Geplant war die Demo vor der Bibliothek am Hochschulcampus Neubrandenburg für den 5. November mit dem Ziel, die Fällungen von insgesamt sechs Linden vor dem Eingang der Bibliothek zu verhindern. Die sollen wegen Erweiterungsplänen des Gebäudes weichen. Nun ist in der vergangenen Woche bereits eine dieser Linden gefällt worden. Die Studierenden sind schockiert: „Auf einen Aufruf zu einer offenen Debatte wird mit der Säge reagiert. Wenn sich nun jemand im Recht sieht, einen dieser Bäume einfach abzusägen, verstehen wir das als eine Konsequenz aus der Art und Weise, wie dieser Diskurs bisher geführt wurde“, sagt Studentin Emily McCracken.
Bäume sollen Bibliothek weichen
Die Hochschule Neubrandenburg hat unterdessen Anzeige gegen unbekannt erstattet. Denn die Fällung der einen Linde war laut Rektor Gerd Teschke nicht angeordnet und sei unbefugt erfolgt. Der ganze Vorgang liege auch gar nicht in den Händen der Hochschule, denn die Bauplanungen und dazugehörigen Maßnahmen oblägen dem Staatlichen Bau- und Liegenschaftsamt (SBL) Neubrandenburg. Das hat zwar eine Genehmigung zur Fällung der Linden. Einen Termin aber gab es noch nicht.
Dass die Bäume überhaupt gefällt werden müssen, liegt am Planungskonzept für das neue Bibliotheksgebäude. Das alte soll erweitert werden. Dafür müssten die sechs Linden weichen, sagt Teschke. Das sei aber schon länger bekannt. Insgesamt dauerten die Planungen etwa zehn Jahre, immer auch unter Einbeziehung der Hochschulgremien, auch der studentischen. In diesem Jahr wurden die Pläne dann abschließend von allen beteiligten Parteien unterzeichnet.
Warum die Bäume nicht einfach versetzt werden können, begründet der Rektor zum einen mit der Problematik, dass nicht sicher wäre, ob die Bäume auf dem sowieso schon sehr sandigen Untergrund wieder anwachsen. Außerdem wären dafür einige Tausend Euro nötig. Dennoch will er sich noch einmal mit dem SBL zusammensetzen, um diese Möglichkeit zu prüfen. Die Pläne zu den Baumaßnahmen insgesamt antasten, möchte er aber nicht. Es habe zu lange gedauert, bis hierher zu kommen, sagt Teschke.
Auch die Studierenden sprechen sich grundsätzlich für die Erweiterung der Bibliothek aus, jedoch unter der Maßgabe, dass die Bäume stehen bleiben. Deswegen hat die Demo am Freitag das Ziel, die anderen fünf Linden zu schützen. Zu ihr hatte sich auch Rektor Teschke angekündigt, um mit den Demonstrierenden ins Gespräch zu kommen. Ausgang: offen.
Wie auch in zwei anderen aktuellen Fällen. Denn das Neubrandenburger Beispiel ist nicht die einzige verzwickte Situation zwischen Institutionen, Behörden und Initiativen im Land, wenn es um Bäume geht.
Rodung von Küstenwald?
Ähnliches, nur in größerem Ausmaße, spielt sich derzeit in Stralsund ab. Dort soll ein 1,2 Hektar großer Teil des Andershofer Waldes gerodet werden. Ein regionaler Investor will auf der Fläche eine Kita, einen Einkaufsmarkt und Parkplätze bauen. Der Wald war in den vergangenen 30 Jahren natürlich gewachsen, die Bäume sind inzwischen bis zu 25 Meter hoch. Vom zuständigen Forstamt wurde die Abholzung eigentlich untersagt. Daraufhin hatte das Landwirtschaftsministerium eine weitere Prüfung durch die Landesforstanstalt angeordnet, woraufhin eine Rodung doch genehmigt wurde.
Im Frühjahr hatten diverse Gegner:innen der Abholzung einzelne Bäume besetzt und Demonstrationen organisiert. Der Wald diene unter anderem auch dem Küstenschutz, heißt es von der Stralsunder Ortsgruppe von Fridays for Future (FFF). Deren Mitglieder appellieren an Kommunal- und Lokalpolitiker:innen, die Abholzung doch noch zu stoppen. Zu einer Kundgebung in der vergangenen Woche vor Ort kamen rund 50 Menschen, davon laut FFF-Ortsgruppensprecherin Helene Steinke keine Kommunalpolitiker:innen. Auch habe sich von diesen bisher niemand auf Anfragen geäußert. „Wir müssen davon ausgehen, dass die ablehnende Haltung vieler Stralsunder Bürger:innen von deren politischer Vertretung größtenteils nicht erhört oder ignoriert wurde und der Andershofer Wald in den nächsten Tagen oder Wochen gerodet wird“, sobald alle rechtlichen Formalitäten geklärt seien, bilanziert Steinke. „Wir stellen uns weiterhin gegen diese Entscheidung und verurteilen diese ganz klar.“
Das Gebiet sehe man als Gemeindebedarfsfläche, eine Umwandlungsgenehmigung der Landesforstanstalt liege für knapp einen Hektar seit Juni vor. Dass eine Bebauung den Entwicklungszielen der Stadt Stralsund diene, bestätigt auch die Stadt Stralsund und wurde in der letzten Bürgerschaft erneut bekräftigt, so ein Sprecher. Für die Rodung sei die Stadt aber nicht zuständig, das sei Aufgabe der Landesforst. Neue Informationen oder Termine gibt es laut einer Sprecherin derzeit noch nicht.
Waldfläche vs. Gewerbepark
Das dritte Beispiel liegt im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Dort soll eine Waldfläche von 46 Hektar einem neuen Gewerbepark weichen. Im August hatte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) zusammen mit Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) dafür einen Fördermittelbescheid in Höhe von 38 Millionen Euro an die Gemeinde Grabow übergeben. Vorgesehen sei ein sogenanntes „grünes Gewerbegebiet“. Das bedeutet, es sollen sich nur Unternehmen ansiedeln, die mit erneuerbaren Energien aus der Region versorgt werden.
Für den ersten Abschnitt, die 46 Hektar, gibt es bereits eine Baugenehmigung. Die geplante Erweiterung könnte aber noch gestoppt werden. Denn laut Corinna Cwielag, Geschäftsführerin des BUND MV, sollen noch weitere 90 Hektar hinzukommen. Dabei bestehe bis 2030 gar kein Bedarf an zusätzlichen Flächen, sagt Cwielag. Das ergebe ein Regionales Entwicklungskonzept für die A 14. In der Region seien diverse, bereits erschlossene Gewerbeflächen frei, auch mit Autobahnanschluss. Außerdem sei gar nicht klar, wer sich überhaupt auf dem neuen Gelände ansiedeln würde.
Der Wald, der dafür jetzt abgeholzt werden soll, diene auch als Schutz vor Abgasen der A 14, ganz abgesehen von seiner ökologischen Bedeutung. „Eine Waldrodung in so großem Stil hat Auswirkungen auf Wasserrückhalt und Grundwasserneubildung und bedeutet einen schweren Artenverlust“, sagt Cwielag.
Deshalb solle man lieber die Waldfläche um 140 Hektar erweitern, fordert der Naturschutzbund MV und mit ihm der BUND sowie die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald.
Für Rodungen müsse immer auch eine Ausgleichspflanzung angelegt werden. Aber auch hier ist noch nicht alles abschließend geklärt.
Gesetzliche Vorgaben sind Auslegungssache
Für Fäll- und Rodungsmaßnamen gibt es relativ einheitliche Richtlinien. Laut dem Landkreis Vorpommern-Rügen müssen Fällungen in erster Linie von den zuständigen Behörden genehmigt werden, für private Maßnahmen sind die Unteren Naturschutzbehörden oder Bau- und Liegenschaftsämter der Regionen zuständig, bei Großbauprojekten ist es die Landesforst MV.
Laut dem Landeswaldgesetz kann bei Rodungen die Auflage erteilt werden, Ausgleichspflanzungen in gleicher Größe und Qualität vorzunehmen. Für den Andershofer Wald gibt es laut Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) eine zwei Hektar große Ausgleichsfläche bei Ummanz. Die Gesamtfläche liege bei etwa neun Hektar, womit die Rodung bei Andershof „vollständig ausgeglichen“ sei, so das Ministerium.Das wurde vonseiten der Stadt Stralsund noch nicht bestätigt.
Im Falle der Rodungen in Grabow soll die Waldfläche an mehreren anderen Stellen erweitert werden. Die Größe sei aber nicht einmal annähernd ausgleichend, merkt Cwielag an. „Die geplanten Ausgleichsflächen sind ein Flickenteppich von 0,1 Hektar bis maximal 10 Hektar Größe und können das nicht ausgleichen. Nach dem Landeswaldgesetz ist das unzulässig.“ Der BUND hat bereits Beschwerde eingelegt.
Bei den sechs Linden auf dem Neubrandenburger Hochschulgelände handelt es sich laut Haidrun Pergande, Sprecherin des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte, um eine einseitige Baumreihe und die ist gemäß dem Naturschutzausführungsgesetz MV geschützt. Hierbei werden die Regelungen landesweit durch den Alleenerlass bestimmt.
Bei Fällungen solcher Bäume fordert die Untere Naturschutzbehörde zum einen den Nachweis ein, dass diese „als äußerstes Mittel – im Rahmen der Verhältnismäßigkeit – unumgänglich“ sind. Das sei zum Beispiel der Fall, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Maßnahme vorliege.
Es bestehe zudem ebenfalls eine Pflicht zu Kompensationsmaßnahmen. Und zwar im Verhältnis 1:3, wobei mindestens ein Baum gepflanzt werden muss. Für die beiden weiteren Bäume bestehe ein Wahlrecht, so Pergande. Die Bäume können entweder gepflanzt werden, oder es wird ein Ersatzgeld fällig.
Hochschulrektor Gerd Teschke kündigte bereits an, für die zu fällenden Linden neue Bäume zu pflanzen. Er könne sich vorstellen, mehr als die geforderten 18 zu setzen.
Quellen
- https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Backhaus-laesst-Kuestenschutzwald-in-Stralsund-abholzen,waldabholzung100.html↩
- Der Artikel wurde am 10.11.2021 aktualisiert. Er wurde um die Statements vom Landwirtschaftsministerium und der Stadt Stralsund ergänzt.↩