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Umwelt

Phenol im Kleinen Jasmunder Bodden

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Ende letzten Jahres begann im Kleinen Jasmunder Bodden auf Rügen ein massives Fischsterben. Bis heute ist nicht klar, wie es dazu kommen konnte. Erneut kamen in der zurückliegenden Woche Fachleute aus staatlichen Behörden, Landesämtern und engagierten Verbänden und Organisationen zusammen, um über den Zustand des Boddens zu beraten. Dabei wurden die Ergebnisse eines auf Schadstoff­untersuchungen spezialisierten Labors diskutiert. Diese weisen auf einen Stoff hin, der beim Abbau von Holz entstehen kann, aber auch als Chemikalie in der Industrie eingesetzt wird. Seine Herkunft ist unklar.

Man sei noch immer im Konjunktiv und niemand wisse etwas Genaues, sagt Torsten Schulze, stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde Lietzow, die direkt am Kleinen Jasmunder Bodden liegt. Ob endlich die Ursache für das Fischsterben gefunden wurde, müssen weitere Untersuchungen zeigen. „Der Stoff wurde in einer Konzentration gefunden, die nur ein rundes Tausendstel von dem beträgt, was für Fische giftig ist“, erklärt Schulze. Auf Nachfrage, um welchen Stoff es sich handelt, verweist das Umweltministerium auf die Ergebnisse der Laboranalyse. Ein Phenol wurde im Bodden entdeckt. Dabei handelt es sich um einen normalerweise festen, kristallinen Stoff mit weißer bis gelblicher Farbe. Das Phenol ist schwer entzündbar und praktisch unlöslich in Wasser.

Dennoch gilt der Stoff als wassergefährdend. Von ihm können akute oder chronische Gesundheitsgefahren ausgehen. Bereits 2012 nahm die EU den Stoff in einen Bewertungsrahmen auf, um zu bewerten, wie gefährlich Phenol für die Gesundheit des Menschen oder die Umwelt ist. Seit 2017 führt Belgien eine Neubewertung durch. Ein abschließender Bericht steht noch aus.

Falls das Phenol Ursache für das Fischsterben ist, so muss es schon länger im Kleinen Jasmunder Bodden vorhanden sein. Fischer Andreas Zietemann berichtet, dass er bereits Ende letzten Jahres auffällige weiße Stellen im Uferbereich des Boddens bemerkt habe. Ob es sich dabei um das nun entdeckte Phenol gehandelt hat, ist unklar. Zietemann beschreibt die Stellen als eine Art „Pilz oder Schimmel am Untergrund“.

Bergener Kläranlage mit zufriedenstellenden Werten

Wie kommt das Phenol in den Kleinen Jasmunder Bodden, sollte es nicht natürlichen Ursprungs sein? Geht es um die Belastung des Gewässers, richtet sich der Blick immer wieder zur nahe gelegenen Bergener Kläranlage. Nach eigenen Angaben leitet sie über den Teteler Bach täglich gut 6.400 Kubikmeter Abwasser in den Bodden ein. Das entspricht knapp dem durchschnittlichen Jahreswasserverbrauch von 22 Personen in Deutschland.

Die Kläranlage verfügt über drei Reinigungsstufen mit einer anschließenden Zusatzfiltration. Die Selbstüberwachungswerte für November 2021 zeigen ein deutliches Bild: Alle relevanten Grenzwerte wurden in diesem Zeitraum weit unterschritten. Nitrat, Nitrit, Phosphor, alles in Ordnung. Das im Bodden gefundene Phenol gehört jedoch nicht zu den Stoffen, die regelmäßig überwacht werden. Doch weil es ein Feststoff ist, wäre es nach Angabe des Kläranlagenbetreibers theoretisch möglich, diesen über die verschiedenen Bereiche der Kläranlage (Rechenanlage, Sandfang, Vorklärung, Nachklärung, Zusatzfiltration) herauszufiltern.

Das Umweltministerium teilt darüber hinaus mit, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass das Phenol in toxischem Ausmaß über die Kläranlage ins Wasser gelangt sei. Sollte das Phenol für das Fischsterben verantwortlich sein, hätte es auch die biologischen Prozesse in der Kläranlage zum völligen Zusammenbruch bringen müssen. Damit wäre die Leistungsfähigkeit der Kläranlage nicht mehr gegeben, was anhand der Messwerte sichtbar würde. Hier gibt es jedoch keine Auffälligkeiten.

Nichtsdestotrotz gehört das Phenol aus der Perspektive des Gewässerschutzes zur Gruppe der Spurenstoffe. Diese könnten zwar durch eine sogenannte vierte Reinigungsstufe weitgehend eliminiert werden. Doch diese besondere Form der Abwasserreinigung ist für die Kläranlagen in MV nicht vorgeschrieben. Entsprechend ihres Anforderungsprofils gelingt es der Kläranlage in Bergen lediglich, Spurenstoffe teilweise abzubauen und zu reduzieren.

Erneut sollen Maßnahmen entwickelt werden

So liegt die Ursache des Fischsterbens im Kleinen Jasmunder Bodden weiterhin im Dunkeln. Doch der Blick geht voraus. Das Umweltministerium teilt mit, dass die beteiligten Expert:innen Maßnahmen entwickeln, die „das stark mit Nährstoffen belastete Gewässer langfristig wieder in einen guten ökologischen Zustand bringen sollen“. Umweltminister Till Backhaus (SPD) begrüßt diese Verabredung, denn es solle nichts unversucht gelassen werden, um dem Gewässer wieder auf die Beine zu helfen.

Dabei veröffentlichte das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern (Stalu VP) bereits 2014 einen Managementplan und konkrete Vorschläge, wie die Wasserqualität des Kleinen Jasmunder Boddens verbessert werden kann. Seitdem gab es einige Gespräche, doch umgesetzt worden ist bisher nichts. Eine Machbarkeitsstudie habe einen hohen Kostenaufwand festgestellt, erklärt das Umweltministerium. Deshalb sei das Stalu bemüht, einen externen Träger zu finden, der die erforderlichen Maßnahmen als Kompensationsleistung für eigene Eingriffe in die Natur – etwa bei Bauvorhaben – durchführen könnte. Bisher ist dies jedoch nicht gelungen.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine Förderung über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Der Kleine Jasmunder Bodden gehört zum europäischen Schutzgebietssystem Natura 2000 und könnte, sofern die EU entsprechende Mittel bewilligt, als besonders bedeutsames Vorhaben eingestuft werden. Doch auch hier müssen zunächst verkehrs- und bautechnische sowie wasserbauliche Fragen geklärt werden. Das wesentliche Problem des Kleinen Jasmunder Boddens ist ein Verkehrsdamm für Schienen und Straße, der ihn vom Großen Jasmunder Bodden trennt. Lediglich eine Schleuse im Damm sorgt für den Wasseraustausch zwischen beiden Gewässern. „Da kann nicht mehr durchlaufen als das, was durchpasst“, erklärt Torsten Schulze. Um den Wasseraustausch zu verbessern, müsste gebaut werden. Aber „dann reißt man den Damm auf. Und wenn man den Damm aufreißt, dann können weder Züge noch Autos fahren“. Die Hauptverkehrsanbindung in den Norden der Insel Rügen wäre gekappt.

Voraussichtlich, so erklärt das Umweltministerium, ist ein Planfeststellungsverfahren notwendig, das mehrere Jahre dauern kann. Die Umsetzung komplexer Projekte wie der Wiederherstellung des Kleinen Jasmunder Boddens ist entsprechend langwierig.

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Fußnoten

  1. Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt MV (Hg.): Bestandsaufnahme im Kleinen Jasmunder Bodden, auf: regierung-mv.de (4.2.2022).
  2. Dabei handelt es sich um 2,4-Di-tert-butylphenol.
  3. Gegenüber 2,4-Di-tert-butylphenol hat Kochsalz eine mehr als 800-fach höhere Löslichkeit.
  4. Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (Hg.): 2,4-Di-tert-butylphenol, auf: dguv.de.
  5. European Chemicals Agency (Hg.): Fortlaufender Aktionsplan der Gemeinschaft, auf: echa.europa.eu.
  6. European Chemicals Agency (Hg.): 2,4-di-tert-butylphenol, auf: echa.europa.eu.
  7. A. Breitkopf: Statistiken zum Wasserverbrauch, auf: statista.com (19.1.2022).
  8. Daten von Zweckverband Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Rügen, E-Mail von Carsten Schultz vom 7. Februar 2022.
  9. Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt MV (Hg.): Bestandsaufnahme im Kleinen Jasmunder Bodden, auf: regierung-mv.de (4.2.2022).
  10. Staatliches Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern (Hg.): Managementplan für das FFH-Gebiet DE 1547-303 Kleiner Jasmunder Bodden mit Halbinseln und Schmaler Heide, auf: stalu-mv.de.

Autor:innen

ist KATAPULT MVs Inselprofi und nicht nur deshalb gern am Wasser. Nutzt in seinen Texten generisches Femininum.

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