Anfang April berichtete der Stern über eine exklusive Abfrage, die das Magazin gemeinsam mit RTL bei den Innenministerien aller Bundesländer durchgeführt hatte. Das Ergebnis: „Gegen mindestens 407 Polizeibeamte der Länder werden aktuell Disziplinarverfahren wegen Verdachts auf eine rechtsextremistische Gesinnung und/oder Verschwörungsideologie geführt.“ Und es sind wahrscheinlich sogar noch mehr, denn unter anderem Mecklenburg-Vorpommern habe keine aktuellen Zahlen für 2023 melden können. Diese Recherche nahm die Landtagsfraktion der Grünen zum Anlass, bei der Landesregierung selbst nachzufragen. Neben der Zahl der Verfahren in den Jahren 2022 und 2023 interessierten dabei explizit die „Verletzungen der politischen Treuepflicht“ und welche davon auf Rechtsextremismus, Reichsbürger und Selbstverwalter oder andere Delegitimierungen des Staates zurückgeführt werden konnten.
Lücken in der Statistik
Die Antwort des Innenministeriums auf die Anfrage fällt spärlich aus. So konnte die Landesregierung, wie auch schon bei der RTL- und Stern-Recherche aus dem April, weiterhin keine Zahlen für 2023 nennen. Diese seien noch nicht vollständig ausgewertet, heißt es zur Begründung. Bis Ende des zweiten Quartals – also jetzt – oder Anfang des dritten – also nächste Woche – rechne das Ministerium mit dem Abschluss der Auswertung.
MV laufe damit fast allen anderen Bundesländern hinterher, kritisieren die Grünen. „Unsere Landesregierung muss sich endlich einen aktuellen, präzisen Überblick über verfassungsfeindliche Tendenzen bei der Landespolizei verschaffen“, fordert darüber hinaus die Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecherin, Constanze Oehlrich, und nennt damit einen weiteren Kritikpunkt.
So lieferte das Innenministerium zwar die Anzahl der Pflichtverstöße und die Ausgänge der Verfahren für 2022, genauere Angaben zur Gestalt möglicher verfassungsfeindlicher Tendenzen konnten jedoch keine gemacht werden. Es erfolge „keine Kategorisierung nach den Phänomenbereichen ‚Rechtsextremismus‘, ‚Reichsbürger und Selbstverwalter‘ und ‚verfassungsrelevante Delegitimierung des Staates‘“. So steht es mehrfach in der Antwort.Sprich: Es gibt keinen Überblick darüber, welcher Art die registrierten Verstöße genau waren. Ob also etwa bei den 20 Verletzungen von Datenschutzbestimmungen – also beispielsweise der Abfrage von Personendaten in Polizeidatenbanken, die nichts mit dem Dienst zu tun hatten – oder den vier Verletzungen der politischen Treuepflicht – der Verpflichtung, die freiheitlich demokratische Grundordnung anzuerkennen und für ihren Erhalt einzutreten – ein rechtsextremer Hintergrund gegeben war.
Aus Sicht der Grünen besteht daran allerdings ein „großes öffentliches Interesse“. So müssten, auch wegen „der übergroßen Anzahl der Polizist:innen, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“, Pflichtverstöße und „rechtsextreme Umtriebe“ „konsequent geahndet“ und wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Wie das ohne entsprechende aktuelle Datengrundlage möglich sein soll, stellt Oehlrich in Frage.Ähnlich sieht das auch die FDP-Fraktion. So führe die „fehlende Kategorisierung extremistischer Phänomene“ dazu, dass keine Auskunft zu Rechtsextremismus und dergleichen möglich sei, kommentiert der Fraktionsvorsitzende René Domke. Er denkt dabei auch an die Zahlen aus dem aktuellen Bericht des Bundesverfassungsschutzes. Darin war unter anderem auf den weiteren Anstieg des rechtsextremen Personenpotenzials hingewiesen worden. Inwiefern das auch auf MV zutrifft, wird sich am 8. Juli zeigen, wenn der Landesbericht erscheint. Domke prognostiziert jetzt schon, dass der Bundestrend sich wohl auch in MV zeigen wird.Die FDP-Fraktion interessierte sich ebenfalls im Rahmen einer Kleinen Anfrage für Fälle von Extremismus im öffentlichen Dienst des Landes. Trotz Fristablauf habe die Landesregierung bisher nicht geantwortet.
Rechtsextreme Polizist:innen – nichts Neues in MV
Doch es gibt noch einen anderen Grund dafür, warum das Fehlen einer solchen Aufschlüsselung durchaus kritisch betrachtet werden kann. Darauf weist Lobbi MV, die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, hin. „Im Bundesland des Nordkreuz-Komplexes sollte die Erfordernis einer brauchbaren Erfassung eigentlich klar sein, könnte man meinen“, kritisiert Lobbi. Wer Vertrauen wiederherstellen wolle, müsse nicht nur „eine Fehlerkultur“ etablieren, sondern auch einen „transparenten Umgang“ mit Verfehlungen schaffen.Auf die Frage, wie die fehlende Kategorisierung zu rechtfertigen sei – vor dem Hintergrund von Nordkreuz, aber auch der Tatsache, dass der Disziplinarbericht wegen rechtsextremer Vorfälle in der Polizei überhaupt erst eingeführt wurde –, bestätigte das Innenministerium lediglich die Nichtkategorisierung. Verfahren „im Zusammenhang mit den Bereichen Rechtsextremismus und Reichsbürger-Ideologie“ würden im Bereich „Verletzung der politischen Treuepflicht“ gezählt.
Quellen
- Holzapfel, David: Hunderte Beamte der Landespolizei stehen unter Extremismusverdacht, auf: stern.de (4.4.2024).↩
- Landtag MV (Hg.): Kleine Anfrage der Abgeordneten Constanze Oehlrich, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Disziplinarverfahren in der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern“ und Antwort der Landesregierung, auf: dokumentation.landtag-mv.de (24.6.2024).↩
- E-Mail der Grünen-Landtagsfraktion vom 26.6.2024.↩
- § 12a I Beamtengesetz für das Land MV / § 33 I Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern.↩
- E-Mail der FDP-Landtagsfraktion vom 27.6.2024.↩
- Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hg.): Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 vorgestellt: Deutsche Sicherheitsbehörden treten inneren und äußeren Bedrohungen entgegen, auf: bmi.bund.de (18.6.2024).↩
- E-Mail des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung MV vom 24.6.2024.↩
- E-Mail von Lobbi MV vom 25.6.2024.↩
- NDR (Hg.): Landespolizei MV: Jedes zweite Disziplinarverfahren wird eingestellt, auf: ndr.de (1.7.2022).↩
- E-Mail des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung MV vom 27.6.2024.↩