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Rechtsstreit um Stralsunder Bürgergarten

Kündigungsgrund: Majestätsbeleidigung?

Anders als von der Stadt Stralsund angedroht, wurde der Bürgergarten am Knieperteich zum 30. Juni nicht geräumt. Stattdessen flatterte die zweite fristlose Kündigung ins Haus. Die Begründung diesmal: Beleidigende Kommentare im Internet sowie eine Rücktrittsforderung des Pächters in Richtung CDU-Stadtoberhaupt Alexander Badrow. Wird die Stadt langsam dünnhäutig? Jetzt könnte es auf einen jahrelangen Rechtsstreit hinauslaufen.

Während in der Bürgerschaft bereits ausgeräumte, vermeintliche Sorgen um den Weiterbetrieb des Bürgergartens wiederholt werden, fällt das eigentliche Thema unter den Tisch. Und wenige hundert Meter weiter am Knieperteich, fängt es immer weiter an, zu müffeln. 

Was war passiert? Die Stadt Stralsund hatte dem Treffpunkt und Bootsverleih Bürgergarten eine Räumung angedroht. Pächter Bert Linke vermutete, aufgrund seiner Aktivitäten im Zusammenhang mit der Öffentlichmachung des kritischen Zustandes des Knieperteichs von der Stadtverwaltung „mundtot gemacht zu werden“. 

Zum Hintergrundartikel: Weltkulturerbe fängt an zu stinken Indessen wurde während der letzten Bürgerschaftssitzung ein Antrag der Fraktion Bürger für Stralsund (BfS) zur Fortführung des Bürgergartens mehrheitlich angenommen. Es ging darum, deutlich zu machen, dass die Kultur- und Sportstätte auch bei einem möglichen Pächterwechsel weiter betrieben werde. Anscheinend hätten Bürger:innen jedoch noch immer Sorge, der Bürgergarten würde plattgemacht oder zeitweise geschlossen, so BfS-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Haack. Man wollte die Stralsunder:innen beruhigen. Dem Bürgergarten drohe keine zeitweise Schließung aufgrund der Streitigkeiten (laut Antrag: „Querelen“) zwischen der Stadt als Eigentümerin und Bert Linke als Pächter des Bootsverleihs. 

Zeitweise Schließung stand nie im Raum

Dass es dazu nicht kommen wird, hatte die Stadt zuvor jedoch bereits mehrfach öffentlich versichert. Dennoch wollten die BfS ein Zeichen setzen. Ziel sei es gewesen, die Stadt zu einer öffentlichen Ausschreibung des Pachtgrundstückes zu bewegen, für die es scheinbar mehrere Interessenten gibt. 

Haack räumte ein, dass man „natürlich keiner Gerichtsentscheidung vorgreifen“ wolle. Sollte es jedoch zu einer gerichtlichen Entscheidung kommen, solle die Stadt vorbereitet sein. Alles Dinge, die die Stadt bereits vorher kommuniziert hatte. Ronald Zabel (CDU) betonte, man wolle den Oberbürgermeister darin bestärken, schnell zu handeln: „Was er meiner Meinung nach sowieso vorhatte.“ 

Viel Schlagkraft hat der Antrag vor einer endgültigen Gerichtsentscheidung allerdings nicht, bereits Gesagtes wurde erneut aufgewärmt und ansonsten um den heißen Brei geredet. Was allerdings nicht zum Teil der Debatte wurde: der eigentliche Inhalt der Streitigkeiten und deren Öffentlichmachung durch Linke, der so anscheinend zur Persona non grata wurde: Schlamm im Knieperteich. 

Denn: Der Teich verlandet zusehends und aufgrund der niedrigen Wassertiefe können Ruderboote schon lange nicht mehr vermietet werden, sie laufen auf Grund. Das könnte auch für die im Schadensfall haftende Stadt Stralsund zum Risiko werden. Von einer latenten Munitionsbelastung der Stralsunder Teiche weiß man im Rathaus nämlich schon eine ganze Weile. 

Weltkriegsmunition: Kampfmittel in Stralsunder Teichen

Als Linke um Prüfung bat, ob der Bootsverleih bei sinkender Wassertiefe in einem munitionsbelasteten Teich überhaupt noch betrieben werden darf, fragte die Stadt beim Munitionsbergungsdienst (MDB) an. In der Anfrage an den MBD, die KATAPULT MV vorliegt, wird die sinkende Wassertiefe jedoch gar nicht erwähnt. 

So stellte der MBD im letzten Jahr klar: Einem Bootsverleih am Knieperteich steht nichts im Wege. Auf KATAPULT MV Nachfrage teilte das Innenministerium im Juni jedoch mit, dass dem MDB, abgesehen von den Tiefenkarten des Umweltministeriums, keine Angaben oder Erkenntnisse zur sinkenden Wassertiefe im Knieperteich vorliegen. Munitionsfunde im Uferbereich des Teiches, den die bekannten Weißen Brücken teilen, habe es jedoch schon gegeben. Ein Grund für Linke, keine Boote mehr zu verleihen, denn die Ruder stoßen in den möglicherweise munitionsbelasteten Schlamm. 

Linke, der eigentlich als sachkundiger Einwohner für die SPD im Sportausschuss saß, hat nach der Eskalation durch die fristlose Kündigung sein Amt dort niedergelegt. Es scheine ihm, als ginge es der Stadt in der Sache mehr um seine Person, als um das eigentliche Pachtverhältnis. 

Jahrelanger Rechtsstreit?

Während im letzten Statement von Bürgergarten-Anwalt Mirko Brunken noch ausdrücklich steht, es sei zu empfehlen, die anvisierten Gespräche zwischen Pächter und Stadt wieder aufzunehmen, sieht es nun anders aus: Können sich Stadt und Pächter nicht über die Zukunft des Bürgergartens einigen, sieht Brunken in seinem erneuten Widerspruch zur zweiten fristlosen Kündigung nun den jahrelangen Rechtsstreit kommen. 

Nachdem die Stadt Stralsund mit einer Räumung zum 30. Juni drohte, passierte erstmal nichts. Der Betrieb im Bürgergarten zwischen Tretbooten, Grillhütten und Bootshaus lief weiter – Linke mittendrin. Weder am 30. Juni noch an den Folgetagen meldete sich die Stadt, oder gar die Polizei, erzählt Linke. Er sieht genau wie sein Anwalt keine Chance, einen handfesten Rechtsstreit noch zu verhindern, sollte die Stadt an der „unwirksamen fristlosen Kündigung“ festhalten. 

Befindet sich die Stadt noch auf rechtssicherem Terrain?

Doch bei einer Kündigung blieb es nicht. Nachdem bereits der ersten fristlosen Kündigung seitens des Bootsverleihs widersprochen wurde, kam nun die zweite. 

Bei der Begründung des neuen Anlaufs der Hansestadt wird es nun aber noch obskurer: Hieß es in der ersten fristlosen Kündigung im Juni noch, man kündige aufgrund von Zahlungsverzögerungen und dem Nicht-Erfüllen des Pachtvertrags, wird es nun persönlich. 

Bert Linke soll mit „beleidigenden Kommentaren“ im Internet in vermeintlich ehrverletzender Weise rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht der Stadt und ihrer Vertretungsorgane eingegriffen haben. Doch ist das eine rechtssichere Begründung, um jemanden rauszuschmeißen?

Äußerungen, die zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden oder solche, die aus einer Provokation heraus oder im Zusammenhang mit einer bereits vorgegebenen streitigen Atmosphäre erfolgen oder einer momentanen, vereinzelt gebliebenen Unbeherrschtheit entspringen, stellen nicht automatisch einen Grund zur Kündigung dar.

Mirko Brunken, Rechtsanwalt 

Dass Linke mittlerweile kein Blatt mehr vor den Mund nimmt, sei auch seiner „eklatant existenzbedrohenden Lage“, „den räuberischen Aktivitäten“ und Provokationen seitens der Stadt geschuldet. Der Oberbürgermeister habe den Pächter auf einer Veranstaltung im Bürgergarten in seiner Eröffnungsrede provoziert, heißt es. Daraufhin forderte Linke dessen Rücktritt – und bekommt dafür in den sozialen Medien enormen Zuspruch aus der Bevölkerung. Genauer gesagt ging es um die Ansprache des OB, der sich zuvor zehn Jahre lang nicht im Bürgergarten hat blicken lassen, so Linke.

Die öffentlichen und im Netz von Linke artikulierten Rücktrittsforderungen gegenüber Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) sollen also auch ein Grund zum Rausschmiss sein – juristisch laut Brunken jedoch nicht haltbar. Auch gegenüber der Stadt machte der Rechtsanwalt dies im Widerspruch deutlich. So seien politische Akteure immer wieder mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Diese könnten „erfahrungsgemäß auch gut damit leben“, ohne sich dadurch „in ihrer Ehre gekränkt“ zu fühlen oder „das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen“ zu sehen. Offensichtlich handele es sich hierbei lediglich um einen „zusätzlichen vorsorglichen Grund“, um Bert Linke als Pächter loszuwerden. Schließlich gab Linke dem Bürgermeister auch noch den Spitznamen „Bad Row“, was unter anderem auf dem Ruderboot zu lesen war, mit dem er vor dem Rathaus dessen Rücktritt forderte. Übersetzt bedeutet dies so viel wie „schlechtes Rudern“ oder „schlimmer Streit“. Und es scheint: Besser wird der Streit zumindest gerade nicht. 

Es liegt hier weder eine Beleidigung, noch ein ehrverletzender rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Auch eine Rücktrittsforderung  gegenüber dem Oberbürgermeister der Hansestadt Stralsund ist an sich nicht  geeignet, einen langfristig abgeschlossenen befristeten Pachtvertrag aus wichtigem Grunde zu kündigen.

Mirko Brunken, Rechtsanwalt

OB forderte Rücktritt der Bundesregierung – konsequenzlos

Mit Rücktrittsforderungen hat OB Badrow nicht das erste Mal zu tun. Erst im letzten Jahr forderte er selbst den Rücktritt der gesamten Bundesregierung. Dies rief sogar das Innenministerium in Schwerin auf den Plan, das den Fall untersuchte. Denn als Amtsträger durfte Badrow dies aufgrund seiner Neutralitätspflicht überhaupt nicht. 

Kommentar: Herr Bürgermeister probt den Aufstand

Das Ergebnis: Auch wenn seine sozialen Kanäle eher offiziell nach Bürgermeister aussahen, habe er den Post als Privatperson geteilt. Also keine Konsequenzen für Badrow. Aber ein Nachgeschmack bleibt. Vor allem nachdem sich der OB auf den Energie-Demonstrationen der Bürger für Stralsund in bedrucktem T-Shirt mit der Aufschrift Privatperson sogar noch über den eigenen Eklat belustigte. 

Provokationen von beiden Seiten 

Den Antrag aus der Bürgerschaft kommentierte der Bürgergarten in alter Boxer-Manier in einem Facebookpost: „Die mutmaßlichen Speichellecker der CDU engagieren sich plötzlich für die Philosophie des Bürgergartens.“

So habe dieselbe Partei 2019 per Bürgerschaftsbeschluss genau gegen den Bürgergarten und die Philosophie von Bert Linke“ gestimmt. „Unabhängig von dieser Verlogenheit sei erwähnt, dass wir einen rechtsgültigen Pachtvertrag bis 2053 haben.“ 

Zu Beginn der Sitzung appellierte Bürgerschaftspräsident Peter Paul (CDU) erneut an die Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder. Scheinbar seien außerhalb der Rathausmauern nicht-öffentliche Informationen im Umlauf. Ein Beispiel: die Social-Media-Kommentarspalten Stralsunds und des Bürgergartens überschlagen sich. Und: Sie enthalten teils auch vermeintlich nicht-öffentliche Informationen, Theorien und harte Meinungen über die Vorgehensweise der Stadt. 

Stralsunder:innen fordern Transparenz von der Stadt 

Selten wurde in Stralsund ein städtisches Pächter-Verhältnis so lange und rege im Netz diskutiert. Nicht zuletzt auch aufgrund des Engagements der Community am Knieperteich, die auf den Social-Media-Seiten des Bürgergartens minutiös jedes neue Ereignis, jede Berichterstattung und auch jede Äußerung der Gegenseite transparent macht. Postings, die teils auch mit einer Wortwahl um ihr Anliegen kämpfen, die nicht jedem schmeckt. Im Gegensatz zu den eher wortkargen Statements auf den Kanälen der Stadt, die zwar hunderte Kommentare und Fragen bei den Stralsunder:innen auslösen, jedoch dann gar nicht darauf reagiert. 

Viele Stralsunder:innen wünschen sich mehr Transparenz zur Vorgehensweise der Stadt in der Causa Bürgergarten. Das wird durch die Debatte im Netz und in der Stadt deutlich. Dass der Ort für viele nicht nur ein Stück Kindheitserinnerung, sondern auch ein letztes Stückchen Widerstand bedeutet, auch. 

Eine Anfrage an die Stadt nach dem Informationsfreiheitsgesetz über die Plattform Frag den Staat soll nun Transparenz schaffen. Bis zum 8. August muss die Stadt dort reagieren. Bislang steht eine Antwort noch aus. 

Quellen

  1.  E-Mail von Bert Linke am 21.6.23.
  2. Büssow-Krämer, Wenke: Debatte um Stralsunder Bürgergarten geht weiter: Zweite fristlose Kündigung, auf: ostsee-zeitung.de (17.7.23).
  3.  E-Mail von Bert Linke am 15.7.23.
  4. Bürgergarten: Protestaktion vor dem Rathaus am 15.6.2023 ,auf: facebook.com.
  5. Innenministerium MV (Hg.): Kein Disziplinarverfahren gegen Stralsunds Oberbürgermeister Badrow, auf: presseportal.de (28.9.23)
  6. Hansen, Anna: Innenministerium prüft Aufrufe des OBs: Großdemo in Stralsund – Teilnehmerzahlen überschätzt, auf katapult-mv.de (27.9.23).
  7. Facebookpost des Bürgergartens am 12. Juli, auf: facebook.com (12.7.23).

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