Zum Inhalt springen

Autokorso von „Unternehmeraufstand MV“

Missbrauchen rechte Akteur:innen die Zukunftsängste von Selbständigen?

Von

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Artikel teilen

Am Ende reichte es nicht für die vom Veranstalter vorhergesagten 250 Fahrzeuge, die sich am Donnerstagnachmittag ihren Weg vom Stadthafen aus bahnten. Lediglich 88 Fahrzeuge und 150 Personen seien es gewesen, die im Korso ihren Forderungen Nachdruck verliehen, wie die Polizeiinspektion Rostock auf Nachfrage mitteilt. Forderungen, die es in sich haben.

Von den 88 teilnehmenden Fahrzeugen waren 31 LKW, wie die Polizei mitteilte. (Foto: Heiner L. Beisert)

Neben der Einführung von Maßnahmen, die die tatsächlich schwierige Lage von Unternehmer:innen im Land verbessern würden, wie etwa die Einführung eines Energiepreisdeckels oder aber substanzielle finanzielle Hilfen für kleine und mittelständische Firmen, fordern die Protestierenden auch die Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland, eine „freie und ehrliche Medienlandschaft“ oder gar Neuwahlen, wie Veranstaltungsleiterin Anja Lues am Donnerstag verlas. „Das sind alles Sanktionen, mit denen wir uns selbst schaden“, so Lues.

Deckungsgleich mit vielen der Forderungen der Montagsdemos, bekräftigten die Teilnehmenden ihren Wunsch zur Beendigung aller Sanktionen gegenüber Russland. (Foto: Heiner L. Beisert)

Dass derlei Forderungen auch montäglich vor dem Schweriner Schloss skandiert werden, sollte dabei nicht überraschen, ist doch der Anmelder des Rostocker Unternehmeraufstandes Jens Kaufmann, welcher als Anmelder und Organisator der Corona-Demonstrationen stadtweite Bekanntheit erlangte und inzwischen für den Posten des Oberbürgermeisters kandidiert. Auch Veranstaltungsleiterin Anja Lues, die ihre Kandidatur für das Amt zurückzog, hatte auf den Corona-Protesten bereits offizielle Funktionen. Grund genug für den Landesverfassungsschutz, hellhörig zu werden.

Dass extremistische Milieus Einfluss auf die Proteste gegen die Energiepolitik nehmen, gelte für den Inlandsnachrichtendienst inzwischen als gesichert, wie es aus dem Innenministerium heißt. Hierbei handele es sich jedoch nicht ausschließlich um Teilnehmer:innen. Auch unter den Anmelder:innen und Redner:innen fänden sich Personen, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen.

Gegen Jens Kaufmann, Anmelder der Veranstaltung, laufen Ermittlungsverfahren hinsichtlich von Verstößen gegen das Versammlungsrecht. (Foto: Heiner L. Beisert)

Unternehmer bedauert Spaltung des Mittelstandes

Dass sich in dieser Krise keine gemeinsame Protestform finden lässt, bedauern wiederum andere Unternehmer:innen. So auch der Rostocker Gastronom und Lokalpolitiker Andreas Szabó: „Ich finde, es geht in eine völlig falsche Richtung. Es ist nicht so, dass die Regierung schuld ist, dass wir kein Gas haben. In den Erzählungen derer, die bei diesem Korso mitmachen, hätten wir Putin provoziert, die Ukraine anzugreifen, sodass er gar keine Wahl mehr gehabt hätte“, so Szabó. Es sei „der Wahnsinn“, der hinter den Protesten stehe. Ein Zusammenkommen sei so kaum vorstellbar, so Szabó weiter. Für ihn steht fest: „Die Menschen, die diese Unternehmen führen, die sich an den ‚Unternehmeraufständen‘ beteiligen, kommen genauso wie viele Arbeitnehmer:innen aus dem Mittelstand.“ Wer aber irrationale Forderungen von sich gebe, verunmöglicht gemeinsame Anstrengungen der Unternehmer:innen im Land, auf die prekäre Lage aufmerksam zu machen.

Nationalkonservative Symbolik war an vielen der Fahrzeuge zu beobachten. (Foto: Heiner L. Beisert)
Aufgedruckt auf dem Montagewagen eines Handwerksbetriebes lässt sich ein Eisernes Kreuz erkennen. (Foto: Heiner L. Beisert)

Protest als Bestandteil einer landesweiten Aktion

Ausgangspunkt des Korsos sei eine Demonstration vor einem Monat in Neubrandenburg gewesen, an der laut den Veranstalter:innen 600 Fahrzeuge teilnahmen. Nach Polizeiangaben waren es rund 300. Auch gestern beteiligten sich nach Angaben der Behörden etwa 320 Autos. Neben Neubrandenburg und Rostock fuhren gestern auch in Schwerin, Stralsund, Greifswald, Barth, Parchim, Wismar und Güstrow Unternehmer:innen Korsos.

In Stralsund fuhren nach Polizeiangaben etwa 85 Fahrzeuge vom Hafen über die Rügenbrücke Richtung Bergen. Zu Beginn kam die Kolonne nur stockend voran, weil sich erst alle Fahrzeuge vom Treffpunkt zur Straße einreihen mussten.

In Stralsund haben sich etwa 85 Autos an der Protestaktion beteiligt, Start war am Hafengelände. (Foto: Anna Hansen)
Die Kolonne setzte sich dann über die Rügenbrücke in Richtung Bergen fort. (Foto: Anna Hansen)

Bei der Greifswalder Ausgabe gab es gleich zwei Gegenproteste: Während rund 160 Autos unterwegs waren, sammelte sich eine Gruppe junger Menschen mit Bannern rund um den Kreisverkehr am Hauptbahnhof, wo der Autokorso entlangführte. Zu einem zweiten hatte sich eine weitere Gruppe an der Europakreuzung versammelt. In Greifswald wollte laut Polizei zudem ein einzelner Fußgänger die Autokolonne an der Weiterfahrt hindern, indem er die Straße überquerte. Polizeibeamt:innen hielten ihn zurück. Außerdem hatten mindestens drei Krankenwagen Probleme, am Autokorso vorbeizufahren.

Start des Korsos im Greifswalder Gewerbegebiet „An den Bäckerwiesen“. (Foto: KATAPULT MV)
Im ersten Block fuhren über 20 LKW, teils mit Baufahrzeugen auf der Ladefläche. (Foto: KATAPULT MV)
Eine erste Gegenprotestaktion in Greifswald gab es am Hauptbahnhof. (Foto: Martje Rust)
Eine zweite Aktion am Rand der Innenstadt, wo der Greifswalder Autokorso ebenfalls vorbeifuhr. (Foto: Martje Rust)

MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo!

Fußnoten

  1. NDR (Hg.): Proteste gegen Energiepolitik: Erneut Tausende bei Demos in MV, auf: ndr.de (11.10.2022).
  2. NDR (Hg.): Neubrandenburg: Mehr als 2.500 bei Demo von Unternehmern und Handwerkern, auf: NDR.de (16.9.2022).

Autor:innen

Freier Fotograf aus Rostock.

Neueste Artikel

Angriffe auf Unterkünfte von Asylsuchenden und Ausländer:innen 1992: MV-Karte und Verlaufsdiagramm der Anzahl.

19.09.2024

Das versuchte Pogrom von Wismar

Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 war nicht der plötzliche Ausbruch rassistischer Gewalt, für den es immer gehalten wird. Es war Teil alltäglicher Aggressionen unter anderem gegen Asylsuchende und Obdachlose, die stetig eskalierten. Es war nicht ihr Höhepunkt, sondern wirkte wie das Startsignal zu weiteren Angriffen auf Asylunterkünfte in ganz MV. Ein Beispiel dafür sind die siebentägigen Attacken auf eine Unterkunft in Wismar-Friedenshof keinen Monat später.

17.09.2024

Polizist attackiert KATAPULT-MV-Journalisten

Auf dem CSD in Wismar wurde unser Chefredakteur von einem Polizisten mit einem Schlagstock attackiert. Das ist ein gewaltsamer Angriff auf die Pressefreiheit und auch einer auf eine friedliche Person. Was bedeutet das für den Journalismus? Wie sollen Pressevertreter:innen für alle erkennbar ihre Arbeit machen, wenn gleichzeitig Hunderte Rechtsextreme durch die Stadt ziehen?

15.09.2024

Rechtsextreme stören ersten CSD in Wismar

Am 14. September fand zum ersten Mal ein CSD in Wismar statt. Etwa 2.100 Menschen haben für queere Rechte friedlich demonstriert – wurden aber von rund 200 Rechtsextremen dabei gestört.