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Stralsunder Stadtteiche

Weltkulturerbe fängt an zu stinken

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Lesedauer: ca. 9 Minuten

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Vor gut zwei Jahren tourte der preisgekrönte Dokumentarfilm Wem gehört mein Dorf? über das Ostseebad Göhren durch Deutschland und machte für eine kostenlose Vorführung mit Regisseur Christoph Eder auch im Stralsunder Bürgergarten halt. Eine Doku über direkte Demokratie im Lokalen und die Wichtigkeit des Engagements für den eigenen Ort.

Dass die kostenlose Vorstellung damals in dem Biergarten in der Bootshalle am nördlichen Knieperteich stattfand, erscheint mit Blick auf die jüngsten Ereignisse um einen der letzten Begegnungsorte Stralsunds wie eine mahnende Prophezeiung. Denn knapp zwei Jahre später steht Bürgergartenbetreiber Bert Linke selbst vor der Frage: Wem gehört mein Bootsverleih?

Zum Interview mit Regisseur Christoph Eder über Demokratie im Stralsunder Bürgergarten

Am Ufer des Knieperteichs, gleich außerhalb der historischen Stadtmauern, liegt der Biergarten mit Bootsverleih als eine Bastion der Stralsunder Zivilgesellschaft. Ein Ort mit zweihundertjähriger Tradition der Gartenkultur und Treffpunkt aller Gesellschaftsschichten. Inhaber Linke möchte mit dem Bürgergarten ein Angebot für alle bieten – frei von Konsumzwängen. Gleichzeitig ist der Bürgergarten aber auch ein 4.000-Quadratmeter-Grundstück in A-Lage und Linke mit seinem sozialfreundlichen Konzept, trotz Otto-Wels-Preises für Demokratie, so manchem ein Dorn im Auge.

Ökosystem in der Krise

Seit Jahren macht Linke auf die stetige Verlandung und ein drohendes Umkippen des nördlichen Knieperteichs aufmerksam. Bis zuletzt seine Ruderboote reihenweise auf Grund liefen. Pächter Linke kann und will aufgrund des Risikos so keine Boote mehr verleihen – und verletzt damit seine vertraglichen Pflichten gegenüber der Hansestadt Stralsund. Die wiederum ist als Eigentümerin des Teiches eigentlich dafür zuständig, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen.

Aufgrund des hohen Nährstoffeintrags aus den umliegenden Teichen und der Landwirtschaft hat der Knieperteich ein stinkendes Problem.

Ein Teil des Wassers der umliegenden Stralsunder Teiche, vom Borgwallsee über den Pütter See, den Moorteich und den Frankenteich bis zum nördlichen Knieperteich, soll eigentlich regelmäßig durch das Nadelöhr unter dem Schilldenkmal in den Sund abfließen.

Schlamm und Sedimente am Grund sorgen jedoch eher für das Gegenteil und bergen dazu eine schlummernde Gefahr: erodierende Munition und Weltkriegsbomben.

Ungeachtet dessen hielt der Munitionsbergungsdienst MV (MBD) im vergangenen Jahr die Nutzung von Booten auf dem Knieperteich für problemlos möglich. Das Innenministerium stellte klar: Der Wasserpegel sinkt nicht, sondern der Teich verlandet durch die steigenden Sedimentschichten.

Keine Gefahr?

Die Wassertiefe an sich sei kein Kriterium für die Gefährdungseinschätzung des MBD. Vielmehr würden die steigenden Schlammschichten die entsorgten Waffen und Kampfmittel bedecken, teilte Renate Gundlach, Sprecherin des Innenministeriums, auf Nachfrage mit.

Der MBD schätzt die Stralsunder Teiche trotz der Munitionsbelastung aus dem Zweiten Weltkrieg als ungefährlich ein. Entscheidend für die Bewertung und Gefährdungseinschätzung sei die Art der auf dem Grund lagernden Kampfmittel: „Neben eventuellen Blindgängern, die nach Bombenfehlwürfen mehrere Meter tief im Grund flacher Gewässer stecken würden, besteht eine eventuelle Kampfmittelbelastung von Seen allgemein aus Waffen und Munition, die nach Kriegsende ‚entsorgt‘ wurden.“

Dabei handele es sich entweder um am Ufer entsorgte persönliche Ausrüstung von Soldaten, oder um von Bürgermeistern oder Besatzungskräften an tieferen Regionen von Seen versenkte Waffen und Munition. Der Knieperteich sei eher für das Hineinwerfen vom Ufer aus genutzt worden.

Munition in Ufernähe

„Mehrere Kampfmittelfunde im Flachwasser des Uferbereiches bestätigen dies“, so das Innenministerium. Über die Anzahl und die Verteilung möglicher Bomben oder Kampfmittel im Knieperteich liegen dem Bergungsdienst nach eigenen Angaben jedoch keine gesicherten Erkenntnisse vor, ebenso wenig zur Wassertiefe, wenn man von den Tiefenkarten des Umweltministeriums absieht. Bei einer Nutzungsänderung des Teiches, oder auch eventuellen Erdarbeiten, empfahl man der Stadt bereits im letzten Jahr eine Untersuchung auf Kampfmittel.

Solche vorsorglichen Maßnahmen habe jedoch der Eigentümer selbst zu tragen. Für die Befestigung eines Pontons für die Kanuten des Kanu-Clubs hat der MBD im Auftrag der Hansestadt im Mai einen Bereich von 60 Quadratmetern rund um den Steg des 248.000 Quadratmeter großen Knieperteiches auf Kampfmittel untersuchen lassen. Sollte es zu einer Ausbaggerung kommen, müssten zwangsläufig auch die anderen Bereiche überprüft und dekontaminiert werden.

Jedoch wies der MBD bereits im vergangenen Jahr darauf hin, dass die Polizei oder das Ordnungsamt informiert werden müssen, die dann den MBD hinzuziehen, sollten verdächtige Gegenstände gefunden werden. Kosten für Sofortmaßnahmen des Bergungsdienstes zur Gefahrenabwehr trägt nicht die Eigentümerin, sondern das Land Mecklenburg-Vorpommern.

Weiterlesen: Kampfmittel in den Stralsunder Teichen

Verschlammt und zugewuchert

An manchen Stellen im nördlichen Knieperteich kommt man heute kaum noch auf 1,50 Meter Wassertiefe. Bereits vor einigen Jahren beklagte der Bürgergarten die flachste Stelle von 57 Zentimetern. Deutlich machte dies auch eine Bachelorarbeit aus dem vergangenen Jahr, die ein 3D-Tiefenmodell des Knieperteichs erstellte: An der flachsten Stelle wurden sogar nur noch 43 Zentimeter gemessen.

Die Boote laufen auf Grund, haben Bodenkontakt, Ruder stoßen in potenziell munitionsbelastete Schlammschichten – der Grund für Linke, keine Boote mehr zu verleihen. Auch wenn nun seit Saisonbeginn im April die Stadt haftet, sollte dennoch – und trotz der Entwarnung des MBD – etwas passieren.

Denn Eigentümerin der Teiche ist die Hansestadt Stralsund, der Verwaltung ist die Situation bekannt. Doch seien die voraussichtlichen Kosten einer Ausbaggerung und Kampfmittelräumung so immens und die gegensätzlichen Interessen zwischen Natur- und Denkmalschutz, Anglern und Anliegern zu vertrackt, um die Probleme anzugehen. Jemanden, der sich für eine Lösung verantwortlich zeichnet, sucht man in der Verwaltung vergeblich.

Kündigung wegen „Unzuverlässigkeit“

Pächter Bert Linke habe seine vertraglichen Pflichten aufgrund der Einstellung des Bootsverleihs nicht erfüllt, lautet der Vorwurf der Stadt. Überdies habe er daraufhin die Pacht eigenmächtig gekürzt. Die ausstehenden Pachtzahlungen hat Linke zwar innerhalb einer gesetzten Frist geleistet, die Stadtverwaltung bleibt ihm gegenüber jedoch hart im Ton: „Wer wiederholt unzuverlässig handelt, muss mit einer fristlosen Kündigung rechnen.“ Und hat diese noch vor Fristende zum 30. Juni ausgesprochen.

Ob sie juristisch überhaupt haltbar ist, bleibt abzuwarten. Genauso wie die angedrohte Räumung am selben Tag. Bürgergarten-Anwalt Mirko Brunken hat eine Erklärung zu den Ereignissen veröffentlicht und die Wiederaufnahme der Gespräche zwischen Pächter und Eigentümerin gefordert. Denn eigentlich war für den 25. Mai ein Gespräch zwischen Stadtverwaltung, Rechtsamt und Bürgergarten angesetzt, in dem die weitere Vorgehensweise abgestimmt werden sollte. Zwei Tage vorher sagte die Stadt den Termin jedoch ab, ohne Angaben von Gründen. Anschließend erhielt der Bürgergarten die fristlose Kündigung.

Kann der Bootsverleih weiter betrieben werden?

Das Thema Knieperteich scheint noch nicht bei allen in Stadtverwaltung und Bürgerschaft angekommen zu sein. Das städtische Liegenschaftsamt verhindert kurzfristig ein Lösungsgespräch zwischen den Beteiligten und spricht stattdessen eine Kündigung aus – ohne die Bürgerschaft oder deren Ausschüsse vorher einzubeziehen.

Gegenüber KATAPULT MV schreibt die Stadtverwaltung: „Nach der Kündigung muss der Pächter das Grundstück herausgeben. Die Hansestadt Stralsund wird sich umgehend um eine Neuverpachtung des Grundstücks bemühen, damit die gastronomische Einrichtung sowie der Bootsverleih weiter betrieben werden können.“

Aber wer könnte der neue Pächter sein? Und wie kann Linkes potenzieller Nachfolger die vertraglichen Verpflichtungen eines Bootsverleihs garantieren, wenn der Teich weiter verschlammt und Boote nicht richtig fahren können? Unsere diesbezügliche Anfrage bei der Stadtverwaltung blieb unbeantwortet.

Wem gehört der Stadtteich?

Das Thema geht jedoch längst nicht an allen vorbei. Im vergangenen Jahr gründete sich der Verein Rettet die Stralsunder Teiche, um die Interessenverbände der Bürger:innen zusammenzubringen. Es wurden Lösungsvorschläge erarbeitet, Gutachten beauftragt und Absichtserklärungen auch für die Nutzung der zu entnehmenden gewaltigen Biomasse unterbreitet.

Unterstützer:innen hat der Bürgergarten in den letzten zehn Jahren viele gewonnen, aber dazu auch einige mächtige Feinde in Verwaltung und Politik. Eine Petition, die den Weiterbetrieb des Bürgergartens fordert, erreichte mittlerweile über 2.200 Unterschriften, dazu viele Anekdoten und Kommentare von Stralsunder:innen. In den Sozialen Medien wird auf den Kanälen von Hansestadt Stralsund und Bürgergarten ebenfalls rege debattiert.

Bert Linke bleibt bei seiner Haltung: Der Bürgergarten wird nicht geräumt und alle gebuchten Veranstaltungen bis Jahresende finden statt. Zudem fordert er nun den Rücktritt von Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) und verpasste ihm mit „Bad Row“ einen neuen Spitznamen, was übersetzt so viel wie „schlechtes Rudern“ oder auch „schlimmer Streit“ bedeutet.

Bleibt die Frage, ob es anders gelaufen wäre, hätte Linke den Oberbürgermeister vor zwei Jahren im Zuge des ersten Amateurevents Boxen am See nicht öffentlich zum Zweikampf herausgefordert. Die schriftliche Einladung sei nie im Rathaus angekommen, hieß es damals auf zweimalige Nachfrage von Rechtsanwalt Brunken. Das Vertrauensverhältnis zwischen Stadt und Pächter Linke sei zerrüttet, heißt es heute aus der Verwaltung.

Nach zehn Jahren zeigte sich der Oberbürgermeister nun zum ersten Mal selbst im Bürgergarten. Ein Entenrennen des Lions Club eröffnete er mit den Worten: „Herzlich Willkommen in unserem Bürgergarten, der seit Jahrzehnten Bürgergarten ist und es auch für die nächsten hundert Jahre bleibt.“ Linke, der den Bootsverleih erst vor zehn Jahren Bürgergarten taufte, hatte zu dem Zeitpunkt bereits die Kündigung in der Tasche.

Regisseur Christoph Eder hatte kurz nach der Vorstellung von Wem gehört mein Dorf in der Bootshalle an die Gäste im Bürgergarten appelliert: „Wenn dir etwas am Herzen liegt, engagiere dich, bevor es zu spät ist.“

Sitzt man die komplexen Probleme um die Teiche noch weiter aus, wird man die Weltkulturerbestadt bis zur Bürgerschaftswahl im nächsten Jahr schon von Weitem riechen können.

Fotos: Patrick Hinz / Anna Hansen

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Autor:innen

Redakteurin bei KATAPULT MV.

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