Zum Inhalt springen

Krankenhäuser

Mehr Infektionen trotz erhöhter Hygienemaßnahmen

Von

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Artikel teilen

Gestern stellte die Landesvertretung der Barmer Ersatzkasse den aktuellen Krankenhausreport vor. Dieser fokussiert sich thematisch auf Krankenhausinfektionen – sogenannte nosokomiale Infektionen – während der Corona-Pandemie 2020. Aus dem Bericht geht hervor, dass während der ersten und zweiten Corona-Welle die Zahl der Krankenhausinfektionen zunahm. Hochgerechnet auf Mecklenburg-Vorpommern steckten sich etwa 620 Patient:innen mehr an als in den Vorjahren. Insgesamt waren mehr als 12.600 Patient:innen betroffen. Auch die Zahl der Todesfälle erhöhte sich. So verstarben 2020 in MV, nach Hochrechnungen der Barmer, knapp 25 Menschen mehr an einer solchen Infektion.

Patient:innenspektrum und Hygienedefizit verantwortlich

Von den Ergebnissen sei man sehr überrascht gewesen, sagte der Landesgeschäftsführer der Barmer, Henning Kutzbach. Eigentlich habe man einen Rückgang der Infektionen aufgrund der strengeren Hygienemaßnahmen erwartet. Den Anstieg der Zahlen führt die Versicherung nun auf zweierlei zurück: Erstens habe sich in der Pandemie, gerade zu Beginn, das Patient:innenspektrum verändert. Es lagen vermehrt ältere und kränkere Patient:innen in den Krankenhäusern, die anfälliger für Infektionen sind. Und zweitens sei die Arbeitsbelastung des Klinikpersonals während der Pandemie immens gestiegen. Gerade in der ersten Welle habe es zudem noch an Schutzausrüstung gefehlt. Daraus hätten sich Hygienedefizite ergeben, welche aber nicht als Kritik am Krankenhauspersonal ausgelegt werden dürften, so Kutzbach.

Mehr Hygienemaßnahmen, weniger multiresistente Keime

Die regionalverantwortliche Krankenhaushygienikerin der Helios-Kliniken, Kristina Biedermann, zeigte sich von den Ergebnissen des Reports ebenfalls überrascht. Sie könne die Zahlen so nicht bestätigen. Es falle ihr außerdem schwer, den Anstieg der Krankenhausinfektionen mit der Pandemie zu erklären. Mit Blick etwa auf multiresistente Keime hätten die verstärkten Hygienemaßnahmen eine positive Wirkung gezeigt. Dennoch sieht auch sie die Veränderung der Patient:innenstruktur. Gerade bei Schwerkranken auf der Intensivstation könnten die zahlreich benötigten Zugänge (Katheter usw.) Einfallstore für eine Ansteckung sein, vermutet sie.

Materialien waren zu jeder Zeit vorhanden

Im Hinblick auf mangelnde Schutzausrüstung des Krankenhauspersonals widerspricht Biedermann dem Barmer-Landesgeschäftsführer jedoch. Es habe zwar Lieferengpässe gegeben, doch seien zu jeder Zeit die notwendigen Materialien vorhanden gewesen. Niemand habe ohne entsprechende Ausrüstung an den Patient:innen gearbeitet, so Biedermann. Die Situation für die Krankenhausmitarbeiter:innen in der Pandemie habe sich aber natürlich verändert. Das sieht auch Bärbel Schmiedecke so. Sie ist leitende Hygienefachschwester an der Helios-Klinik Leezen. Jeden Tag „purzeln gesetzliche Regelungen auf uns ein“, meint sie. Die müssten alle gelesen, verstanden und aktuell umgesetzt werden. Das sei schon eine extreme Herausforderung für alle. Zusätzlich sei an den Kliniken ein hoher Krankenstand vermeldet worden, ergänzt Biedermann. Viele Mitarbeiter:innen seien in Quarantäne gewesen, weshalb beispielsweise Honorarkräfte hinzugezogen werden mussten. Diesen fehle einstweilen die Routine, weshalb nicht in jeder Minute alles so vonstatten gegangen sei wie sonst. Womöglich könne man in der fehlenden Qualität eine Ursache für vermehrte Infektionen identifizieren, formuliert Biedermann vorsichtig.

Keine weitere Ursachenforschung geplant

Wie geht es jetzt weiter? Auf die Frage, welche Infektionen konkret für den Anstieg der Erkranktenzahl verantwortlich sind, hat die Barmer mit ihrem Report keine Antwort gefunden. Zwar sind im Report die am häufigsten auftretenden Infektionen mit ihrer jeweiligen Auftrittshäufigkeit vermerkt – zum Beispiel sind 24 % der auftretenden Infektionen Wundinfektionen nach einer Operation. Doch welche davon genau für den Anstieg der Infiziertenzahl verantwortlich ist, bleibt offen. Man habe auch nicht vor, das weiter zu eruieren, sagt Kutzbach auf Nachfrage. Vielleicht werde man ein oder zwei Jahre nach Corona noch einmal eine Auswertung vornehmen, welchen Stellenwert Hygiene in der Pandemie bekommen habe.

Empfehlungen zu Hygieneverbesserungen

Die Barmer leitet aus ihren Erkenntnissen vier Forderungen ab. So empfiehlt sie erstens, zukünftig Hygienestandards in Krankenhäusern nicht nur intern regelmäßig zu überprüfen, sondern auch externe, unangekündigte Kontrollen durchzuführen. Zweitens müssten die Hygienestrukturen und -standards in den Kliniken ausgebaut werden. Zum Beispiel durch die Ausbildung und den Einsatz speziell geschulten Hygienefachpersonals. Drittens brauche es eine transparente und digitale Darstellung des Infektionsgeschehens bei Krankenhausinfektionen. Und viertens sollten Hygienestandards bereits in der Ausbildung wesentlich präsenter sein. Das unterstützt auch Kristina Biedermann – mit einem Zusatz. Denn in der pflegerischen Ausbildung habe Hygiene zum aktuellen Zeitpunkt bereits einen großen Stellenwert. In der ärztlichen Ausbildung hingegen stimme der Stellenwert bisher noch nicht. Dort müsse das Bewusstsein weiter gestärkt werden.

MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo!

Fußnoten

  1. Krankenhausinfektionen sind schwere Infektionen, die in Verbindung mit einem Krankenhausaufenthalt stehen. Sie führen meist zu schwerwiegenden Komplikationen. Bei einer Krankenhausinfektion auftretende Krankheitsbilder sind beispielsweise Blutvergiftung, Lungenentzündung oder Harnwegsinfektionen.
  2. Augurzky, Boris et al.: BARMER Krankenhausreport 2021. Krankenhausinfektionen während der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020, Berlin 2021, S. 52.
  3. ebd, S. 96.

Autor:innen

Redakteurin bei KATAPULT MV.

Neueste Artikel

18.04.2024

Mission Dokumentation

Der Fotograf Martin Maleschka zieht seit zwanzig Jahren durch die ostdeutschen Bundesländer auf der Suche nach Baukunstwerken aus der DDR-Zeit. Er dokumentiert mit seiner Kamera, was noch erhalten wird, macht Fotos, wo einst Kunst war und heute nichts mehr geblieben ist. Auf einer gemeinsamen Spurensuche in Grimmen wird deutlich, was Maleschka antreibt – das kontinuierliche Verschwinden eines Teils seiner Heimat.

17.04.2024

Demokratie beschützen heißt Kultur beschützen

MVs Kulturlandschaft steht einer unmittelbaren Bedrohung gegenüber, wenn antidemokratische Positionen in der Kommunalwahl an Einfluss gewinnen. In Greifswald wurde erst kürzlich gegen mehrere Kultureinrichtungen von antidemokratischen Gruppierungen gehetzt. Diese seien „versiffte Buden“, „Brutstätten linker Subkulturen“ oder „kommunistische Kaderschmieden“. Warum schweigen so viele Kunst- und Kulturschaffende im Land?

17.04.2024

„Einen Blindflug können wir uns nicht leisten“

Elisabeth Mann Borgese und Maria S. Merian sind von Rostock aus auf den Weltmeeren unterwegs. Dabei sind nicht die Wissenschaftlerinnen persönlich auf hoher See, sondern zwei Forschungsschiffe, die nach ihnen benannt sind. Außerdem schippert die „Deneb“ von der Hansestadt aus über die Ostsee. Mecklenburg-Vorpommern ist mit Forschungsschiffen vielfältig aufgestellt. Forschende aus ganz Deutschland unternehmen auf ihnen Fahrten in die entlegensten Winkel der Ozeane. Die Planung der Missionen dauert oft mehrere Jahre.