Pleite der MV-Werften

Vom Schiffbauer …

Vor einem Jahr stand die Belegschaft der insolventen MV-Werften vor der Frage: Wie geht es weiter? Vorübergehend aufgefangen von einer Transfergesellschaft, blieben viele zunächst in Anstellung, bis neue Arbeitgeber:innen für die Standorte Wismar, Rostock und Stralsund gefunden wären. Nachdem diese Auffanggesellschaft vergangenen November verlängert worden war, lief sie Ende Februar endgültig aus. Von einst insgesamt 2.363 Beschäftigten bleibt für knapp 600 nur die Arbeitslosigkeit. Die Mehrheit konnte vermittelt werden. Allerdings kaum an die neuen Eigentümer:innen der Werftstandorte. KATAPULT MV hat mit zweien von ihnen gesprochen.

Roland Kuhn ist 59 Jahre alt, wohnt in Samtens auf Rügen und war mehr als 40 Jahre auf der Stralsunder Werft beschäftigt.

KATAPULT MV: Wo haben Sie gearbeitet und seit wann?

Roland Kuhn: Auf der Werft in Stralsund, ich habe dort am 1. September 1980 als Lehrling zum Schiffbauer angefangen. Genauer hieß es Stahlschiffbauer. Nach zwei Jahren bin ich dann zur Armee gegangen und habe anschließend drei Jahre studiert. 1988 kam ich dann zurück auf die Werft. Wobei die Jahre dazwischen mir trotzdem als Betriebszugehörigkeit anerkannt wurden.

Und was genau war ab dann Ihr Arbeitsfeld?

Ich habe in der Konstruktion angefangen. Da gab es viel zu tun. Zum Beispiel hatten wir noch die letzten Fischereischiffe aus DDR-Zeiten. Dann kam die politische Wende und dann ging es schon los mit dem Arbeitsplatzabbau. Ich selbst hatte aber immer noch Glück und konnte in meiner Abteilung beim Rohrleitungsbau bleiben – bis zur Insolvenz 2012. Von September bis Mitte April war ich da in einer Transfergesellschaft. Und danach konnte ich dann in der neu gegründeten Ingenieurgesellschaft anfangen, Ship Design Stralsund hieß sie. Angestellt war ich dort, wurde aber ein Jahr lang in Rostock bei Neptun Ship Design eingesetzt. Ich bin dann immer gependelt – morgens anderthalb Stunden hin und abends anderthalb Stunden zurück.

Danach kehrten Sie direkt auf die Werft in Stralsund zurück. Wie kam es dazu?

Der Weg zurück ergab sich durch den Kauf der Werft durch Nordic Yards im Jahr 2014. Nordic Yards hatte in den Auftragsbüchern Konverterplattformen. Für die termingerechte Abarbeitung der Aufträge benötigte die Firma dringend Bauplätze und Arbeitskräfte, unter anderem Konstrukteure. Daher wurde SDS aufgelöst und alle dort beschäftigten Mitarbeiter von Nordic Yards übernommen.

Was sind Ihre besten Erinnerungen an die Werft?

Aus meiner Sicht war es nach der politischen Wende die Zeit von Mærsk. Das war die beste Zeit! Unter den Dänen hatten wir tolle Projekte und die Kunden waren auch immer zufrieden.

Was waren das für Aufträge?

Ach, alles: Kabelleger herstellen, Ankerzieher, 4.000er-Containerschiffe, auch mal 2.500er. Und – wenn ich das mal anmerken darf – es hieß ja immer, dass die Werften im Osten den Umschwung vom Container- zum Spezialschiffbau nicht geschafft hätten. Aber auf der Stralsunder Werft wurden schon seit der Gründung Spezialschiffe gebaut. Das geht sehr oft unter.

Zurück zur Zeit von Mærsk: Da gab es einfach innerhalb der Werft eine gute Struktur. Zwar war die Arbeit auch immer am Limit, um die Termine einzuhalten, aber es war nie unmenschlich oder so.

Nach Mærsk kam dann 2007 die Hegemann-Gruppe, danach 2010 P+S-Werften, 2015 Nordic Yards und dann auch schon die MV-Werften. Die Wechsel habe ich alle mitgemacht. Und so schlimm sich das jetzt vielleicht anhört, aber eigentlich stand die Werft schon seit ’89 auf der Abschussliste der Politik. Seitdem war das „Weiter“ immer schon hart an der Grenze. Durch die vielen Wechsel stumpft man irgendwann einfach ab. Man hat aber auch immer wieder gehofft, dass es schon irgendwie weitergeht. Und das ging es ja auch.

Dann gab es also den letzten Wechsel, zu den MV-Werften …

… und nach der Insolvenz kam gleich der Wechsel in die Transfergesellschaft. Da war ich insgesamt elf Monate. Und jetzt bin ich arbeitslos.

Gab es irgendwelche Angebote für Sie?

Gleich zu Beginn hätte ich ein Angebot annehmen können – von Thyssenkrupp Marine Systems in Wismar. Dort war ich auch zusammen mit einem Kollegen aus Stralsund und einigen aus Wismar zu Schulungen. Damals hieß es aber auch, dass TKMS auch in Stralsund ein Büro aufmachen will. Das war dann ganz plötzlich aber doch nicht mehr so – dann ging es nur noch um Anstellungen in Wismar. Die Kollegen von dort, die mit uns die Schulung gemacht hatten, wurden übernommen. Uns aus Stralsund wurde kein Angebot gemacht. Aber ob wir das am Ende überhaupt gemacht hätten, ist fraglich. Das wären ja noch längere Pendelzeiten als nach Rostock geworden. Danach kam dann auf jeden Fall nie wieder ein Angebot.

Haben Sie sich auch umgeschaut?

Ja, ich hab’s auch ganz woanders versucht, hatte auch ein Bewerbungsgespräch. Aber das lief nicht so gut. In Rostock wäre es vielleicht kein Problem, einen Job im Bereich Konstruktion zu bekommen. Aber hier gibt es nicht wirklich Alternativen. Grundsätzlich war es aus meiner Sicht auch eine falsche Entscheidung, das Marinearsenal in Rostock anzusiedeln. Das hätte auch nach Stralsund gepasst. Dann hätte sich der Standort Rostock auf Offshore konzentrieren können. Da ist genug Platz für die großen Plattformen. Hier in Stralsund geht das nicht.

Und jetzt?

Ich bin noch mit einigen ehemaligen Kollegen und dem Betriebsrat in Kontakt. Wir treffen uns alle zwei Wochen und schauen, wie es auf der Werft so weitergeht. Möglicherweise soll da wieder gebaut werden, vielleicht schon ab Herbst. Man hört etwas von der Endeavour – das sind aber alles eher Spekulationen. Toll wäre es trotzdem! Die Frage ist dann nur, mit welchen Arbeitskräften die dort dann bauen wollen.

Und da hätten Sie aber Interesse? Und Hoffnung?

Ja, das könnte ich mir gut vorstellen. Ansonsten muss ich mich weiter umsehen. Ich werde jetzt 60 – ein bisschen zu arbeiten hab ich ja noch. Allerdings möchte ich wenigstens fürs Arbeiten dann mehr bekommen als fürs Zuhausebleiben. Na ja, die Hoffnung stirbt zuletzt – und ja, auch nach all den Jahren.

Marco Kulisch ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Greifswald und wollte seit seinem Schulabschluss Schiffbauer werden. Jetzt produziert er Schuhe.

KATAPULT MV: Auf welcher Werft hast du gearbeitet und seit wann?

Marco Kulisch: 2005 habe ich meinen Schulabschluss gemacht und hatte schon eine Ausbildung bei der Werft in Stralsund in Aussicht. Vorher hatte ich dort schon ein paar Praktika gemacht. Angefangen habe ich dann die Ausbildung zum Schiffbauer. Da habe ich vor allem auch eine ausführliche Ausbildung im Schweißen bekommen. Ich muss sagen, damals habe ich wirklich auf Wolke sieben gelebt. Ich hatte ein super Gehalt mit 2.000 Euro netto.

Was ist dann passiert, wie hast du es erlebt?

Die erste Krise gab es 2008. Diese erste Entlassungswelle habe ich aber noch überstanden. Ich war da so 20. Übernommen wurden wir dann von den P+S-Werften. Sie hatten uns damals große Aufträge versprochen. Die kamen aber nicht. Da ging es eigentlich so richtig los mit dem Abwärtstrend.

Als ich damals für einen Bericht über die Streiks in der Ostsee-Zeitung abgebildet wurde, kam das beim Arbeitgeber natürlich nicht so gut an. Dann kam aber sowieso kurz darauf die Pleite.

Die Werft wurde dann von Nordic Yards übernommen.

Ja, bei der Übernahme gab es aber als einzigen Einstieg nur die Möglichkeit der Leiharbeit. Es gab aber auch das Angebot, eine Umschulung zu machen – zum Turbinenschlosser. Das habe ich dann gemacht, wurde aber nach dem Abschluss nicht wieder auf die Werft zurückgenommen.

Was hast du dann gemacht?

Ich hab mich woanders beworben – bin erst zur Stralsunder Brauerei gekommen und später nach Greifswald in eine Elektrotechnikfirma. Und dann haben die MV-Werften die Werft in Stralsund übernommen. Da bin ich dann wieder zurückgekehrt und muss sagen, ich hatte wieder ein fantastisches Leben, so wie es ganz zu Beginn war. Ich konnte wieder Schiffbauer sein – also jetzt als Fertigungs- und Industriemechaniker. Es war also gut, dass ich die Zeiten der Kurzarbeit immer genutzt habe, um mich weiterzubilden.

So. Und dann kam die nächste Pleite bei der Werft. Da hatte ich zum dritten Mal das Theater. Und einfach keine Lust mehr. Ich war zu der Zeit auf einer Tagung, da habe ich mit Mitarbeitern von anderen Werften gesprochen. Dabei wurde mir klar, dass Vorpommern einfach der Mülleimer Deutschlands ist, was die Werftindustrie angeht: Es gibt zum Beispiel einfach 1.300 Euro Unterschied im Vergleich zu anderen Gehältern.

Aber erst mal bist du trotzdem dabeigeblieben.

In der letzten Zeit, in der ich schon in der Transfergesellschaft war, konnte ich zumindest noch eine zusätzliche Qualifikation im Schweißen von Edelstahl machen. Ich habe mich auch in der Region nach anderen Jobs im Schiffbau umgesehen, hatte während der Kurzarbeit auch Nebenjobs im Bootsbau und in einer Segelmacherei. Aber zum einen gibt es da nicht mehr viele Möglichkeiten und zum anderen eben auch nur mit sehr viel weniger Geld, als ich einst bei der Werft verdient habe.

Und dann hab ich mich weiter umgeguckt und bin vorletztes Jahr auf die Lehre zum Orthopädieschuhmacher gestoßen.

Das ist aber schon was ganz anderes.

Ja, aber mein Ansatz war auch, dass es Schuhe braucht, die länger als ein Jahr halten. Ich selbst habe mir in meiner Zeit auf der Werft viel kaputt gemacht – viele andere Mitarbeiter ihren Rücken, bei mir sind es vor allem die Füße. Ich trage jetzt selbst Schuheinlagen und merke den Unterschied.

Letzten September konnte ich im Gesundheitszentrum in Greifswald meine Ausbildung anfangen. Vor allem habe ich bei dem Wechsel den krassesten Unterschied im Betriebsklima erfahren, im Vergleich zu allen anderen Zwischenlösungen. Hier geben sich die Leute wirklich Mühe, ich habe zwei tolle Meister. Die nehmen sich Zeit, mir alles ordentlich beizubringen. Das habe ich sonst in keinem Betrieb außer der Werft erfahren.

Wie sieht’s bei deinen ehemaligen Kolleg:innen aus?

Es gibt einige, die noch immer arbeitslos sind, andere haben umgeschult. Mein Vater zum Beispiel. Er hat auch lange Jahre auf der Werft in Stralsund gearbeitet. Wir beide wären lieber dort geblieben. Das war einfach mein Traumberuf. So geht es auch vielen anderen. Aber jetzt bin ich ja trotzdem sehr zufrieden.

Bei den ganzen Zwischenschritten, die du beruflich gemacht hast – wie haben deine neuen Kollegen auf dich als ehemaligen Werftarbeiter reagiert?

Viele haben leider kein Verständnis gezeigt. Da hieß es: „Du kommst von der Werft, was willst du denn jetzt hier?“ Oder auch bei einem Bewerbungsgespräch sagte jemand: „Du bekommst hier aber nicht so viel Geld wie auf der Werft.“ Es gibt oft den Vorwurf, dass in die Werftstandorte viel zu viel Geld reingebuttert worden ist. Als Umschüler hat man keine hohe Stellung.

Wie siehst du persönlich die Entwicklung, dass die maritime Wirtschaft in MV am Ende zu sein scheint?

Na ja, damals war die Volkswerft in Stralsund mal die schnellste Europas. Die große blaue Halle war immer voll: An einer Ecke wurde ein neues Schiff gebaut, daneben Ankerzieher für Ölplattformen und auf der anderen Seite waren Schiffe in Reparatur. Überall in der Halle war was los. Da gab es noch viel zu tun. Da gab es auch noch viel Personal. Nach der Volkswerft kamen viele Leiharbeiter. Damit ging’s bergab. Die festen Leute wurden immer weniger. Schwesig haben wir zu verdanken, dass es so lange weiterging. Sie hat sich jahrelang für uns eingesetzt. Tatsächlich wurden in der Pleite sogar einige Arbeitsplätze mit Nord-Stream-Aufträgen finanziert. Zwar auch wieder als Leiharbeit, aber wenigstens gab es so etwas zu tun.

Und sie hat sich sogar danach noch für mich persönlich eingesetzt. Denn für die Umschulung zur Orthopädie, die ich ins Auge gefasst hatte, hätte ich keinen Zuschuss vom Arbeitsamt bekommen. Die Berufsschule ist nämlich in Lübeck und allein die Unterbringung zu bezahlen, hätte ich nicht finanzieren können. Dafür brauchte ich Unterstützung. Das Arbeitsamt wollte mich als Leiharbeiter lieber in die Metallbranche vermitteln. Da wollte ich aber nun mal einfach nicht hin. So habe ich sie einfach direkt angeschrieben und sie hat reagiert und sich beim entsprechenden Arbeitsamt für mich eingesetzt. Nur so habe ich die Förderung für meine Ausbildung bekommen.

Hast du mit den maritimen Berufen abgeschlossen?

Erst mal schon. Vielleicht ergibt sich irgendwann nochmal was. Mit meinen Qualifikationen kann ich mir eine Hintertür offenhalten. Aber gerade ist es schon ein Abschluss.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 20 von KATAPULT MV.

Quellen

  1. A. P. Møller-Mærsk war eine dänische Reederei, die die Stralsunder Werft von 1998 bis 2007 übernommen hatte.
  2. A. P. Møller-Mærsk ließ in Stralsund mehrere Containerschiffe vom Typ VWS 4.000 bauen. Die Zahl 4.000 steht dabei für die Transportkapazität an Standardcontainern.

Autor:in

  • Bild von KATAPULT MV Redaktionsleiterin Martje Rust

    Redaktionsleitung

    Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach MV.