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Jahresrückblick

Lieber studieren

Studium und Ausbildung sind bewährte Wege ins Berufsleben. Eines von beiden erfreut sich in MV und bundesweit seit Jahren wachsender Beliebtheit, das andere verliert an Bewerber:innen. Daran hat sich auch 2021 wenig geändert.

In ganz Deutschland schrieben sich 2021 weniger Studieninteressierte an Unis und Fachhochschulen ein, wie die Quote der Studienanfänger:innen zeigt. Als eines von wenigen Bundesländern ist Meck-Vorp von dieser Tendenz weniger stark betroffen. Hier sank zwischen den Wintersemestern 2018/19 und 2021/22 die Zahl der Erstsemester nur um gut ein Prozent, von 6.925 auf 6.837. Anders sieht es in Baden-Württemberg aus. Dort reduzierte sich die Zahl der Erstsemester um über zwölf Prozent, von 74.138 auf 64.887. Bundesweit schrumpfte die Quote in diesem Zeitraum um rund zwei Prozent. Die rückläufigen Zahlen liegen allerdings nicht ausschließlich in der pandemischen Lage begründet, sondern auch im demografischen Wandel und in länderspezifischen Schul- und Hochschulregelungen.

Sinkende Ersti-Quote, doch insgesamt mehr Studierende

Obwohl die Quote der Erstsemester sank, stieg bundesweit die Gesamtzahl der Studierenden. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen zeitgleich an Hochschulen eingeschrieben, also immatrikuliert sind – auch in Mecklenburg-Vorpommern. Im Wintersemester 2018/2019 waren es dort insgesamt 38.347 Menschen. Drei Jahre später, im Wintersemester 2021/22, studieren in MV knapp 1.000 Personen mehr. Mit 20.000 Studentinnen schlagen außerdem mehr Frauen als Männer in Meck-Vorp den akademischen Bildungsweg ein.

In ganz Deutschland studierten im Wintersemester 2018/19 2.868.222 Personen, im Wintersemester 2021/22 hatte sich die Gesamtzahl um rund drei Prozent auf 2.947.495 erhöht. Das sind fast 80.000 Studierende mehr und damit ungefähr so viele Menschen, wie in Greifswald und Waren (Müritz) zusammen wohnen.

Dass weniger Menschen ein Studium beginnen, aber parallel die Gesamtzahl der Studierenden steigt, könnte beim ersten Lesen das stereotype Bild von faulen Studierenden wachrufen. Allerdings sind die Gründe dafür mannigfaltig, dass Studierende ihr Studium nicht innerhalb der Regelstudienzeit abschließen. Oft sind beispielsweise Finanzierungsprobleme, Familienplanung, längere Praktika oder Promotionen ausschlaggebend. Aber auch psychische Probleme oder Fachwechsel zählen in die Statistik – ebenso wie diejenigen, die nur für Vorteile wie das Studiticket eingeschrieben sind. Sicherlich beeinflusst auch die bei den bestehenden Anforderungen knapp bemessene Regelstudienzeit die Gesamtzahl der Studierenden.

Studieren wird immer populärer, eine Ausbildung zu machen eher nicht

Trotz der aktuell rückläufigen Quote der Studienanfänger:innen belegt die Hochschulstatistik seit Jahren einen stetigen Zulauf an Unis und FHs. Diese sogenannten Akademisierung beobachten auch die Handwerkskammern in Mecklenburg-Vorpommern, wie sie auf Anfrage von KATAPULT MV mitteilten. Von 2005 bis 2020 sei in MV der Anteil der Schulabsolvent:innen mit Hochschulreife von 24 auf 37 Prozent gestiegen. Rund ein Drittel der Absolvent:innen hat die Voraussetzungen für ein Studium und nutzt sie in der Regel auch.

Vor allem im bundesweiten Vergleich wird deutlich, dass Studieren immer populärer wird. Seit den doppelten Abiturjahrgängen Ende der 2000er-Jahre immatrikulieren sich pro Jahr doppelt so viele Menschen an Unis und Hochschulen, wie überhaupt Abitur oder Fachabitur machten. Bundesweit absolvierten 2020 beispielsweise rund 248.250 Schüler:innen ihr Abi oder Fachabi, aber rund 500.000 Erstsemester begannen zu studieren. Zum einen besteht diese Differenz, weil viele nach der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr, einen Bundesfreiwilligendienst, Work and Travel oder etwas anderes machen. Zum anderen holen einige der jährlich rund 333.000 Real- und 124.000 Hauptschulabsolvent:innen ihr (Fach)Abi nach. Diejenigen, die sich gegen (Fach)Abi und einen von bundesweit ungefähr 19.000 Studiengängen entscheiden, wählen oft einen von rund 330 Ausbildungsberufen.

Analog zur wachsenden Zahl der Studierenden nimmt die Zahl der Auszubildenden seit Jahren kontinuierlich ab – auch in MV. Insgesamt begannen hierzulande 13.500 Personen 2020 eine duale oder schulische Ausbildung oder wählten über den Übergangssektor ihren Weg in eine Berufsausbildung. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen absolvierten 2020 rund 192.060 Lehrlinge eine Ausbildung. NRW ist auch das einzige Bundesland, in dem es mehr Bewerber:innen auf Ausbildungsplätze als Ausbildungsangebote gibt. In allen anderen Bundesländern herrscht der sogenannte Ausbildungsstellenüberhang. Einen Ausbildungsstellenüberhang bescheinigen die Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwerin und die beiden Handwerkskammern auch MV. „Allein in den letzten drei Jahren sank die Bewerberzahl um knapp 29 %, die der Berufsausbildungsstellen ‚nur‘ um 5,5 %“, so die Handwerkskammern. 2020/2021 standen 6.288 Bewerber:innen 10.182 Berufsausbildungsstellen gegenüber.

Fachkräftemangel

Aus den sinkenden Ausbildungszahlen resultiert der viel diskutierte Fachkräftemangel. Ihn begründet Peter Todt von der IHK Schwerin weniger mit der Corona-Pandemie als mit dem demografischen Wandel: „Es scheiden doppelt so viel Arbeitnehmer aus Altersgründen aus dem Arbeitsprozess aus, wie Schulabgänger nachrücken.“ Insgesamt beobachtete die IHK für alle Berufe in ihrem Zuständigkeitsbereich einen Rückgang. Während im Jahr 2012 noch 1.405 Ausbildungsverträge geschlossen wurden, waren es 2019 nur noch 1.252 Neuverträge. Todt berichtet, dass Corona nur 2020 zu einem „kurzfristigen Einbruch“ im Ausbildungsgeschenen geführt habe. Damals sei die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf 1.138 Verträge abgefallen, inzwischen habe sie sich wieder bei 1.208 stabilisiert.

Am häufigsten schlossen Lehrlinge in MV 2021 die IHK-Berufe Kauffrau/-mann im Einzelhandel, Verkäufer:in und Kauffrau/-mann für Büromanagement ab. Die am wenigsten gefragten Ausbildungsberufe der IHK sind neben Süßwarentechnolog:in auch Naturwerksteinmechaniker:in – für die Berufe werden aber auch nur wenige Plätze angeboten. Der Frauenanteil in Berufsausbildungen der IHK nimmt seit 2017 konstant zu, da die Anzahl der männlichen Auszubildenden abnimmt. So betrug der Frauenanteil 2021 38 Prozent (744 Männer/464 Frauen), gegenüber 36 Prozent im Jahr 2017 (816 Männer/474 Frauen).

Ein anderes Bild der Ausbildungssituation im Handwerk zeichnen die Handwerkskammern (HWK) Ostmecklenburg-Vorpommern und Schwerin auf Anfrage von KATAPULT MV. Seit 2014 sei eine Trendumkehr zu erkennen und die Ausbildungszahlen nähmen zu. Trotz tendenziell negativer Auswirkungen der Corona-Pandemie im Jahr 2020 auch auf handwerkliche Ausbildungen habe sich „das Handwerk überwiegend als robust erwiesen“. 2021 registrierten die HWK ein deutliches Plus an Neuverträgen im Vergleich zum Vorjahr – und auch zu 2019, dem Vor-Corona-Jahr. 2.150 Menschen begannen 2021 ihre handwerkliche Berufsausbildung und damit 140 mehr als 2019 – trotz Corona. Die Entwicklung im Handwerk in MV verläuft damit entgegen dem Bundestrend, so die HWK. Laut Jahresbilanz der Handwerkskammern in MV sind die Berufe Kfz-Mechatroniker:in und Tischler:in besonders gefragt – was wiederum dem deutschlandweiten Trend entspricht. Auch beim Frauenanteil bewegt sich das Handwerk in MV mit rund 16 Prozent auf Bundesniveau (17 Prozent).

Unabhängig von der Corona-Pandemie gehen die Ausbildungszahlen in ganz Deutschland seit Jahren zurück. Faktoren wie der demografische Wandel oder dass immer mehr Ausbildungsberufe zu Studiengängen umfunktioniert werden, bedingen den Rückgang. Außerdem ist die gesellschaftliche Anerkennung von Ausbildungen weniger hoch als die eines Studiums – und das Risiko, arbeitslos zu werden, höher. Weiter sind die Chancen auf Wohlstand geringer. Ein Beispiel: In Mecklenburg-Vorpommern verdienen Ärztinnen und Ärzte durchschnittlich 6.100 Euro brutto, Arzthelfer:innen hingegen durchschnittlich 2.196 Euro. Zugegeben, nicht bei allen Ausbildungsberufen im Vergleich zu Studienberufen klafft die Gehaltslücke so stark. Trotzdem muss kritisch hinterfragt werden, wie verhältnismäßig die meist unterschiedliche finanzielle Entlohnung von Menschen mit Ausbildung und Studium ist. Sie impliziert, dass Ausbildungsberufe weniger wertvoll und damit weniger relevant sind als solche Berufe, die einen akademischen Abschluss erfordern. Eine Gesellschaft benötigt jedoch beide, denn auf den Intensivstationen arbeiten Ärztinnen und Ärzte gemeinsam mit Arzthelfer:innen daran, Menschen zu retten. Und auch die Energiewende gelingt nur mit Ingenieur:innen, die Solaranlagen konzipieren – und Handwerker:innen, die diese anschließend montieren.

Quellen

  1. Die beschreibt, wie viel Prozent eines Geburtsjahrgangs ein Studium aufnehmen.
  2. Statistisches Bundesamt (Hg.): Studienanfänger/-innen im 1. Hochschulsemester nach Bundesländern, auf: destatis.de (26.11.2021).
  3. Statistisches Bundesamt (Hg.): Schnellmeldungsergebnisse der Hochschulstatistik zu Studierenden und Studienanfänger/-innen, S.11, auf: destatis.de (26.11.2021).
  4. ebd.
  5. Statistisches Bundesamt (Hg.): Zahl der Studierenden im Wintersemester 2020/2021 auf neuem Höchststand, auf: destatis.de (11.12.2021).
  6. Statistisches Bundesamt (Hg.): Studierende nach Bundesländern, auf: destatis.de (26.11.2021).
  7. Statista (Hg.): Anzahl der Schulabsolventen/ -abgänger in Deutschland im Abgangsjahr 2020 nach Abschlussart, auf: statista.com (22.9.2021).
  8. Bundesagentur für Arbeit (Hg.): Ausbildung oder Studium?, auf: arbeitsagentur.de.
  9. Nationaler Bildungsbericht (Hg.): Bildung in Deutschland 2020, auf: bildungsbericht.de.
  10. Die zwei voll qualifizierenden Sektoren sind die duale und die schulische Ausbildung. Bei der schulischen Ausbildung lernen die Absolvierenden nur in der Schule. Anders bei der dualen Ausbildung, bei der die Auszubildenden in der Berufsschule die Theorie und in ihrem Betrieb die Praxis lernen. Der dritte Sektor ist der Übergangssektor, in dem Menschen ohne Abschlüsse in den Beruf überführt werden.
  11. Statistisches Bundesamt (Hg.): Integrierte Ausbildungsberichterstattung. Anfänger/innen, Teilnehmer/innen und Absolvent/innen im Ausbildungsgeschehen nach Sektoren/Konten und Ländern – 2020, auf: destatis.de (17.12.2021).
  12. ebd.
  13. Bundesagentur für Arbeit (Hg.): Weniger Bewerbungen um Ausbildungsplätze, auf: arbeitsagentur.de (8.3.2019).
  14. Bundesagentur für Arbeit (Hg.): Arbeitsmarkt nach Qualifikationen – Deutschland, West/Ost und Länder (2020), auf: arbeitsagentur.de.
  15. Bundesagentur für Arbeit (Hg.): Entgeltatlas, auf: arbeitsagentur.de.

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