Nimmt man den familienpolitischen Kurs der AfD aus einer wirtschaftlichen beziehungsweise fachkräftespezifischen Perspektive in den Blick, lässt er sich so zusammenfassen: Die AfD möchte so viele „heimische Potenziale“ gezeugt sehen, wie nur möglich. In ihrem Programm zur Bundestagswahl fallen dazu Stichworte wie „Geburtensteigerung“ oder „demografische Wende“.1 Aus Sicht der Partei müssten in Deutschland wieder mehr Kinder geboren werden – auch um „Bestandserhaltung“ zu betreiben.2
Die Ursache dafür verortet die AfD unter anderem darin, dass „Einkommen, Karriere oder Selbstverwirklichung“ zu Ungunsten des Kinderwunsches nach vorn gestellt würden. Eltern, die für ihre Kinder zuhause bleiben, erführen gesellschaftliche Abwertung. Darüber hinaus könnten sich immer weniger Paare Erziehungsarbeit leisten.3
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Mehr InformationenFrauen bleiben eher Zuhause – für die AfD kein Problem
Als Lösung will die rechtsextreme Partei unter anderem eine Gebärprämie und ein Betreuungsgehalt einführen. Denn: Die Kinder können nach Meinung der AfD auch gut zuhause betreut werden.4 Doch wer bleibt eigentlich zuhause, wenn durch „soziales Marketing“, wie die AfD es ausdrückt, Paare zu immer mehr Kindern ermutigt werden? Die Frauen. So nahmen 2023 rund 44 Prozent der Mütter Elternzeit, wenn ihr jüngstes Kind unter 3 Jahre war war. Bei den Vätern taten dies nur drei Prozent.5 Die AfD sieht da offenbar kein Problem. Und so ordnet die Partei in ihrem Wahlprogramm Haushalt, Familien- und Erziehungsarbeit gleich ganz den Müttern zu.6
Und was ist mit den Vätern? Immerhin gehört zur Familie nach Auffassung der AfD neben Müttern und Kindern zwangsläufig auch noch ein Vater dazu – gleichgeschlechtliche Paare beispielsweise zählen demnach nicht darunter.7 Alice Weidel, Spitzenkandidatin der AfD, wird nicht ohne Grund regelmäßig auf den Widerspruch zu ihrer eigenen Familie angesprochen, lebt sie doch mit einer Partnerin zusammen.8
Einmal taucht der Begriff „Vater“ innerhalb des Programms in einem entsprechenden Kontext auf. Und zwar soll er neben der Mutter in der Kleinkindphase die Möglichkeit haben, ohne finanzielle Einbußen zu Hause zu bleiben oder Teilzeit zu arbeiten.
Auf zur neuen Fachkräftelücke?
Apropos zuhause bleiben: Dass mehr Frauen zwecks Kinderbetreuung beruflich zurücktreten, was die AfD befördern möchte, kann auch aus wirtschaftlicher Perspektive betrachtet werden. So argumentiert die Partei in ihrem Wahlprogramm im Kapitel zur Fachkräftegewinnung durch Migration zum einen, dass es beispielsweise in der Pflege gar keinen Fachkräftemangel gebe, weil die Qualifizierten eigentlich nur in andere Berufe abgewandert seien.9 Zum anderen will sie vor der Einwanderung aus Drittstaaten lieber auf besagte „heimische Potenziale“ zurückgreifen.10 Wenn die AfD nun Anreize dafür schaffen will, dass Frauen nicht nur mehr Kinder kriegen, sondern auch noch mehr zuhause bleiben, wie wirkt das dann auf die bereits bestehende Fachkräftelücke zum Beispiel in der Pflege? Dort sind aktuell vier von fünf Erwerbstätigen Frauen.11 Fordert man diese Frauen auf, zuhause zu bleiben beziehungsweise subventioniert diesen Schritt sogar, wird die Fachkräftelücke noch größer.12
An dieser Stelle kann darauf hingewiesen werden, dass Frauen in Deutschland immer noch einen durchschnittlich geringeren Stundenlohn haben als Männer. 2024 verdienten sie 16 Prozent weniger. Lässt man die höhere Teilzeitquote bei Frauen oder ihre häufigere Beschäftigung in schlechter bezahlten Jobs in der Berechnung außen vor, so ergibt sich immer noch ein Wert von sechs Prozent bei vergleichbarer Tätigkeit, gleicher Qualifikation und Erwerbsbiografie.13 Zugespitzt: Wer bleibt wohl zuhause bei den Kindern? Der Besserverdiener? Eher nicht.
Gegen Gleichberechtigung schon in der Kita
Diese Geschlechterrollen und das zugehörige Familienbild sollen Kinder und Jugendliche laut Wahlprogramm auch schon in Kita und Schule als die richtige Art zu leben, kennenlernen. „Ehe, Partnerschaft und Familienzusammenhalt“ gehören nach Willen der rechtsextremen Partei zukünftig auf den Stundenplan.14 Wie realistisch eine solche Forderung angesichts des föderalen Bildungssystems tatsächlich ist, ist eine andere Frage. Dass die Partei jedoch behauptet, die Auflösung von Geschlechterrollen führe quasi zwangsläufig zu einer „massiven“ Störung der Entwicklung von Kindern, zeigt ihre Einstellung zur Gleichberechtigung deutlich.15
Es erscheint fast ironisch, dass eine Partei, die Ehe und „das richtige Familienbild“ bereits in Kita und Schule vermitteln möchte, anderen Parteien politische Indoktrination bei Kindern und Jugendlichen vorwirft.16 Davor, dass diese selber denken, scheint sich die Partei aber durchaus auch schützen zu wollen. So setzt sie die Aufklärung über Kinderrechte gleich mit einem „Ausspielen der Jugendlichen und Kinder gegen ihre Eltern“ und fordert, Kinderrechte nicht ins Grundgesetz aufzunehmen.17 Inwiefern sich eine solche Forderung damit verträgt, dass an anderer Stelle von „kinderfeindlichen Faktoren“ die Rede ist beziehungsweise die Partei eine „kinderfreundliche Gesellschaft“ zum Staatsziel ins Grundgesetz schreiben will, bleibt dahingestellt.18
„Bestandserhaltung“ wichtiger als Frauenrechte
Fest steht, dass mehr Kinder für die Partei in der Familienpolitik oberste Priorität haben. Der Wunsch der Partei nach dieser „Bestandserhaltung“ macht auch vor dem Thema Abtreibung nicht Halt. Dass das Kapitel mit „Willkommenskultur“ überschrieben ist, zeigt bereits deutlich die darin verfolgte Richtung an. Die AfD erweckt hier den Eindruck, als sei eine Abtreibung für betroffene Frauen eine Alltäglichkeit. Außer eine Vergewaltigung oder gesundheitliche Gründe sind für die Partei offenbar genug, um eine Abtreibung zu rechtfertigen. Nicht nur will die Partei auch weiterhin, dass Abtreibungen strafbar bleiben. Dagegen sprechen sich unter anderem Landesfrauenräte schon seit Jahren aus.19 Auch soll die derzeit verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung nach Willen der AfD verschärft werden.
Dabei steht auch das Zeigen von Ultraschallbildern auf der Forderungsliste der Partei.20 Etwas, was zum Beispiel Sozialverbände aus MV vehement kritisieren. So zitiert der NDR aus einer Stellungnahme von unter anderem DRK, Awo und Caritas: „Internationale Erfahrungen zeigen, dass verpflichtende Ultraschallaufnahmen oder andere psychologische Druckmittel Frauen nicht zu einer anderen Entscheidung bewegen, sondern lediglich ihre psychische Belastung erhöhen.“21
Was Erfahrungen und Studien darüber hinaus ebenfalls zeigen ist, dass restriktivere Regeln im Umgang mit Abtreibungen nicht zu weniger Abtreibungen führen. Das versucht die AfD in ihrem Wahlprogramm Glauben zu machen. Vielmehr geht es darum, politisch zu beeinflussen, wie sicher Frauen sind, wenn sie sich für einen solchen Schritt entscheiden.
Weiterlesen:
- So tickt die AfD bei Energiepolitik
- So tickt die AfD zu Fachkräften im Gesundheitswesen
- AfD-Kandidierende im Überblick
- Was MV über die Bundestagswahl 2025 wissen muss
- AfD-Bundesverband (Hg.): Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2025, S. 145, auf: afd.de.
↩︎ - Ebd., S. 146. ↩︎
- Ebd., S. 147. ↩︎
- Ebd., S. 147-148.
↩︎ - Statistisches Bundesamt (Hg.): Personen in Elternzeit, auf: destatis.de.
↩︎ - AfD-Bundesverband 2025, S. 145. ↩︎
- Ebd., S. 144. ↩︎
- Spiegel.de (Hg.): Weidel sieht ihr Lebensmodell nicht im Widerspruch zu AfD-Familienbild, auf: spiegel.de (18.2.2025).
↩︎ - AfD-Bundesverband 2025, S. 111. ↩︎
- Ebd., S. 113.
↩︎ - Bundesagentur für Arbeit (Hg.): Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich, S. 7, auf: statistik.arbeitsagentur.de (Mai 2024).
↩︎ - AfD-Bundesverband 2025, S. 147.
↩︎ - Statistisches Bundesamt (Hg.): Gender Pay Gap sinkt 2024 im Vergleich zum Vorjahr von 18 % auf 16 %, auf: destatis.de (13.2.2025).
↩︎ - AfD-Bundesverband 2025, S. 146. ↩︎
- Ebd., S. 152. ↩︎
- Ebd., S. 151. ↩︎
- Ebd., S. 145-146. ↩︎
- Ebd., S. 147-148. ↩︎
- Landesfrauenrat MV (Hg.): Landesfrauenräte fordern: Die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs muss jetzt kommen!, auf: landesfrauenrat-mv.de (4.12.2024).
↩︎ - AfD-Bundesverband 2025, S. 149-150.
↩︎ - Ludmann, Stefan: Sozialverbände in MV warnen vor Abtreibungsplänen der AfD, auf: ndr.de (7.2.2025). ↩︎