Dinos in MV

Schatzgrube Grimmen

Welche Dinos haben mal in MV gelebt? Keine Ahnung! Wissen auch die Forscher:innen nicht so genau. Immer wieder neue Erkenntnisse darüber liefert aber eine frühere Tongrube bei Grimmen. Dort wurden seit den 60er-Jahren Überreste von Dinosauriern entdeckt. Landesweit bisher die einzigen. Die Funde stoßen auf großes internationales Interesse, hierzulande sieht es mit der Begeisterung dürftiger aus. Genau wie mit Forschungsgeldern.

Haben Sie auch Jurassic Park gesehen? Wie finden sie das? Ist der Dinopark auf Rügen gut? Realistisch? Der Greifswalder Paläontologe Marco Schade kennt solche Fragen und beantwortet sie noch immer gern. Zwar muss er darüber schmunzeln, aber zumindest findet man mit ihnen eine gemeinsame Gesprächsgrundlage über seine Arbeit. „Dinosaurier gehen halt immer!“, sagt er.

Vom Langhalsbeckenknochen bis zum Spinosauriergehirn

Marco Schade hat schon einige prähistorische Funde untersucht: Zuletzt Schädelüberreste eines Struthiosaurus, der in Österreich gefunden wurde. Davor war es ein in Brasilien gefundenes Gehirn eines Spinosauriers, eines der größten fleischfressenden Dinosaurier der Oberkreidezeit.

International funktioniere die Zusammenarbeit sehr gut, sagt Schade. Das Interesse verbinde und motiviere alle in ihrem Forscherdrang. Jetzt aber konnte er endlich auch mal eine Forschungsarbeit über einen Fund aus seiner Heimat präsentieren.

Paläontologe Marco Schade arbeitet an der Universität Greifswald. (Foto: M. Rust)

Stegosauriervorfahren bei Grimmen

Eine ehemalige Tongrube in Klein Lehmhagen bei Grimmen stellte sich bereits in den 1960er-Jahren als wahre Fundgrube heraus: Arbeiter, die dort die Tonerde für die Produktion von Leca-Blähton abbauten, fanden einige Stücke. Unter anderem wurde der Schädel eines Emausaurus ernsti entdeckt. Der Fund bei Grimmen war der weltweit erste dieser Art. Ein fast vollständig erhaltenes Skelett einer nah verwandten Art wurde in England freigelegt. Sie soll ein früher Verwandter von Stego- und Ankylosauriern sein, aus der frühen Jurazeit. Ein evolutionär bedeutender Fund, sagt Marco Schade. Denn so könne man noch mehr über die Zusammenhänge und Entwicklungstendenzen der Tiere herausfinden. 

Heute ist die Grube zugelaufen und ein Baggersee. Man kommt nur noch an einen kleinen Teil der fossilientragenden Schichten heran. Einige abgetragene Reste werden nach wie vor untersucht. So hat man dabei beispielsweise 2015 einen Wirbel sowie Beckenknochenreste eines Langhalssauriers näher untersucht.

Bisher gefundene Fossilien von Dinosauriern aus der Tongrube bei Grimmen. (Foto: M. Rust)

Der neueste Fund von 2017 ist eine Hautknochenplatte. Marco Schade hat ihn analysiert und kommt zu dem Schluss, dass es die Platte eines nahen Verwandten des Emausaurus sein muss. Das sei die einzige Gruppe, die solche Hautknochen produziert hat und sowohl zeitlich als auch räumlich infrage komme. Vermutlich waren die Hautknochen von Emausaurus sehr vielgestaltig und hatten unterschiedliche Größen. Vieles sei da aber noch sehr ungewiss, betont der Paläontologe.

Warum Grimmen?

Dass die landesweit einzige Dinosaurierfundstelle in Grimmen liegt, erklärt sich Marco Schade mit der Eiszeit: MV wurde von Gletschern „überschoben“. Die transportierten unter anderem offenbar einen riesengroßen Tonsedimentkörper mit, der sich dort ablagerte. Die meisten der anderen Sedimente in MV seien weitaus jünger. Die bei Grimmen aber trügen mit rund 180 Millionen Jahre alten Ablagerungen Fundstücke aus der frühen Jurazeit. Dass es ansonsten keine Dinosaurierfunde gibt, sei vor allem der Tatsache geschuldet, dass andere Fossilien noch zu tief unter der Erde lagern. Ein weiterer Faktor: MV war zeitweise fast vollständig von Wasser bedeckt. Daher würde man beispielsweise an den Kreidefelsen auf Rügen oder ähnlichen Abbruchflächen eher versteinerte Meerestiere wie Ammoniten und Fische finden. Einzelne Zähne eines Meeresreptils namens Mosasaurus wurden auf Rügen aber auch schon gefunden. Diese Tiere sollen vor 67 Millionen Jahren – in der Zeit der Oberkreide – auf dem Gebiet der heutigen Insel gelebt haben. Sie konnten bis zu 15 Meter lang werden. So bleibt aber Grimmen MVs eigentliche Schatzgrube für Dinosaurierüberreste.

Forschungsgelder

Um in allen Gebieten zu graben, wo es potenziell interessante Funde aus früheren Erdzeitaltern gibt, bräuchte es weitaus mehr Gelder, sagt Marco Schade. Am Institut für Geographie und Geologie ist der Paläontologe gerade Promotionsstudent. Fast anderthalb Jahre darf er dort noch seinen Forschungen nachgehen.

Was danach kommt, ist ungewiss – ob Gelder da sein werden, damit er an der Uni bleiben kann, oder ob er etwas anderes machen muss. Wegziehen möchte er eigentlich nicht mehr, sagt er. Dafür sei ihm die Arbeit hier zu wichtig. Und dass MV auch weiterhin einen Teil zur erdgeschichtlichen Aufarbeitung beitragen kann.

Der neueste Fund aus Grimmen: eine Hautknochenplatte. (Foto: M. Rust)

International stoßen Schades Arbeiten auf großes Interesse: In dieser Woche hat er in der Paläontologischen Zeitschrift einen Artikel zum neuesten Fund aus Grimmen veröffentlicht. Expert:innen unter anderem aus Kanada und den USA sind interessiert an den Erkenntnissen, die aus der Tongrube gesammelt werden, weil die Evolution der gepanzerten Dinosaurier aus dieser Zeit noch ziemlich unbekannt sei.

Deutschlandweit scheine das Interesse an Dinos und Urzeit geringer, sagt Schade. Seine Artikel, beispielsweise über das Spinosauriergehirn, stoßen eher in England oder den USA auf Leser:innen.

Orchideenfach Paläontologie

Grundsätzlich ist die Paläontologie zumindest in Deutschland meist nur eine Teildisziplin der Geologie. Wenn Gelder fehlen, dann werde so ein Fach als Erstes gekürzt. Biochemie oder Medizin beispielsweise seien relevanter, etwa für die Krebsforschung. Das bringe Gelder und Nutzen. Paläontologie und einige andere Wissenschaftszweige seien das „eher nich so“ und mehr eine kulturelle Bereicherung, meint Schade. So brauchen Forscher:innen auf diesem Gebiet auch mehr Aufmerksamkeit und Interesse für ihre Projekte. Das gehe bei Dinos noch besser als bei anderen Themen, wie zum Beispiel in den Weltmeeren lebende Asselspinnen oder Insekten. Dazu gebe es auch weniger Presseanfragen, obwohl die nicht minder spannend und wichtig seien.

„Die Paläontologie ist ein Orchideenfeld der Wissenschaft“, sagt Marco Schade. Deshalb seien die Chancen auf eine feste Stelle recht rar. Wie in allen Bereichen der Wissenschaft ist man auf Förderungen angewiesen. Der Forscher ist sehr dankbar, dass er ein Stipendium hat. Damit zahlt er aber noch nicht in die Sozialversicherung ein.

Schädelteile des bei Grimmen entdeckten Emausaurus ernsti. (M. Rust)

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz schreibe zudem vor, dass nach etwa sechs Jahren vor beziehungsweise nach der Promotion Schluss ist. Spätestens dann gilt es häufig, eigenständig Drittmittel einzuwerben, damit man weiterhin forschen kann, und auch das funktioniert nicht unter allen Umständen. Alles sei zudem nur befristet. Arbeitnehmer müssten alle drei Jahre seitenlange Anträge verfassen, um weiterarbeiten zu dürfen. Aus diesem Kreislauf gebe es oft nur den Ausweg, irgendwie eine der wenigen festen Stellen und Professuren zu ergattern oder der Wissenschaft den Rücken zu kehren. „Das wird auch den jungen Leuten gesagt, die sich für ein Studium interessieren.“

Und dennoch gibt es nach wie vor recht viele, die Geologie und insbesondere auch Paläontologie studieren wollen. Wie auch Schade selbst: „Man hat mir frühzeitig gesagt, mach es nicht, aber es interessiert mich einfach und auch ich würde das gerne bis zur Rente machen!“ Auch in der Region will der zweifache Vater bleiben. Auch wenn das seine wissenschaftlichen Möglichkeiten stark limitiere.

Am Ende hänge das Lebensglück nicht an der Be- oder Entfristung, sagt er. Und zumindest anderthalb Jahre kann er noch forschen und vielleicht noch andere Schätze aus der Grimmener Tongrube bergen.

Quellen

  1. Struthiosaurier gehören zur Gruppe der Ankylosaurier, hatten aber keine Schwanzkeule, sondern einen Panzerkranz um den Hals. Der ganze Artikel: Schade, Marco u.a.: Neuroanatomy of the nodosaurid Struthiosaurus austriacus (Dinosauria: Thyreophora) supports potential ecological differentiations within Ankylosauria, in: Scientific Reports 12(144), auf: nature.com (2022).
  2. Schade, Marco u.a.: Neuroanatomy of the spinosaurid Irritator challengeri (Dinosauria: Theropoda) indicates potential adaptations for piscivory, in: Scientific Reports 10(9259), auf: nature.com (2020).
  3. www.leca.com/about-leca.
  4. Infotafel Dinosaurierland Rügen, 2021.

Autor:in

  • Bild von KATAPULT MV Redaktionsleiterin Martje Rust

    Redaktionsleitung

    Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach MV.