Ferkelzuchtanlage Alt Tellin
Neue Schweine oder keine?
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Bis heute gibt es einmal wöchentlich eine Mahnwache in Alt Tellin – meist wird sie nur von ein oder zwei Leuten abgehalten, aber bisher schon 103 Mal. Jeden Montag, immer vor dem Gelände der abgebrannten Ferkelzuchtanlage. Zum Jahrestag der Brandkatastrophe vor zwei Jahren soll es heute erneut eine Großkundgebung geben, wie schon im August 2021, um gegen Massentierhaltung und einen Wiederaufbau der Anlage zu demonstrieren.
Organisiert wird die Aktion von einem Zusammenschluss überregionaler Umweltorganisationen, Tierschutzvereine, Parteien und dem Bürgerbündnis Alt Tellin, angemeldet sind 200 Personen. Damit wollen die Veranstalter:innen in dem Dorf südöstlich von Demmin erneut ein Zeichen setzen und darauf aufmerksam machen, dass Tierhaltung in dieser Form nicht zukunftsfähig sei. Man dürfe die Tierquälerei in Mastanlagen und Fabriken nicht verdrängen, so Robert Gabel (Tierschutzpartei) aus Greifswald, Mitorganisator der Kundgebung. Er fordert einen politischen und wirtschaftlichen Fokus auf pflanzliche Produkte, „das, was junge Menschen heute zunehmend wollen“.
Und – so das Motto der Aktion: „Alt Tellin ist überall.“ In Deutschland stehen nach Schätzungen der Versicherer jedes Jahr rund 5.000 Ställe in Flammen. In Mecklenburg-Vorpommern kam es laut der Initiative Stallbrände im Jahr 2021 zu 135 Vorfällen. Sie erfasst die Zahlen ehrenamtlich, nutzt dafür Medienberichte und Pressemitteilungen von Polizei, THW oder Feuerwehr. Denn behördliche Statistiken zu Bränden in landwirtschaftlichen Betrieben gebe es nicht.
Rückblick
Schock, Entsetzen, Bestürzung, Erschütterung – so beschreibt Susanne Wiest, parteiloses Mitglied des Alt Telliner Gemeinderates, die Reaktionen der Anwohner:innen auf den Brand in der örtlichen Zuchtanlage. Vor genau zwei Jahren, am 30. März 2021, starben dort 60.000 Schweine. Weniger als drei Prozent der Tiere konnten aus den Flammen gerettet werden. Aber auch sie wurden kurz darauf getötet, weil sie verletzt waren oder ihr Fleisch kontaminiert worden war. „Die Schweine haben geschrien“, erzählt Wiest, nach wie vor bestürzt. Die Geschehnisse kann sie nicht als rein technische Angelegenheit betrachten. Es sei ein Verbrechen an Lebewesen.
„Keiner wollte, dass so etwas hier passiert“, sagt Wiest. Bereits zu Planungsbeginn hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gemeinsam mit dem Deutschen Tierschutzbund wegen eines fehlenden Brandschutzkonzeptes vor dem Verwaltungsgericht Greifswald geklagt. Nach einem Verhandlungstermin sei das Verfahren auf Eis gelegt worden. Umso fassungsloser war Wiest nach dem Brand, dass der schlimmste Fall eingetreten war. „Es wurde immer gesagt: Nach zehn Minuten ist kein brennbares Material mehr da. Aber es hat ja in Windeseile lichterloh gebrannt.“ Das Feuer war an einem Dienstagmorgen ausgebrochen. Glutnester schwelten noch am Abend vor sich hin.
Wiederaufbau weiterhin offen
Ein zentrales Ziel der Aktivist:innen besteht darin, den Wiederaufbau einer Mastanlage am Standort Alt Tellin zu verhindern. „Die Symbolik ist verheerend. An einem Ort, wo ein Brand mit über 60.000 toten Tieren passiert ist, kann nicht einfach ein neuer Anlauf gestartet werden“, mahnt Gabel. Genau den kündigte der Betreiber Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland (LFD-Holding) im Dezember letzten Jahres an. Laut dem Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt (Stalu) Mecklenburgische Seenplatte liege ein entsprechender Genehmigungsantrag bisher jedoch nicht vor. Auf Nachfrage von KATAPULT MV teilt LFD mit, man befinde sich im Austausch mit der Gemeinde Alt Tellin und den zuständigen Behörden. „Wir überplanen den Standort weiter, haben jedoch auf Grund der unklaren politischen Rahmenbedingungen zur Nutztierhaltung im Bund sowie im Hinblick auf die Notwendigkeiten des Biogasbetriebes, sich an die sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen, noch keine abschließenden Entscheidungen getroffen“, erklärt Sprecher Ralf Beke-Bramkamp schriftlich. Von den neuen Plänen habe die Gemeinde Ende des Jahres aus den Medien erfahren. Ein Treffen danach schuf Klarheit: Es gehe zunächst nur um eine Biogasanlage, deren Effizienz gesteigert werden solle. „Wir waren trotzdem verärgert darüber. Die Betreiber haben gesagt, sie besprechen alles zuerst mit uns“, erinnert sich Gemeindevertreterin Wiest.
Ungeklärte Zuständigkeiten
Im Gemeinderat gehen die Meinungen über eine künftige Zusammenarbeit mit der Betreiberfirma auseinander. Das sei schon vor dem Bau so gewesen, sagt Wiest: „Viele Bürgerinnen und Bürger haben gesagt: Hier gab’s schon immer Schweine und Viehzucht. Das gibt’s jetzt eben wieder.“ Man habe sich aber die Dimensionen nicht bewusst gemacht. Sie selbst sei von Anfang an gegen den Bau der Mastanlage gewesen. Mittlerweile fehle es ihr an Vertrauen auf mehreren Ebenen. Landesregierung und Verwaltung hätten zu spät und nicht angemessen reagiert. „Wir waren monatelang in heller Aufregung, weil Informationen und politische Reaktionen aus Schwerin erst folgten, als wir Remmidemmi gemacht haben.“ Währenddessen hätten sich Regierung und Behörden die Zuständigkeiten hin- und hergeschoben. Dabei seien diese für die Menschen vor Ort am wenigsten relevant. „Für uns ist Till Backhaus der Landwirtschaftsminister und zuständig für Belange wie Stallanlagen. Er hätte für ein seriöses Genehmigungsverfahren sorgen müssen“, kritisiert Wiest. Bis heute habe es auf dem Grundstück der abgebrannten Schweinemastanlage keine Ausgleichspflanzungen gegeben, stellt die Gemeindevertreterin fest. Direkt nach dem Brand hätte eigentlich ein Schadstoffmobil angefordert werden müssen. Auch die Schadstoffbelastung von Feldern, Gärten und der Luft sei nicht gemessen, Bodenproben seien erst zu spät entnommen worden. „Da greifen Institutionen und deren Mechanismen nicht gut ineinander“, bemängelt Wiest.
Backhaus: Kein Neuaufbau der Anlage, aber …
Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) versicherte zuletzt, dass ein Wiederaufbau des Betriebs ausgeschlossen sei, zumindest im Rahmen der Altgenehmigung. Allerdings hatte er 2021 eine „Stallanlage 4.0“, eine „Modellanlage der Zukunft am Standort Alt Tellin“, ins Gespräch gebracht. Robert Gabel von der Tierschutzpartei sieht den Vorschlag kritisch und wirft Backhaus Greenwashing vor: „Es zeigt: Man will nicht mehr über die schlechten Seiten der Tierhaltung reden, sondern mit angeblichen Verbesserungen das Image der Tierindustrie reinwaschen.“ In einer von den Grünen geforderten Aktuellen Stunde im Landtag zum Thema „Zwei Jahre nach Inferno Alt Tellin: Sind Nutztiere jetzt vor Flammentod sicher?“ äußerte sich der Landwirtschaftsminister am vergangenen Mittwoch erneut. Gleich zu Beginn betonte er, die Größe der Anlage sei nicht ursächlich für den Brand gewesen. Alt Tellin als modernste Schweinehaltungsanlage in Europa sei „auf dem neuesten technischen Stand“ gewesen. Nach der Brandkatastrophe hatte Backhaus im Bundesrat einen Prüfantrag für eine zahlenmäßige Obergrenze je Stall eingereicht. Die Bundesregierung erteilte diesem Vorhaben allerdings eine Absage.
Der Minister verfolgt weiterhin das Ziel einer bodengebundenen Landwirtschaft mit zwei sogenannten Großvieheinheiten, umgerechnet circa 200 Ferkel, pro Hektar, und spricht sich gegen eine industrielle Tierhaltung aus. Wie das mit anderen Schweinemastanlagen in MV zusammenpasst, erklärt das Landwirtschaftsministerium mit Bundesrecht. Es räume Investoren die Möglichkeit ein, Anlagen wie Alt Tellin und Medow zu errichten. Mittlerweile ist ein Neubau solcher Anlagen jedoch nur noch mit Zustimmung der jeweiligen Gemeinde möglich. Im Jahr 2020 gab es in Mecklenburg-Vorpommern 329 landwirtschaftliche Betriebe mit insgesamt 762.636 Schweinen.
Land seit 2021 für zusätzliche Brandschutzregelungen
Mangelhafte Brandschutzmaßnahmen sind dabei kein Einzelfall. Ein Gutachten der Berliner Kanzlei Kremer/Werner im Auftrag von Greenpeace und BUND aus dem vergangenen Jahr beleuchtete die Sicherheitsvorkehrungen gegen Brände in MVs industriellen Tierställen. Fazit: Die Landesbauordnung werde „regelmäßig“ entweder fehlerhaft ausgelegt oder nicht eingehalten, dennoch hätten die Behörden den Weiterbetrieb der Anlage in Alt Tellin genehmigt. Auch in der Schweinemastanlage nahe Medow etwa, die im Vergleich zu Alt Tellin nur rund ein Viertel so viele Tiere beherbergt, werden die gesetzlich festgeschriebenen Mindestabstände von Brandabschnitten nicht eingehalten. Trotzdem soll der Bestand auf Wunsch des Betreibers LFD um fast die Hälfte verdoppelt werden. Über die Erweiterung hat das zuständige Stalu bislang nicht entschieden.
Die Landtagsfraktion der Grünen warte nach den Worten ihrer stellvertretenden Vorsitzenden Anne Shepley noch immer auf eine Regierungspraxis, die keine Tierhaltungsanlagen mit mangelnden Brandschutzkonzepten mehr zulässt, wie Shepley in der Aktuellen Stunde im Landtag sagte. Sie verwies dabei auf das Gutachten der Kanzlei Kremer/Werner, das industriellen Tierställen in MV einen defizitären Brandschutz bescheinigt. Bauminister Christian Pegel (SPD) entgegnete: In Alt Tellin habe es keine Hinweise auf ein technisches Versagen des Brandschutzkonzepts gegeben. Man vermute fahrlässige Brandstiftung, könne aber nicht benennen, wie es konkret zu dem Brand kam. Ein entsprechendes Gutachten wurde erst nach mehr als einem Jahr veröffentlicht.
Shepleys Vorwurf, die Stallanlage in Alt Tellin mit einem abweichenden Brandschutzkonzept genehmigt zu haben, weist Pegel zurück. Für Großtierställe gebe es Ausnahmen, etwa andere Abstandsmaße von Brandwänden, solange alternative Schutzkonzepte vorliegen. Laut dem Minister bereite man einen neuen Erlass für Sonderbauten, insbesondere Großtierställe, vor. So sollen Größe und Anzahl von Rettungswegen künftig auf verschiedene Tierarten angepasst und Löschwasseranlagen schon vor der Errichtung eingeplant werden. Angekündigt hatte er diese zusätzlichen Regelungen bereits 2021. Auf Bundesebene aber fand eine Verschärfung von Brandschutzregeln für Großtierställe bislang keine Unterstützung.
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Autor:innen
Freie Reporterin in Greifswald.