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Stadtentwicklung

Kleingartensterben am „Groten Pohl“

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In Rostock wird kräftig geackert. Auf fast 16.000 Parzellen bauen Kleingärtner:innen Obst und Gemüse an, ziehen Blumen, treffen Freunde und Familie, tragen zum Naturschutz bei, verbessern das Stadtklima, fördern die Artenvielfalt oder erholen sich einfach vom Arbeits- und Stadtalltag. Die Kleingartenanlagen in der Hansestadt lassen Bürger:innen an der Stadtgestaltung teilhaben, kompensieren CO2 und bilden Rückzugsorte für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten.

Ende 2019 veröffentlichte die Stadtverwaltung einen Leitlinienkatalog, auf dessen Grundlage die Hansestadt eine nachhaltige Stadtplanung anstrebt. In dem Katalog positioniert sich Rostock als Vorreiter in Sachen Klimaschutz und beschreibt sich als soziale Stadt, die bei der Planung Bürger:innen mitgestalten lässt, um so die Lebensqualität zu verbessern. Ein weiterer Schwerpunkt liegt außerdem auf Umweltschutz, Klimawandel und dem Erhalt von Natur- und Lebensräumen. Die Kleingartenkultur in Rostock sollte diesen Bestrebungen eigentlich zugutekommen. Die jüngsten Entscheidungen aus dem Rathaus in Bezug auf das 22 Hektar große Areal „Groter Pohl“ lassen allerdings Zweifel aufkommen.

Stadtgeschichte – aber käuflich

Der Grote Pohl liegt in Rostocks Südstadt. Bereits 1920 wurden hier einige der ältesten Kleingartenvereine der Stadt gegründet. Im Laufe der Jahre entstanden auf dem Groten Pohl insgesamt vier Kleingartenanlagen mit 358 Parzellen, die auf eine 100-jährige Vergangenheit zurückblicken können. Das Biotop inmitten der Stadt ist Lebensraum für viele Tiere. Neben Igeln, Fledermäusen, Schmetterlingen, Reptilien oder Amphibien wurden rund 30 verschiedene – zum Teil seltene oder bedrohte – Vogelarten gezählt.

Schon seit 2003 plant die Hansestadt allerdings die Bebauung des Geländes. Hier soll ein modernes Stadtviertel mit etwa 700 Wohnungen, einer Schule und zahlreichen Büro- und Geschäftsgebäuden entstehen. Im November 2021 hat Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen außerdem den Bau des „Sixt Innovation Centers“ – eines 8.100 Quadratmeter großen Bürokomplexes – vor der Bürgerschaft befürwortet. Wird das Sixt-Gebäude wie geplant als Campus errichtet, können circa 120 der ursprünglich 700 geplanten Wohnungen nicht gebaut werden.

Der Erhalt der Grünflächen spielt bei der Planung eine untergeordnete Rolle. Um die Fläche zu räumen, bot die Stadtverwaltung den ansässigen Pächter:innen für ihre Gärten Kaufpreise an, die 30 Prozent über dem Schätzpreis lagen. Viele Gärtner:innen nahmen das Angebot an und im Laufe des Jahres 2018 wurden weite Teile des Areals bereits geräumt. Allen Nutzer:innen, die nicht auf das Angebot aus dem Rathaus eingingen, wurden die Pachtverträge gekündigt.

Kleingärten wie Trümmerfelder

Die Interessengemeinschaft „Pütterweg bleibt“ kritisiert beim Vorgehen der Stadt die ausbleibende Bürger:innenbeteiligung, die intransparente Planung und die Vernachlässigung der stadteigenen Leitlinien. Aktuell bewirtschaftet die Initiative noch 101 verbliebenen Parzellen mit Hilfe von 200 bis 300 Nutzer:innen. Neben der klassischen Gartennutzung mit Obst- und Gemüseanbau organisieren die Akteur:innen außerdem Open-Air-Kinos und Theatervorstellungen, betreiben Eltern-Kind-Gärten, halten Bienen, nehmen am Aktionstag „Offene Gärten“ teil oder bieten ihre Flächen als Treffpunkt an.

Seit Beginn der Räumungsarbeiten im Jahr 2017 hat die Gartengemeinschaft vermehrt mit Vandalismus zu tun. Zäune und Tore trennen die noch bewirtschaftete Anlage von den bereits geräumten Flächen. Diese 256 Parzellen sind zu großen Teilen geplündert oder ausgebrannt. Anfänglich wurde das Gebiet mit seinen etlichen leerstehenden Gartenhäusern von Jugendlichen und Menschen ohne festen Wohnsitz als Rückzugsort genutzt. Weil – auch vier Jahre nach Beginn der ersten Räumarbeiten – noch kein finales Bebauungskonzept entwickelt wurde, liegen 71 Prozent der ehemals gut gepflegten Gärten brach, verwildern oder sind mutwilliger Zerstörung und Plünderung zum Opfer gefallen. Mittlerweile gleicht das Areal eher einem Trümmerfeld als einer Kleingartenanlage. Anwohner:innen und verbliebene Nutzer:innen sind sich deshalb einig: Der Grote Pohl braucht eine Perspektive unter Berücksichtigung von Bürger:innen.

Neuland Bürger:innenbeteiligung

Anfang 2020 wurde von der Stadtverwaltung eine Koordinierungsstelle für Bürger:innenbeteiligung ins Leben gerufen. Diese soll die Kommunikation zwischen Rathaus, Ortsbeiräten und Interessenverbänden wie „Pütterweg bleibt“ vereinfachen. Nachdem ein offener Brief der Kleingarteninitiative im November 2021 nur wenig Resonanz in der Bürgerschaft fand, wurde im Dezember ein Empfehlungsschreiben der Koordinierungsstelle eingereicht. Die Forderung: den aktuellen Bebauungsplan stoppen, eine Neuplanung unter Berücksichtigung von Bürger:innen initiieren und möglichst viel Grünfläche erhalten. Ob die Bürgerschaft auf die Empfehlung eingeht und somit ein neues Konzept für den Groten Pohl befürwortet, entscheidet sich in der Bürgerschaftssitzung am 19. Januar 2022.

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Autor:innen

Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis. Layouter und Chefredakteur.

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