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Wahlkampf

Unter Klimafreunden

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Lesedauer: ca. 6 Minuten

Theresa Crone, Mitglied des Zukunftsrats (Foto: Jenna Dallwitz)

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Klimawandel überall. In Rostock steht seit dem vergangenen Wochenende ein Klimacamp auf dem Neuen Markt. In dieser Woche haben fünf junge Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern die Landesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht verklagt, weil sie noch kein eigenes Klimagesetz vorgelegt hat. Und in Berlin befinden sich sieben junge Menschen seit mittlerweile 18 Tagen im Klima-Hungerstreik, darunter auch Rumen Grabow und Henning Jeschke aus Greifswald. Bei der Podiumsdiskussion am Mittwoch in Bollewick ging es genau darum: um den Klimawandel. Überraschenderweise. Denn so wichtig das Klima im Bundestagswahlkampf ist, im Landeswahlkampf spielte es bisher keine große Rolle.

Philipp da Cunha statt Manuela Schwesig

Michael Sack (CDU) und Anne Shepley (Bündnis 90/Die Grünen) waren vor Ort, Simone Oldenburg (Die Linke) wurde von Torsten Koplin und René Domke (FDP) von David Wulff vertreten. Statt Manuela Schwesig (SPD) kam Philipp da Cunha. Von der AfD kam niemand, noch nicht einmal eine Absage.

Die Podiumsdiskussion bildete am Abend zwischen 19 und 21 Uhr den Abschluss eines Mammutprogramms aus 23 Kurzvorträgen, in denen es um die Entwicklung des ländlichen Raums ging. Die „Begegnungskonferenz“ in der Feldsteinscheune von Bollewick hatte den etwas sperrigen Titel „Smarte Dörfer im Garten der Metropolen – Enkeltaugliche Dörfer als Schlüssel für die Zukunft in Stadt und Land“.

Die Diskussionsfragen stellten abwechselnd Mitglieder des Zukunftsrats, hier Theresia Crone (Mitte) (Foto: Jenna Dallwitz)

Modellprojekte, fehlende Busse, Wölfe und Schafe

Um die übliche Podiumsdiskussionsschläfrigkeit zu brechen, stellte nicht der Moderator, Thomas Böhm vom Sender MV 1, die Fragen, sondern drei Zukunftsratsmitglieder, die abwechselnd auf einem sogenannten „heißen Stuhl“ saßen. Den Zukunftsrat hatte Manuela Schwesig im vergangenen Jahr ins Leben gerufen, um ein altes Versprechen einzulösen, dass Mecklenburg-Vorpommern unter ihrer Regierung eine Nachhaltigkeitsstrategie bekommen würde. In einem nicht ganz transparenten Verfahren wurden 49 Einzelpersonen aus Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft in den Rat berufen und lieferten ein knappes halbes Jahr später ihre Empfehlungen ab, wie sich Mecklenburg-Vorpommern nachhaltig, gemeinwohlorientiert und digital-innovativ weiterentwickeln sollte. Der Bericht liest sich bemerkenswert konkret. Vor allem wenn man bedenkt, dass ihn Leute wie ein Brigadegeneral der Bundeswehr, der Vorstandsvorsitzende des FC Hansa Rostock und die Schweriner Fridays-for-Future-Aktivistin Theresia Crone gemeinsam erarbeitet haben. Letztere war verantwortlich für die erste Fragerunde in Bollewick. Und damit war das Klimathema gesetzt.

Crone erinnerte noch einmal kurz, aber eindrücklich an die Auswirkungen des ungebremsten Klimawandels. Dürren, Hungersnöte, Flutkatastrophen. Massenaussterben. Um das im Pariser Abkommen festgelegte 1,5-Grad-Ziel zu halten, müssten wir bis 2030 die Hälfte aller Emissionen reduzieren. Unsere Gesellschaft, die Welt müsse sich wandeln. Die Frage sei nur, wie. „Was brauchen Sie von der Wirtschaft, was brauchen Sie von der Zivilgesellschaft, um diese Weichen zu stellen?“

„Herr Sack, haben Sie verstanden, worum es heute geht?“

CDU-Kandidat Michael Sack als erster Redner wirkte zunächst noch etwas zögerlich, sodass Thomas Böhm ihn fragte: „Herr Sack, haben Sie verstanden, worum es heute geht?“ Sack fand den von Theresia Crone vorgegebenen Zeitplan „ambitioniert und sportlich“, er wolle die Menschen mitnehmen (wohl um ihnen nicht allzu viel zuzumuten), sonst würde man den Wandel nicht hinbekommen. SPD-Vertreter Philipp da Cunha, nach dem fehlenden Klimaschutzgesetz der Landesregierung gefragt, versprach eines für die kommende Legislaturperiode. Natürlich eines, das im Einklang mit der Bundesgesetzgebung stehe. David Wulff von der FDP wünschte sich, dass junge Leute technische Studiengänge belegten. Lauter Ingenieure und Erfinder, „die die ganzen Probleme lösen sollen“. Noch nicht einmal Anne Shepley von den Grünen, für die das Thema eigentlich ein Heimspiel sein sollte, wirkte so, als hätte sie sich bereits Gedanken über den Bericht des Zukunftsrats, seine Bedeutung und die Frage, wie er umgesetzt werden könnte, gemacht. Torsten Koplin (Linke) immerhin wünschte sich eine „widerborstige, aufmüpfige Zivilgesellschaft, die der Politik Beine macht“, weil er glaube, dass grundlegende Veränderungen nicht aus der Politik alleine kommen könnten.

„Herr da Cunha, unterstützen Sie den Klimastreik?“

Bevor Theresia Crone den heißen Stuhl verließ, gab es noch eine Umfrage. Welche Kandidaten unterstützen den Klimastreik am kommenden Freitag? „Herr da Cunha, unterstützen Sie den Klimastreik?“, fragte Moderator Böhm. Die überraschende Antwort: Keiner der Kandidaten nutzte die Gelegenheit, auf die Schulpflicht hinzuweisen oder das Anliegen der Klimaschützer in anderer Weise zu diskreditieren. Stattdessen sagten Koplin und Shepley ihre Teilnahme zu. Da Cunha unterstütze den Streik, Wulff auch. Jedenfalls „solange alles zivil bleibt“. Sack hatte zwar bisher noch nichts von dem Termin gehört, stellte eine Teilnahme aber vage in Aussicht, soweit sein Terminkalender es zulasse. So weit, so überraschend.

Noch überraschender wurde es, als Mirko Lunau, Imker und Moster und ebenfalls Mitglied des Zukunftsrats, die Kandidaten aufforderte, zu beschreiben, wo ihnen persönlich der Klimawandel begegne und welche Gefühle damit zusammenhingen.

Zukunftsratsmitglied Mirko Lunau stellte Fragen nach persönlichen Erfahrungen der Kandidaten (Foto: Jenna Dallwitz)

Da berichtete Anne Shepley von absaufenden Marshallinseln, Philipp da Cunha von vertrockneten Maisfeldern, Torsten Koplin von fehlenden Äpfeln am Baum, kranken Kastanien, Verzweiflung angesichts von näherrückenden Kipppunkten. David Wulff wurde sehr persönlich, als es darum ging, dass er seit ein paar Jahren mit Kindern und Jugendlichen vom Katastrophenschutz im Winterurlaub keinen Iglu mehr bauen kann, weil einfach kein Schnee mehr da sei.

Ob es Zermürbung durch den vorherigen Vortragsmarathon war, die späte Stunde, die gute Moderation oder die ungewöhnliche Ansprache durch die Zukunftsrats-Laien: In Bollewick zeigten die Kandidaten sich angesichts der Klimakrise ungewöhnlich offen. Und auch ungewöhnlich ratlos. Fast ein bisschen traurig.

Mirko Luhnau, der Imker, forderte die Kandidaten zuletzt auf, die Zivilgesellschaft künftig anzurufen und an den Tisch zu holen, auf Augenhöhe, „damit wir gemeinsam die Zukunft von MV offen gestalten“. Die Herausforderungen seien riesig, keine Politikerin könne ohne die Gesellschaft einzubeziehen alleine die richtigen Weichen stellen.

Niemand hat ihm widersprochen. Allerdings hat auch keiner etwas versprochen. Ob die Ideen des Zukunftsrats in die Realität umgesetzt werden, wird die Landesregierung entscheiden, die in zehn Tagen gewählt wird. Wenn man den Umfragen glaubt, dann wird sie wahrscheinlich von Manuela Schwesig angeführt. Dass sie eine Woche vor der Wahl nicht die Chance genutzt hat, die von ihr selbst initiierte Nachhaltigkeitsstrategie und den Zukunftsrat vorzustellen und öffentlich zu diskutieren, ist nicht das allerbeste Zeichen.


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