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Ist das jetzt ein sicherer Ort? Mit dieser und ähnlichen Fragen sindBetroffene von Rassismus und rassistischer Gewalt bewusst oder unbewusst täglich konfrontiert. Jeder Platz, jede Straße wird nach möglichen Gefahrenquellen gescannt. Dass Menschen, die selbst nicht betroffen sind, das nur schwer bis gar nicht nachvollziehen können, davon berichtet Ulrike Maschner von der landesweiten Opferberatung Lobbi. Seit 21 Jahren gibt es den Verein, der Betroffenen von rechter Gewalt, aber auch deren Angehörigen Unterstützung bietet. In Anbetracht der Zahlen scheint dies auch nötig.
Im vergangenen Jahr 42 rassistische Angriffe
Seit 2003 erfasst Lobbi die Zahl der Angriffe und der Betroffenen rechter Gewalt. Im Jahr 2021 waren es 66 Angriffe – davon 42 aus einer rassistischen Motivation heraus begangen. Dass damit nur die Spitze des Eisbergs erfasst ist, ist den Berater:innen bewusst. Nicht alle Betroffenen finden ihren Weg zu Lobbi. Auch, weil das Beratungsangebot des Vereins noch nicht überall bekannt sei, so Maschner. Hinzu kommt, dass Rassismuserfahrungen für die Betroffenen „zum Alltag gehören“, was ebenfalls dazu beiträgt, dass nicht jeder Fall gemeldet wird.
Lobbi zufolge gebe es seit einigen Jahren auch eine Diskrepanz zwischen den von ihnen registrierten rassistischen Angriffen und den bei der Polizei zur Anzeige gebrachten Fällen. So werde bei Weitem nicht alles angezeigt – etwa aus Angst und fehlendem Vertrauen gegenüber den Behörden. Maschner kann auch davon berichten, dass Polizeibeamt:innen von Betroffenen in MV zum Teil als „unsensibel oder selbst rassistisch“ wahrgenommen werden. Wobei es natürlich darauf ankomme, wer vor Ort angetroffen werde.
Großer Vertrauensverlust
Werden Menschen mit Rassismus direkt konfrontiert, so ist es extrem wichtig, dass adäquat darauf reagiert wird. Wenn nicht, dann könnten solche Erlebnisse das Verhältnis der Betroffenen zur Gesellschaft grundsätzlich verändern, erklärt Maschner. Wenn etwa Beamt:innen vor Ort rechtsmotivierte oder rassistische Tatmotive gar nicht als solche erkennen oder aber Verfahren zu solchen Vorfällen eingestellt werden, sorgt das bei Betroffenen für Unverständnis und Enttäuschung. So lassen sich Vertrauensverluste gegenüber Polizei und Justiz erklären.
Aber auch Skandale haben in den betroffenen Communitys verstörend und verängstigend gewirkt und einen Anteil an der geringen Zahl von Anzeigen. Etwa der um das „Nordkreuz“-Netzwerk, im Zuge dessen auch rechtsextreme Strukturen in Sicherheitsbehörden offengelegt wurden. Unter anderem hatten Polizist:innen unerlaubt Daten und Namen abgerufen. Oder die Terrorvereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), die jahrelang unentdeckt (oder absichtlich nicht bemerkt) mordend durchs Land ziehen konnte. Die Verbindungen des NSU lassen sich bis 1992 zurückverfolgen. Womöglich gibt es noch Unterstützungsnetzwerke des NSU in Rostock, mutmaßt die antirassistische Initiative Pro Bleiberecht. Hinzu kommt, dass die betroffenen Communitys über Jahre hinweg Verdächtigungen und Unterstel-lungen seitens der Behörden erdulden mussten. Rassistische Motive wurden oft vorschnell ausgeschlossen. So etwa beim 2004 in Rostock durch den NSU ermordeten Mehmet Turgut. Für die Betroffenen ist dies traumatisierend und extrem erschütternd.
„Rassismus gehört zu Deutschland“
Wird die Polizeiarbeit gründlich und sorgfältig durchgeführt, gibt es eine:n faire:n Richter:in, so kann ein Verfahren aber auch dazu beitragen, Wunden zu heilen. Das habe sie selbst schon erlebt, erzählt Ulrike Maschner von Lobbi. So könne langsam wieder Vertrauen in Behörden aufgebaut werden. Dennoch sei es aus ihrer Erfahrung immer auch entscheidend, abseits dessen über ein Unterstützungsnetzwerk zu verfügen. Familie und Freund:innen, die sich nach rassistischen Angriffen solidarisch zu den Betroffenen verhalten. Wichtig sei es, zuzuhören und dem zu folgen, was der:die Betroffene möchte, weiß Maschner. Aber nachfragen, das Anbieten von Unterstützung und gegebenenfalls Knüpfen von Kontakten gehört ebenfalls dazu. Und besonders auch, das Motiv anzuerkennen und das Geschehene nicht zu leugnen. Denn, so bitter es ist, „Rassismus gehört zu Deutschland dazu. Es ist nur die Frage, wen es interessiert“, sagt Maschner.
Dass das Thema Rassismus in Deutschland und gerade auch in MV leider immer noch aktuell ist, dem stimmt auch der Leiter des Islamischen Bundes Rostock und Vorstandsmitglied des Vereins Migra, Ahmed Maher Fakhouri zu. Es sei eine Frage der Einstellung in der Gesellschaft, der Politik und den Behörden, wie dem begegnet werde. Gerade Letztere müssten für die Thematik noch mehr sensibilisiert werden, findet Ulrike Maschner. In Rostock habe sich ja auch schon etwas getan, meint Fakhouri. Es gebe „viele gute Aktivitäten in die richtige Richtung“. Vor allem die Zivilgesellschaft sei organisierter und heute ausdifferenzierter als beispielsweise noch vor zehn Jahren, schätzt auch Maschner. Gerade Organisationen, die von Betroffenen selbst gegründet wurden, hätten eine enorme Ausstrahlung. Und auch erste Empowerment-Angebote gebe es mittlerweile in MV. Dort gehe es darum, sich gegenseitig zu stärken, nach dem Motto: „Ich weiß, was du meinst, und mir passiert das Gleiche.“ Doch dafür müsse es noch deutlich mehr Räume geben, so Maschner.
Anklam oder Evershagen – beides scheiße
Trotz dieser auch positiven Schritte haben sich die Erlebnisse der Betroffenen seither nicht verändert. Der Satz einer von Rassismus Betroffenen, „ich habe erst hier begriffen, dass ich schwarz bin“, steht sinnbildlich dafür, dass es in MV grundlegend anders ist als beispielsweise in großen Städten wie etwa Hamburg. Dabei sei es
auch egal, ob Anklam oder Evershagen – an beiden Orten seien die Menschen „gleich scheiße“, habe mal ein Beratungsnehmer zu ihr gesagt, erzählt Ulrike Maschner. Darüber habe sie sich dann schon gewundert. Würde sie jemandem aus Berlin-Friedrichshain empfehlen, nach Pasewalk zu ziehen? Nein, wohl eher nicht. Vielleicht erst mal zwei Wochen Urlaub dort machen und einen Eindruck gewinnen. Nicht ohne Grund verlassen viele, auch Geflüchtete, MV schnell wieder, um in größeren Städten mit größeren Communitys zu leben.
Und wen interessiert das? Nur die übliche Blase. Die breite Öffentlichkeit eher weniger. Hier sieht Maschner ebenfalls Nachholbedarf, was Sensibilisierung angeht. Und auch in den Medien sei eine kontinuierliche und sensible Berichterstattung, abseits von Jahrestagen, durchaus wünschenswert. Kein Wunder, dass sich im Hinblick auf 30 Jahre Rostock-Lichtenhagen Betroffene nicht so einfach vor den Karren spannen lassen möchten. Da folgt der Frage „Habt ihr da noch einen Betroffenen?“ oft die Antwort „Nein“.
Wie kann es nun aber weitergehen, Rassismus explizit entgegengewirkt werden? Zuerst müsse gezielt nach ihm gesucht werden, sagt der Soziologe Aladin El-Mafaalani von der Universität Osnabrück. Mit dem Rassismus verhalte es sich in seinen Augen wie mit Asbest in der Hauswand. Er mache krank, man wisse aber erst, wenn auch nachgeschaut werde, dass er existiere, und habe so auch die Chance, ihn zu bekämpfen. Unabdingbar dafür sei, dass von Rassismus Betroffene am Diskurs mitwirken, sie einen Platz am Tisch haben und ihnen
zugehört wird. Erst dann können auch die verschiedenen Dimen-sionen von Rassismus näher beschrieben werden. Mit den Perspektiven Betroffener.
Studie macht Erfahrungen von Frauen sichtbar
Doch selbst für Betroffene ist es manchmal schwierig zu erkennen und zu benennen, dass sie überhaupt betroffen sind. Gerade im Hinblick auf institutionellen Rassismus. Diese Aussage trifft auch eine neue und bisher unveröffentlichte Studie, die sich mit den Rassismuserfahrungen von Frauen in MV beschäftigt. Dafür schlossen sich die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Organisation Lola für Demokratie in MV und der Verein Tutmonde gemeinsam mit Forscher:innen der Hochschule Neubrandenburg zusammen. Ziel des Forschungsprojekts: Herausfinden, wie und in welchen Lebensbereichen Frauen, aber auch ihre Angehörigen mit Migrations- beziehungsweise Fluchtbiografien in MV von Rassismus betroffen sind, wie sich Rassismuserfahrungen in ihrem Alltag abbilden und welche Auswirkungen diese haben, welche institutionellen und gesellschaftlichen Strukturen auf die individuellen Erfahrungen einwirken und wie die Betroffenen damit umgehen beziehungsweise an wen sie sich wenden.
Ein vorhersehbarer, vertrauter, berechenbarer, struktur- und haltgebender Alltag ist ein Privileg. Die für die Studie befragten Frauen verfügen nicht über dieses Privileg. Für sie bestehe Alltag „aus kraftzehrenden Herausforderungen“. Es lauern zahlreiche Situationen – etwa rassistische Kommentare oder Beleidigungen –, die ihr Leben „unvorhersehbar und bedrohlich machen“. Die befragten Frauen „berichten von Situationen, in denen sie unbeschwert Alltägliches bewältigen und von einem Augenblick zum nächsten Routinen erschüttert werden“. Zudem zeigt die Studie, dass Frauen nicht nur mit direkten rassistischen Bedrohungen und Beleidigungen konfrontiert sind. Zusätzlich erleben sie auch Ignoranz und Ablehnung – werden etwa ignoriert, wenn sie eine Frage haben, oder „aus dem sozialen Umfeld ausgeschlossen“, egal, wie sehr sie sich persönlich anstrengen. Sie werden „zur Anderen, zur Fremden gemacht“.
Die Studie erfasst jedoch nicht nur die Erfahrungen von Alltagsrassismus, die die Frauen machen und die eine Betroffene als „kleine unvorhersehbare und unerwartete Nadelstiche“ beschreibt. Auch institutioneller Rassismus spielt in den Erzählungen der Befragten eine Rolle. In Ämtern und Behörden kommt es zu Ungleichbehandlungen zuungunsten der Leistungsberechtigten und -empfänger:innen. Das habe „nicht nur damit zu tun, dass sie auf Individuen stoßen, die diskriminierende Praktiken vertreten, sondern auch damit, dass sie auf Gesetzgebung und Verwaltungsstrukturen treffen, die diskriminierendes Handeln ermöglichen oder gar befördern“. Zu sehen sei das in MV nachweislich beispielsweise bei der Wohnungssuche und bei Bewerbungen auf Stellen oder Ausbildungsplätze.
Tutmonde, Lola für Demokratie und die AG Migrantinnen des Landesfrauenrates haben aus den Erkenntnissen der Studie Forderungen an Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft abgeleitet. Sie enthalten unter anderem einen Aktionsplan „zur Bekämpfung von strukturellem Rassismus, inklusive Qualifizierungs- und Weiterbildungs-maßnahmen für öffentliche Institutionen und Verwaltung“. Dass Behörden im Hinblick auf Rassismus stärker sensibilisiert werden müssen, davon ist auch Ulrike Maschner von Lobbi überzeugt. Zudem müsse die Gesellschaft gegen Rassismus zusammenstehen. Wenn das nicht passiere, dann bleibe Rassismus das alleinige Problem der Betroffenen. Und das „darf auf keinen Fall passieren“, so Maschner. Auch werde Rassismus oft nur thematisiert, wenn Betroffene das selbst täten, sonst nicht. „Sollte er aber.“
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 11.
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Redakteurin bei KATAPULT MV.