„Wir brauchen mehr Unterstützung für Geflüchtete, die noch nicht anerkannt sind“, fordert Kati, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. Sie ist eine von acht Frauen, die als Geflüchtete nach MV gekommen sind und sich nun für alle aktuellen und künftigen Geflüchteten dafür einsetzen möchten, hier eine faire Chance zu bekommen.
Deshalb gründeten die acht Ende vergangenen Jahres die Gruppe Women in Exile in MV, nachdem sie schon länger Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Nostorf-Horst und in den Geflüchtetenunterkünften unterstützt hatten. Nach einem Besuch der Dachorganisation aus Berlin vor zwei Jahren hätten die Frauen genügend Mut geschöpft, um in MV eine eigene Gruppe zu gründen, erzählt Kati.
Ansporn durch reale Erfahrungen
Bereits vor 20 Jahren wurde in Potsdam das erste Bündnis dieser Art gegründet. In den Folgejahren kamen lokale Ableger hinzu, sodass die Initiative mittlerweile in allen Bundesländern aktiv ist. Ihre Mitglieder kämpfen dagegen an, dass Flüchtlingsfrauen im doppelten Sinn diskriminiert werden, heißt es auf ihrer Internetseite. Zum einen würden sie als Asylbewerberinnen durch rassistische Gesetze ausgegrenzt, zum anderen als Frauen diskriminiert: „Unser grundlegendes politisches Ziel ist die Utopie einer gerechten Gesellschaft mit gleichen Rechten für alle Menschen, egal, woher sie kommen und wohin sie gehen.“ Und eine der bis heute nicht gänzlich beachteten Perspektiven sei die der Frauen.
Dass das Thema auch hierzulande in den Fokus gerückt werden muss, wie Women in Exile fordert, betonen auch andere Initiativen. Zum Beispiel der Stralsunder Migrant:innenverein Tutmonde nach dem mittlerweile dritten rechtsmotivierten Angriff auf dessen Büro kurz vor Weihnachten (KATAPULT MV berichtete). Auch eine aktuelle Studie der Hochschule Neubrandenburg mit dem Titel „Angst schwingt immer mit“ beschäftigt sich mit dem Thema. Zusammen mit den Vereinen Lola für Demokratie in MV und Tutmonde sowie der Unterstützung der Amadeo-Antonio-Stiftung haben die Wissenschaftler:innen Erfahrungen geflüchteter Frauen und ihr Erleben von Rassismus in Mecklenburg-Vorpommern gesammelt und ausgewertet. Fazit: Ausgrenzung und Diskriminierung sind weitgreifend in den Alltag der Frauen verwoben, die Dimensionen von Rassismus aber kaum konkret aufgearbeitet worden. Eine systematische Erhebung gibt es noch nicht. Mit der Studie wollen die Wissenschaftlerinnen daher auch zum Handeln anregen – vor allem politisch, wie sie sagen.
Das hat sich nun auch die neue Gruppe von Women in Exile in MV vorgenommen. Und noch ein bisschen mehr.
Auch noch nicht Anerkannte brauchen Hilfe
Um kostenlose Beratungen und seelische Unterstützung kümmern sich vor allem Freiwilligenorganisationen, wie Pro Bleiberecht und Bunt statt Braun. Aber zum Teil nur für bereits anerkannte Geflüchtete. Das müsse noch weiter ausgebaut werden und alle einbeziehen, fordert Women in Exile. Dabei arbeiten die Initiativen zusammen. So gibt es neben den aus Iran, Irak, Afghanistan, Syrien, der Türkei und Kurdistan geflüchteten Frauen der Women-in-Exile-Gruppe in MV auch viele Helfer:innen ohne Migrationshintergrund. Die Gruppe hat sich selbst deshalb als Women in Exile & friends betitelt. Die meisten von ihnen wohnen in Rostock und Wismar, aber auch in Teterow, Dargun und Neubrandenburg sind sie aktiv.
Vor allem über ihre Rechte müssten die meisten Geflüchteten dringend aufgeklärt werden, zu wenig sei allgemein bekannt, vieles unter dem Radar. „Auch das ist Diskriminierung“, sagt Kati.
Psychologische Betreuung bleibt auf der Strecke
Wer nach MV kommt, erzählt die Iranerin, fühle sich erst einmal verloren. Es gebe noch zu wenig Unterstützung in den ersten Tagen nach der Ankunft: „Die Menschen sind vor Krieg oder Verfolgung geflohen, sind zum Teil traumatisiert, und keiner fängt das auf.“ Das wolle die neu gegründete Gruppe ändern, denn ihre Mitglieder kennen es aus eigener Erfahrung.
Kati selbst kam vor etwa zwölf Jahren aus dem Iran nach Deutschland. Untergebracht war sie in einem Asylbewerberheim in Jürgenstorf zwischen Neubrandenburg und Malchin. Im Vergleich zu früher habe sich schon viel getan, betont sie. Vor allem zwischenmenschlich: Heute gibt es in einigen Orten mit Geflüchtetenunterkünften Cafés oder ähnliche Angebote zum Kennenlernen und Austauschen, außerdem mehr Sozialarbeiter:innen und Dolmetschende für organisatorische Belange. „Damals kam auch nur einmal im Monat jemand aus Greifswald für die psychosoziale Beratung“, erinnert sie sich. Das sei für die Menge an Geflüchteten zu wenig gewesen.
Auch wenn das Angebot gewachsen ist, sei es nach wie vor die psychische Beratung, die am meisten auf der Strecke bleibe. Dabei sei es einer der wichtigsten Aspekte bei der Aufnahme von Geflüchteten. Derzeit gibt es nur in Rostock und Greifswald Angebote von psychosozialen Zentren (PSZ). Und die Mitarbeiter:innen dort sind wegen der hohen Nachfrage schon länger am Limit. In Greifswald gibt es eine zwei- bis dreimonatige Warteliste, wie es auf Nachfrage vom PSZ heißt. Anfragen kommen auch aus Stralsund, Anklam, Ueckermünde und Bergen. Dabei gibt es nur zwei Mitarbeitende in Teilzeit.
Dabei gebe es Möglichkeiten, findet Kati. Zum Beispiel könne man Geflüchtete, die die Sprache beherrschen, einbinden. So könnten mehr Menschen versorgt werden. Auch wünscht sie sich mehr solcher Zentren, und zwar nicht nur in den großen Städten.
Noch immer viel Intoleranz
Ein weiteres Thema auf ihrer Agenda für MV ist der Abbau der Fremdenfeindlichkeit. Es gebe im Bundesland sehr viele enorm engagierte Menschen, sagt Kati. Die meisten sind in größeren Städten zu finden. Initiativen wie in Teterow, Uhlenkrug oder Malchin hätten es mitunter sehr viel schwerer, Hilfe aus dem nahen Umfeld zu finden. Manche aktiv unterstützende Menschen gebe es dort, nicht alle aber würden sich trauen.
Doch auch innerhalb der Gruppe der Geflüchteten beobachtet sie teilweise wenig Engagement und politische Teilhabe. So fanden etwa die Demonstrationen zur Solidarität mit Iran Ende des Jahres vergleichsweise wenig Anklang. Einen Grund dafür sieht Kati auch darin, dass die Kommunikation mitunter schwierig und das Verständnis füreinander zum Teil nicht da ist.
Wichtig sei es, in alle Richtungen zu vermitteln und die Akzeptanz untereinander zu fördern. Daher sind die Mitglieder von Women in Exile dankbar für jedes Engagement und jede Unterstützung. Und die können sie offenbar künftig auch von anderen Initiativen erwarten.
Ein zusätzliches Element im Netzwerk
Women in Exile reiht sich in ein bestehendes Netzwerk vieler Initiativen in MV ein. Neben der Hilfe von Pro Bleiberecht und Bunt statt Braun kommen auch vom Flüchtlingsrat MV motivierende Worte. Es sei wichtig, dass es auch in Mecklenburg-Vorpommern einen solchen Zusammenschluss gebe, der den Blick explizit auf die Situation weiblicher Geflüchteter richtet: „Women in Exile werden gebraucht. Sie geben dem, was wir oft abstrakt fordern oder thematisieren, ein Gesicht“, sagt die Ratsvorsitzende Ulrike Seemann-Katz.
Punktuell habe man bereits miteinander gearbeitet, etwa im Rahmen von Veranstaltungen, Aktionen und Demonstrationen. Das solle künftig noch ausgebaut werden, etwa wenn es um die Erstellung von Positionspapieren gegen rassistische, sexistische und ausgrenzende Strukturen gehe.
Momentan finanzieren sich Women in Exile & friends in MV durch Spenden. Die schon länger existierenden Gruppen aus Berlin und Brandenburg werden zum Teil auch von Stiftungen unterstützt. Dies erhofft sich die Gruppe aus MV künftig ebenfalls. Solche Gelder müssen jedoch beantragt werden, so Kati. Dazu seien Vorbereitungen nötig. Bisher habe sich die Gruppe nach ihrer Gründung erst einmal getroffen. Jetzt gehe es an die genaue Konzeptionsarbeit. Dann soll es richtig losgehen.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 16 von KATAPULT MV.
Quellen
- Ihr Name ist der Redaktion bekannt.↩
- Women in exile (Hg.): Über uns, auf: women-in-exile.net.↩
- Grabowski, Antonia: Integrationsbeauftragte: Das bedeutet Weitermachen!, auf: katapult-mv.de (5.1.2023).↩
- Lola für Demokratie in MV (Hg.): „Angst schwingt immer mit“, S. 9, auf: amadeu-antonio-stiftung.de (2021).↩