Es begann an einem Sonntagmorgen vor fünf Wochen. Vorm Küchenfenster hing plötzlich ein Plakat der OB-Kandidatin Botezatu (SPD) am Laternenpfahl. Es war eines von zwei Plakaten in der Straße. Seitdem ist die Stadt mit Gesichtern, Themen und Slogans zugepflastert. Bei 17 OB-Kandidatinnen ist Sichtbarkeit im aktuellen Wahlkampf vielleicht noch wichtiger als in vorherigen. Schlagworte wie „Verantwortung“, „Arbeitsplätze“, „Einfach machen“ und immer wieder „Rostock“ prägen die Straßen der Hansestadt. Aber warum?
Wirkung von Wahlplakaten
Wahlplakate sind ein alter Hut. Bereits im antiken Rom wurden sie benutzt. In Deutschland sind sie seit der Weimarer Republik massenhaft im Einsatz, erklärt Wolfgang Muno, Politikwissenschaftler an der Universität Rostock. Doch „welche Wirkung sie haben und ob sie überhaupt Wirkung haben, ist nicht eindeutig belegt“.
Die Aufgabe der Wahlplakate sei zunächst niedrigschwellig. Grundsätzlich weisen sie auf eine Wahl hin. Sie informieren, sollen aber auch inhaltlich wirken. Doch weil sie keine komplexen Sachverhalte abbilden können, ohne überladen zu werden, sei das schwierig, so Muno. „Es geht also vermehrt darum, bestimmte Kandidaten bekannt zu machen, insbesondere bei einer Personenwahl wie der Bürgermeisterwahl.“
In Rostock sind die Wahlplakate überall sichtbar. Zur Wahlentscheidung für oder gegen eine Kandidatin tragen sie jedoch kaum bei. Stattdessen zeigen sie potenziellen Wählerinnen die Anwesenheit der Kandidatinnen im öffentlichen Raum. Zusätzlich dienen sie der Themensetzung und dem Imageaufbau.
Es gibt zwei Typen von Wahlplakaten, die auch in Rostock vertreten sind. Die „Kopfplakate“ bilden eine Kandidatin, ein Logo und einen Slogan ab. Einerseits sind vielen Menschen von diesen Plakaten mit zunehmender Dauer genervt, andererseits kann gerade die abgebildete Verbindung einer Kandidatin mit einem Thema große Wirkung erzielen. Erst recht bei einer Personenwahl wie der Wahl zur Oberbürgermeisterin.
Daneben kommen reine Themenplakate vor, die vor allem die Bereiche Wirtschaft, Umwelt und Soziales thematisieren. Damit wird die Aufmerksamkeit auf Kernthemen gelenkt. Wirkung auf Wählerinnen erzielen diese Plakate jedoch nicht, zeigen Untersuchungen der Universität Hohenheim.
Wahlplakate erzielen die größte Aufmerksamkeit, wenn sie Bildsprache einsetzen. Sie transportiert Emotionen glaubwürdiger als bloßer Text. Erst recht bei emotional positiv besetzten Bildern. Gut gestaltete Wahlplakate nutzen außerdem freundliche und leuchtende Farben und eine klare Gliederung.
Die Rostocker Stadtverfügung
Kommunal- und Landesgesetze regeln das Aufhängen von Wahlplakaten. Sechs Wochen vor der Wahl dürfen sie im öffentlichen Raum sichtbar sein. Möglich macht es eine Erlaubnis zur Sondernutzung an öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen, die Parteien und Bewerberinnen vorbehalten ist, die zur OB-Wahl 2022 zugelassen sind.
Aus demokratischen und verfassungsrechtlichen Gründen sei es grundsätzlich hinzunehmen, dass politische Parteien vor den jeweiligen Wahlterminen mit Wahlplakaten für sich werben, heißt es aus der Stadtverwaltung. Jede OB-Kandidatin darf maximal 1.500 Plakate aufhängen. Wo, wie hoch und wie viele Plakate an einer Stelle hängen dürfen, ist detailliert geregelt und folgt dem Grundsatz: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Einen Rechtsanspruch auf Sichtbarkeit an bestimmten Orten gibt es nicht. Auch regelmäßige Kontrollen im Wochentakt sind von der Stadtverwaltung vorgeschrieben. Wer Plakate aufhängt, muss gegebenenfalls verschmutzte, beschädigte oder umherliegende Plakate abnehmen und entsorgen.
Parteien im Vorteil
Parteien und Einzelbewerberinnen haben viele Plakate drucken lassen. Teils erheblich mehr, als sie aufhängen dürfen, weil sie Plakate als Ersatz für beschädigte und gestohlene Exemplare vorhalten. Aber auch für Flyer, Postkarten und gesponserte Social-Media-Beiträge wird Geld ausgegeben. Inhaltliche Vorgaben gibt es für Wahlwerbung kaum. Solange sie nicht gegen Strafgesetze (etwa durch Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung) verstößt oder verfassungsfeindliche Äußerungen, Abbildungen oder Symbole enthält, kann sie kreativ gestaltet werden.
Einzelbewerber Jens Kaufmann macht davon Gebrauch. Er antwortet zwar nicht auf Anfragen von KATAPULT MV, lässt aber offiziell aussehende Briefe an Haushalte verteilen. „Wichtige Wahlunterlagen für die Wahl zum Oberbürgermeister“ steht darauf geschrieben. Adressaten sind „alle Wahlberechtigten ab 16 Jahre in Rostock“. Diese scheinbar wichtige Wahlunterlage entpuppt sich als Wahlwerbung mit einem Bild von Kaufmann und QR-Code zu seiner Wahlkampfseite auf der Innenseite.
In Summe entfallen auf kontaktlose Wahlwerbemittel zur Rostocker OB-Wahl weit über 150.000 Euro. Dabei liegen KATAPULT MV nicht einmal alle Kosten vor. SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben zusammen etwa 90.000 Euro für den kontaktlosen Wahlkampf in Form von Plakaten und Flyern ausgegeben, bei neun Einzelkandidatinnen waren es zusammen rund 65.000 Euro. Während Kandidatin Thoß von der DBU und Einzelkandidat Bräuer nach eigener Aussage auf Wahlplakate verzichten, haben die Kandidatinnen Ebert, Kaufmann, Meister und Kreis nicht auf eine entsprechende Anfrage reagiert. Plakate von Kaufmann, Meister und Ebert sind im Stadtbild präsent. Die Kampagne Eberts, der von FDP, CDU und dem Rostocker Bündnis UfR unterstützt wird, ist ähnlich aufwendig wie die Kampagnen von SPD und Linke. Auch Eberts kontaktloser Wahlkampf wird wohl eine solide fünfstellige Summe kosten.
Es gibt Einzelkandidaten, die für ihren kontaktlosen Wahlkampf ähnlich hohe Summen aufbringen wie die Kandidatinnen von SPD, Linke und Grünen. Während sie den Wahlkampf aus Eigenmitteln stemmen, haben Parteien schon aufgrund ihrer vielfältigen Einnahmequellen mehr Möglichkeiten. Sie nutzen eigene Gelder und Spendenkonten. Kandidat Ebert verfügt mit dem potenziellen Zugriff auf drei Spendenkonten über die womöglich größten finanziellen Mittel.
Sachbeschädigung auf Augenhöhe
Gut gebrauchen könnte er diese Mittel, denn die Lust an Zerstörung entlädt sich besonders gegenüber Eberts Wahlplakaten. Dafür, dass sie generell nur eine geringe Wirkung erzielen und hohe Kosten verursachen, lösen offenbar gerade seine Wahlplakate Gefühle aus, die nicht zwingend zu einem zivilisierten politischen Diskurs führen. Aber auch Plakate von anderen Kandidatinnen wie Jens Kaufmann, der als ehemaliger Anmelder der Corona-Demos in Rostock in der Stadt einen speziellen Ruf genießt, bleiben nicht verschont.
Dagegen vergleichsweise harmlos ist der Umgang mit Plakaten des Einzelbewerbers Langnickel. Auf seinen Plakaten steht „Augenhöhe!“, was dazu führte, dass einige seiner Plakate bis auf den Boden herabgezogen wurden.
Was vielleicht unbedacht geschieht, kann nach § 303 des Strafgesetzbuches Konsequenzen haben. Die Klassiker: schwarze Zähne malen, eigene Parolen auf Wahlplakate schreiben, Slogans durchstreichen oder Plakate zerreißen und entfernen – all das wird juristisch als Sachbeschädigung gewertet.
Die Sache mit dem Melderegister
Das Bundesmeldegesetz erlaubt Melderegisterauskünfte in besonderen Fällen. Parteien und Wählergruppen dürfen Daten von Wahlberechtigten bei Meldeämtern abfragen, um sie für Wahlwerbung zu nutzen.
Die Praxis ist umstritten. Zum einen ist der Gebrauch von personenbezogenen Daten der Meldeämter datenschutzrechtlich fragwürdig. Darüber hinaus empfänden viele Bürgerinnen personalisierte Wahlwerbung als aufdringlich, heißt es von der SPD. Auch die Linke wolle keine personenbezogenen Daten abrufen.
Zur aktuellen OB-Wahl gab es nach Auskunft aus dem Rostocker Stadtamt eine Melderegisteranfrage der Grünen. Die Partei forderte 4.667 Datensätze von Erstwählerinnen an.
Auf Anfrage von KATAPULT-MV berichtet die grüne OB-Kandidatin Claudia Müller von intensiven Diskussion und der Entscheidung für die Datenabfrage. Ziel sei es gewesen, „die Erstwähler:innen auf die OB-Wahl aufmerksam zu machen“, so Müller. Angesichts der erwarteten geringen Wahlbeteiligung am 13. November seien ausschließlich die Adressen derer abgefragt worden, für die „diese OB-Wahl die erste Wahl darstellt“. Bei der Kommunalwahl betrifft das alle Personen ab 16 Jahren, die vorher nicht wahlberechtigt waren. Die erhaltenen Datensätze seien nach Versand des Erstwählerinnenbriefes wieder vollständig und sicher gelöscht worden, versichert Müller.
Wer in Rostock zukünftig der Datenübermittlung widersprechen möchte, kann den hier verlinkten Antrag beim Stadtamt ausfüllen.
Was kostet eine Wahl?
Mehr noch als die Kandidatinnen wird diese vorgezogene Wahl einer Oberbürgermeisterin die Stadt Rostock kosten. Bisher werden Ausgaben von etwa 600.000 Euro erwartet. Die Höhe der Gesamtkosten ist abhängig davon, ob eine Stichwahl stattfindet, wie viel Werbung für Wahlhelferinnen notwendig sein wird und wie viele Briefwählerinnen es geben wird, denn auch Herstellung und Versand der Briefwahlunterlagen koste, heißt es aus dem Rathaus.
Hinzu kommen Kosten für die Anmietung von Wahllokalen, Transport- und Transferkosten sowie Entschädigungszahlungen für Wahlhelferinnen und Wahlhelfer.
Egal wie teuer die Wahl einer neuen Oberbürgermeisterin sein wird – die Stimmen der Wählerinnen entscheiden. Eine geringe Wahlbeteiligung wird erwartet, was einer starken demokratischen Willensbildung nicht förderlich ist. Es muss nicht so kommen.
- Alle 17 OB-Kandidatinnen stellen wir hier vor.
- Wie die Ostsee-Zeitung den Wahlkampf begleitet, haben wir hier festgehalten.
- Wenn ihr vor der Wahl noch OBingo spielen wollt, findet ihr hier die Spielzettel.
Quellen
- Autor nutzt generisches Femininum.↩
- Hermann, Andrea T.: Was bringen Wahlplakate?, auf: derstandard.at (27.8.2019).↩
- Universität Hohenheim (Hg.): Wie Plakate wirken, auf: uni-hohenheim.de (10.8.2017).↩
- Ebd.↩
- Hermann, Andrea T.: Was bringen Wahlplakate?, auf: derstandard.at (27.8.2019).↩
- Universität Hohenheim (Hg.): Wie Plakate wirken, auf: uni-hohenheim.de (10.8.2017).↩
- Amt für Mobilität (Hg.): Allgemeinverfügung zur Regelung der Wahlwerbung zur Oberbürgermeister*inwahl 2022 in der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, in: Städtischer Anzeiger Nr. 18, 31. Jahrgang, S. 8; auf: rathaus.rostock.de (17.9.2022).↩
- Ebd.↩
- Ebd.↩
- Angaben zu Ausgaben der Parteien und Einzelkandidatinnen liegen der Redaktion vor.↩
- Kosten für Plakate und Flyer von SPD und Linke liegen vor.↩