Gute Arbeit?

Jeder Euro hilft, neue Recherchen zu realisieren!

Passagiergeschichten

In 50 Stunden vom Sund zur Hunte

„Kümonauten“ nennen sie sich, die beiden Kapitäne Willem und Bernd Blanck. Mit ihrem schmucken 1.829-Tonnen-Küstenmotorschiff „Fredo“ pendeln sie wöchentlich zwischen Nord- und Ostsee. Für 60 Euro pro Tag und Nase kann man dabei sein. Auf einer Frachterreise.

Abendstimmung über dem Sund, als sich um 17.20 Uhr die Arme der Ziegelgrabenbrücke in die Höhe recken. Mit 1.660 Tonnen – oder rund 67 LKW-Ladungen – vorpommerschem Getreide macht sich der 83-Meter-Frachter „Fredo“ von der Unesco-Welterbestadt Stralsund auf den Weg nach Oldenburg. Ihre Häfen können sowohl von Binnen- als auch Seeschiffen angelaufen werden. 341 Seemeilen, die in rund 50 Stunden zu bewältigen sind, liegen zwischen ihnen.

Die Brüder Willem und Bernd Blanck, beide Eigner, Kapitäne und Maschinisten, sind zufrieden: „Hat ja wieder bestens geklappt, das Laden in Stralsund!“

Die markante Silhouette der Hansestadt schrumpft im Kielwasser der Ostansteuerung. Die Ostsee gibt sich sanft.

Die Fredo-Eigner Bernd (links) und Willem Blanck auf der Brücke(Foto: Peer Schmidt-Walther)

Schlaffördernde Entschleunigung

Captain’s Dinner in der kleinen Messe wie jeden Tag: ohne Schlips und Kragen wie auf Kreuzfahrtschiffen. Der philippinische Matrose mit dem urdeutschen Namen Wilhelm hat das Abendbrot vorbereitet: cold cut oder kalte Küche mit allerlei Aufschnitt. Alkohol ist – aus Sicherheitsgründen – verpönt.

Willi als Smutje in der Kombüse …(Foto: Peer Schmidt-Walther)

Um Mitternacht blitzt das Leuchtfeuer von Arkona durch das Bullauge in die kleine, aber gemütliche Kammer. Der 700-PS-Diesel grummelt schlaffördernd und sorgt für rund elf Knoten „Tempo“. „Völlig genug“, meint Bernd, der die Sechs-Stunden-Wache von seinem Bruder bis zum nächsten Morgen übernommen hat, „denn wir haben keine Eile, mehr geht sowieso nicht.“ So entschleunigt nähern sich die beiden Passagiere, in süße Träume gewiegt, der schleswig-holsteinischen Küste.

Keine Lotsenübernahme am Kieler Leuchtturm, denn die beiden „Kümonauten“ aus Leidenschaft und Familientradition haben sich nach vielen Nord-Ostsee-Kanalpassagen – insgesamt rund 1.500 pro Kapitän – und Prüfung freigefahren.

… und an Deck beim Laden von Raps(Foto: Peer Schmidt-Walther)

Seltenes Schwarz-Rot-Gold am Heck

Die Holtenauer Schleuse zeigt wie so oft Rot. Warten ist angesagt. Aber dann schiebt der Konvoi endlich los – rund 98 Kilometer mit Westkurs, mitten durch Wälder, Felder, Wiesen und Weiden. „Wir sind jetzt im Graben“, grinst Willem, „der Hochsee-Autobahn zwischen Ost- und Nordsee.“ Die deutsche Flagge am Heck wie bei Fredo, übrigens dem einzigen Frachter aus Meck-Vorp mit Schwarz-Rot-Gold, sieht man hier selten. Mehrfach muss in den Weichen gestoppt werden, um tief gehenden Schiffen auf Gegenkurs Vorrang zu geben.

Nach rund neun Stunden machen die drei Matrosen in Brunsbüttel fest. „Die Tide ist gegen uns“, erklärt Willem, „da machen wir lieber jetzt Feierabend.“ Alle sind müde, wir vom vielen Gucken.

Kümo „Fredo“ unterwegs im Nord-Ostsee-Kanal(Foto: Peer Schmidt-Walther)

Früh um sechs grummelt es wieder im Keller, die Fredo erzittert, nimmt problemlos die Schleuse und steckt ihre Nase mit dem roten Stralsunder Wappen in die Unterelbe. Die Fahrt an Cuxhaven vorbei mit seiner Alten Liebe wird von der aufgehenden Sonne vergoldet. Bei einem Pott Kaffee gibt’s einen gemütlichen Schnack auf der Brücke, dem Kommunikationszentrum des Schiffes. Dort ist man, wie auch im blitzblanken Maschinenraum, jederzeit willkommen. Die Fredo biegt zwei Stunden später bei Elbe I nach Backbord in die Weser ab. Der Schwell des Starkwindes vom Vortag bringt sie zum Tanzen. Der Stralsunder Marinemaler und Mitpassagier Thomas Quatsling freut sich: „Endlich Seefahrt!“ Querab vom Containerterminal Bremerhaven fühlt man sich neben den 350-Meter-Riesen ganz klein. „Mit denen möchte ich nicht tauschen“, sind sich beide Kapitäne einig, die von Kindesbeinen an mit Vatern Kümo gefahren sind.

MS Fredo im winterlichen Ostseesturm Kurs West(Foto: Peer Schmidt-Walther)

Fredo wedelt durch vergoldete Flussschlingen

Irgendwann taucht die Kirchturmspitze von Elsfleth an Steuerbord auf. Fredo, über Funk als „überbreites Kümo“ avisiert, dreht jetzt von der Weser in die schiffsschmale Hunte, passiert die Seefahrtsschule und den Großsegler „Großherzogin Elisabeth“. Eisenbahn- und Straßenbrücke signalisieren freie Fahrt. „Dann schaffen wir’s ja heute noch nach Hause“, freuen sich Bernd und Willem auf den geplanten Grillabend, „aber ohne Güllegeruch in der Nase.“ Düngende Bauern auf den Weiden links und rechts sorgen für den „grünen Duft“. „Das ist wie Seefahrt durch den Bauernhof“, lacht Thomas und denkt schon an sein nächstes Bild: die von der untergehenden Sonne vergoldeten Flussschlingen der Hunte mit der wedelnden Fredo darin.

Vor dem Oldenburger Osthafen noch ein knappes Drehmanöver im Dunkeln auf dem Teller – mit gerade mal zwei Meter Uferabstand. Ein Schauspiel für Seh-Leute am Ufer. „Wenn du das hier jede Woche machst“, meint Bernd gelassen, „ist das ein Kinderspiel.“ Rückwärts geht es an den Stau, „nicht in den Stau“, schiebt Willem nach, „so heißt die Straße parallel zum Kai, und das macht uns kein Auto nach“.

MS Fredo

Bauwerft: Schiffswerft Hugo Peters, 
Wewelsfleth/StörBaujahr: 2/1985; Bau-Nr.: 607

Heimathafen: Stralsund

Taufname: „Fredo“(Zusammensetzung aus den Heimatorten der Eigner Willem (Freiburg)
 und Bernd Blanck (Dornbusch),
 bis 2010 „Montis“, bis 2002 „Premiere“

Länge: 82,45 m, Breite: 11,33 m
, Tiefgang (max.): 3,43 m; 1 Luke (3.105 m³ Schüttgut), Containertransport: 46 TEU, 
Bruttoregisterzahl: 1.649, Tragfähigkeit: 1.829 tdw, Ladetonnen: 1.700; Verdrängung (Ladetonnen und 
865 t Schiffsgewicht): 2.694 t, 

Maschine: MWM, Typ TBD 440-6K, 441 kW (700 PS), Geschwindigkeit (max.): 10,6 kn



Besatzung (max.): 7Passagiere: 2 Einzelkammern

Das spannende Manöver wird auch von zwei Bundespolizisten beobachtet. Der Landgangsausweis eines Matrosen, so erfährt man, habe nicht den Stempel an der rechten Stelle. Das hätten die Stralsunder Kollegen moniert und sie informiert. „Aber jeder Hafen hat eben eigene, sprich andere Regeln“,meint einer der Beamten grinsend.

Per Kran werden die beiden Autos, die vor der Brücke in schützenden Alugaragen geparkt haben, auf die Pier am Agravis-Silo gesetzt. „Und Tschüs bis zum nächsten Mal!“, verabschieden sich die beiden Kapitäne ins wohlverdiente Wochenende mit ihren Familien.

Dieser Text erschien in Ausgabe 5.

Autor:in

Gute Arbeit?

Jeder Euro hilft, neue Recherchen zu realisieren!