EU-Abgeordnete Hannah Neumann im Interview

„Das hat die Landesregierung einfach versemmelt“

Drohende Umweltzerstörung und eine Zivilgesellschaft, die mundtot gemacht wird. Grund zur Besorgnis? Fünf Kilometer hinter Ahlbeck ist das politische Klima grundlegend anders, meint Hannah Neumann, Abgeordnete der Grünen im Europaparlament. Sie engagiert sich seit Jahren für Naturschutz in der deutsch-polnischen Grenzregion. Im Interview mit KATAPULT MV spricht sie über das geplante Containerhafenterminal im polnischen Swinemünde, wieso Umweltthemen noch nie Manuela Schwesigs Herzensangelegenheit waren und warum Mecklenburg-Vorpommern jetzt ein besserer Nachbar für Polen werden muss.

KATAPULT MV: Ein geplantes Mega-Hafenterminal keine fünf Kilometer vor Ahlbeck: Wie schätzen Sie die Pläne im polnischen Swinemünde ein?

Hannah Neumann: Es läuft nun zum dritten Mal eine Ausschreibung, bei der die Stadtverwaltung Swinemünde jemanden sucht, der den Containerhafen baut und umsetzt – ohne die vorgeschriebene Beteiligung der Bevölkerung oder eine abgeschlossene Umweltverträglichkeitsprüfung für das geplante Vorhaben.

An anderer Stelle versucht man bereits, Fakten zu schaffen. So befindet sich der Bau eines Wellenbrechers in der konkreten Planung. Das macht aber eigentlich nur Sinn, wenn der große Hafen tatsächlich auch kommt. Deswegen machen die Bürgerinitiative „Lebensraum Vorpommern“ und ich politisch auch so starken Druck. Denn eine Entscheidung, ob der Hafen überhaupt gebaut wird, darf es laut bestehenden Abkommen erst geben, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorliegt – man also weiß, welche Auswirkungen der Hafenbau auf die Umwelt hat, und wenn die Menschen in Swinemünde und auf Usedom sich informieren und Einschätzungen abgeben konnten. All das steht noch aus.Und auch die wirtschaftliche Frage ist noch vollkommen ungeklärt. Sinnvoll wäre es, eine realistische Aufstellung darüber zu machen, wie viele Containerschiffe wirklich täglich kommen würden. Wenn weniger kommen als geplant, dann lohnt sich der Hafen nicht. Wenn so viele kommen wie geplant, dann bedeutet das viel Lastverkehr auch über die Insel –da gibt es ja jetzt im Sommer schon regelmäßig einen Verkehrskollaps. Das ist einfach alles nicht zu Ende gedacht –in Bezug auf die Umwelt, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und in Bezug auf Wirtschaft und Tourismus.

Ist das Projekt eventuell zu groß für Swinemünde?

Theoretisch bauen kann man den Hafen schon. Die Frage ist aber: Braucht man ihn? Es soll der zweitgrößte Hafen an Nord- und Ostsee nach Hamburg werden. Dort sollen 200 Millionen Tonnen an Containern gelöscht werden. Das ist unfassbar viel. Die Frage nach dem eigentlichen Bedarf ist dabei noch gar nicht geklärt.

Das nächste Problem ist der Weitertransport der Güter, nachdem sie im Hafen angekommen sind. Die Straßen- und Verkehrssituation ist dort schon jetzt schwierig. Dazu kommen Abgasprobleme. Die Zugverbindung steht auch noch nicht. Da gibt es also noch eine Menge Baustellen, dabei bräuchte es diese Dimension vielleicht gar nicht. Der Hafenbau lohnt sich finanziell wohl nur, wenn dort riesige Mengen umgeschlagen werden. Und das macht das Naturschutzgebiet auf Wollin und den ganzen Charakter der Insel kaputt. Auch auf der deutschen Seite, wohl bis Rügen, hätte der Bau schwere Auswirkungen, wie unser erstes Gutachten zeigt.

Will man das? Das sind Debatten und Gespräche, die man führen muss. Nur werden sie in Polen nicht geführt. Wenn das dann auf der deutschen Seite passiert, heißt es: „Die Deutschen gönnen uns den wirtschaftlichen Erfolg nicht.“ Der vernünftige Weg wäre, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und eine Lösung zu finden, damit die Leute in der Region gerne dort wohnen bleiben, die Tourist:innen gerne kommen und trotzdem alle genug Geld verdienen. Das fordere ich immer wieder, aber die polnische Seite blockt bisher ab.

Welche Möglichkeiten haben Sie als grüne Abgeordnete im EU-Parlament?

Was wir jetzt erst einmal erreicht haben, auch mit der neuen Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, ist, dass diese nun von Polen eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung einfordert. Das war das Ergebnis von zweieinhalb Jahren harter Arbeit. Wir haben uns an alle möglichen Stellen gewandt, wurden hin- und hergeschickt und haben auch Druck auf die SPD gemacht und gesagt: Ihr könnt das nicht einfach durchgehen lassen.

Die Bürgerinitiative ist dazu auf Usedom sehr aktiv, sodass mittlerweile auch die Hoteliers mitbekommen haben, dass es Auswirkungen auf sie haben wird, wenn am Strand den ganzen Tag riesige Pötte vorbeifahren, der Hafen hell erleuchtet und das Wasser durch Sedimentabtragungen getrübt ist. Zweimal gab es bereits eine Petition von Bürgerinitiativen auf EU-Ebene. Hierzu muss Polen Stellung beziehen. Die Europäische Kommission kann jedoch Vertragsverletzungsverfahren erst einleiten, wenn das Land bereits gegen Regeln verstoßen hat. Dann ist es aber schon zu spät, denn zu diesem Zeitpunkt ist die Natur bereits zerstört.

Wir wollen zuallererst sicherstellen, dass für dieses Projekt keine EU-Gelder verwendet werden, und versuchen, auf europäischer Ebene an verschiedenen Stellen Druck aufzubauen. Es geht ja nicht nur um den Hafen in Swinemünde, sondern auch um den Grenzfluss Oder als Ganzes. Denn wenn am Hafen viele Güter ankommen, müssen diese auch über die Oder abtransportiert werden. Hierzu muss die Oder weiter ausgebaut werden, was Umweltschäden im ganzen Flussverlauf und eine erhöhte Hochwassergefahr mit sich bringt. Darum treiben wir die Vernetzung auf allen Ebenen voran: Mit Umweltministerin Steffi Lemke, mit den politischen Vertreter:innen aus MV und Brandenburg und mit der deutsch-polnischen Zivilgesellschaft.

Wie intensiv ist die zivilgesellschaftliche deutsch-polnische Zusammenarbeit im Hinblick auf das Bauprojekt?

Das ist eine traurige Geschichte. In Swinemünde gab es eigentlich eine Bürgerinitiative gegen den Hafenausbau, die so aktiv war wie die auf der deutschen Seite. Aber leider wurde sie massiv unter Druck gesetzt – von der Stadtregierung, aber auch seitens der polnischen Regierung. Es gab eingeworfene Fensterscheiben, teilweise wurden den Menschen die Jobs gekündigt. Kaum noch jemand traut sich gerade, sich zu dem Thema öffentlich zu äußern.

Mit mir treffen sich die Gegner:innen des Projekts auch nur noch heimlich und unter der Bedingung meiner Verschwiegenheit. Daher wirkt es manchmal so, als würden nur wir Deutsche Druck auf Polen machen. Dabei gibt es in Polen ebenfalls ganz viele Menschen, die die Pläne nicht in Ordnung finden, sich aber leider nicht mehr trauen, den Mund aufzumachen. Und dass das politische Klima vier oder fünf Kilometer vor Ahlbeck so grundlegend anders ist, besorgt mich sehr.

Ich versuche gerade, herauszufinden, mit wem man auf polnischer Seite noch zusammenarbeiten kann. Das müsste eine Person sein, die sich noch traut, selbst in der Öffentlichkeit aufzutreten und zu sprechen. Ich weiß, dass es diese Stimmen in Polen gibt und es nicht nur ein deutscher Widerstand ist. Aber der polnische muss auch sichtbar werden. Hier versuchen wir, eine Lösung zu finden. Derzeit werden die Pol:innen entlang der Grenze immer zurückhaltender, und das ist einfach traurig.Gibt es Zustimmung seitens der Einwohner:innen auf der polnischen Seite zu dem Projekt?

Das ist schwer einzuschätzen, da die Seite, die dagegen ist, mundtot gemacht wird. Aber wenn man nach Swinemünde fährt, sieht man noch immer Protestbanner gegen den Hafenausbau. Eine Einschätzung ist aber auch deswegen schwierig, weil nicht transparent mit Informationen umgegangen wird. So werden wieder viele Arbeitsplätze versprochen, die durch den Hafen entstehen sollen. Beim LNG-Terminal wurden ebenfalls enorm viele Arbeitsplätze versprochen und nur ein Bruchteil davon geschaffen. Jetzt wird wieder ein riesiges Wirtschaftswachstum versprochen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass das wirklich so kommt.

Zu den Umweltauswirkungen wurde die Öffentlichkeit von der polnischen Seite noch überhaupt nicht informiert. Es gibt keine Informationstransparenz, sodass die Menschen überhaupt keine Chance haben, sich eine eigene Meinung zu bilden. Es heißt einfach: Es wird gebaut, das ist zentral für die Wirtschaft von Swinemünde und die Deutschen gönnen uns den wirtschaftlichen Erfolg nicht.

Und wenn alle mundtot gemacht wurden, die bereit waren, diese Geschichte zu hinterfragen, stimmen dem vielleicht mehr Menschen zu, als wenn es wirklich vernünftige Debatten gäbe. Eine Zeit lang hat sich beispielsweise die stellvertretende Bürgermeisterin von Swinemünde gegen das Projekt ausgesprochen. Sie ist jetzt nicht mehr stellvertretende Bürgermeisterin von Swinemünde. Es findet keine vernünftige und sachgerechte Debatte statt. Gerade das macht die Situation so schwer.

Welche Mittel hat die EU, um dort Transparenz zu schaffen?Durch die EU-Richtlinien gibt es verschiedene Schutzmechanismen und -funktionen – wenn sich Polen daran hält. Es sind ja auch im EU-Rahmen vereinbarte Natura-2000-Schutzgebiete, die von den geplanten Schiffsrouten betroffen sein werden. Die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung geht auch auf EU-Verfahren zurück.

Grundsätzlich bestimmt die EU aber nur über Regeln und Prozesse und man geht davon aus, dass sich die Mitgliedstaaten an diese halten – dann funktioniert das auch gut. Aber bei der derzeitigen polnischen Regierung haben wir dieses Vertrauen nur sehr begrenzt. Und so ist auch die Einflussmöglichkeit der EU begrenzt. Die EU kann, wenn die Regeln missachtet werden, Strafzahlungen verhängen. Aber dann ist es bereits zu spät. Es kommt natürlich niemand von der Kommission und macht einen Sitzstreik, wenn die Bagger in Polen anfangen zu rollen. Das müssen wir schon selbst organisieren.

Eine größere Rolle könnte die Landesregierung von MV für sich beanspruchen, die ja auch viel näher am Ort des Geschehens ist. Ich hoffe, dass sich jetzt, da es eine linke Regierungsbeteiligung gibt, ein bisschen mehr bewegt. Und wir Grünen sitzen ja jetzt in MV auch wieder in der Opposition und können besser Druck ausüben – und das machen wir auch schon eine Weile.

Wie kann man die polnischen Gegensprecher:innen des Projekts jetzt unterstützen?

Auf der einen Seite würde ich mir wünschen, dass sie sich vernetzen und weiter laut bleiben. Auf der anderen Seite kann ich total nachvollziehen, dass sie Angst haben, und respektiere die Entscheidung, sich zurückzuziehen. Von den polnischen Mitstreiter:innen kommt immer: „Seid ihr wenigstens weiter laut und haltet ihr weiter das Thema hoch.“ Wir versuchen jetzt zum einen, stärker mit dem BUND, dem WWF, mit Nabu und anderen Umweltverbänden zusammenzuarbeiten. Die können sich als große internationale Organisationen noch ein bisschen lauter äußern in Polen.

Zum anderen versuchen wir, weiter zusammen mit den polnischen Grünen Druck auf die polnische Regierung auszuüben, sich endlich an die gemeinsamen Regeln zu halten. Aber das machen wir aus vielen anderen Gründen ja auch, sei es wegen der Korruption, sei es wegen der Rechtsstaatlichkeit – damit es nicht einfach so weitergeht, dass sie die Demokratie in der Mitte Europas dermaßen beschneiden.

Wie wird die Einschüchterung polnischer Aktivist:innen im EU-Parlament diskutiert?

Das wird natürlich kritisiert, niemand findet das gut. Und es passt leider auch ins Bild, weil es viele andere polnische Aktivist:innen genauso betrifft. Ganz unterschiedliche Gruppen setzen sich kritisch mit der Meinung der Pis-Partei auseinander. Sie streiten zum Beispiel für das Recht auf Abtreibung oder für die Rechte von LGBTQ*-Personen und werden deswegen massiv eingeschüchtert oder unter Druck gesetzt. Bei diesem Projekt betraf es jetzt Aktivist:innen im Umweltbereich. Das sehen wir auch bei anderen Umweltprojekten.

Das Ganze ist also nur ein Puzzleteil von vielen und Teil des Konflikts, den wir in der EU mit der polnischen Regierung haben. Darum diskutieren wir auch darüber, ob das Land keine Fördermittel mehr erhalten sollte, weil es sich an die europäischen Regeln halten muss – und dazu gehören Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Damit hat die gegenwärtige Regierung offensichtlich ein Problem. Und es macht all die tolle Zusammenarbeit, die es geben könnte, die es in der Vergangenheit gab, so viel schwerer.

Das andere Problem ist, dass Polen sich immer wieder über Umweltverpflichtungen, die durch die Einstufung bestimmter Landstriche als Natura-2000-Gebiete eingegangen wurden, oder über die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie oder die Vogelschutzrichtlinie hinwegsetzt und auch hier EU-Regeln ignoriert. In diesem Bereich sind schon mehrere Vertragsverletzungsverfahren anhängig. Die dauern aber ein bisschen und führen dann zu Strafzahlungen. Dabei ist das Problem – wie wir beim Weichseldurchbruch gesehen haben –, dass Polen Fakten schafft und die Natur zerstört, egal, ob danach eine Strafzahlung anfällt oder nicht. Und das kann man dann leider nicht mehr zurückdrehen.

Also verstößt Polen gegen geltendes europäisches Recht?

Ja, definitiv. Solche Projekte erfordern eine Umweltverträglichkeitsprüfung, in diesem grenznahen Raum sogar eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung, bei der die deutsche Seite von Anfang an eng mit einbezogen wird. Dabei hat sich Polen eigentlich durch EU-Recht und im Rahmen bilateraler Abkommen zwischen Deutschland und Polen zu diesen grenzüberschreitenden Beteiligungen verpflichtet. Man kann nicht einfach ein paar Kilometer hinter der Grenze etwas mit Auswirkungen auf ein anderes Land bauen und sagen: „Ist uns egal.“ Aber natürlich verstößt auch die Einschüchterung der Zivilgesellschaft gegen die Grundwerte der Europäischen Union. Und da haben wir mittlerweile eine ganz schön lange Liste.

Kühlt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf europäischer und deutsch-polnischer Ebene immer weiter ab?

Nicht überall. Es gibt ganz viele Menschen, die total Lust auf Zusammenarbeit haben. Es gibt ja auch viele Pol:innen, die auf der deutschen Seite wohnen, und Deutsche, die auf der polnischen Seite arbeiten. Dort gibt es einen tollen Austausch, viele Versuche mit Städtepartnerschaften, mit Sportvereinen, deutsch-polnische Wochen, Wirtschaftsaustausch, kulturelle Foren. Im Grenzland findet wahnsinnig viel statt auf Ebene der Zivilgesellschaft. Auch politisch gibt es viele positive Beispiele und Pläne, zum Beispiel dass Bürger:innen ins nächstgelegene Krankenhaus fahren können oder man den öffentlichen Nahverkehr so aufbaut, dass er auf beiden Seiten funktioniert.

Es wäre so wichtig, dass man sich auch beim Oderausbau deutsch-polnisch abstimmt, anstatt einfach loszubauen. In der deutsch-französischen Zusammenarbeit sieht man ja, was möglich ist, wenn beide Seiten wollen. Entlang der Grenzregion kann grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Region und das Wirtschaftswachstum wirklich einen ganz großen Push nach vorne geben – gerade auch bei uns auf deutscher Seite.

Was können wir in Mecklenburg-Vorpommern ändern, damit eine andere Reaktion aus Polen kommt?

Eine Sache kann man Frau Schwesig direkt ankreiden: Polen ist unser Nachbar, physisch. Es gibt viel wirtschaftlichen Austausch mit Polen. Allein die Frage: Wer holt die ganzen Laken aus den Hotels in Ahlbeck ab und von wem werden die gewaschen? Es geht doch gar nichts in Mecklenburg-Vorpommern ohne Polen. Wer baut die ganzen Häuser, wer macht die Sanierungen, wer putzt die Ferienimmobilien? All das, was MV an Wirtschaft und Wirtschaftswachstum hat, hängt eng mit Polen zusammen. Trotzdem entschied sich Manuela Schwesig, lieber Russland die Hand zu halten – was für Polen natürlich ein riesiger Affront ist und was die polnischen Bürger:innen als Angriff wahrnehmen. Die Menschen in Polen fühlen sich von Russlands Aggression bedroht – und, wie der Angriff auf die Ukraine zeigt, zu Recht. Die ganze Nord-Stream-2-Nummer, das Hofieren von Putin, diese Klimastiftung, das haben die Pol:innen alle gesehen. Und da haben sie den Eindruck bekommen: Mecklenburg-Vorpommern macht jetzt auf Kosten unserer Interessen gemeinsame Sache mit Putin – und fällt uns in den Rücken. Das hat viel Vertrauen zerstört.

Welche Auswirkungen hat das auf die deutsch-polnischen Beziehungen?

Da ist dann natürlich die Bereitschaft, auf den Hafen zu verzichten, weil dann vielleicht nicht mehr so viele Touristen nach Ahlbeck kommen, eher gering. Das hat die Landesregierung einfach versemmelt. Polen ist unser Nachbar und nicht Putin und nicht Russland. Und Polen ist auch das Land, zu dem wir starke Wirtschaftsbeziehungen haben. Vor allem zu Polen und in viel geringerem Maße zu Russland. Das wurde von Manuela Schwesig einfach falsch eingeschätzt und falsch vorgelebt. Deswegen fallen die ganzen Geschichten von „Die Deutschen gönnen uns das nicht“ auf sehr fruchtbaren Boden. Obwohl ich glaube, dass sich Swinemünde de facto ins eigene Fleisch schneidet, wenn dieser große Hafen gebaut wird. Schließlich profitieren auch dort die Menschen vor allem vom Tourismus.

Was müsste die Landesregierung jetzt tun, um mit der polnischen Regierung wieder ins Gespräch zu kommen?

Ehrlich gesagt sollte die Landesregierung erst einmal anfangen, sich um das Problem zu kümmern. Sie hat die Problematik vollkommen ignoriert, nach dem Motto: „Das ist das Ding der Polen und da quatschen wir nicht rein.“ Auch Patrick Dahlemann, der SPD-Staatssekretär für Vorpommern, hat bei dem Thema so lange geschlafen, bis es nicht mehr ignoriert werden konnte. Durch die Arbeit der Bürgerinitiative und uns haben sie letztendlich die Kurve gekriegt und die Umweltverträglichkeitsprüfung eingefordert. Jetzt müsste man in konstruktive Gespräche mit der polnischen Seite gehen, um die Interessen beider Länder zu verbinden, und um zu diskutieren, wie eine grenzüberschreitende Metropolregion aussehen könnte und wie man einen Mehrwert durch gute Zusammenarbeit schaffen kann. Aber das ist eigentlich der Job der Landesregierung und nicht meiner.

Wieso hat die Landesregierung das Projekt so lange unbeachtet gelassen?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube, auf der einen Seite war es ein bisschen Konfliktscheuheit. Zum anderen waren Umweltthemen noch nie Frau Schwesigs Herzenssache. Das trug sicher dazu bei, dass das Thema in der Prioritätensetzung nicht ganz so weit oben stand. Außerdem hören für die Landesregierung – die speziellen Beziehungen zu Russland mal ausgenommen – die Interessen von MV anscheinend an den Grenzen von MV auf. Und das führt dann zu so absurden Situationen wie, dass wir auf der einen Seite hier mühsam fünf Kilometer Küstenstreifen renaturieren, während auf der anderen einfach 20 Kilometer mit einem Fingerschnips kaputtgemacht werden. So machen wir auf der einen Seite Sisyphusarbeit und auf der anderen Seite wird alles wieder eingerissen. Diese Perspektive fehlt der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern – oder hat zumindest der letzten extrem gefehlt: Wir müssen über den Tellerrand gucken und nicht dort mit Politik aufhören, wo MV aufhört.

Was ist im Umgang mit Polen in den letzten Jahren schiefgelaufen?

Meiner Meinung nach haben wir als Deutschland, aber auch als EU gerade in den ersten Jahren nach der Osterweiterung total gepennt, verglichen mit dem, was beispielsweise deutsch-französisch aufgebaut wurde – an Freundschaft, an Austausch, an Jugendprojekten, an Verständigungsformaten, aber auch zum Beispiel an parlamentarischem Austausch. Im Fall Deutschland und Frankreich wurde vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Erfahrungen mit Krieg und Auseinandersetzungen vor allem zivilgesellschaftlich und politisch viel getan, um wieder Verbindungen zu schaffen und Wunden zu heilen. Dann kam die Osterweiterung und man dachte: „Das geht schon alles von alleine, darum muss man sich nicht weiter kümmern – sie sind ja jetzt Teil der EU.“ Da haben wir uns, glaube ich, ein bisschen verschätzt. Man hätte proaktiver sein und gemeinsam mit allen Parteien, der EU, Deutschland und Polen ganz bewusst auf Dialog und Austausch setzen müssen.Im deutsch-französischen Grenzgebiet hat fast jede Schule Französisch als Erst- oder Zweitsprache. Und alle sprechen ein bisschen die Sprache der Nachbarn. Polnischunterricht hat doch in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg kaum jemand. Da muss man sich schon sehr anstrengen, damit man überhaupt eine Chance hat. Das ist doch ein Beispiel für: Wie richtet man sich aus? Wie denkt man?

Und wie denkt man darüber in Schwerin?

Wenn ich sage, dass für die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern hinter Ahlbeck aufhört, dann meine ich das auch so. Teilweise hören sogar die Fahrradwege in Ahlbeck einfach auf, von den Zugverbindungen ganz zu schweigen. Und wie viele Jahre ist die Osterweiterung her? Zwanzig? Man hat einfach nicht verstanden, dass man jetzt Nachbarn und eins ist: vom Denken, von der Entwicklung, Infrastruktur und Wirtschaft her. Und im Bereich Naturschutz sowieso. Und das Ärgerliche ist: Jetzt ist es gerade sehr schwer, das nachzuholen, da die aktuelle polnische Regierung sehr nationalistisch ausgerichtet ist und das auch bis nach unten durchgibt. Selbst wenn einzelne Bürgermeister:innen etwas anders machen wollen, wird ihnen erst einmal der Finanzhahn abgedreht.

Aber die Pis-Regierung regiert ja auch nicht schon ewig. Vorher hat man die Chance nicht genutzt und ich finde, wir sollten gerade jetzt die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit fördern, damit wir etwas haben, auf das wir aufbauen können, wenn die Kooperation mit der polnischen Regierung wieder einfacher wird.Wie kann man die Zusammenarbeit mit der jetzigen polnischen Regierung verbessern?

Erst einmal ist die polnische Regierung nicht Polen. Da müssen wir auch immer die Grenze klar ziehen. Das eine ist die Pis-Regierung und das andere sind die Menschen in Polen, die aus unterschiedlichen Gründen die Partei wählen – das muss auch gar nichts mit einem nationalistischen Motiv zu tun haben. Und dann gibt es auch noch eine ganze Menge Menschen in Polen, die diese Regierung ablehnen. Da muss man Polen auch in seiner Diversität sehen, genauso wie man Mecklenburg-Vorpommern in seiner Diversität sieht: Nicht ganz Mecklenburg-Vorpommern fand Putin toll.

Gerade wegen Nord Stream 2 müssen wir Polen signalisieren: „Wir verstehen total, dass ihr euch bedroht fühlt, und wir stehen an eurer Seite.“ Wir müssen Präsenz zeigen und die Gemeinsamkeiten suchen. Wenn man dann einmal einen gepflegten Streit hat, fällt der nicht so schwer ins Gewicht. Immer nur mit dem Finger auf Polen zu zeigen und zu schimpfen, wenn die polnische Seite etwas falsch macht, hilft nicht, wenn man ein Problem gemeinsam lösen möchte – und muss.

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