„Bitte helfen Sie uns“ und „Bitte schreibt darüber!!“: Dieses Jahr haben uns mehrere E-Mails von Berufsschüler:innen erreicht. Der Grund ihrer Hilferufe: Rechtsextremismus an ihren Berufsschulen. Die E-Mails kamen von ehemaligen und aktuellen Auszubildenden des Regionalen Beruflichen Bildungszentrums (RBB) Greifswald und der Berufsschule (BS) Technik in Rostock. An beiden Schulen absolvieren Azubis aus dem ganzen Bundesland den schulischen Teil ihrer Ausbildung.1 Die Fachbereiche sind vielfältig: Während in Greifswald etwa Kraftfahrzeugmechatronikerinnen, Notfallsanitäter und Gärtnerinnen lernen,2 sind es in Rostock zum Beispiel Zimmerleute, Maurerinnen oder Maler.3
Die Vorwürfe, die in den Mails gegen Mitglieder der Schülerschaft, aber auch die Schulleitungen erhoben werden, sind schwerwiegend. Es geht zum einen um Hakenkreuze und SS-Runen in Toiletten- und Unterrichtsräumen sowie Hitlergrüße auf dem Schulhof und in Klassenzimmern. Zum anderen ist es die damit verbundene Tatenlosigkeit der Pädagog:innen, die für Unverständnis sorgt.
Rechtsextreme Sticker auf Türen, Feuerlöschern und Toiletten
„Fast direkt am ersten Tag sind uns die Aufkleber aufgefallen“, berichten Schüler:innen des RBB. Die große Zahl habe sie überrascht. So seien rechte bis rechtsextreme Sticker, teilweise sehr offensichtlich, auf Türen, Feuerlöschern oder Handtuchspendern in der Toilette angebracht gewesen. Darunter Aufkleber der rechtsextremen Identitären Bewegung, rechte Kampfbegriffe und Slogans – zum Beispiel der Aufruf „Zecken jagen“ – oder auch eine Reichsflagge. Die Schule habe solche Zeichen, trotz der teils gut sichtbaren Positionierung, nicht entfernt. Das hätten stattdessen Schüler:innen übernommen. Darüber hinaus sei bekannt, wer die Aufkleber angebracht habe.
Dass es „vereinzelt“ entsprechende Sticker gab, dementiert die Schule auf Nachfrage nicht. Ebenso räumt sie ein, von Schüler:innen darauf hingewiesen worden zu sein. Dass Sticker jedoch nicht entfernt würden, stimme nicht. Die Schule sei vielmehr bemüht, alles schnellstmöglich zu beseitigen, und ermutige Schüler:innen, auf Aufkleber hinzuweisen. Eine Zuordnung „zu einzelnen Schülern“ sei „nicht in allen Fällen möglich“, heißt es weiter. Gleichzeitig wisse man nicht, „wer welche Aufkleber wo angeklebt“ habe.
Auch in der Rostocker BS Technik finden sich rechtsextreme Sticker – hier sogar direkt in Klassenräumen, sagen Auszubildende. Darunter zum Beispiel eine sogenannte Schwarze Sonne oder Aufkleber des rechtsextremen Onlineversandhandels Druck 18.4 Entsprechende Fotos liegen KATAPULT MV vor.
Hakenkreuze und Hitlergrüße
In den Gebäuden beider Schulen sind Schüler:innen außerdem Hakenkreuze aufgefallen – als Schmiererei oder eingeritzt auf Stühlen in Klassenzimmern. Für die BS Technik ist das durch ein Foto belegt. Dass es mindestens einen entsprechenden Vorfall auch am RBB gab, bestätigen sowohl die Schule als auch die Polizei. So sei im Sommer 2023 ein mit Filzstift gemaltes Hakenkreuz „auf einem Stuhl in einem Klassenzimmer“ entdeckt worden. Daraufhin wurde Anzeige erstattet, schreibt die Polizei. Eine bestimmte Person konnte dafür jedoch nicht verantwortlich gemacht werden.5 Doch auch danach fanden sich noch verfassungsfeindliche Symbole am Mobiliar, wie uns Schüler:innen berichten. Das geht auch aus einem schulinternen Dokument hervor, das uns vorliegt. Dass das RBB diese erst nach Hinweisen aus der Schülerschaft entfernt habe, kommentierte die Schule in ihrer Stellungnahme nicht. Weitere Anzeigen liegen der Polizei nach eigenen Angaben nicht vor.
Außerdem sollen am RBB wiederholt Schüler die Türen zu einem Klassenraum – während des Unterrichts – von außen aufgestoßen, „Heil Hitler“ gerufen und den Hitlergruß gezeigt haben. Nach Aussage von Schüler:innen habe die Lehrkraft im Raum die Vorfälle mitbekommen. Das sei zwar nicht in Ordnung, aber „das sind halt die Idioten“, habe sie dazu geäußert. Unternommen worden sei nichts. Anzeige erstattet haben weder Schüler:innen noch die Schule. Sie hätten befürchtet, dass sich alle gegenseitig decken und Aussage gegen Aussage stehen würde, so die Schüler:innen.
Konfrontiert mit dem Vorwurf der Hitlergrüße schreibt der zuständige Abteilungsleiter des RBB, dass der Schule entsprechendes „nicht bekannt“ sei. Dass das nicht stimmt, darauf deutet zumindest ein Dokument hin, das der Redaktion vorliegt. Darin wird unter anderem ein „Sieg Heil“-Ausruf beschrieben. Auf erneute Nachfrage schreibt das zuständige Bildungsministerium, dass der bisherigen Stellungnahme der Schule „nichts hinzuzufügen“ sei.6
Auch an der BS Technik wird laut Schüler:innen während des Unterrichts und der Pausen der Hitlergruß gezeigt. Einige Schüler sollen sich konsequent mit dem strafbaren Symbol melden. Dies werde von den Lehrkräften entweder nicht erkannt oder ignoriert.
Das zuständige Bildungsministerium nimmt zu den gesammelten Vorwürfen noch keine Stellung: „Wir gehen den aufgeführten Vorfällen nach und nehmen die Aufklärung der einzelnen Punkte sehr ernst. Erst nach Abschluss der Gespräche mit den Beteiligten können die Fragen beantwortet werden.“7
Die Probleme mit verfassungsfeindlichen Symbolen am Greifswalder RBB beschränken sich nicht nur auf die analoge Welt. So schreibt die Polizeiinspektion Anklam, dass ihr im Oktober 2024 die Verwendung solcher Symbole in einem Klassenchat bei Whatsapp online gemeldet wurde. Es gebe „acht beschuldigte Schüler“ zwischen 16 und 18 Jahren. Gegen sie werde wegen Verwendens von verfassungswidrigen Kennzeichen ermittelt, so ein Sprecher.8
Sexismus auf dem Bau und in der Schule
Dass in so einer „rechten Dominanzkultur“, wie die Sozialwissenschaftlerin Christine Krüger von der Hochschule Neubrandenburg es nennt, verantwortliche Erwachsene nicht handeln und sie diese sogar noch befeuern, erleben Schüler:innen der Berufsschule Technik in Rostock regelmäßig. „Die Lehrer sind genauso schwierig wie die Schüler“, erzählt Ole*. Ein Lehrer habe zum Beispiel während des Unterrichts frauenfeindliche Witze erzählt – über Frauenparkplätze oder darüber, wie man(n) seine Ehefrau umbringen kann.9
Dass Frauen im Handwerk täglich mit Sexismus konfrontiert sind, ist auch für die Schüler:innen an der BS Technik nichts Neues. Auf der Baustelle unterschätzt werden, weil man eine Frau ist? Anspielungen zur Arbeit auf Knien beim Fliesenlegen? Eine Bohrschablone mit darumgezeichneter nackter Frau in der Werkhalle? Das alles haben Luisa* und Annika* in ihrem Beruf schon erlebt.
Und geklärt: Sie haben Wege gefunden, auf dem Bau mit anzüglichen Bemerkungen, entwürdigenden Anspielungen und degradierenden Klischees umzugehen. Sie suchen sich moralische Unterstützung, sprechen Männer auf sexistisches Verhalten an und fordern Respekt ein. Das habe bisher gut geklappt, sagen sie. „Wir fühlen uns immer bereit, das anzusprechen, haben keine Scheu und tun das gerne“, erzählt Luisa. Auch Annika sagt: „Für uns ist das ein sehr positives Gefühl, dass es etwas gebracht hat, was zu sagen.“
„Ich habe wirklich Angst in der Schule“
Anders in ihrer Berufsschule: Dort fühlen sie sich allein und trauen sich nicht mehr, die Stimme zu erheben. „Ich habe wirklich Angst in der Schule“, sagt Luisa. Dabei sollte gerade die Schule ein sicherer Raum sein, findet sie. „Wir haben schon genug auf Baustellen erlebt. Wenn es einen Ort gibt, wo wir damit mal aufhören sollten, dann in der Schule.“ Doch gerade in ihrer Schule sei Sexismus besonders schlimm, auch die Mitschüler würden sich das aneignen.
Allein der Weg in die Schule, durch das Eingangstor hindurch, ist für Luisa ein Spießrutenlauf: „Ich versuche so sehr, mich abzulenken, mich nicht auf meine Mitschüler zu konzentrieren. Weil ich als Frau auf jeden Fall ständig irgendwelche Pfiffe oder dummen Kommentare bekomme.“
Und in der Schule geht es weiter: Geht es im Unterricht um Fenster, können sich Schülerinnen auf einen sexistischen Kommentar des Lehrers zum Thema Fensterputzen einstellen. „Die ganze Klasse hat gelacht“, erinnert sich der ehemalige Berufsschüler Hagen* an eine Situation. Fast die ganze Klasse: „Die einzige Frau unter 18 Männern saß nur da und hat irgendwie probiert, das cool wegzustecken.“
Queerfeindlichkeit in Schüler- und Lehrerschaft
Für Transpersonen, Intersexuelle und Queere muss die Atmosphäre an den Berufsschulen noch bedrohlicher sein. So fand ein Schüler der BS Technik zum Beispiel die Toiletten eklig, woraufhin ihm ein Lehrer riet, er solle einfach sein Geschlecht ändern und das Frauenklo benutzen. Und als vor etwa zwei Jahren eine Regenbogenflagge als Zeichen der Vielfalt und Toleranz am Fahnenmast der Schule gehisst werden sollte, sagte ein Lehrer sinngemäß, er wolle nicht ständig die „Schwulenfahne“ sehen und sich homosexuellen Geschlechtsverkehr vorstellen müssen. Darüber hinaus setzte er Homosexualität mit Pädophilie gleich.
Zur Einordnung:
Das Gleichsetzen von Homosexualität und Pädophilie ist keine Meinung, sondern falsch. Der Vorwurf, man könne sein Geschlecht schnell und unkompliziert ändern, ignoriert die Realität von Transmenschen.
Einige Schüler:innen kritisierten seine Aussagen sofort im Unterricht. Doch eine Gegenmeinung ließ der Lehrer nicht zu. „Er hat uns eigentlich nur unterbrochen“, erinnert sich Hagen. „Er war gar nicht offen für eine Diskussion, sondern wollte wahrscheinlich nur seine politische Botschaft kundtun.“ Auch im Nachhinein habe sich der Lehrer weiterhin homo- und transphob geäußert. Noch bevor die Regenbogenflagge gehisst werden konnte, ging der Fahnenmast kaputt. Wie, ist nicht bekannt.
Auch vom RBB in Greifswald berichten Schüler:innen von Queerfeindlichkeit. Es gehe dabei so weit, dass ein älterer Jahrgang den aktuellen Azubis aus dem ersten Lehrjahr im vergangenen Herbst empfohlen habe, besser keine Pride-Anstecker oder Ähnliches an der Kleidung zu tragen – „zu ihrer eigenen Sicherheit“. Gegenüber KATAPULT MV bezeichnen die Schüler:innen das angesichts ihrer Erlebnisse als „angemessene Empfehlung“. Zudem berichten sie, dass einzelne Schüler:innen für sich bereits Konsequenzen gezogen hätten und am Unterricht nur noch digital teilnehmen – eine Folge von Drohungen, Beleidigungen und körperlichen Übergriffen. Ihr Eindruck: Offensichtlich queere Menschen können sich an der Schule nicht mehr sicher und wohlfühlen. „Das weisen wir strikt von uns“, antwortet der Abteilungsleiter im Namen der Schule. „Unsere Schülerinnen und Schüler können sich in der Schule sicher fühlen.“
Die Mär vom Neutralitätsgebot
In den Berichten der Schüler:innen der BS Technik stehen auch immer wieder die Lehrkräfte im Zentrum der Kritik – es würden „politische Monologe“ und ausufernde politische Diskussionen von Lehrern geführt, die weder mit Unterrichtsinhalten zu tun hätten noch andere als eine rechte politische Meinung zuließen. Kritische Schüler:innen würden schikaniert, bis sie sich nicht mehr trauten, etwas zu sagen oder anderweitig aufzufallen.
Dabei soll genau das in Schulen nicht passieren. Wie Lehrkräfte dazu beitragen können, war in den vergangenen Monaten deutschlandweit immer wieder in der Diskussion. Im Zentrum: der sogenannte Beutelsbacher Konsens, in dem 1976 Leitlinien für die politische Bildung in der Bundesrepublik festgelegt wurden. Obwohl er rechtlich nicht bindend ist, beziehen sich viele Schulgesetze der Länder auf ihn. Demnach sollen Lehrende Schüler:innen ihre Meinung nicht aufzwingen (Überwältigungsverbot). Außerdem müssen kontroverse gesellschaftliche Debatten auch in der Schule kontrovers behandelt werden (Kontroversitätsgebot).
Das heißt aber nicht, dass Lehrkräfte in der Schule neutral sein müssen, wie es die AfD nicht müde wird zu behaupten. „Es gibt keine Neutralitätspflicht oder kein Neutralitätsgebot“, stellt Sozialwissenschaftlerin Krüger klar. Im Gegenteil: Lehrer:innen müssen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten und dürfen in dieser Hinsicht gar nicht neutral sein: „Es ist unsere Pflicht als Lehrkräfte, die Verfassung zu verteidigen. Darauf schwören wir, da gibt es keine Neutralität“, betont Krüger.
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sagt dazu: „Ganz im Gegensatz zu einer neutralen Haltung verpflichten Grundgesetz, Landesverfassung und das Schulgesetz10 Lehrkräfte zur Loyalität gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“ Lehrkräfte dürfen sich also gegenüber verfassungsfeindlichen Positionen nicht neutral verhalten. Werden Prinzipien des Grundgesetzes wie Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat oder Gleichheitsgrundsatz infrage gestellt, dürfen Lehrer:innen dies nicht hinnehmen. Rechtsextreme und verfassungsfeindliche Positionen sind als solche zu kennzeichnen, zu diskutieren und als rechtswidrig zu kritisieren.11 Weil Lehrkräfte, wie alle Beamt:innen, jedoch politisch neutral sein müssen, dürfen sie keine einzelnen Meinungen oder Parteien im Unterricht bevorzugen. Dennoch dürfen sie ihre Meinung frei äußern – auch für Lehrer:innen gilt die Meinungsfreiheit. Dabei müssen sie allerdings auch anderen politischen Überzeugungen Raum lassen.
Krüger bezeichnet das als erfolgreiche Diskursverschiebung durch die AfD: Dieses Jahr stellten die Partei und ein ehemaliges Mitglied drei Anträge und Kleine Anfragen zum Thema im Landtag.12 „Die AfD nutzt Anfragen strategisch, um Fachkräfte und Schulen zu verunsichern und so eine Drohkulisse aufzubauen“, sagt Krüger. Das betreffe vor allem Lehrer:innen, die sich gegen rechtsextreme und antidemokratische Tendenzen an ihren Schulen einsetzen.
Gleichzeitig verunsichere es alle Lehrkräfte dahingehend, was im Unterricht erlaubt ist und was nicht. Durch die falsche Darstellung des Neutralitätsgebots für Lehrkräfte würden Debatten über Werte an Schulen verhindert, so der Schulrechtsexperte Stephan Rademacher.13
„Gelungene Raumnahme“ der Rechtsextremen
Doch an der BS Technik werden nicht nur demokratische Stimmen zum Schweigen gebracht, sondern auch rechtsextreme Positionen normalisiert. Lehrer lassen sich selbst zu rechten Aussagen und unterrichtsstundenlangen Diskussionen animieren. Auszubildende würden Lehrende dazu regelrecht provozieren: „Der eine dadurch, dass er so lange fragt, bis der Lehrer von seiner politischen Meinung erzählt. Der andere dadurch, dass er ständig Hitlergrüße macht“, erzählt Ole.
Sozialwissenschaftlerin Krüger vermutet, dass die Lehrkräfte sich von rechtsextremen Schüler:innen instrumentalisieren lassen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Andernfalls müssten sie sich mit der Klasse auseinandersetzen. „Das ist eine gelungene Raumnahme, anders kann man das nicht bezeichnen. Wenn Schüler:innen der Lehrkraft diktieren, wie sie konfliktfrei durch ihren Arbeitsalltag kommt, und die Lehrkraft das dankbar annimmt, hat die Strategie sehr gut funktioniert.“
Schüler:innen fühlen sich hilflos
Wenn sich in der Schule eine rechte Dominanzkultur verbreite, die nicht nur von Schüler:innen ausgeht, sondern auch von Lehrkräften, habe das weitreichende Folgen für Schüler:innen, erklärt Christine Krüger weiter. „Aus der Forschung wissen wir, dass es schon massiv ist, wenn das von Mitschüler:innen kommt.“ Noch schlimmer aber: wenn das Verhalten von Lehrkräften ausgeht. Das erschüttere die Identität der Lernenden. Man sei den Lehrern ausgeliefert mit ihrer Macht der Notengebung; Schüler:innen werden ausgegrenzt, erleben die Schule als verbal übergriffig und gewaltvoll. Das führe zu Schulverweigerung, schlechten Leistungen, Stress und psychischen Beeinträchtigungen, so die Forscherin.
Wie belastend es ist, bestätigen uns Schüler:innen, die sich gegen rechtsextreme, menschenfeindliche und antidemokratische Tendenzen positioniert haben. „Ich kann nichts mehr sagen, ohne dass die gesamte Klasse auf mich guckt, auf mich zeigt und irgendwie dagegen ist“, beschreibt Annika ihren Schulalltag. Ihre Konsequenz: Im Unterricht kaum noch etwas sagen und die Zustände „über sich ergehen lassen“. „Einfach, weil jedes Mal gegen mich persönlich geschossen wird.“ Ihre bloße Anwesenheit provoziere Schüler und Lehrer bereits zu problematischen Aussagen, „um zu gucken, wie ich reagiere“, so die Schülerin. „Und das ist ja überhaupt nicht meine Rolle, eigentlich sollte das die Rolle der Lehrkraft sein.“
Stattdessen positionieren sich die Lehrer im Unterricht auf der Seite der rechtsextremen Schüler. Das zeigt sich in Äußerungen wie: „Es gibt ja Leute im Raum, die anders wählen als wir“, „Natürlich hast du das linke Ergebnis richtig“ oder „Ach, jetzt sitzt du ganz links außen“.
Annika hat bereits darüber nachgedacht, die Schule zu wechseln. Sie habe sich dagegen entschieden, um die „paar wenigen anderen“ nicht alleinezulassen. Auch wenn es für sie „psychisch belastend ist, da jeden Tag hingehen zu müssen und zu wissen, heute kriege ich wieder auf die Schnauze, heute wird es wieder unangenehm“.
Sie sei deswegen auch schon mal krankgeschrieben gewesen. Sie habe bei ihrer Ärztin einen Zusammenbruch gehabt, habe angefangen zu weinen, als es um ihre Schule ging. Davon war sie selbst überrascht. Doch es sei bezeichnend, „dass ich da auch sehr viel in meiner Freizeit drüber reden muss und damit alle meine Freunde mitbelaste, weil ich das nicht alleine verarbeiten kann, was das für [eine] Scheiße ist.“
Und sie ist nicht allein: Felix* habe eine „psychosomatische Sache“ entwickelt, wie er sagt. Er musste sich im Berufsschulalltag jeden Morgen übergeben. Erst sein Arzt habe das in Verbindung mit der Schule gebracht. Mittlerweile nehme er Medikamente dagegen.
Zentrale Rolle der Schulleitung
„Das ist das Problem in dieser Schule, dass die Lehrer einfach krass viel Macht haben und du keine Stelle hast, wo du dich melden kannst“, fasst Hagen seine Erfahrungen mit der BS Technik zusammen. Man könne zwar immer wieder „Stunk machen“, doch ändern würde sich nichts. Außer, dass sie sich das (Schul)Leben schwermachen.
Gleichzeitig könne man die Lehrer nicht kritisieren, „weil man so von ihnen abhängig ist“, sagt Felix. „Diese drei Lebensjahre, die man in dieser Schule investiert, sind mit einem Schnipp umsonst, wenn sie einen durchfallen lassen.“
Ein Gefühl der Hilflosigkeit beschreiben auch die Schüler:innen vom RBB mit Blick auf die rechtsextremen und queerfeindlichen Vorkommnisse in Greifswald. Sie wüssten nicht, was sie – nachdem sie sich mehrfach beschwert hätten – noch tun sollten. Diesen Eindruck begründen sie unter anderem mit der – aus ihrer Sicht – Untätigkeit der Schulleitung.
Wenn sowohl in der Lehrerschaft als auch in der Schulleitung bekannt ist, welche Schüler:innen aus welcher Klasse durch rechtsextremes Gedankengut auffallen und wer queere Schüler:innen mobbt, warum werden dann keine eindeutigen Konsequenzen gezogen, fragen sie sich. „Wir sind total frustriert.“ Besonders eine Klasse sei auffällig und dort eine Handvoll Schüler. Die Schule habe bislang lediglich den Unterrichtsraum einer Klasse im Gebäude geändert – sie wurde aus der direkten Umgebung der problematischen Klasse versetzt. „Das ist doch absolut unmöglich“, finden sie. Und auch keine Lösung. Warum können Schüler:innen nicht einfach von der Schule verwiesen werden? Habe die Schule nicht ein Recht dazu?
Die Schule verneint auf Nachfrage die Möglichkeit, „die weitere Ausbildung zu verweigern“. Sie stehe aber bei solchen Vorfällen in engem Austausch mit den Betrieben. Dieser direkte Kontakt sei „eines der wirksamsten Instrumente, (…) um das Verhalten eines Azubis (…) zu ändern“. Aus schulischer Sicht existierten zudem Maßnahmen nach dem Schulgesetz,14 die bis zur zeitweiligen Suspendierung reichten. Das werde „auch am RBB Greifswald genutzt“.
Doch nicht nur Schüler:innen hätten auf die Probleme am RBB aufmerksam gemacht. Auch einer der Ausbildungspartner – das Berufsbildungswerk Greifswald (BBW) – habe sich, so berichten es die Schüler:innen, mehrfach mit der Schule auseinandergesetzt. Etwas gebracht habe es nicht.
Das BBW will sich auf Nachfrage nicht offiziell zu einer möglichen Unterredung mit dem RBB äußern.15 Die Schule weist jegliche Vorwürfe von sich. Dass das BBW sich an die Schule gewandt und die Schule keine Konsequenzen daraus abgeleitet habe, entbehre „jeglicher Grundlage“.
Klima von Unterdrückung und Angst
Auch in Rostock reagiert die Schulleitung aus Sicht der Auszubildenden nicht adäquat. So hätten Schüler:innen den Schulleiter darüber informiert, dass eine Gruppe Schüler:innen einem vorbeifahrenden Auto den Hitlergruß gezeigt habe. Der Rektor riet den Schüler:innen, das untereinander zu klären. Als sich Schüler:innen wegen homo- und transphober Äußerungen eines Lehrers an den Schulleiter wandten, gab es offenbar ebenfalls keine Konsequenzen.
Fakt ist: Das Zeigen des Hitlergrußes ist eine Straftat. Schulleitungen sind dazu verpflichtet, solche Fälle der Schulbehörde und dem Bildungsministerium zu melden; Letzteres meldet den Vorfall dem Innenministerium.16
„Was die Lehrkräfte machen, hat den Rahmen dessen, was in einer Schule passieren darf, lange verlassen“, ordnet Sozialwissenschaftlerin Krüger ein. „Ich bin total erschrocken.“ Es herrsche ein Klima von Unterdrückung und Angst. „Die Schüler:innen in Rostock werden eingeschüchtert, das ist ein gewaltvolles Handeln“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Lösung: Handlungskonzept
Schulen würden dazu neigen, Probleme innerhalb der Schule zu regeln oder sie nicht zu benennen und zu thematisieren, erklärt Krüger. „Keine Schule möchte ein Imageproblem haben oder als schwierige Schule gelten“, resümiert die Wissenschaftlerin. Gleichzeitig unterstellt sie Schulen, Lehrkräften und Leitungen keinen bösen Willen: „Es kann sein, dass die Schulen nichts verschleiern wollen. Es kann auch einfach sein, dass sie nicht wissen, wie damit umzugehen ist“, sagt Krüger. An Schulen gebe es oft eine große Unsicherheit in der Belegschaft.
„Was den meisten Schulen fehlt, ist ein Handlungskonzept“, ergänzt Krüger. Darin wird festgeschrieben, wie die Meldekette abläuft, was zu welchem Zeitpunkt zu tun ist, wie Rechte Betroffener geschützt werden, wie eine Anonymisierung erfolgen soll, welche Daten weitergeleitet werden dürfen und welche nicht, wer in den Fall einbezogen wird und zu welchem Zeitpunkt. „Das würde ich allen Bildungseinrichtungen empfehlen. Ohne Handlungskonzept bleibt mir in meiner Hilflosigkeit nichts anderes übrig, als zu sagen: Macht das unter euch aus.“
*Auf Wunsch der Schüler:innen haben wir alle Namen geändert. Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt.
- Stellungnahme des RBB Greifswald vom 13.12.2024. ↩︎
- RBB Greifswald (Hg.): Fachbereiche, auf: rbb-greifswald.de. ↩︎
- BS Technik Rostock (Hg.): Berufsschule, auf: bs-technik-rostock.de. ↩︎
- Deutscher Bundestag (Hg.): Erkenntnisse über den Online-Versandhandel „Druck 18“, auf: bundestag.de (13.9.2023). ↩︎
- E-Mail der Polizeiinspektion Anklam vom 28.11.2024. ↩︎
- E-Mail des Ministeriums für Bildung und Kindertagesförderung MV vom 17.12.2024. ↩︎
- E-Mail vom Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung MV am 11.12.2024 und 18.12.2024. ↩︎
- E-Mail der Polizeiinspektion Anklam vom 28.11.2024 (II). ↩︎
- Telefonat mit Prof. Christine Krüger am 5.12.2024. ↩︎
- §§ 3, 8, 13, 14, 16 Schulgesetz MV. ↩︎
- Anders, Florentine: Wie neutral müssen Lehrkräfte sein?, auf: deutsches-schulportal.de (12.6.2024). ↩︎
- Landtag MV (Hg.): Antrag der Fraktion der AfD: Politische Indoktrinierung und exekutive Übergriffe an Schulen beenden – Beutelsbacher Konsens einhalten, auf: landtag-mv.de (14.3.2024) / Landtag MV (Hg.): Antrag der Fraktion der AfD: Zugang von Parteien und parteinahen Stiftungen zu Kindertagesstätten und Schulen beschränken – Neutralitätsgebot wahren, auf: landtag-mv.de (10.4.2024) / Landtag MV (Hg.): Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Eva Maria Schneider-Gärtner, fraktionslos: Genderforschung an Universitäten und Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern, auf: dokumentation.landtag-mv.de (14.10.2024). ↩︎
- Anders 2024. ↩︎
- §§ 60, 60a Schulgesetz MV. ↩︎
- E-Mail des BBW Greifswald vom 28.11.2024. ↩︎
- Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur MV (Hg.): Verwaltungsvorschrift für den Umgang mit Notfällen an den öffentlichen Schulen des Landes Mecklenburg-Vorpommern, auf: service.mvnet.de (29.1.2010). ↩︎