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Nächster Halt Lubmin?

Die „Initiative Strandbahn“ will die seit 1999 für den Personenverkehr stillgelegte Bahnverbindung nach Lubmin wiederbeleben. Warum ungewöhnliche Allianzen dabei helfen könnten und welche Hürden das Projekt nehmen müsste.

Badesachen packen, am Bahnhof ein-, in Lubmin wieder aussteigen und dann rein ins Wasser. Irgendwas zwischen 15 und 20 Minuten würde die Fahrt nach Lubmin dauern, von Greifswald Hauptbahnhof nach Lubmin Ort. So ungefähr stellen sich Henryk Henning und Ida Feldmann das vor. Mit ihrer Initiative Strandbahn Lubmin haben sie 1.700 Unterschriften gesammelt, viele davon in der Greifswalder Fußgängerzone. Dort standen sie ungefähr 30-mal mit den Unterschriftenlisten. Ida Feldmann ist 21 und vor einem Jahr aus Aachen nach Greifswald gekommen – auch, weil die Uni Werbung mit dem Meer macht: „Studieren, wo andere Urlaub machen“. „Und dann steht man in Eldena und denkt sich, dass die Dänische Wiek auch nur ein besserer See ist. Und das Lubmin einfach zu weit weg ist, um da mal eben mit dem Rad hinzufahren.“

Eine bessere Anbindung für alle

Sie und etwa zehn andere Studierende engagieren sich in der Grünen Jugend Greifswald. Sie haben sich die Strandbahn als Projekt ausgesucht. „Nicht nur weil das der Oberbürgermeister will, sondern weil wir das wirklich für ein wichtiges Projekt halten. Wir glauben, dass das gut wäre für die ganze Region“, betont der 22-jährige Henryk Henning. Er sagt, es ginge ihnen darum, ein nachhaltiges und langfristig sinnvolles Projekt zu unterstützen. Eines, dass das Greifswalder Umland besser an die Stadt anschließen und vielen Menschen mehr Teilhabe bieten könnte. Den Greifswaldern Naherholung, den Lubminern und denen, die an den möglichen Haltepunkten Kemnitz und Brünzow leben, eine schnelle Anbindung an Arbeit, Schule und Freizeitmöglichkeiten in Greifswald. „Mobilität ist wichtig, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“, sagt Henning, „und das sollte für alle möglich sein, nicht nur für die mit einem eigenen Auto.“

Schnell hatten sie eine Website zusammengebaut und standen im Juni mit den ersten Flyern in der Fußgängerzone. „Wir waren dann ziemlich überrascht davon, wie schnell sich die Unterschriftenlisten gefüllt haben“, sagt Feldmann. „Und das nicht nur, wie wir vorher dachten, mit Namen von Studierenden.“ Klar würden viele junge Leute das Projekt gut finden, aber eben auch ältere Greifswalder, die die Bahnverbindung noch aus den Jahren vor dem Rückbau des Kernkraftwerks in Lubmin kennen.

Tradition trifft Nachhaltigkeit

Im Zuge des Kraftwerkbaus wurde in den Siebzigerjahren mit Schönwalde ein ganzer Stadtteil für die Arbeiter aus Lubmin errichtet. Das KKW war Megaarbeitsgeber der Region, 15.000 Menschen waren dort tätig. Ein Auto hatten in der DDR nur die wenigsten und so kamen jeden Tag Tausende Menschen mit dem Zug aus Greifswald nach Lubmin. Noch bis 1999 fuhren die Züge mit ausgedünntem Fahrplan weiter. Dann wurde der Personenverkehr eingestellt, weil sich die Strecke nicht mehr lohnte.

Die Wiederbelebung der Bahnstrecke klingt nach einem Vorzeigeprojekt, bei dem Bündnisse zwischen jungen Studierenden und älteren Greifswaldern möglich scheinen, einem, bei dem Tradition und Nachhaltigkeit mal nicht unversöhnlich gegeneinanderstehen.

Aber wie realistisch ist das Projekt wirklich?

Zwischen 1994 und 2021 sind in MV 440 Kilometer Strecke für den Personenverkehr stillgelegt worden, gerade einmal 16 Kilometer wurden reaktiviert. Zurzeit gibt es ein Ringen um die Wiederherstellung der Darßbahn von Barth nach Prerow und der Südanbindung der Insel Usedom über die Karniner Brücke. Nirgends sind schnelle Ergebnisse in Sicht. Die Darßbahn würde über 115 Millionen Euro kosten, die Südanbindung Usedoms über 700 Millionen. Auf eine Kostenschätzung zur Strandbahn wollte die Stadtverwaltung Greifswald sich auf Anfrage nicht einlassen. Henryk Henning sagt, dass neben dem Land möglicherweise auch der Bund oder die EU einen Teil der Kosten übernehmen könnten.

Oberbürgermeister unterstützt das Vorhaben

Was für die Machbarkeit des Projekts spricht: Anders als bei Darßbahn und Südanbindung sind die Gleisanlagen hier noch vorhanden und funktionsfähig. Auf der Strecke fahren regelmäßig Castortransporte mit Rückbaumaterial aus dem Kernkraftwerk. Was fehlt, ist vor allem die Infrastruktur an den Haltepunkten. Einen Bahnhof gibt es weder in Lubmin noch in Kemnitz oder Brünzow.

Ida Feldmann und Henryk Henning sagen, dass sie ganz zufrieden mit dem bisherigen Feedback der Greifswalder auf ihre Initiative seien. Außerdem hätten sie mindestens ein Ziel schon erreicht: „Ich wollte mich an dem Ort, an dem ich studiere, auch irgendwie einbringen“, so Feldmann. „Leute kennenlernen, irgendwie in Verbindung treten mit der Stadt und denen, die hier wohnen. Durch die über 30 Unterschriftenaktionen bin ich mit Leuten ins Gespräch gekommen, die ich sonst nie kennengelernt hätte.“

Am 1. November will die Gruppe ihre Unterschriften an Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) übergeben. Dort dürften sie mit ihrem Vorhaben offene Türen einrennen. Denn Fassbinder hat sich vorgenommen, das Projekt in seiner zweiten Amtszeit umzusetzen. Für das Haushaltsjahr 2023 seien bereits 50.000 Euro zwecks Vorarbeiten für eine Studie eingeplant. Die Studie selbst solle dann 2024 beginnen.

Quellen

  1. Degrassi, Katharina: Strecke Greifswald nach Lubmin: Fahren künftig wieder Personenzüge?, auf: ostsee-zeitung.de (15.1.2021).
  2. Lübbert, Anke: Hier fehlt nicht nur eine Brücke, auf: katapult-mv.de (10.8.2021).
  3. Süddeutsche Zeitung (Hg.): Darßbahn: Ausführungsplanung für ersten Abschnitt läuft, auf: sueddeutsche.de (2.9.2023).
  4. Neumann, Peter: Neue Bahnverbindung Berlin-Usedom: Diese Strecke ist der Favorit, auf: berliner-zeitung.de (10.1.2023).
  5. E-Mail der Pressestelle der Stadt Greifswald vom 11.10.2023.
  6. Ebd.

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