KATAPULT MV: Was bedeutet es für hilfesuchende Frauen, aber auch für die Infrastruktur des Hilfenetzes, dass das Frauenhaus in Stralsund nun wieder geöffnet ist?
Ulrike Bartels: Anfang 2023 hat der vorherige Träger des Hauses die Trägerschaft aufgegeben. Und seitdem stand das Frauenhaus leer. Wir (der Verein Stark Machen, Anm. d. Red.) hatten im Sommer den Zuschlag bekommen, aber alle Geldgeberinnen hatten sich entschieden, diesen Leerstand zu nutzen, um das Haus wieder auf Vordermann zu bringen. Man kann so ein Haus am besten renovieren und sanieren, wenn es leer ist.
Dadurch gab es in Stralsund nun lange Zeit kein Angebot. Wir hatten im November zwei Schutzwohnungen angemietet, wo vier Frauen vorübergehend Schutz und Zuflucht finden konnten. Mit der Neueröffnung ist nun Platz für acht Frauen mit ihren Kindern. Das ist noch mal eine wesentliche Verbesserung. Damit erreichen wir wieder den Stand von 2022, also vor der Schließung.
Durch die Sanierung haben sich sicher auch die Bedingungen im Haus verbessert.
Die Frauen finden jetzt moderne Wohnbedingungen vor. Die Bäder wurden komplett saniert. Es wurden Familienbäder eingerichtet, die es vorher nicht gab. Es ist alles gestrichen worden, was die Räume heller und freundlicher erscheinen lässt. Zudem ist es zum Beispiel jetzt möglich, dass Frauen ihr Haustier mitbringen. Das ist manchmal essenziell für die Frauen – so ein Haustier, an dem ihr Herz hängt, das Schutz und Nähe bietet. Damit ist Stralsund das einzige Haus in MV, das das bietet.
Sie sprachen von Geldgeberinnen. Wer hat denn die Sanierung des Frauenhauses finanziert?
Das war die Eigentümerin – die Brunst-Weber-Stiftung. Das ist eine Stiftung der Hansestadt Stralsund. Die haben das normal saniert und dementsprechend sind auch die Mietkosten jetzt höher. Wir sind nur Mieterinnen. Die erhöhten Mietkosten müssen jetzt von unseren Geldgeberinnen mitgetragen werden – hauptsächlich dem Landkreis Vorpommern-Rügen, der zuständig ist, und auch vom Land.
Mit der Wiedereröffnung ist auch das Team des Schutzhauses gewachsen, von zwischenzeitlich zwei auf jetzt vier Personen. Das erscheint als gutes Zeichen vor dem Hintergrund fehlender, aber dringend notwendiger Stellen im Hilfenetz.
Den meisten Frauenschutzhäusern, so auch Stralsund, werden vom Land drei volle Personalstellen finanziert. Dafür geben Land und die Kommune was dazu. Diese drei Stellen waren auch beim vorherigen Träger schon drin. Und das ist jetzt bei uns nicht anders. Wir fahren einfach nur ein neues Personalkonzept. Wir merken nämlich, dass so eine Kriseneinrichtung, die rund um die Uhr besetzt sein soll, mit drei Mitarbeiterinnen einfach nicht funktioniert. Wenn ich mir überlege, dass mal jemand im Urlaub ist, dann vielleicht noch jemand krank wird, dann bleibt eine Kollegin ganz alleine übrig, die das Haus rund um die Uhr betreiben soll. Das geht nicht. Deswegen haben wir diese drei Vollzeitstellen auf vier Teilzeitstellen aufgeteilt. Mehr Geld war nicht drin und ist schon ein bisschen knapp.
Wir haben noch extra etwas für Rufbereitschaftskollegen am Wochenende und an den Feiertagen eingeplant, damit die festangestellten Mitarbeiterinnen wenigstens am Wochenende frei haben. Das verbessert zusätzlich ihre Arbeitsbedingungen, neben den moderneren Büros im sanierten Haus. So hoffen wir letzten Endes auch, dem allgemeinen Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
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Wenn man sich Statistiken anschaut, zum Beispiel die polizeiliche Kriminalstatistik, zeigt sich dort eine seit Jahren steigende Zahl im Bereich häuslicher Gewalt. Eine Entwicklung, die so auch aus den Beratungsstellen gespiegelt wird. Ich könnte mir vorstellen, dass sich das auch in den Schutzhäusern und bei der Nachfrage nach Plätzen zeigt.
Wir haben bundesweit insgesamt zu wenig Frauenhausplätze. Nimmt man die Istanbul-Konvention zum Maßstab, sind es Hunderte in ganz Deutschland. Wenn betroffene Frauen in ihrer Umgebung keinen Schutzplatz finden, aber dringend einen brauchen, dann gucken sie schon immer weiter weg. Man kann sagen, dass die Hälfte der Frauen, die in Frauenhäusern untergebracht sind, aus anderen Städten oder sogar anderen Bundesländern kommt. Viele von ihnen müssen vielleicht auch weiter weg, weil die Gefahr zu groß ist, wenn sie in unmittelbarer Nähe des Täters bleiben. Das mal als Hintergrund.
Natürlich sind die Frauenhäuser in MV voll. Und das wird sich auch jetzt nicht ändern. Es ist gut, dass wir nun endlich wieder acht Plätze in Stralsund anbieten können. Aber wir rechnen damit, dass die auch sofort voll sind. Es gibt die bundesweite Frauenhaussuche über die Webseite frauenhaus-suche.de. Dort sind alle Frauenhäuser auf einer Karte verzeichnet und können über ein Ampelsystem angeben, ob sie freie Plätze haben, damit Frauen dort anrufen können. Sobald wir unsere Ampel auf Grün schalten, kriegen wir Anrufe.
Aber das ist ein vielschichtiges Problem. Das eine ist die zu geringe Platzzahl. Das andere ist, dass die Frauen zu lange in den Frauenhäusern bleiben, weil sie keine Wohnung finden. Das haben wir mit vielen anderen sozialen Einrichtungen gemein. Ich kenne das zum Beispiel aus der Obdachlosenhilfe genauso. Die Frauen, die länger bei uns wohnen, die jetzt eigentlich den nächsten Schritt in ihr neues Leben gehen wollen, sitzen dann teilweise Wochen oder sogar Monate im Frauenhaus fest, weil sie keine Wohnung finden. Wenn ich jetzt mehr Plätze in den Frauenhäusern hätte, wären die also auch sofort wieder voll, weil der Wohnungsmarkt eben so angespannt ist.
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