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10 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU

Fortführung des Untersuchungsausschusses gefordert

Anlässlich des Jahrestages der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ fordern Linke, SPD und Grüne die Weiterführung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Mecklenburg-Vorpommern. Zahlreiche Zeug:innen wurden in bislang über 60 Sitzungen gehört, von einer abgeschlossenen Aufklärung und Aufarbeitung könne in MV jedoch keine Rede sein.

Vor zehn Jahren enttarnte sich die Terrorgruppe NSU um Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt selbst. Dem Trio werden zehn zumeist rassistisch motivierte Morde, 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und zahlreiche Banküberfälle zugeschrieben – drei dieser Straftaten fanden in MV statt. Unter den Opfern war auch Mehmet Turgut, der im Februar 2004 an einem Imbiss im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel erschossen wurde. Die Täter Mundlos und Böhnhardt waren am 4. November 2011 tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden, ihre Komplizin Beate Zschäpe kurz darauf festgenommen worden.

Doch auch zehn Jahre später könne von abgeschlossener Aufklärung oder Aufarbeitung in Mecklenburg-Vorpommern keine Rede sein, sind sich Linke und Grüne einig. In der letzten Wahlperiode wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex eingeführt, der erste Ergebnisse geliefert hat, seine Arbeit aber nicht abschließen konnte. Für die neue Legislaturperiode werden nun Forderungen laut, die Aufklärung weiterzuführen, auch da sich pandemiebedingt die Aufklärung verzögerte, weil Ausschusssitzungen ausfielen. Obwohl der Ausschuss eine Vielzahl von Zeugen anhörte und einen 800 Seiten umfassenden Bericht vorlegte, blieben viele Fragen offen. Die Ausschussmitglieder hatten sich von den Vernehmungen vor allem Erkenntnisse zur Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden in Meck-Vorp erhofft. Der Schweriner Ausschuss befragte in den vergangenen Jahren zahlreiche Zeug:innen zu den Taten des rechtsextremen NSU-Terrortrios und zu deren Aufklärung, darunter die ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm und Hans-Georg Maaßen, sowie Ex-Innenminister Lorenz Caffier (CDU). Mithilfe von Beweisanträgen, Sachverständigen- und den Zeugenanhörungen sollte aufgeklärt werden, wie es zu den rechtsterroristischen Verbrechen des NSU kommen konnte und auf welche Strukturen er möglicherweise in Mecklenburg-Vorpommern zurückgriff. Neben dem Mord an Mehmet Turgut 2004 in Rostock und den beiden Banküberfällen in Stralsund 2006 sowie 2007 sollen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in MV auch mehrfach Urlaub gemacht haben. Auch die Frage, warum das Trio über einen so langen Zeitraum hinweg unzählige Straftaten verüben konnte, ohne dabei gefasst zu werden, trotz der V-Leute im direkten Umfeld, beschäftigt manche Abgeordneten des Landtages bis heute.

Drei Fraktionen für eine Neuauflage des Untersuchungsausschusses

Drei Fraktionen im Landtag haben sich bislang dafür ausgesprochen, den Verflechtungen des NSU in Mecklenburg-Vorpommern weiter nachzugehen und den parlamentarischen Untersuchungsausschuss fortzusetzen. Neben der Linksfraktion fordern auch Politiker von SPD und Grünen, eine Fortführung der Aufklärungsarbeit. CDU und AfD hatten sich dagegen ausgesprochen.Aus Sicht der drei Befürworter konnten bislang nicht alle Zeugen verhört werden, viele Fragen seien noch offen. Etwa, wie viel Unterstützung der NSU in Mecklenburg-Vorpommern hatte und von wem. Oder warum ein Großteil der Akten, die dem Ausschuss vorgelegt wurden, in weiten Teilen geschwärzt wurden.

Der Landtagsabgeordnete Michael Noetzel (Die Linke) fordert mit seiner Fraktion deshalb eine Neuauflage des Untersuchungsausschusses: „Seit zehn Jahren wissen wir um den NSU. Wir kennen seine Ideologie und seine abscheulichen Taten. Allerdings kennen wir das mörderische Netzwerk, das die rassistische Terrorserie ermöglichte, lediglich in Ansätzen.“

Vieles von dem, was in den zurückliegenden zehn Jahren über den NSU-Komplex bekannt wurde, verdanken wir investigativem Journalismus und antifaschistischen Recherchestrukturen. Insbesondere der Verfassungsschutz hält beharrlich Erkenntnisse unter Verschluss und blockiert die zwingend erforderliche Aufklärung.

Michael Noetzel, Landtagsabgeordneter in MV für Die Linke

Ermittlungen in die falsche Richtung und geschwärzte Akten

Die Grünen-Abgeordnete Constanze Oehlrich erinnerte aus Anlass des Jahrestages daran, dass bei den Ermittlungen zu der Mordserie ausländerfeindliche Motive lange ausgeblendet worden waren. „So gingen die Ermittler in Rostock zwei Hinweisen von Yunus Turgut auf einen möglicherweise rassistischen Hintergrund der Ermordung seines Bruders Mehmet nicht nach. Stattdessen geriet das Umfeld Turguts in den Fokus der Ermittlungen“, sagte Oehlrich. Solche Fehl- und Nichtermittlungen seien Indizien für rassistische Vorurteile. Michael Noetzel erklärt dazu: „Die Arbeit muss fortgesetzt werden. Es braucht einen neuen Untersuchungsausschuss, um zu klären, weshalb die Rechtsterroristen des NSU am 25. Februar 2004 nach Rostock kamen, um Mehmet Turgut zu erschießen. Gab es lokale Mitwisser oder Unterstützer der Mord- und Raubserie im Nordosten?“

Die Verbindungen des NSU nach Mecklenburg-Vorpommern beleuchtete in der vergangenen Legislaturperiode auch die Sachverständige Andrea Röpke, die als Autorin, investigative Journalistin und Expertin für die rechtsextreme Szene bereits vor mehreren Untersuchungsausschüssen sprach. Sie betonte bei ihrer Anhörung bereits im November 2019: „Es gibt belegbare, intensive Kontakte zwischen Rechtsextremisten aus Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern seit den 90er Jahren.“ Sie gab Hinweise auf rechtsextreme Vereinigungen, wie „Blood & Honour“ oder die sogenannte Artgemeinschaft, deren Anhänger unter anderem in direktem Kontakt zu den 2018 verurteilten NSU-Unterstützern Ralf Wohlleben und André Eminger standen. Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vertrat Röpke den Standpunkt, dass der NSU keine isolierte Terrorzelle, sondern vielmehr ein weitreichendes Netzwerk von Unterstützern und Mitwissern war. „Das NSU-Trio fühlte sich nachweislich in Mecklenburg-Vorpommern und an der Ostsee heimisch, kannte dort viele Rechtsextremisten, war dort immer wieder vor Ort“, so Röpke.

Gedenken an Mehmet Turgut

Michael Noetzel fordert zudem vom neuen Landtag, verantwortungsvoll mit der Vergangenheit umzugehen, auch im Interesse der Opfer und Betroffenen: „Als Landtag müssen wir die politische Verantwortung für das Geschehene übernehmen und alles Erdenkliche in Bewegung setzen, um dem Anliegen der Freunde und Angehörigen Rechnung zu tragen. Es ist zudem an der Zeit, den Neudierkower Weg in Rostock-Toitenwinkel, wo sich der Tatort des NSU befindet, zum Gedenken an Mehmet Turgut umzubenennen.“

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