Soziale Segregation

Wohnungsbau, Bildung und Arbeitsplätze sollen langfristig den Schweriner Süden verändern

Wohnen, arbeiten und leben auf dem Großen Dreesch. Wie die Landeshauptstadt das für die Menschen verbessern will, hat KATAPULT MV nachgefragt. Bei Oberbürgermeister Rico Badenschier, den Stadtteilmanagerinnen Sara Köhler und Anne-Katrin Schulz sowie dem Stadtplaner Robert Wick.

Wollen wir den sozialen Frieden in der Stadt erhalten, so müssen wir der sozialen Segregation entgegenwirken“, bringt der Schweriner Oberbürgermeister Rico Badenschier eine seiner Langzeitaufgaben auf den Punkt. Auf die großen gesellschaftlichen Entwicklungen, wie beispielsweise die Lage am Arbeitsmarkt oder die Einkommenssituation, habe die Kommunalpolitik nur sehr begrenzten Einfluss. „Wo wir aber als Kommune etwas machen können, ist beim Thema Stadtentwicklung. Wir müssen daran arbeiten, dass es in der Innenstadt möglich ist, preiswert zu wohnen, und gleichzeitig müssen wir Stadtteile wie Neu Zippendorf, Mueßer Holz und Lankow durch hochwertiges Wohnen attraktiver gestalten“, führt Badenschier aus.

Es gelte, bezahlbaren Wohnraum bei besserer sozialer Durchmischung zu schaffen. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau, die von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften aufgebracht werden können, seien aber begrenzt. „Die Stadt hat immer noch 30 Millionen Euro Altschulden auf städtischen Gebäuden, was ein Grund für die zurückhaltende Investition in den sozialen Wohnungsbau ist“, so der Oberbürgermeister. Hoffnung mache ihm, dass auch private Investoren Interesse zeigen und Anträge zur Förderung stellen. Ein Beispiel dafür sei die Schaffung von 48 Sozialwohnungen am Ziegelinnensee. Mit Landesmitteln geförderter Wohnungsbau werde aber ein Projekt über Jahrzehnte sein, so Badenschier.

Neubauvorhaben verändern das Gesicht des Quartiers

Die Schaffung von Arbeitsplätzen im Schweriner Süden ist für das Stadtoberhaupt von entscheidender Bedeutung. Die Arbeitsagentur und das Jobcenter werden ihre neuen Verwaltungsgebäude im Mueßer Holz bauen, was zu einer nachhaltigen Belebung des Stadtteils führen werde, ist sich Badenschier sicher. Hier sollen zum 1. Januar 2023 rund 500 Büroarbeitsplätze entstehen. Hinzu kommt, dass die Stadtvertretung eine Grundsatzentscheidung gefasst hat, in Neu Zippendorf eine neue Berufsschule für Gesundheit und Sozialwesen zu bauen. Die Schule wird etwa tausend Schüler:innen als Ausbildungsstätte dienen. Beide Bauvorhaben sollen die Infrastruktur nachhaltig verändern.

Was das Modellprojekt „Neue Mitte“ in Neu Zippendorf angeht, so hatte Badenschier sich die Realisierung schneller vorgestellt. „Aber wir wollen nun für Neu Zippendorf einen Bebauungsplan erstellen. Dieser soll im zweiten Halbjahr den politischen Gremien vorgestellt werden. Dann kann es im nächsten Jahr konkret losgehen“ gibt sich der Oberbürgermeister optimistisch. Die Bauarbeiten an der Schule am Fernsehturm sind bereits im Gange.

In Bildungseinrichtungen zu investieren, ist richtig, um sehr gute Lernbedingungen zu schaffen, und es ist ein Beitrag, der sozialen Segregation entgegenzuwirken.

Rico Badenschier, Oberbürgermeister Schwerin

„Am Ende werden wir in die Volkshochschule und die Grund- und weiterführende Schule einen zweistelligen Millionenbetrag investiert haben. In Bildungseinrichtungen zu investieren, ist richtig, um sehr gute Lernbedingungen zu schaffen, und es ist ein Beitrag, der sozialen Segregation entgegenzuwirken“, ist Badenschier von der Richtigkeit der Investitionsvorhaben überzeugt. In den Neubau der Albert-Schweitzer-Schule im Mueßer Holz investiert die Stadt mindestens zwölf Millionen Euro. Ab September will die evangelische Suchtkrankenhilfe dort eine Suchtklinik betreiben. Auch hier entstehen 35 bis 50 Arbeitsplätze in der Rehabilitationsarbeit. Den privaten Wohnungsbau gelte es noch stärker zu entwickeln, so der OB. Kleinere Bauten entstehen in der Pilaer Straße und die Schweriner Wohnungsbaugesellschaft baut acht Wohneinheiten in der Bürgelstraße.

Bezahlbares Eigentum für junge Familien

Mehr privates Wohnungseigentum wünscht sich auch der Stadtplaner der Landgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern, Robert Wick. Die Kommune könne durch den Verkauf von verbilligtem Bauland an Familien noch mehr Anreize zur Eigentumsbildung geben. Dem Trend, dass diejenigen wegziehen, die es sich finanziell leisten können, sollte unter anderem durch preiswerte Baumöglichkeiten entgegenwirkt werden, so Wick.

Guten Wohnraum zu schaffen, ist eine der Voraussetzungen, das Leben in den Stadtteilen attraktiver zu gestalten. Dass Menschen sich auf dem Großen Dreesch, in Neu Zippendorf und im Mueßer Holz wohlfühlen und gerne dort leben, dazu tragen auch die Quartiermanagerinnen Sara Köhler und Anne-Katrin Schulz bei.

Dadurch, dass die Stadtteile stigmatisiert sind, fühlen sich auch ihre Bewohner stigmatisiert.

Sara Köhler, Stadtteilmanagerin Schwerin

Sie organisieren konkrete Hilfe zur Bewältigung von Alltagsproblemen, zeigen in ihren Sprechstunden Lösungswege auf, geben Rat. „Stadtteilarbeit bedeutet viele kleine, aber fast immer ganz konkrete Schritte“, erzählt Köhler und ergänzt: „Dadurch, dass die Stadtteile stigmatisiert sind, fühlen sich auch ihre Bewohner stigmatisiert. Ein wesentlicher Beitrag unserer Arbeit ist, dass wir zeigen, dass die Quartiere nicht abgehängt sind und die hier lebenden Menschen nicht vergessen werden.“

Begegnungen fördern – mitmachen bei der Belebung der Stadtteile

Gerade im vergangenen Jahr, beim 50-jährigen Jubiläum des Großen Dreeschs, haben die vielen Kulturveranstaltungen, Freizeitaktivitäten und Informationsprogramme zu einem intensiven Austausch und Kennenlernen über Stadtteilgrenzen hinweg beigetragen. „Eine unserer Hauptaufgaben ist es, Begegnungsmöglichkeiten zwischen den Menschen hier in den Stadtteilen, aber auch zwischen Einwohner:innen aus ganz Schwerin zu schaffen“, beschreibt Anne-Katrin Schulz die Arbeit im Quartier. Ein solcher Begegnungspunkt war der Kiosk am Fernsehturm. Der soll in Zukunft wieder als Treffpunkt genutzt werden. Die Anwohner mussten nicht lange gebeten werden, um sie bei einigen Veranstaltungen zum Mitmachen zu bewegen. Nun sollen neue Formate entwickelt werden, um den Kiosk dauerhaft wiederzubeleben. Um ihn wieder als „Treff“ zu betreiben, muss aber noch die Finanzierung gesichert werden. „Der Kiosk gehörte schon immer zu Fernsehturm und er kann wieder ein wichtiger Identifikationspunkt für die Menschen, die drum herum leben, werden“, sind sich die beiden Stadtteilmanagerinnen sicher.

Lehrer:innen und Ärzt:innen dringend gesucht

Das Mueßer Holz ist der jüngste Stadtteil, hier leben viele junge Familien mit Kindern. Für Sara Köhler sind die dortigen Schulen, die naturgemäß eine große Integrationsleistung erbringen, an ihre Grenzen gekommen, denn bei einem Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund von durchschnittlich 60 Prozent brauche es Fachkräfte. Lehrermangel gibt es auch in diesem Quartier und der beste Schulneubau wirkt nicht, wenn nicht in genügendem Maße qualifizierte Lehrkräfte beschäftigt sind. Deshalb gilt auch für die Praktikerinnen der Sozialarbeit Köhler und Schulz: Die Bildungseinrichtungen müssen gestärkt werden. Ein weiterer Schritt dazu ist das städtische Projekt „Ein Quadratkilometer Bildung“. In Zusammenarbeit mit der Freudenberg-Stiftung soll ein:e Mitarbeiter:in Bildungsangebote koordinieren, sie im Gespräch mit Lehrpersonal, Eltern und Bildungsträgern optimieren und so die vielfachen Anstrengungen effektiver werden lassen. Und zwar im unmittelbaren Lebensumfeld der Schüler:innen.

Neben weiterem Bedarf an Lehrer:innen gilt es für die Stadtteilmanagerinnen, die ärztliche Versorgung zu verbessern. Für alle drei Stadtteile gibt es gegenwärtig lediglich eine Kinderarztpraxis. Gerade für das Mueßer Holz, ein Viertel mit vielen jungen Menschen und Familien, ist dies ein gravierendes Problem. Gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Haltungsschäden und Adipositas seien sichtbar. Die Stadt versuche durch Beratung und Präventivmaßnahmen entgegenzuwirken, aber eine ausreichende Versorgung mit Ärzt:innen vor Ort sei gerade für kinderreiche und einkommensschwache Familien existentiell, mahnen Köhler und Schulz.

Quellen

  1. Soziale Segregation bedeutet, dass unterschiedliche gesellschaftliche Schichten in unterschiedlichen Stadtvierteln leben und es wenig soziale Durchmischung gibt.
  2. Interview mit Oberbürgermeister Rico Badenschier am 14. Januar 2022.
  3. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft WGS.
  4. Im Auftrag der WGS.
  5. Zoom-Gespräch mit Sara Köhler und Annekatrin Schulz sowie Robert Wick am 12. Januar 2022.

Autor:in