Das politische Spektrum in Deutschland ist seit dem Gründungsparteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) am 27. Januar um eine mit Spannung erwartete Option reicher. Das neu gegründete (BSW) hatte in den Wochen vor der offiziellen Verkündung prognostizierte Zustimmungswerte, von denen die über Jahrzehnte etablierte Konkurrenz teilweise nur träumen konnte. Nun zeigt sich die neue Partei ehrgeizig, nennt die Europawahlen im Juni als ersten Meilenstein und möchte auch an den anstehenden Kommunalwahlen in MV teilnehmen.
Wenig Erfahrung mit personalistischen Parteien
In der öffentlichen Wahrnehmung ist Sahra Wagenknecht nicht mehr nur umstrittene Politikerin. Über Jahre hinweg hatte sie sich medienwirksam zur Marke gemacht und ist nun wortwörtlich zur Partei geworden. In ihrer ehemaligen Partei, der Linken, eckte sie immer wieder mit unbequemen Auftritten, streitbaren Positionen und einer Russlandnähe auch während des Krieges gegen die Ukraine an. Sie wurde von rechtsaußen umworben und landete im Dezember 2022 sogar auf dem Titelbild des rechtsextremen Magazins Compact. Die Zuneigung der Neurechten ist allerdings seit der Gründung des Vorbereitungsvereins zur Parteigründung im September 2023 merklich abgekühlt.
Wagenknecht blieb trotz polarisierender Aussagen stets auf Distanz zur AfD. Nun ist sie Galionsfigur, Gesicht und Stimme des BSW – vorerst. Diese starke Personalisierung einer Partei sei bisher etwas sehr Seltenes im demokratischen Deutschland, stellt der Rostocker Politikwissenschaftler Wolfgang Muno fest. Ein vergleichbarer Fall aus der Vergangenheit sei die Schill-Partei, die mit ihrem Spitzenmann Ronald Schill zwischen 2000 und 2004 einen raschen Aufstieg und einen noch rascheren Fall erlebte. „Wir haben demnach sehr wenig Erfahrungswerte mit personalistischen Parteien in Deutschland“, so Muno. Grundsätzlich hätten diese Parteien das Problem, dass sie mit einer einzelnen Person verknüpft sind, die nicht überall sein kann.
Nach seiner Einschätzung ist die Personaldecke neben Wagenknecht, Mohamed Ali und dem ehemaligen Finanzexperten der Linken, Fabio de Masi, bisher „äußerst dünn“. Die Partei hänge stark am Renommee von Wagenknecht. Das wenige bisher bekannte Personal des BSW auf Bundesebene bestehe aktuell vor allem aus „Salonmarxisten aus dem Westen mit einer Vorzeigefrau aus dem Osten“, so Munos spitze Analyse.
Auch das Parteiprogramm sei sehr vage, so der Politikwissenschaftler. Es enthalte zunächst nicht viel Überraschendes, wie Wagenknecht bei der Vorstellung der neuen Partei in Berlin selbst feststellte. Dem BSW komme jedoch zugute, dass die Parteibindung der Menschen in Ostdeutschland nicht so stark ausgeprägt und durch viele Wechselwählerinnen für das BSW einiges möglich sei. Bis zur Bundestagswahl 2025 soll ein detailliertes Programm ausgearbeitet werden.
BSW muss sich beweisen
In MV lassen sich bisher wenige Menschen dem BSW zuordnen. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken und bisherige Landeskoordinatorin des BSW für Mecklenburg-Vorpommern, Sabine Zimmermann, sprach Mitte Januar von 14 Mitgliedern im Land. Hinzu kämen mehr als 100 Unterstützeranträge. Mittlerweile sind es über 30 Mitglieder im Land.
Die Zahlen laufen den bereits erwähnten Zustimmungswerten aus den Vormonaten zuwider, die dem BSW ein erstaunliches Potenzial bescheinigten. Dieses Potenzial sei „völlig übertrieben“, glaubt Muno und verweist auf eine aktuelle Forsa-Umfrage, die die neue Partei in Thüringen,Brandenburg und Sachsen zu den anstehenden Landtagswahlen bei etwa vier Prozent sieht. Mit diesem Ergebnis würde das BSW an der Fünfprozenthürde scheitern und den Einzug in den jeweiligen Landtag verpassen.
Landeskoordinatorin Zimmermann zeichnet ein anderes Bild: „Die Menschen stehen Schlange“, erklärt sie. Doch es gebe harte Aufnahmeregeln, denn die Partei müsse aufpassen, dass sie nicht unterwandert werde. Vor allem vonseiten der AfD drohe diese Gefahr. Zugleich erklärt die gebürtige Pasewalkerin, dass im BSW verschiedene Meinungen zusammenkommen können. Die Grundlage für eine Mitgliedschaft sei jedoch, dass man sich „zu unserem Gründungsmanifest bekennt und dafür einsetzt“.Einer, der sich bereits zum BSW bekannt hat, ist Detlef Rabethge aus Ueckermünde. Der Kommunalpolitiker trat Ende letzten Jahres mit der gesamten Stadtratsfraktion aus der Linken aus und ist nun Mitglied des BSW. Die Linke habe ihre ursprüngliche Zielgruppe aus den Augen verloren, begründet Rabethge seinen Austritt. Er kritisiert die Führung der Partei sowohl in ihren Personalentscheidungen als auch darin, dass sie keine Verantwortung für „grottenschlechte Wahlergebnisse“ übernommen habe. Die Linke in MV werde abgesehen von Bildungsministerin Simone Oldenburg öffentlich nicht wahrgenommen, obwohl sie im Land mitregiere, kritisiert der Ueckermünder.
Vor Ort in seiner Heimatstadt sei es immer schwieriger geworden, die Menschen vom Weg der Linken zu überzeugen. Beim BSW sieht Rabethge andere Voraussetzungen, denn viele Wähler hätten die Hoffnung, dass die neue Partei etwas verändern werde. „Eine Liste mit zehn Personen können wir in Ueckermünde aufstellen, denn der Bedarf ist da“, zeigte er sich im Januar zuversichtlich.Die strikten Aufnahmenregeln des BSW haben dazu geführt, dass diese Prognose leicht unterschritten wurde. Für die Kommunalwahlen sind in Ueckermünde acht Personen auf der Wahlliste bestätigt. In Greifswald sind es vier und im gesamten Landkreis Vorpommern-Greifswald mit seinen elf Wahlbereichen tritt das BSW mit sieben Mitgliedern und weiteren sieben Mitstreiterinnen an.
Kommunalpolitiker Rabethge weiß , dass seine neue Partei erst noch unter Beweis stellen muss, „dass sie anders ist als die anderen“. Dafür brauche sie allerdings eine kritische Parteistärke in der Region und im Land, erst dann könne sie etwas bewegen. „Wir sind noch lange nicht genug, um das zu erreichen, was wir erreichen wollen.“ Ob die neue Partei Wählerinnen dauerhaft überzeugen kann, wird sich zeigen. Bisher hatte sie keine Gelegenheit dazu.
Kommunalwahl als Herkulesaufgabe
Rabethge nennt das BSW eine Option für diejenigen, die im etablierten Parteienspektrum niemanden finden, der ihren Protest ernst nehme. Das BSW will eine starke linke Kraft sein, urteilt er und grenzt seine politische Heimat vehement von rechts ab. „Wir wollen keine Wähler von der AfD zurückholen, sondern ein ernsthaftes Angebot machen.“ Eine stark sozial ausgerichtete Friedenspolitik sei es, die Rabethge vom BSW erwartet.
Am 9. Juni werden in MV sowohl die Europa- als auch die Kommunalwahl abgehalten. Bis zum 18. April müssen die Kandidatinnen auf kommunaler Ebene bestätigt sein. Bis Mitte März, spätestens am 26. des Monats, müssen die Kandidatinnen deshalb benannt und als Wahlvorschläge bei den jeweiligen Kreistags- und Gemeindevertretungen eingereicht werden. Viel Zeit blieb dem BSW nicht, um sich aufzustellen. „Wir sind mitten drin“, beschreibt Rabethge den Aufbau von Strukturen. „Es muss alles technisch einwandfrei sein, sonst verlieren wir vier Jahre im Land.“ Zeit für Fehler gebe es nicht.
Bei der Kommunalwahl gelten einige Hürden. Weil das BSW in MV noch keinen Landesverband gegründet hat, musste die Bundespartei Wahllisten für die Gemeindevertretungen und Kreistage erstellen. Auch deshalb bezweifelt Rabethge, dass das BSW in jeder Kommune auf dem Wahlzettel stehen wird. Zunächst gehe es um einen parteipolitischen Start im Land. Die Partei möchte mindestens in den Landkreisen und kreisfreien Städten antreten und zusätzlich überall dort, wo Menschen ein Mandat für das BSW ausüben wollen, erklärt Noch-Landeskoordinatorin Zimmermann. „Wir wollen mit kompetenten Leuten antreten“, so die ehemalige Bundestagsabgeordnete. Rabethge übernimmt diese Aufgabe für das BSW in Ueckermünde.
Dass die Bundespartei mit Persönlichkeiten wie Fabio de Masi in die zeitgleich stattfindende Europawahl gehen will, habe auf kommunaler Ebene kaum Einfluss. „Die Europapolitiker nehmen wir im täglichen Leben so gut wie gar nicht war“, sagt Rabethge. Die Kommunalpolitik dagegen sei die elementarste Art der politischen Gestaltung. Mit diesem Ehrenamt sei eine Menge Idealismus verbunden, für den man sich „auch viel Zeit ans Bein“ binde, erklärt Rabethge. Immer gehe es um Projekte und die Entwicklung vor Ort. Kommunalpolitik bedeutet für den Ueckermünder, Sachpolitik vor Eitelkeiten zu stellen und zugleich eine klare Haltung zu zeigen, auch im Umgang mit der AfD. Die sitzt bisher nicht in der Ueckermünder Stadtvertretung, werde aber zu den Kommunalwahlen im Juni antreten.
Im Kreistag Vorpommern-Greifswald ist die AfD aktuell vertreten und „entblößt sich immer wieder als rechtsextrem“, meint Rabethge. Das Angebot des BSW distanziere sich davon, wolle aber auch niemanden ausgrenzen. „Nicht alle AfD-Wähler sind rechts, aber wenn es im demokratischen Spektrum keine Partei gibt, von der sich die Menschen vertreten fühlen und von der sie hoffen, dass sie ihre Interessen verwirklicht, hat Rechts Zulauf“, so die Analyse des langjährigen Kommunalpolitikers.
Die Unzufriedenheit der Menschen sei groß, vor allem, weil sie das Gefühl hätten, dass ihre Belange außer Acht gelassen werden, glaubt Rabethge. „Darüber muss man reden und dieses Angebot macht das BSW.“ Die Wählerinnen in MV haben nun eine weitere Option: ziemlich sicher für die Europawahl, wohl auch in einigen Kommunen und, wenn es so kommt wie von der Partei beabsichtigt, auch zur Bundestagswahl 2025.
Dieser Artikel erschien in der Februarausgabe von KATAPULT MV.
Quellen
- E-Mail von Wolfgang Muno vom 11.1.2024.↩
- Autor verwendet generisches Femininum.↩
- Telefonat mit Sabine Zimmermann am 17.1.2024.↩
- Cyrulies, Christoph: Bündnis Sahra Wagenknecht: Startschuss der Partei in MV, auf: ndr.de (8.1.2024).↩
- Telefonat mit Detlef Rabethge am 11.3.2024.↩
- Veröffentlichte Forsa-Umfragewerte vom 11.1.2024.↩
- Zeit Online (Hg.): AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen laut Umfrage weit vorn, auf: zeit.de (11.1.2024).↩