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„Querdenker“

Was die SVZ über den Anmelder der Schweriner Corona-Demos nicht berichtet hat

Am Donnerstag erschien in der Schweriner Volkszeitung (SVZ) ein Porträt des Anmelders der örtlichen Corona-Demos. Daniel Gurr wird darin als Aktivist porträtiert, der zufällig in die Anmelderrolle geraten sei. Er grenze sich von Gewaltaufrufen ab und wolle sich vor extremistischen Einflüssen schützen. KATAPULT MV liegen Screenshots aus Gurrs Telegram-Kanal vor, die ein völlig anderes Bild zeichnen.

Daniel Gurr ist seit Mitte Dezember das Gesicht der Schweriner Corona-Demos. Der 36-Jährige, den man an seiner gelben Warnweste und dem Basecap erkennt, meldet die Aufzüge an, verhandelt mit dem Ordnungsamt die Routen, organisiert zusammen mit einem kleinen Team Technik und Ordnerdienst und hält vor Ort den Kontakt zur Polizei. Außerdem moderiert er die Veranstaltungen, kümmert sich mit Helfern um den Livestream, spricht mit Journalisten und führt die Demonstrationen persönlich an. Ihr Motto klingt unverfänglich: „Für freie Gesundheit und Impfentscheidung! Keine Spaltung!“

Schon 2020 war der Schweriner Mitglied des Organisationsteams der Corona-Proteste, die damals noch von der „Volksinitiative Demokratie“ angeführt wurden. In der Öffentlichkeit stand er zu diesem Zeitpunkt nicht. Als die Polizei Anfang Dezember 2021 bei einer unangekündigten Versammlung nach einem Anmelder suchte, erklärte sich Gurr bereit, in Zukunft in diese Rolle zu schlüpfen. „Ich hatte das Gefühl, dass das sonst nicht mehr lange gut geht“, begründete er gegenüber der SVZ seine Entscheidung.

Anders als in Städten wie Rostock, Greifswald oder Wolgast verliefen Gurrs Aufzüge in der Landeshauptstadt bislang friedlich. Er grenzt sich auf der Straße von Gewaltaufrufen ab. Flyer dürfen nur mit Zustimmung der Organisatoren verteilt werden. Für die beteiligten Behörden ist Gurr ein mustergültiger Anmelder, der stets um Kooperation und Einhaltung der Auflagen bemüht ist. Dass das friedfertige Konzept aufzugehen scheint, zeigt ein Blick auf die Teilnehmerzahlen. Nahmen am 13. Dezember 2021 nach Angaben des Innenministeriums rund 1.400 Personen teil, waren es zuletzt schon 2.600. Straftaten registrierte die Polizei nur vereinzelt. „Ein Radikaler mag Gurr vielleicht nicht sein“, kommentierte vor diesem Hintergrund SVZ-Redakteur Alexander Kruggel.

Scheinregierung, Vergiftungszentrum, „Great Reset“

In seinem Telegram-Kanal „DanBarMV“ schlug der Demoorganisator in den vergangenen Monaten allerdings immer wieder radikalere Töne an. Am 19. Juli verbreitete Gurr ein Meme aus der regionalen „Querdenker“-Gruppe „Wir in MV“, in welchem die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe im Ahrtal als „Deutsche Schein Regierung“ tituliert wird, die das Wetter mittels HAARP manipuliert habe. Ein Verschwörungsmythos, der von Protagonisten der „Querdenker“-Bewegung verbreitet wurde und als widerlegt gilt. Es gebe auch eine HAARP-Anlage bei Rostock, berichtet Gurr. „Wer nur noch an Zufälle glaubt, der ist nicht mehr zu helfen.“

Am 26. August 2021 teilte er ein Meme, dass ein Foto Anne Franks zeigt. Diejenigen, die das jüdische Mädchen in Amsterdam versteckt hielten, hätten das Gesetz gebrochen. Ihre Mörder hätten das Gesetz befolgt. Die Schlussfolgerung der Ersteller: „Das Gesetz ist kein Moralkompass.“ Personen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung – dazu zählen selbstverständlich die Gesetze – kategorisch ablehnen, gelten in Deutschland als Extremist:innen.

Ein weiteres Meme bedient den Mythos von jüdischen Strippenzieher:innen, die „die Medien“ kontrollieren würden. „Die Medien sind eine Waffe und sie sind gegen uns gerichtet.“ In seinen Reden kritisierte der Versammlungsleiter die regionalen Medien zuletzt scharf. Sie würden unvollständig berichten, etwa die wiederholten Einladungen an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Oberbürgermeister Rico Badenschier zum Dialog verschweigen.

Im September teilte Gurr unkommentiert einen Beitrag, in dem ein mobiles Impfzentrum des Deutschen Roten Kreuzes als ein „rollendes Vergiftungszentrum“ bezeichnet wurde. Dazu passt ein in der Szene weitverbreiteter Verschwörungsmythos. Demzufolge würden mächtige Hintermänner den „Great Reset“ planen. Durch Impfungen sollen so viele Menschen wie möglich getötet werden, um die europäischen Staatshaushalte zu entlasten. Als Medienaktivist greift Gurr diese Mythen auf, indem er sie auf seinem Kanal streut, ohne eine inhaltliche Einordnung vorzunehmen. Was auffällt: Faktenchecks und andere Beiträge, die sich kritisch mit derartigen Legenden befassen, sie hinterfragen oder widerlegen, verlinkt der Schweriner dagegen nicht.

Mit 1.125 Abonnenten gehört „DanBarMV“ mittlerweile zu den reichweitenstärksten Telegram-Kanälen der Bewegung in Meck-Vorp. Schon aufgrund dessen liegt die Annahme nahe, dass Gurr auf die Inhalte der Bewegung zumindest in Westmecklenburg einen nicht unerheblichen Einfluss ausübt.

Regional vernetzt

Dass der Organisator Teil eines regionalen Netzwerks ist, beweist ein offener Brief. Das Schreiben, das an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig adressiert war, sorgte kürzlich wegen eines Vergleichs mit der NS-Zeit für Wirbel. „Jeder von uns kann sich seit der Ausgrenzung durch die 2Gplus-Regel hineinversetzen, wie sich die Juden gefühlt haben müssen, als ihnen im 3. Reich plötzlich Grundrechte verwehrt wurden. Sie durften keine Geschäfte mehr betreten, Arztbehandlungen wurden abgelehnt, Arbeitsverbote wurden erteilt, obwohl sie keine Straftat begangen hatten.“ Unterzeichnet hatten ein Großteil der Demo-Organisatoren. Auch Daniel Gurr steht auf der Liste.

Nähe zum Rechtsextremismus

Gegenüber der SVZ sagte Daniel Gurr, er wolle sich vor extremistischen Einflüssen schützen. Fraglich ist, wie glaubhaft diese Distanzierung ist. Im August bewarb Gurr den Wahlkampfauftakt der AfD in Schwerin. Wenige Wochen später verbreitete er ein Wahlkampf-Meme der „Querdenker“-Partei „Die Basis“, in dem die Abschaffung des Rundfunkbeitrags gefordert wurde. Im Dezember teilte Gurr einen Beitrag des sächsischen AfD-Abgeordneten Jörg Dornau. Der Politiker aus dem Leipziger Umland war Mitglied des Zusammenschlusses „Der Flügel“, der von den Verfassungsschutzbehörden als rechtsextrem eingestuft wird.

Auch Beiträge der „Freien Sachsen“ werden von Gurr unkritisch weiterverbreitet. Sie gelten als nicht minder rechtsextrem. Die Kleinstpartei organisiert seit Monaten Corona-Proteste in weiten Teilen Sachsens. Dabei kam es zuletzt wiederholt zu Angriffen auf Polizisten und Medienvertreter:innen. Die „Freien Sachsen“ tauchen auch in der Telegram-Gruppe „Schwerin Schweig Nicht!“ auf. Mit rund 1.700 Abonnenten ist dies zurzeit der reichweitenstärkste Kanal der Szene in Meck-Vorp. Wer sich über die aktuellen Demotermine in der Landeshauptstadt informieren möchte, wird dort von Gurr und seinen Mitstreitern in steter Regelmäßigkeit mit Verschwörungsmythen und rechtsextremen Nachrichten beliefert.

Bei den Schweriner Corona-Demos sind ebenfalls Personen aus der regionalen Neonazi-Szene auszumachen. Anstalten, diese Klientel von seinen Versammlungen auszuschließen, machte der Versammlungsleiter Gurr nicht. Neonazis und Reichsbürger konnten sich bislang willkommen fühlen.

Keine Gewalt?

Zweifel scheinen auch an der betonten Distanzierung von Gewalt angebracht. Jedenfalls machte sich Gurr am 3. Dezember 2021, wenige Tage vor seiner ersten Anmeldung, ein Meme zu eigen, in dem zum Widerstand gegen den Staat aufgerufen wird. Die Menschen sollten auf die Straße gehen, auch wenn Demos nicht genehmigt würden, heißt es dort. „Geht auf die Straße, streikt und zeigt Widerstand“, ergänzte Gurr. Die Szene beruft sich dabei auf Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes. „Gegen jeden, der es unternimmt, diese (die verfassungsmäßige, Anm. d. Red.) Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“, heißt es dort.

In der Rechtswissenschaft wird der Norm vor allem ein symbolischer Charakter zugeschrieben. Solange die staatliche Ordnung noch existiert, ist „andere Abhilfe“ durch Inanspruchnahme der Gerichte möglich. Können die Gerichte nicht mehr angerufen werden, existiert die staatliche Ordnung nicht mehr. Ein praktischer Anwendungsfall ist für das Widerstandsrecht deswegen nicht denkbar. Dass das Bundesverfassungsgericht nicht im Sinne des Klägers entscheidet, löst deswegen – anders in dem besagten Meme suggeriert – kein Recht zum Widerstand gegen den Staat und seine Organe aus. Wer trotzdem zum Mittel der Gewalt greift, um seine politischen Ziele durchzusetzen, macht sich schlimmstenfalls strafbar.

Quellen

  1. So wurde laut Innenministerium am 10. Januar 2022 eine Anzeige gegen einen Teilnehmer wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gefertigt.
  2. Kruggel, Alexander: Kommentar zu: Wer ist der Mann hinter den Corona-Demos in Schwerin?, auf: svz.de (13.1.2022).
  3. Die zitierten Inhalte liegen KATAPULT MV als Screenshots vor.
  4. Das HAARP ist ein US-amerikanisches ziviles Forschungsprogramm, bei dem Radiowellen zur Untersuchung der oberen Atmosphäre eingesetzt werden.
  5. Maier, Yvonne; Kagermeier, Elisabeth: #Faktenfuchs: Die Hochwasser wurden nicht künstlich ausgelöst, auf: br.de (24.7.2021).
  6. Schreibfehler im Original.
  7. Bundesamt für Verfassungsschutz (Hg.): Verfassung schützen, auf: verfassungsschutz.de.
  8. Gurr nannte namentlich die SVZ und den NDR.
  9. So unter anderem verbreitet von „Querdenker“-Anwalt Reiner Füllmich.
  10. Stand: 14. Januar 2022, 12:26 Uhr.
  11. Dittmer, Marco; Kruggel, Alexander: Wer ist der Mann hinter den Corona-Demos in Schwerin?, auf: svz.de (13.1.2022).
  12. Ebd.
  13. Leipziger Volkszeitung (Hg.): AfD im Osten: Wahlkampf mit Wut, auf: lvz.de (2.9.2019).
  14. Stand: 14. Januar 2022, 12:34 Uhr.
  15. Screenshots liegen KATAPULT MV vor.
  16. Jarass, Hans D.; Pieroth, Bodo: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 20, Rn. 172 (2020).

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