Anlässlich des Gedenkens an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vor 30 Jahren organisierten die Antirassismus-Initiativen „Pro Bleiberecht“ und die Interventionistische Linke Rostock am Sonntag eine Kundgebungstour durch Meck-Vorp. Unterstützt wurde die Tour von dem Bündnis „Gedenken an das Pogrom Lichtenhagen“, das am Samstag eine Großdemo in Lichtenhagen organisiert.
Die Kundgebungstour führte zu Orten in MV, die inhaltlich und symbolisch für institutionellen Rassismus und Widerstände dagegen stehen: Von der Solidarität jüdischer Aktivist:innen im Oktober 1992 vor dem Rostocker Rathaus, über die Bleiberechtskämpfe vietnamesischer Vertragsarbeiter:innen Mitte der Neunziger Jahre vor dem zuständigen Innenministerium in Schwerin bis hin zu den Protesten Asylsuchender in den Zweitausendern vor der Erstaufnahmeeinrichtung in Nostorf-Horst, der Nachfolgeeinrichtung der Zentralen Aufnahmestelle für Asylsuchende, die bis 1992 im Sonnenblumenhaus in Rostock untergebracht war.
Zentrale Anliegen der Initiativen sind: „Bewegungsfreiheit für alle! Alle Lager schließen! Rassistische Gesetze abschaffen! Abschiebungen stoppen!“
Folgen des Pogroms in MV und Deutschland
Mit der Kundgebungstour wollten die Organisator:innen über das kommunale Gedenken in Rostock hinausgehen. In Schwerin eröffnete Simone Burckhardt von „Pro Bleiberecht“ die Infoveranstaltung. Mit den drei Stationen wolle man die Perspektive auf das Pogrom räumlich und zeitlich erweitern, erklärt die Aktivistin. Am Pfaffenteich in Schwerin, direkt gegenüber des Innenministeriums, haben die Organisator:innen auf die Kontinuität von institutionellem Rassismus hingewiesen und Verantwortliche benannt.
In Schwerin habe man darauf aufmerksam machen wollen, dass von der Politik kein Schutz für die von dem Pogrom Betroffenen ausging, obwohl Gewalt im Vorfeld angekündigt worden sei, so Burckhardt. Außerdem hätte das Pogrom als Begründung für eine Asylgesetzverschärfung des Bundes gedient, die nach dem Pogrom in Lichtenhagen beschleunigt vorangetrieben wurde. Und bis heute hätten die Betroffenen keine Entschädigung bekommen.
An die Darstellung der Ziele und Forderungen der Initiativen schloss sich die Aufführung des Hörspiels „Das Sonnenblumenhaus“ von Dan Thy Nguyen und Iraklis Panagiotopoulos an. Das Hörspiel basiert auf dem gleichnamigen Bühnenstück, das der Theaterregisseur Nguyen 2014, damals von der Öffentlichkeit nahezu unbeachtet, in Hamburg uraufführte. Die Hörspielversion hingegen wurde 2015 mit der „Chemnitzer HörNixe“ ausgezeichnet. Das erfolgreiche Radiohörspiel schildert die Ereignisse in den Tagen des Pogroms aus der Perspektive der angegriffenen Vietnames:innen. Entgegen der vorherrschenden Berichterstattung, die überwiegend die Täter:innen und deren Motive beschreibt, wird in dem Hörspiel detailliert die Betroffenenperspektive eingenommen.
Der Regisseur Nguyen war aus Hamburg angereist, um persönlich die Bemühungen zu einem verantwortungsvollen Umgang und der kritischen Reflexion mit dem Pogrom im August vor 30 Jahren zu unterstützen. Nach der akustischen Präsentation seines Hörspiels diskutierte er mit Anwesenden über den aktiven Widerstand gegen Alltags- und institutionellen Rassismus. Nguyen forderte nachdrücklich die politische, soziale und wissenschaftliche Aufarbeitung des Pogroms von Lichtenhagen.
„Wir müssen das Pogrom von Lichtenhagen, aber auch die Gewalttaten von Mölln und Solingen als Teil unserer gemeinsamen Geschichte annehmen.“ Vor dem Eingang des Innenministeriums fordert Nguyen: „Ich erwarte von Schwerin, einzusehen, dass es nicht nur ein Rostock-Problem ist, sondern eins des gesamten Bundeslandes. Und das erwarte ich auch von Berlin.“
Von den Regierungs- , wie auch den Oppositionsparteien beteiligten sich keine Vertreter:innen an der Infoveranstaltung. Nach Angaben der Organisator:innen beteiligten sich 70 Personen in Rostock, 85 in Schwerin und 150 in Nostorf-Horst an den Kundgebungen.
Unsere nächste Zeitung ist eine Sonderausgabe zum Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992. In dieser schreibt Dan Thy Nguyen einen Gastbeitrag über den Kalten Krieg, die vietnamesische Community und rechte Angriffe. Die Ausgabe erscheint am Freitag, den 26. August, und kann im KATAPULT-Shop bestellt werden.