8.900 Beschäftigte haben 2020 ihren Beruf in Tourismus, Hotel- und Gaststättengewerbe verlassen. Das sagen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Die meisten, nämlich 2.000 Beschäftigte, wechselten dabei in die Verkaufsbranche. Dahinter liegen absteigend Büro und Verwaltung, Lebensmittelherstellung und -verarbeitung, die Reinigungsbranche und Verkehr und Logistik. Auch in Erziehungs- und Hauswirtschaftsberufe beziehungsweise in medizinische Gesundheitsberufe wechselten Beschäftigte.
Gleiche Zielbranchen wie deutschlandweit
Hinsichtlich der neuen Berufsfelder nach dem Jobwechsel zeigt sich in MV eine ähnliche Tendenz wie deutschlandweit. Dazu wertete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) für eine Studie Anfang Juli Zahlen der Arbeitsagentur bezüglich der Wanderungsbewegungen auf dem Arbeitsmarkt 2020 aus. Das Ergebnis: Die Menschen, die Tourismus, Hotel- und Gaststättengewerbe verlassen haben, wechselten zumeist in den Verkauf, zu Verkehr und Logistik, in die Unternehmensführung und -organisation, zur Lebensmittelherstellung und -verarbeitung oder in Reinigungsberufe.
Größtenteils Seiteneinsteiger:innen abgewandert
Die Folgen und Auswirkungen des Arbeitskräfteverlustes sind in MV immens, sagt der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes MV (Dehoga MV), Lars Schwarz. Betriebe müssten unter anderem auf mehr Ruhetage, weniger Service und andere Küchenzeiten umstellen, um den Personalmangel auszugleichen. Auch Zwangsschließungen habe es gegeben, so der Landesverbandschef. Und dabei handele es sich bei den 2020 aus der Branche abgewanderten Beschäftigten zum größten Teil „nur“ um Seiteneinsteiger:innen und nicht um ausgebildete Fachkräfte, so seine Einschätzung. Und dennoch verschärfe die Abwanderung den bereits vor der Pandemie bestehenden Fachkräftemangel.
„Opfer unseres eigenen Erfolgs“
Dieser bestehe nicht nur in MV, Norddeutschland oder in der Gastro- und Tourismusbranche, so Schwarz. Aber gerade diese sei bis 2019 sehr erfolgreich gewachsen. Demzufolge habe sich auch der Bedarf an Arbeitskräften erhöht, immer mehr Beschäftigte seien eingestellt worden. Insgesamt sei die Branche jedoch „schneller und stärker gewachsen, als Arbeitskräfte nachgeneriert werden konnten“. Zwar habe der Bedarf unter anderem durch Arbeitskräfte aus dem Ausland, aus Polen oder der Ukraine, teilweise kompensiert werden können, doch gerade diese seien dann eben durch Coronabeschränkungen wie etwa Grenzschließungen schnell wieder weggefallen.
Vielen fehlte die Perspektive
Ähnlich sei das mit Seiteneinsteiger:innen aus Pflege oder anderen Berufsgruppen, die vor Pandemiebeginn eingestiegen sind. Auch sie habe man aufgrund des Fachkräftemangels gerne genommen, jedoch fehlte ihnen durch die erst kurze Arbeitszeit in der Branche etwa die enge Bindung zu den jeweiligen Unternehmen. Und auch eine Perspektive sei ihnen durch die Corona-Einschränkungen weggebrochen. „Wenn wir ihnen nicht sagen, wann es wieder losgeht, dann schauen sie sich anderweitig um.“ Das habe er damals schon prophezeit, erzählt Schwarz.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch die IW-Studie. Während der Lockdowns habe aufgrund der wirtschaftlichen Situation auch in Tourismus und Gastronomie nur „eine geringe Jobsicherheit signalisiert“ werden können. Da aber „das Sicherheitsbedürfnis der Beschäftigten in der Krisenzeit stark zugenommen“ habe, gewannen gerade Berufe an Beliebtheit, „die eine hohe Stabilität signalisieren“. Auch, dass Beschäftigte sich nach alternativen Beschäftigungen umgesehen und „die Arbeitsbedingungen in anderen Berufen kennen- und schätzen gelernt“ hätten, erkläre die Abwanderung.
Vorhandene Potenziale schöpfen
Doch was nun? Schwarz sieht für seine Branche erstmal keine weiteren Wachstumsaussichten. Darüber brauche jetzt gar nicht geredet werden, so der Dehoga-Chef. Vielmehr müssten nun massive Schritte eingeleitet werden, um den bisherigen Trend hinsichtlich des Fachkräftebedarfs zu stoppen – bevor es noch schlimmer werde. Schwarz sieht die beste Option darin, „bereits vorhandene Potenziale zu heben“. Also etwa Langzeitarbeitslose, Menschen mit Handicap oder Geflüchtete schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Des Weiteren müssten Anreize für aus MV weggezogene Fachkräfte gesetzt werden, zum Beispiel durch Aufstiegs- und Übernahmemöglichkeiten vor Ort.
Und auch die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland hält er für unerlässlich. Denn durch die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland gehe die „Ressource menschlicher Arbeitskraft“ hierzulande aus. Es gebe zu wenig junge Menschen und zu viele, die kurz vor dem Rentenalter stünden und dem Arbeitsmarkt demnächst verloren gingen. Diese müssen ersetzt werden. Um „Regelungen zur Fachkräfteeinwanderung“ komme man zur Behebung des Fachkräftemangels nicht herum, heißt es auch in der IW-Studie zum Abschluss.
Fachkräftestrategie Anfang 2023 erwartet
Was von diesen Möglichkeiten auch landespolitisch künftig Unterstützung finden soll, hängt wohl auch von der bereits angekündigten Fachkräftestrategie ab, die allerdings nicht zeitnah erwartet werden kann. Nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums ist die „Fertigstellung einer ersten Auflage der Strategie (…) für das 1. Quartal 2023 vorgesehen“. Diese soll dann helfen, die Sicherung des Fachkräftebedarfs anzugehen. Bereits feststehende und konkrete Bestandteile der Strategie nannte das Ministerium auf Nachfrage nicht. Die konkreten Inhalte stünden noch zur Diskussion, so eine Sprecherin. Die Strategie soll wohl aber auf vier Säulen basieren: Fachkräfte qualifizieren, Erwerbspotenziale sichern und ausschöpfen, Fachkräfte aus In- und Ausland gewinnen und attraktive Arbeitsbedingungen schaffen.
Um die Strategie zu entwickeln und später auch umzusetzen, wurden von der Landesregierung zwei Gremien gebildet. In der internen Projektgruppe beteiligen sich verschiedene Ressorts der Landesregierung, der externe Beirat setzt sich aus 40 Vertreter:innen verschiedener Institutionen – etwa der Bundesagentur für Arbeit, von Unternehmensverbänden und Gewerkschaften – und einzelner Unternehmen zusammen. Nach Angaben des Ministeriums befinden sich beide Gremien derzeit in „thematischen Workshops (…), deren Ergebnisse in die Strategie einfließen werden“.