Die Baderstraße 2 in Greifswald, eines der letzten unsanierten Häuser in der Innenstadt. Auf seine historische Bedeutung weisen nur noch kaum lesbare, abgeblätterte Schriftzüge an der Fassade hin. Es sind Textauszüge der Barockdichterin Sibylla Schwarz, die der gleichnamige Förderverein dort aufgebracht hat. Und das Gebäude, an dem sie stehen, ist ihr Geburtshaus. Ein Patrizierhaus von 1540. Im Grundriss ist es nahezu erhalten. Einige Balken der Holzkonstruktion stammen ebenfalls noch aus dem 16. Jahrhundert. Das Gebäude ist denkmalgeschützt. Seit den 1990er-Jahren aber steht es leer, musste 2002 notgesichert werden. Die Kosten in Höhe von mehr als 180.000 Euro übernahm die Stadt.
Was macht das Haus so wertvoll?
Die pommersche Sappho
Sibylla Schwarz wurde 1621 als jüngste Tochter des damaligen Bürgermeisters Christian Schwarz geboren. Sie konnte lesen, schreiben, beherrschte Latein und die Mythologie der Antike. Mit zehn Jahren verfasste sie erste Gedichte. Später schrieb sie auch Sonette und Lieder.
1638 starb sie mit 17 Jahren an Ruhr, einer bakteriellen Darmkrankheit. Die Texte, die sie bis zu ihrem Tod schrieb, veröffentlichte ihr Hauslehrer Samuel Gerlach einige Jahre später. Ein paar Lieder wurden in kirchliche Gesangbücher aufgenommen. Heute gilt sie als eine der wenigen Frauen der Barocklyrik und als „pommersche Sappho“ (eine der größten griechischen Dichterinnen der Antike).
Zu ihrem 400. Geburtstag in diesem Jahr sind drei Neuausgaben der Textsammlung veröffentlicht worden. Um ihre Geschichte zu bewahren und darüber zu informieren, hat sich 2013 in Greifswald der Sibylla-Schwarz-Förderverein gegründet. Er ist es auch, der schon seit Jahrzehnten versucht, das Geburtshaus der Dichterin wieder für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das Problemhaus
Das Haus hat also nicht nur bauhistorische Bedeutung, weil es ein bislang erhaltenes Patrizierhaus ist, sondern auch kunsthistorische und vor allem ideelle, sagt Sonja Gelinek, Vorsitzende des Fördervereins: „Wenn es schon noch Originalgemäuer einer international bekannten Dichterin gibt, warum die dann nicht erhalten?“
Das Haus befindet sich jedoch in Privatbesitz. Nachdem dort bis in die 1990er-Jahre ein Lebensmittelgeschäft betrieben wurde, kaufte es 1992 der Vater des jetzigen Eigentümers. Nun gehört es seinem Sohn Cornelius Siller aus Göppingen.
Er hat lange nichts mit dem Haus gemacht. 2002 war das Gebäude so sehr von Schwamm befallen und das Dach einsturzgefährdet, dass die Stadt die Kosten einer Notsicherung übernahm. Siller erklärte sich im Gegenzug dazu bereit, ein Sanierungs- und Nutzungskonzept zu erarbeiten, zuletzt noch einmal 2016, nachdem bereits ein Enteignungsverfahren angestoßen worden war. Das scheiterte aber schließlich an der Einschätzung des Landesinnenministeriums. Das hatte der Stadt geraten, lieber ein Instandsetzungs- und Modernisierungsgebot an den Eigentümer zu erwirken. Eine Enteignung stelle einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht dar, das werde sehr restriktiv gehandhabt und sei sehr schwer umzusetzen, erläutert Greifswalds Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Bündnis 90/Die Grünen).
Eigentümer Cornelius Siller hält an dem Gebäude fest. Er wolle nicht verkaufen. Sein Ziel sei es, wie von Anfang an, darin Wohnungen zu bauen. Dann würde das Haus aber nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, so der Förderverein. So versuchen die Mitglieder seit Jahren, einen Kompromiss mit dem Eigentümer zu finden. Noch vor fünf Jahren sah die Sache ziemlich verzwickt aus, es gab kaum Kommunikation zwischen beiden Parteien. Der Verein wollte ein Café ins Erdgeschoss und Büro- oder Forschungsräume in die oberen Stockwerke bauen. Der Eigentümer wollte das Gebäude weiterhin umfassend nur für Wohnungen sanieren. Dann, 2019, konnte eine Absichtserklärung vereinbart werden. Eigentümer und Verein unterschrieben, gemeinsam ein Konzept zum Erhalt und zur Nutzung des Gebäudes zu entwickeln. Ein Mietverhältnis sollte dem Verein für 20 Jahre sicher sein. Konkreter wurde es aber bis heute nicht.
Wer übernimmt die Bürgschaft?
Mittlerweile sei zumindest das Verhältnis der beiden Parteien gut, betont Gelinek. Siller zeige sich kommunikativ und verständnisvoll. Man könne ganz offen sprechen.
Cornelius Siller sagt auf Nachfrage, dass er sich ein Café im Erdgeschoss nun doch durchaus vorstellen könne. Es fehle aber die Finanzierung. Das Problem: Der Verein befindet sich in privater Trägerschaft und verfügt über so gut wie kein Eigenkapital, kann somit die Kosten nicht selbst tragen. Er braucht einen Bürgen. Laut Gelinek hat sich bislang weder eine Stiftung noch eine Initiative dazu bereit erklärt. Die Hoffnung des Vereins liege jetzt bei der Stadt.
Dass sie die Finanzierung übernimmt, ist grundsätzlich denkbar. Der Verein könne sich sogar vorstellen, nur das Erdgeschoss zu nutzen, sodass oben Büro- oder repräsentative Konferenzräume für die Stadtverwaltung entstehen könnten. „So würden die Akten auch nicht nass werden, das Gebäude ist ja immerhin nur um die Ecke vom jetzigen Rathaus“, sagt Thomas Stamm-Kuhlmann, ebenfalls Mitglied des Fördervereins. Mit der Stadt im Boot wäre auch die öffentliche Nutzung langfristig gesichert, so Gelinek. Dann könnte man viel bewegen, machen, initiieren.
Aber: Weitere Gespräche darüber gab es bisher nicht. Eine Prüfung laufe, heißt es von der Stadt auf Anfrage vom Förderverein und von KATAPULT MV. Diese Prüfung läuft jedoch schon einige Monate. Laut Hausbesitzer Siller könne die Stadt nach eigenen Angaben eine sogenannte Ausfallbürgschaft nicht leisten, bezüglich einer Anmietung habe sie sich bislang noch nicht festgelegt.
Neues Enteignungsverfahren wird noch geprüft
In der Greifswalder Bürgerschaft hatte die SPD-Fraktion mehrfach Kleine Anfragen zum Stand der Dinge gestellt. Im Juni dieses Jahres wurde sogar ein erneuter Antrag auf Enteignung initiiert. Auch hier laufe ein Prüfverfahren, sagt eine Sprecherin der Stadtverwaltung. Zudem gebe es dazu bereits ein denkmalschutzrechtliches Verfahren. Detailinformationen könne man aber nicht an die Presse gegeben, allerdings schon so viel sagen: „Dem Eigentümer sind schon mehrfach Handlungsalternativen aufgezeigt worden. Benötigt werden von ihm ein Konzept und eine denkmalpflegerische Zielstellung zum Umgang mit den einzelnen Bauteilen. […] Dazu muss ein Planungsbüro hinzugezogen werden, das ein Sanierungskonzept erarbeitet. Das ist nach wie vor nicht geschehen.“ Aus diesem Grund könne die Stadt nun erste Schritte für eine Enteignung vorbereiten. Die Entscheidung aber liege bei der Enteignungsbehörde des Landes. Wie lange sich ein solches Verfahren im Falle eines Antrags hinziehen könnte, hänge von der Bearbeitungszeit der Behörde ab. Ausschlaggebend sei dabei auch, ob das Verfahren von Beteiligten angefochten wird und in einem gerichtlichen Verfahren noch einmal umfassend überprüft werden muss.
Der Beschluss, eine Enteignung zu prüfen, ist mittlerweile schon mehr als drei Monate her, ein Antrag bislang nicht gestellt.
Gesprächsfäden laufen im Rathaus zusammen
Und es gibt noch eine weitere interne Kommunikation zu diesem Thema im Rathaus: Der Eigentümer Cornelius Siller ist nach eigenen Angaben ebenfalls in Verhandlungen mit der Stadt. Hierbei gehe es um die Möglichkeit der privaten Nutzung, genauer: Wohnungen und konkrete Maßnahmen.
Siller sagt: „Wohnräume in den Obergeschossen sind grundsätzlich möglich. Die Stadtverwaltung hat hier selbst vor Jahren schon ein entsprechendes Konzept ausarbeiten lassen, das mir vorliegt. Bezüglich baulicher Maßnahmen, die für den Brandschutz und für eine Verbesserung des Lichteinfalls erforderlich sind und in die historische Bausubstanz eingreifen, hat mir das Stadtbauamt Kompromissbereitschaft signalisiert.“
Bisherigen Mietinteressenten für die Räume im Erdgeschoss seien die verschachtelten Räume zu ungünstig. Auch diesbezüglich gebe es einen Austausch mit der Stadtverwaltung: „Ich habe aber noch keine Auskunft erhalten, bis zu welchem Umfang im Erdgeschoss Räume zusammengelegt werden dürfen. Daher möchte ich meine Fragen in den nächsten Wochen in eine Bauvoranfrage münzen, um hier Planungssicherheit zu erhalten.“
Momentan läuft also alles im Greifswalder Rathaus zusammen. Die nächste Bürgerschaftssitzung ist im November. Auch da werde es erneut eine Nachfrage der SPD geben, kündigt Stamm-Kuhlmann an, der auch für die Partei in der Bürgerschaft sitzt.
Der Verein versucht währenddessen, das 400. Jubiläum der Barockdichterin in diesem Jahr zu feiern, auch ohne dass dazu ihr Geburtshaus als Veranstaltungsort zur Verfügung steht, wie ursprünglich erhofft. Mit Vorträgen und Konzerten erinnert er an die Greifswalder Dichterin und damit auch ein bisschen an ihr Geburtshaus, was zum Greifen nah ist, aber doch Gefahr läuft, nur noch weiter zu verfallen. Die größte Angst sei, dass es abbrenne, sagt Gelinek. Denn die Balken – mitunter noch aus dem 16. Jahrhundert – sind trocken und morsch. Man sei doch so nah dran, sagt Gelinek und betont noch einmal: „Lieber wäre uns eine private Nutzung – dann eben erst mal ohne den Verein – als gar keine!“