der Vormittag streicht dahin. Gemächlich rollt die Steinbutt die Warnow hinauf. Hier und da sind Anglerinnen mit ihren Booten in der Fahrrinne. „Das kostet euch 55 Euro, passt lieber etwas auf“, ruft Filinski ihnen hinüber. Die danken für den Hinweis, denn die Wasserschutzpolizei, die ebenfalls unterwegs ist, hätte den Verstoß geahndet.
Ein paar Minuten später ruft ein Angler bereits von Weitem herüber, dass er seine Angelerlaubnis vergessen und deshalb seine Ausrüstung schon wieder eingepackt habe. Neben ihm im Boot steht ein weiterer Mann. Drei Handangeln ragen über die Reling. Filinski zuckt mit den Schultern „Ja, was soll ich da machen? Ist ja alles gut“, und schiebt mit einem Augenzwinkern hinterher: „Wir kommen heute auch nicht wieder.“
Ob Filinski die Geschichte glaubt, spielt keine Rolle. „Ich nehme nur Feststellungen auf, die wirklich sicher sind, denn sonst ist es Aussage gegen Aussage und wenn es zur Anzeige kommt, haben wir als Fischereiaufsicht keine Chance, das Vergehen zu beweisen.“
Mittlerweile reihen sich die Boote aneinander. Sie tragen Namen wie Schlendrian, Gaukler und Manuela, sind mal groß, mal winzig, mal aufgepumpt, mal mit Seitenausleger. In den größeren Booten stehen sechs, sieben oder acht Leute zusammen. Viele von ihnen kommen aus Brandenburg. Meist sind es Männer – Väter, Söhne, Onkel. „Das sind alles Freunde“, schmunzelt Filinski.
Viele heimische Bootsführer und Anglerinnen kennen die Fischereiaufseher seit Jahren. „Da drüben ist Freddy und dahinter Norbert mit seinem Sohn“, sagt Filinski und zeigt über das Wasser. Mit der Zeit hat er ein Gefühl für seine Gegenüber entwickelt. Schwierig seien die Älteren, denn die „meckern immer, egal was ist“.
Freiheit im Funkloch
Während Filinski draußen mit den Anglern spricht und Papiere kontrolliert, hat Christian Kupfer weiterhin das Steuer der FAB Steinbutt im Griff. Der 59-Jährige ist gelernter Hochseefischer und einer der ersten, nach Bundesrecht ausgebildeten, Fischereiaufseher in MV. Schon seit 1993 ist er im mittleren Fischereiverwaltungsdienst, hat die Fischereiaufsicht im Land mit aufgebaut und ist seit 2001 in Warnemünde tätig. „Nach der Wende gab es hier kaum Kontrollen. Da waren Fischer und Angler total frei in ihrem Handeln“, erzählt Kupfer.
Auch nach mehr als 30 Jahren mache die Arbeit noch immer Spaß, auch wenn die Anforderungen und Vorschriften komplizierter geworden sind und „ein bisschen nerven“. Dazu gehört die festgelegte Rahmenarbeitszeit. Die Fischereiaufsicht darf nur zwischen 6 und 18 Uhr arbeiten, Zeiten außerhalb müssen aufwendig beantragt werden. Will man die Fischereiaufsicht ernst nehmen, sei das in der Praxis nicht gut umsetzbar, so Kupfer. Aktuell wird an einer Dienstvereinbarung gearbeitet, in der eine Rahmenzeit von 5 bis 22 Uhr angestrebt wird.
„Welche Aufgaben wir übernehmen sollen und wie die Kollegen dafür entlohnt werden, ist recht fragwürdig“, kritisiert Kupfer zudem. In der Fischereiaufsicht seien über die Jahre viele Stellen abgebaut worden. Doch draußen auf dem Wasser habe der Beruf noch immer etwas Schönes. „Wenn man rausfährt, ist man für sich“, beschreibt der Kapitän die Freiheit an Bord. „Es gibt Bereiche ohne Funkempfang, da ist man einfach raus aus allem.“
Wenn das Wetter keine Fahrten zulässt, dann gibt es jede Menge Schreibtischarbeit, die auch durch die mittlerweile eingeführte Digitalisierung nicht effektiver geworden ist. Im Gegenteil. „Die Aufnahme eines Verwarngeldes hat früher auf Papier zehn Minuten gedauert, heute sind es 20, weil wir uns in der Software durch die immer gleiche Maske klicken müssen.“
Während wir sprechen, kontrolliert Filinski vier Männer in einem Boot, die in der Rostocker Warnow mit dem Stockangelrecht der Hansestadt Bremen angeln. Ungültige Papiere. Nur wenige Augenblicke später nähert sich die Wasserschutzpolizei von der anderen Seite, denn die vier im Boot ankern in einer Ankerverbotszone.
Bis zum Mittag kontrollieren Filinski und Kupfer weiter. Auf Höhe des Fischereihafens machen sie kehrt. 119 Anglerinnen in 51 Booten haben sie an diesem Vormittag überprüft. Immer freundlich und mit einem Spruch auf den Lippen. „Zehn Prozent Feststellungen sind meistens drin“, erklärt Filinski. Wenn man wolle, finde man immer etwas, das zu beanstanden sei. Und wenn es nur eine fehlende Unterschrift ist, so der Fischereiaufseher. An diesem Vormittag sind die häufigsten Vergehen fehlende Gewässererlaubnisse und Fischereiabgabemarken sowie nicht mitgeführte Fischereischeine.
Wenige Fischer, wenige Kontrollen
Zum Mittag geht es hinaus auf die Ostsee. Das Meer liegt weit und unaufgeregt vor uns. Vor dem Horizont, irgendwo zwischen Nienhagen und Warnemünde, sticht ein einzelner Kutter aus dem Wasser hervor. Es ist die Moret, der letzte Rostocker Kutter, der noch Angelfahrten anbietet. Die Zahl der verbliebenen Fischer im Einsatzgebiet der Fischereiaufsicht Warnemünde ist überschaubar – zehn im Haupterwerb und vier im Nebenerwerb. „Wir kennen uns alle“, sagt Kupfer.
Vor zehn oder fünfzehn Jahren sei die Arbeit effektiver gewesen, erzählt der langjährige Fischereiaufseher. Da gab es mehr Fischer und mehr Kontrollen durch die Fischereiaufsicht. Allein vom Fang könne mittlerweile jedoch niemand mehr leben, urteilt Filinski. „Die Fischer retten ihre Haut, indem sie Räucherfisch oder Fischbrötchen verkaufen.“
Der traditionsreiche Berufsstand sei erschreckend geschrumpft, so Kupfer. Das hänge einerseitsmit dem demografischen Wandel und andererseits mit den Regeln für die Neugründung eines Fischereibetriebes zusammen. Eine Jungfischerin benötigt ein registriertes Fischereifahrzeug, das über bestimmte Fischfangquoten verfügt. Die Finanzierung eines solchen Fahrzeugs über eine Bank sei jedoch schwierig, weil mit niedrigen Fangquoten auf Dorsch und Hering auch der zu erwartende Gewinn gering ist.
Außerdem erschweren fischereiliche Bestimmungen, die mit den Jahren immer komplizierter geworden sind, die Arbeit der Berufsfischerei. Die Küstenfischerinnen sind mittlerweile verpflichtet, ein Logbuch zu führen, wenn ihre Boote mindestens acht Meter lang sind. In Zukunft soll das Logbuch elektronisch geführt werden, dann brauchen sie einen Laptop oder ein Tablet mit der entsprechenden Software und eine Internetverbindung an Bord. Auch ein Schiffsmeldesystem muss installiert sein. Ob der Aufwand für die kleine Küstenfischerei gerechtfertigt ist, bezweifelt selbst Fischereiaufseher Filinski.
Der große Fang
Auf der Ostsee ist viel Wasser und wenig los. Nach zwei Stunden erblicken wir endlich ein Boot. Zwei Angler aus Berlin sitzen darin und sind sichtlich stolz auf ihren Fang. „Wir sind das sechste Mal in diesem Jahr hier und haben endlich unseren ersten Fisch gefangen“, ruft einer der beiden herüber, während der andere eine 68 Zentimeter lange Meerforelle in die Höhe hält. Es ist der Fang des Tages. Danach ist Schluss. Die FAB Steinbutt kehrt zurück zur Mittelmole. Und während Möwen Fischbrötchen und Tourist:innen jagen, sind sich Kupfer und Filinski einig: „Auf dem Wasser gibt es keine schlechten Tage.“
(Fotos: Morten Hübbe)Dieser Text erschien in Ausgabe 33 von KATAPULT MV.
Quellen
- Autor nutzt generisches Femininum.↩