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Muslimische Perspektiven

Moscheen zwischen Vorurteilen und Vernetzung

Über die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, wurde 2010 nicht nur in der CDU heftig gestritten. Heute, 15 Jahre nachdem der damalige Bundespräsident Christian Wulff die Frage bejahte, hat die Zahl der Muslim:innen überall in Deutschland zugenommen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern. Doch wie lebt es sich eigentlich als Muslim:in im Land?
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„Migration und die Religion des Islams sind besonders in Ostdeutschland eng verknüpft“, erklärt Vicki Täubig, Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Rostock. Sie forscht zum muslimischen Leben in MV und ergänzt, dass es in Ostdeutschland aber auch Muslim:innen ohne Migrationsgeschichte gibt.1 Der Islam hat in Deutschland eine mindestens einhundertjährige Vergangenheit – die älteste noch erhaltene Moschee wurde 1925 in Berlin-Wilmersdorf eröffnet.2 In den alten Bundesländern gibt es viele Gemeinden, die schon vor der Wende gegründet wurden, so Täubig. In MV dagegen entstanden die meisten Moscheen erst im Zuge von Migrationsbewegungen nach 1990.

Ursprung liegt an der Universität

Eine dieser Moscheen steht in Rostock. Angefangen hat es als kleiner Gebetsraum in einem Studentenwohnheim, erinnert sich Maher Fakhouri. Als ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Vereins Islamischer Bund Rostock war er fast von Anfang an dabei: „Das war keine richtige Moschee. Es waren ein paar Studierende, die sich gesagt haben, lasst uns zusammen beten und ein Zimmer mieten.“ Bevor er von dem Gebetsraum erfuhr, hatte er wie viele Muslim:innen zu dieser Zeit allein zuhause gebetet. Als die Universität das Wohnheim allerdings verkaufte, mussten sich die Gläubigen einen neuen Raum suchen. Um diesen auch mieten zu können, gründeten sie im Oktober 1998 den Verein. Seitdem gibt es die kleine grüne Moschee am Rand der Rostocker Südstadt.

Maher Fakhouri in der Rostocker Moschee.
Maher Fakhouri war dabei, als 1998 der Islamische Bund Rostock gegründet wurde. Im Hauptraum der damals bezogenen Moschee knien heute rund 200 Männer zum Freitagsgebet.

Ebenfalls im Kontext der Universität wurde 2002 die Greifswalder Moschee gegründet. „Ursprünglich sollte es eine Moschee für Studierende sein“, so Sabine Koppe. Sie ist eine der beiden Vorsitzenden des Islamischen Kulturvereins, der die Arbeit in dem Gebetshaus organisiert.

Sabine Koppe ist Vorsitzender der Moschee in Greifswald.
Sabine Koppe konvertierte 2018 zum Islam und ist seit 2021 Vorsitzende des Islamischen Kulturzentrums in Greifswald.

Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Moscheen: Seit 2015 hat die Zahl der Mitglieder stark zugenommen. „Im Herbst 2015, als viele Geflüchtete nach Rostock kamen, ist die Zahl der Gemeindemitglieder auf das Zwei- bis Dreifache gestiegen“, erinnert sich Fakhouri. Man könne also einen Zusammenhang zwischen der Größe der ausländischen Bevölkerung und der Zahl der Gemeindemitglieder feststellen. Für geflüchtete Muslim:innen sind die Moscheen wichtige Anlaufstellen. Das bestätigt auch Koppe. Die Seelsorge, die in der Greifswalder Moschee angeboten wird, sei wichtig für das Ankommen in Deutschland.

Beten vor der Tür

Geöffnet sind die beiden Gotteshäuser den ganzen Tag über. Gläubige Muslim:innen beten fünfmal am Tag. Dafür müssen sie nicht immer in die Moschee kommen, können es aber. Richtig voll wird es sowohl in Greifswald als auch in Rostock zum Freitagsgebet. Ihre Religion schreibt es Muslimen vor, dies in einer Moschee abzuhalten. An diesem Tag hält der Imam3 eine Predigt – erst auf Deutsch, dann auf Arabisch. Über 500 Menschen kommen dann in die Rostocker Moschee. Zu viel für das kleine Gebäude. In Greifswald kann es ebenfalls passieren, dass freitags vor dem Gebäude gebetet werden muss, aus Platzmangel.

Auch bei großen religiösen Festen, wie dem Zuckerfest4, wird es eng. In Greifswald kommen zu diesem Anlass bis zu 600 Gäste, in Rostock etwa 700. „Dieses Jahr ist der Termin im März. Wir mussten uns also nach alternativen Räumlichkeiten umschauen“, erzählt Sabine Koppe. Sie sind fündig geworden: Das Gebet findet dieses Jahr in einer Sporthalle in Schönwalde statt. Danach gibt es eine kleine Feierlichkeit in und um die Moschee. In Rostock wird in mehreren Schichten gefeiert.

Wie viele Muslim:innen es insgesamt in MV gibt, weiß niemand genau. Geschätzt werden zwischen 5.000 und 30.000 Menschen.5 Auch die Gemeinden können über die Anzahl ihrer Mitglieder nur begrenzt Auskunft geben. „Die Moschee ist ein Ort des gemeinsamen Betens. Man muss nirgendwo registriert sein, um vorbeizukommen“, erklärt Maher Fakhouri.

Neue Räumlichkeit gesucht

Damit in Zukunft niemand mehr vor der Tür beten muss, ist man in Rostock auf der Suche nach einem neuen Gebäude. Bereits seit 2009 beschäftigt sich der Islamische Bund intensiv damit und sammelt Spenden. Bei der Suche nach neuen Räumlichkeiten erhält der Verein Unterstützung von der Stadt. Der Bereich, in dem die aktuelle Moschee liegt, wird Groter Pohl genannt. 2023 stellte ein Stuttgarter Architekturbüro einen Entwurf für die Neugestaltung des Geländes vor.6 Darin ist auch eine Fläche für die Moschee vorgesehen. Doch bis jetzt gibt es noch keinen Bebauungsplan für das Gebiet, der Rechtssicherheit für die Bauvorhaben geben könnte. Laut Medienberichten rechnet die Rostocker Oberbürgermeisterin im Frühjahr 2025 damit.7 Bis es so weit ist, weicht die Gemeinde in andere Stadtteile aus. „Wir haben eine Filiale der Sparkasse in Toitenwinkel gekauft“, so Fakhouri.

Wichtiger Teil der Stadtgesellschaft

Sowohl Sabine Koppe als auch Maher Fakhouri berichten, dass die muslimischen Gemeinden gut in der jeweiligen Hansestadt vernetzt sind. Das liegt an der Arbeit von engagierten Ehrenamtlichen. Diese organisieren, neben den religiösen Veranstaltungen und Angeboten für Gemeindemitglieder, auch Veranstaltungen für Nichtmuslim:innen. Dazu gehört beispielsweise die „singende Moschee“ im Rahmen der Greifswalder Kulturnacht, von der Sabine Koppe sagt: „Wir haben ein kleines Programm, laden die Leute ein, reinzukommen, mit uns zu reden und gemeinsam etwas zu essen. Das sind immer sehr tolle Gespräche.“ Auch Lokalpolitiker sind regelmäßig zu Gast, zum Beispiel beim Zuckerfest.

In Rostock kommen häufig Schulklassen oder Studierende in der Moschee vorbei. Letztes Jahr auch von der Polizeihochschule in Güstrow. Bei solchen Besuchen sprechen Maher Fakhouri oder andere engagierte Gemeindemitglieder mit den Interessierten über den Islam und beantworten Fragen. Interessierte kommen auch zum Tag der offenen Moschee. Dieser findet jedes Jahr am 3. Oktober statt. Bis zu 70 Neugierige besuchen dann das grüne Gebäude.

Frauen ziehen sich zurück

Doch es sind nicht nur die interessierten Nichtmuslim:innen, die Sabine Koppe für einen Besuch in der Moschee begeistern möchte. Sie hofft, in Zukunft muslimische Frauen häufiger in der Moschee zu sehen. Die Gründe für ihr Fernbleiben sind unterschiedlich. Für einige Frauen sei es unangenehm, dass auch Männer jederzeit Zutritt zur Moschee haben. Koppe kann das für sich persönlich nicht nachvollziehen, „aber sie sind so sozialisiert worden“.

Die Vereinsvorsitzende vermutet, dass auch Diskriminierungserfahrungen dazu führen, dass sich muslimische Frauen eher in die Häuslichkeit zurückziehen. „Durch das Kopftuch sind Frauen noch stärker Zielscheibe von antimuslimischem Rassismus“, erzählt Koppe, die selbst ein Kopftuch trägt. Als konvertierte Muslimin allerdings erst seit ein paar Jahren. In ihrem Umfeld gab es für diese Entscheidung viel Verständnis, aber auch Ablehnung: „Es gibt bei mir im Viertel Leute, die mich seit der Entscheidung für das Kopftuch nicht mehr grüßen.“

Diskriminierung ist alltäglich

Studien haben gezeigt, dass Diskriminierung für einen Teil der Muslim:innen in MV Alltag ist. In einer Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung von 2016 fasst die Autorin Konstanze Ameer Interviews mit mehreren Muslim:innen zusammen. Die Interviewten berichten davon, dass ihr Alltag von Unsicherheit und Rechtfertigung geprägt sei. Immer wieder würden ihre Sprachkenntnisse oder ihre Herkunft kommentiert. Ameer beschreibt auch, dass viele der Gesprächspartner:innen Diskriminierung so alltäglich erfuhren, dass es ihnen schwerfiel, diskriminierende Erlebnisse auch als solche zu benennen.8

Von einer Alltäglichkeit der Diskriminierung berichtet auch Maher Fakhouri: „Die Gemeindemitglieder denken: Deutschland ist halt rassistisch. Als wäre das ihr Schicksal.“ In seiner Gemeinde gebe es allerdings nicht immer den Raum, über diese Erfahrungen zu sprechen. „Viele sehen die Gemeinde nicht als einen Ort für alles, sondern nur für das Gebet“, so Fakhouri. Er möchte das in Zukunft ändern, erinnert aber daran, dass vieles in der Moschee ehrenamtlich und damit nicht immer perfekt funktioniere.

Wissen als Impfstoff gegen Vorurteile

Zu Diskriminierungserfahrungen von Muslim:innen in MV gab es bisher keine konkreten Zahlen. Aber auch andere demografische Informationen zu den Gläubigen in MV sind rar. Dieser Zustand hat Vicki Täubig zu ihrer Studie zum muslimischen Leben im Bundesland motiviert. Mithilfe von Fragebögen in vier Sprachen wollten sie und ihr Team so viel wie möglich über die Muslim:innen in MV herausfinden. „Die Gruppe [der Muslim:innen] ist mit vielen Vorurteilen belastet. Wissen ist auch ein Impfstoff gegen Vorurteile“, so die Wissenschaftlerin.

Noch stehen sie nicht am Ende ihrer Forschung. Allerdings zeichneten die ersten Ergebnisse bereits ein trauriges, aber nicht überraschendes Bild, so Täubig. Eine große Mehrheit der Muslim:innen, die an der Studie teilgenommen haben, berichtet von Diskriminierung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. In der Umfrage wollte die Erziehungswissenschaftlerin auch herausfinden, ob sich die Befragten in MV wohlfühlen und sich eine Zukunft im Bundesland, bis hin zur Beerdigung, vorstellen können.
Die derzeit erarbeiteten Analysen zeigen: Je größer das Ausmaß an Diskriminierungserfahrungen ist, desto geringer sind bei den befragten Muslim:innen die Bleibeabsichten in Mecklenburg-Vorpommern. Eine weitere Erkenntnis: Über 60 Prozent der befragten Muslim:innen fühlen sich in MV wohl und mehr als 50 Prozent planen ihre Zukunft hier. Aber nur ein Fünftel möchte in MV beerdigt werden.

Tote Schweine als Waffe

Antimuslimischer Rassismus trifft nicht nur die Gläubigen, sondern auch ihre Gebetshäuser. 2016 machte ein Angriff auf die Moschee in Parchim bundesweit Schlagzeilen. Unbekannte hatten über Nacht die Tür des Gebäudes zugemauert und die entstandene Wand mit fremdenfeindlichen Parolen beklebt.9

Vergleichsweise häufig werden tote Schweine zur Einschüchterung verwendet. Muslim:innen essen kein Schweinefleisch, weil die Tiere als unrein gelten. 2019 wurde ein Schweinekopf am Rostocker Holbeinplatz abgelegt, nachdem dieser als Ort für einen Moscheeneubau im Gespräch war.10 2020 wurde innerhalb von gut zwei Wochen zweimal ein Schweinekopf vor der Greifswalder Moschee platziert.11 „Das war für viele eine sehr emotionale Geschichte. Wir sind seitdem permanent darauf gefasst, dass von irgendeiner Ecke wieder etwas kommt“, erzählt Sabine Koppe. In letzter Zeit sei es in Greifswald und Rostock aber ruhig geblieben.

Das große Ziel: Religionsgemeinschaft werden

Maher Fakhouri nennt drei große Herausforderungen für die Zukunft der Muslim:innen in MV: den antimuslimischen Rassismus besonders gegen Frauen, die Verbesserung des schlechten Images von Muslim:innen und die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Tatsächlich gibt es in Mecklenburg-Vorpommern keine Gemeinden, die als islamische Religionsgemeinschaft anerkannt sind. Das allerdings hätte einige Vorteile. Als Religionsgemeinschaft würde es den Gemeinden zustehen, Religionsunterricht an Schulen zu geben.12 In elf Bundesländern wird islamischer Religionsunterricht angeboten. In MV und den anderen ostdeutschen Flächenländern gibt es ein solches Angebot bislang nicht.13 Zusätzlich können die Gemeinden Seelsorger:innen in Krankenhäuser oder beispielsweise an Bundeswehrstützpunkte entsenden. Ob eine Glaubensgemeinschaft diese Rechte bekommt, liegt in der Hand des jeweiligen Bundeslandes. Mit der Gründung des Dachverbandes der muslimischen Gemeinden im November 2024 wurde in MV der erste Schritt hin zur Religionsgemeinschaft getan.

Die Grafik gibt einen Überblick über islamischen Religionsunterricht in Deutschland.
  1. Telefonat mit Vicki Täubig am 15.11.2024. ↩︎
  2. WDR (Hg.): 26. April 1925 – Älteste noch erhaltene Moschee Deutschlands eröffnet, auf: wdr.de (26.4.2015). ↩︎
  3. Imame sind Vorbeter. In Greifswald gibt es nur ehrenamtlich tätige Imame. In Rostock ist zusätzlich eine Person auf Minijob-Basis angestellt. ↩︎
  4. Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan. ↩︎
  5. Jelowik, Annalena; Kuhn, Julia; Täubig, Vicki: Methodenbericht: Muslimisch-Sein in Mecklenburg-Vorpommern; Seite 9, auf: rosdok.uni-rostock.de (Oktober 2024). ↩︎
  6. Hanse- und Universitätsstadt Rostock (Hg.): Funktionsplan Groter Pohl, auf: rathaus.rostock.de. ↩︎
  7. Kindler, Antje: Verfall statt Stadtentwicklung: Wie es auf Rostocks Grotem Pohl weitergehen soll, auf: nordkurier.de (17.6.2024). ↩︎
  8. Ameer, Konstanze: „Ich will da sein!“ Erzählungen von Diskriminierung, in: Amadeu-Antonio-Stiftung (Hg.): Hier zu leben, hat mich sehr wachsen lassen – Lebenssituationen von einheimischen und geflüchteten Muslim_innen aus Mecklenburg-Vorpommern (2016). ↩︎
  9. Zeit online (Hg.): Fremdenfeinde mauern Moschee zu, auf: zeit.de (29.8.2016). ↩︎
  10. Wornowski, André; Meyer, Andreas: Unbekannte legen Schweinekopf auf Moschee-Gelände in Rostock ab, auf: ostsee-zeitung.de (19.2.2019). ↩︎
  11. Nordkurier (Hg.): Wieder Schweinekopf vor Islam-Zentrum in Greifswald, auf: nordkurier.de (29.7.2020). ↩︎
  12. Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hg.): Körperschafts­status, auf: bmi.bund.de. ↩︎
  13. Nazir, Reza: „Es besteht ein massiver Ausbaubedarf“, auf: mediendienst-integration.de (27.7.2023). ↩︎

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Autor:in

  • Porträt von Lilly Biedermann Redakteurin Katapult MV in Greifswald

    Redakteurin in Greifswald

    Geboren und aufgewachsen in Sachsen. Ist zum Studieren vom tiefen Osten in den kalten Osten nach Greifswald gezogen.

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