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Nach Verbot der Regenbogenflagge

Stadtvertretung spricht sich für Toleranz und Vielfalt aus

In der gestrigen Sitzung bekannte sich die Neubrandenburger Stadtvertretung im Rahmen eines Beschlusses zu Vielfalt und Toleranz. Anlass dafür war das Verbot der Regenbogenflagge vor dem Bahnhof aus dem Oktober. Worüber außerdem abgestimmt wurde und warum fast die gesamte AfD-Fraktion auf die Toilette verschwand.

Gesellschaftliche Debatten prägten die Sitzung der Stadtvertretung im Neubrandenburger Haus der Kultur und Bildung (HKB) am gestrigen Mittwoch. Die städtischen Belange dagegen wurden relativ kurz gefasst.

Der Sitzung vorausgegangen war eine Demonstration vom Bündnis MV bleibt bunt vor dem HKB. Unter dem Motto „Solidarität statt Ausgrenzung“ versammelten sich laut Medienberichten etwa 50 Menschen. Sie überreichten Stadtpräsident Thomas Gesswein (Fraktion CDUplus) eine Petition, die die Stadtvertreter:innen auffordert, am Bahnhof wieder eine Regenbogenflagge zu hissen.1 Diese wurde nach einem entsprechenden Beschluss im Oktober abgenommen.

Respektlosigkeit in der Einwohnerfragestunde

Im Vorfeld der Einwohnerfragestunde wies der Stadtpräsident darauf hin, dass Fragen zu Themen der Tagesordnung nicht gestellt werden dürfen. Thematisch ging es deshalb um die Neubrandenburger Sicherheitslage, Straßenbeleuchtung und Gelder für die Grundschule Datzeberg.

Eine Studentin aus Neubrandenburg fragte zum Ende der Fragestunde, welches Bild die Stadt jungen Menschen wie ihr vermitteln wolle. Außerdem interessierte sie, wie nach der Entscheidung vom Oktober das Vertrauen in die Stadtvertretung wiederhergestellt werden solle. Denn laut Medienberichten bereuten einige Stadtvertreter:innen ihre Entscheidung im Nachhinein. Sowohl Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos), als auch der Stadtpräsident und mehrere Stadtvertreter:innen äußerten ihre Hoffnung, dass junge Menschen nach ihrem Studium in Neubrandenburg bleiben und die Stadt kreativ mitgestalten. Laut Steven Giermann (Fraktion CDUplus) sei es gut gewesen, dass junge Menschen in den letzten Wochen ihrer Meinung mittels Demonstration Ausdruck verliehen hätten. Das habe er zum Anlass genommen, in den Dialog zu gehen und über die eigene Meinung nachzudenken.

Tim Großmüller (fraktionslos), Initiator des Antrags zum Verbot der Regenbogenflagge, hatte dagegen nur verächtliche Worte für die Studentin übrig. Es sei sinnlos, sich dafür einzusetzen, dass sich Studierende in der Stadt wohlfühlen, da sie nach ihrem Studium sowieso wegziehen würden. Er warf den Studierenden außerdem vor, die Hochschule nur wegen der niedrigeren Zugangsvoraussetzungen ausgewählt zu haben und faul zu sein. Stadtpräsident Gesswein kritisierte die Aussagen scharf.

Fraktionsübergreifendes Bekenntnis zur Vielfalt

In einem gemeinsamen Antrag forderten 26 Stadtvertreter:innen aus unterschiedlichen Fraktionen sowie Fraktionslose ein Bekenntnis zu Vielfalt, Toleranz, Weltoffenheit und der Regenbogenflagge als Symbol dieser Werte. Außerdem forderten sie die Verwaltung auf, bis Mai 2025 einen Maßnahmenkatalog vorzulegen, um diese Werte auch in der Stadtgesellschaft sichtbar zu machen. Michael Stieber, Vorsitzender der Fraktion SPD/Grüne, stellte in seiner Rede klar, dass der Antrag von keiner einzelnen Fraktion ausgehe. Vielmehr hätten sich 26 Einzelpersonen mit unterschiedlichen Motivationen zusammengeschlossen. Aus diesem Grund gäbe es keinen gemeinsamen Begründungstext.

Oberbürgermeister Witt wies in einem Redebeitrag darauf hin, dass nicht er die Regenbogenflagge auf die Agenda bringe – so wie es in vorangegangenen Debatten oft dargestellt worden sei. Im gesamten Jahr 2024 habe er auf seinem Facebook-Account nur zweimal die Fahne thematisiert. Vielmehr hätten dies Rechtspopulisten getan. Eine tolerante Stadtgesellschaft wie Neubrandenburg habe aber keine Verbotskultur verdient.

Mit einem Änderungsantrag regte Sabine Balschat (Fraktion BSW/Bürger für Neubrandenburg) an, eine Arbeitsgruppe zur Beflaggungsordnung zu gründen. Sie wolle die Regenbogenflagge nicht dauerhaft und stattdessen auch andere nicht-hoheitliche Fahnen hissen. Ihre Ablehnung begründete sie mit ihrer DDR-Vergangenheit, die es ihr unmöglich mache, sich hinter einer Flagge zu versammeln. Eine dauerhafte Beflaggung führe ihrer Meinung nach zur Spaltung der Gesellschaft. Außerdem kritisierte sie den Diskurs rund um Neubrandenburg. Dass die Annahme eines Beschlusses zum Verbot der Regenbogenflagge – eingebracht von einem offen homophoben Stadtvertreter – ein schlechtes Licht auf die Stadt wirft, hält sie für unrechtmäßig. Dem Bürgermeister warf sie vor, „Öl ins Feuer zu kippen“.

Auch Jens Kreutzer (Fraktion BSW/BfN) kritisierte sowohl Bürgermeister als auch Berichterstattung. Allerdings könne er anerkennen, die Menschen mit der Entscheidung enttäuscht zu haben. Darum habe er den Antrag mit eingebracht. Das Vorgehen Tim Großmüllers, sich mit dem Rücktritt des OBs zu rühmen, empfinde er aber als „abstoßend“.

Großmüller selbst stellte in seinem Wortbeitrag queere Menschen in Verbindung mit Pädophilie. Dafür wurde er vom Fraktionsvorsitzenden von CDUplus-Fraktion Björn Bromberger kritisiert. Nach einer längeren Debatte wurde der Antrag mit 24 Ja- von insgesamt 33 Stimmen angenommen.

Die einzigen Nein-Stimmen kamen aus der Fraktion Projekt NB. Vorsitzender Roman Kubetschek begründete seine Ablehnung ebenfalls damit, sich nicht geschlossen hinter einer Fahne versammeln zu wollen. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Peter Fink kündigte hingegen an, dass seine Fraktion sich nicht an der Abstimmung beteiligen wolle. Statt sich zu enthalten, verschwanden mehrere Mitglieder vor der Abstimmung aus dem Sitzungssaal mutmaßlich gen Toilette und verweigerten sich damit vollständig dem demokratischen Prozess.

Waffenverbotszone und Genderverbot

Die Grafik zeigte eine Auflistung der Anträge, die die Stadtvertretung in Neubrandenburg nicht angenommen hat, oder die zurückgezogen wurden. Alle Anträge kamen von der AfD und Tim Großmüller.

Der Beschluss zur Vielfalt war der letzte an diesem Tag. Ein AfD-Antrag zu einer temporären Waffenverbotszone rund um den Weihnachtsmarkt und Bahnhof wurde nach kurzer Debatte mit dem stellvertretenden Bürgermeister Peter Modemann (CDU) zurückgezogen. Ebenfalls zurückgezogen wurde ein Antrag von Tim Großmüller zur Beflaggung am Bahnhof.

Ein AfD-Antrag zur Bereitstellung von Arbeitsgelegenheiten für Asylsuchende wurde abgelehnt. Peter Modemann erklärte, dass die Stadt bereits jetzt Anstrengungen unternehme, Asylsuchende zu integrieren und Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen.

Nach intensiver Debatte wurde auch ein weiterer Antrag Großmüllers abgelehnt. Darin hatte er gefordert, dass Beschlüsse der Stadt nicht mehr mit Sonderzeichen gegendert werden dürfen. Jörg Albrecht (Fraktion SPD/Grüne) wies darauf hin, dass die Verwaltung sowieso keine geschlechtergerechten Sonderzeichen nutze. Der Antrag und die dazugehörige Diskussion führe dementsprechend an Neubrandenburg vorbei, so Albrecht

Nach fünf Stunden endete der öffentliche Teil der Sitzung.

  1. Gutzat, Lisa: Demo vor Neubrandenburger Stadtvertretersitzung mit Polizei, auf: nordkurier.de (13.11.2024). ↩︎

Autor:innen

  • Porträt von Lilly Biedermann Redakteurin Katapult MV in Greifswald

    Redakteurin in Greifswald

    Geboren und aufgewachsen in Sachsen. Ist zum Studieren vom tiefen Osten in den kalten Osten nach Greifswald gezogen.

  • Bild von Patrick Hinz, Chefredakteuer Katapult MV

    Chefredakteur

    Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis.

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