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Studierendenverbindungen

Männlich, deutsch, Student – oder was?

Beim Wort „Studentenverbindung“ haben Menschen Assoziationen zu rechten Burschenschaften, blutigen Fechtkämpfen oder Trinkgelagen. Manche haben aber auch gar keine Vorstellungen, weil sie noch nie in Berührung mit den mehrheitlich männlich geprägten Bündnissen gekommen sind. Was sind also diese Studierendenverbindungen, wer sind ihre Mitglieder und stimmen die Vorurteile?

Turnerschaft Cimbria, Alte Rostocker Burschenschaft Obotritia, ADV Gratia Aurora und Corps Vandalia: Das sind einige der Namen von Studierendenverbindungen in MV. Acht gibt es in Rostock, zwölf in Greifswald. Manche von ihnen sind schlagend, wenige definieren sich als politisch. Doch was heißt das und was unterscheidet all diese Gruppen?

In einem der ältesten Häuser Rostocks hat der Rostocker Wingolf seinen Sitz. Alle Studierendenverbindungen sind Gemeinschaften aus Studierenden und ehemaligen Studierenden, bei denen das sogenannte Lebensbundprinzip herrscht. Das heißt, dass man der Verbindung bestenfalls lebenslang verbunden bleibt. Man beginnt meistens als Fux – eine Art Mitglied auf Probe. In dieser Zeit lernt man das Verbindungsleben kennen. Nach einer Burschenprüfung, die je nach Gruppierung unterschiedlich geartet sein kann, wird man zum Mitglied, häufig Bursch genannt. Mit Abschluss des Studiums wird man bei der Verbindung Rostocker Wingolf zum Philister. Man nimmt dann nicht mehr am aktiven Verbindungsleben teil, steht aber mit Rat und Tat und manchmal auch mit Geld zur Seite, wenn es gerade benötigt wird. In anderen Verbindungen heißt die Position Alter Herr. Torben Bjarne Wolff ist selbst Philister. Er sagt: „Es gibt ein gegenseitiges Werteerziehungssystem. Die Alten bringen nicht nur den Aktiven etwas bei, sondern sie hören auch aktiv zu und lernen was auch von den Jüngeren.“ Den Wingolf zu verlassen ist aber immer möglich.

Gemeinsam haben einige Verbindungen auch, dass sie sich mit anderen in ganz Europa in Dachverbänden organisieren. Die meisten besitzen außerdem Häuser, in denen die aktiven Mitglieder wohnen.

Penis ist meistens Pflicht

Wenn von „man“ geschrieben wird, ist bei den meisten Verbindungen aus Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich von Männern die Rede. Es sind oft reine Männerbünde. Nur zwei der insgesamt 20 Studierendenverbindungen in MV sind sogenannte Damenverbindungen – nehmen also nur Frauen auf. Einzig die Nautische Kameradschaft Poseidon in Warnemünde nimmt keine Geschlechtertrennung vor.

Im Rostocker Wingolf ist die Frauenfrage immer wieder Gegenstand von Debatten. Dabei spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Einerseits die Satzung des Dachverbandes, also des Wingolfsbundes. Andererseits die Satzung des Rostocker Wingolf selbst. Darin heißt es, dass neue Mitglieder männliche Studenten sein müssen. Das kommt daher, dass es zur Zeit der Entstehung der Satzung keine weiblichen Studentinnen gab. Christoph Labrenz, aktiver Bursch beim Rostocker Wingolf, erklärt: „Organisatorisch gesehen wäre es ein großer Aufwand, weil man mehrere Satzungen ändern muss. Dazu benötigt es Mehrheiten sowohl im Dachverband als auch in Rostock. Das klingt zwar nach scheinheiligen Ausreden, aber letztlich scheitert es an so etwas.“ Ein Argument für die Aufnahme von Frauen sei die größere Menge an potenziellen neuen Mitgliedern. Dagegen wird immer wieder behauptet, dass potenzielle Liebesbeziehungen und gegebenenfalls auch Trennungen das freundschaftliche Verhältnis zwischen den Mitgliedern gefährden könnten. Das könnte theoretisch aber auch bei queeren Männern passieren.

Frauen können sich in anderer Art und Weise beteiligen. Der Rostocker Wingolf hat zwei Couleurdamen. Beide sind häufig im Haus zu Gast und helfen bei Veranstaltungen. Als Dank dafür dürfen sie die Farben der Verbindung in Form einer sogenannten Couleurrose tragen. Moritz Brüggemann, ebenfalls Mitglied, ergänzt: „Wir haben natürlich vorher gefragt, ob sie das überhaupt wollen. Aber beide meinten, dass sie sich sehr darüber freuen.“

Der Coburger Convent, Dachverband dreier Verbindungen in MV, begründet den Ausschluss von Frauen auf seiner Website wie folgt: „Die häufigste Begründung dürfte sein, dass das prägende Lebensbundprinzip im gleichgeschlechtlichen Kontext für einfacher umsetzbar gehalten wird, da man sich auch bei großen Differenzen einfacher wieder zusammenrauft.“1
Um welche Differenzen es sich handelt und was mit zusammenraufen gemeint ist, wird nicht ausgeführt.

Das Duell, das keines mehr sein darf

Dreizehn Verbindungen in Rostock und Greifswald sind schlagend. Das bedeutet, dass sie sich an Fechtkämpfen mit scharfen Waffen, der sogenannten Mensur, beteiligen. Dabei werden nur gewisse Teile des Körpers wie beispielsweise der Hals oder die Augen geschützt. Teile des Gesichts bleiben frei, sodass es dort zu Verletzungen kommen kann.

Die Mensur ist Pflicht, um Mitglied in einer der dreizehn Verbindungen zu werden. Es geht darum zu zeigen, dass man für die Gemeinschaft einsteht. Auf der Website des Coburger Convents heißt es zum Thema Mensur: „Letztendlich ist es auch die Mensur, die uns von einem Club unterscheidet. Die Eintrittsschwelle ist hoch, doch wer sie überwindet, bleibt dabei und lebt es mit.“ Im Rostocker Wingolf wird nicht gefochten. Da es eine überkonfessionell christliche Verbindung ist, würde eine Fechtkampf diesen Prinzipien entgegenstehen. Auch als Zuschauer waren Labrenz und Brüggemann noch nie bei einer Mensur dabei. „Man kann theoretisch bei sowas mal teilnehmen als Gast. Aber das machen Verbindungen nur, wenn man ein ganz großes Vertrauensverhältnis zu ihnen hat“, erklärt Labrenz.

1953 entschied der Bundesgerichtshof, dass die Mensur nicht strafbar ist, selbst wenn es dabei zu Verletzungen kommt. Schließlich hätten die Teilnehmer dieser freiwillig zugestimmt. Strafbar sind allerdings Mensuren, die im Rahmen von Duellen ausgeführt werden.2

Auf der Straße erkennt man Mitglieder von Verbindungen an ihren quer über den Oberkörper getragenen Bändern. Diese haben die Farben, auch Coleur genannt, ihrer jeweiligen Verbindung. Diese Tradition nennt man farbentragend. Die Farben des Rostocker Wingolfs sind schwarz, weiß und gold. Nur vollständige Mitglieder tragen alle Farben an ihrem Band. Füxe tragen ein gold-weiß-goldenes Band. Spezielle Bänder gibt es auch bei besonderen Positionen in der Verbindung oder als Auszeichnung. Zusätzlich zu den Bändern gibt es weitere Objekte, wie Mützen, im Couleur. Wann die Bänder getragen werden, ist unterschiedlich und hängt auch von persönlichen Wünschen ab. Zu offiziellen Veranstaltungen der Verbindung sind sie allerdings Pflicht.

Mehrheitlich unpolitisch, teils rechtsextrem

Der Rostocker Wingolf ist in seinem Selbstverständnis unpolitisch. „Das bedeutet einfach nur, dass wir zu politischen Themen keine Stellung beziehen. Unsere Mitglieder können politisch sein und sich eine Meinung bilden, aber die Verbindung selbst hat keine Anknüpfungspunkte an die Politik“, sagt Christoph Labrenz.

Die meisten Verbindungen in MV sagen das über sich selbst. Nur die vier Burschenschaften Redaria-Allemannia Rostock, Alte Rostocker Burschenschaft Obotritia, Markomannia Aachen Greifswald und die Burschenschaft Rugia Greifswald definieren sich als politisch. Sie streben also politische Einflussnahme an.3 Dabei ist ihre Grundhaltung konservativ bis rechts.

Mindestens drei Burschenschaften in MV haben enge Verbindungen zur rechtsextremen Szene: Die Redaria-Allemannia Rostock machte 2013 Schlagzeilen, als sie im Rahmen des Burschentages rassistische Aufnahmekriterien für zukünftige Burschenschaftsmitglieder forderte. Laut Informationen des Spiegels, soll es in dem entsprechenden Antrag geheißen haben: „Nur Bewerber, die männliche studierende Deutsche sind, können in eine Burschenschaft der Deutschen Burschenschaft aufgenommen werden. Deutscher ist grundsätzlich, wer sich durch Sprache, Kultur, gleiches geschichtliches Schicksal und Abstammung als Deutscher auszeichnet.“ Diese Forderung wurde unter dem Namen „Ariernachweis“ bekannt.4 Mitglieder der Burschenschaft wie beispielsweise Thore-Ragnar Teufel sind in der rechtsextremen Identitären Bewegung engagiert.5

Auch die Burschenschaft Markomannia Aachen Greifswald sucht Kontakt zur Identitären Bewegung. Martin Sellner, führender Kopf der Gruppierung, hielt 2019 in deren Räumlichkeiten einen Vortrag.6 Mitglieder der Markomannia sind zusätzlich eng mit der AfD verbunden. Im Imagevideo der Markomannia ist Luis Weber zu sehen.7 Er sitzt für die Partei in der Greifswalder Bürgerschaft. Auch Nikolaus Kramer, Vorsitzender der Landtagsfraktion der AfD, werden Kontakte zur Markomannia nachgesagt.8

AfD-Politiker hat auch die Burschenschaft Rugia Greifswald in ihren Reihen. Enrico Komning, AfD-Landtagsabgeordneter, ist Mitglied.9 Aus ihrem Nationalismus machen sie keinen Hehl. So heißt es auf ihrer Webseite über die Mensur: „Nicht umsonst wird die Mensur von linken Gendermenschen als militaristisch und martialisch verteufelt, ist sie doch eine der letzten Traditionen eines deutschen und ehrenhaften Weltbildes!“10 Der inzwischen verstorbene Hund der Burschenschaft trug den Namen Rommel.11 Erwin Rommel war General in der NS-Zeit.12

Beide Greifswalder Burschenschaften standen laut Medienberichten 2019 im Fokus des Verfassungsschutzes MV. Die Rugia soll demnach eine Gruppierung mit „rechtsextremistischen Bezügen“ sein.13 Auf Nachfrage zur aktuellen verfassungsschutzrechtlichen Relevanz von Burschenschaften äußerte sich das Innenministerium wie folgt: „Derzeit sind in Mecklenburg-Vorpommern keine Burschenschaften als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft. Erst wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine gesichert extremistische Bestrebung im Rahmen des Beobachtungsauftrags vorliegen, darf die Landesbehörde für Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern auch darüber im Rahmen des jährlichen Verfassungsschutzberichtes sowie in Presseanfragen Auskünfte erteilen.“14 Über Verdachtsfälle, wie in anderen Bundesländern, informiert der Verfassungsschutz nicht.

Die Mitglieder des Rostocker Wingolfs haben keinen Kontakt zu einer der drei Burschenschaften. Die Readria-Allemannia hat ihnen sogar offiziell die Beziehung gekündigt. Das Dokument dazu hängt gerahmt im Saal des Verbindungshauses der Wingolfiten. Extremistisches Gedankengut lehnen sie ab. „Wir beziehen uns dabei auf unser Demokratieprinzip, das uns verbietet demokratiefeindliche Ansichten zu vertreten. Dabei nehmen wir den Verfassungsschutz als Richtmaß. Ich bin allerdings froh, dass wir aktuell keinen solchen Fall haben“, erklärt Torben Bjarne Wolff. Äußern sich Gäste im Haus extremistisch oder verfassungsfeindlich, verweisen die Wingolfiten sie der Veranstaltung.

Gäste immer willkommen

Zur christlichen Gastfreundschaft gehört es, dass Gäste im Haus des Wingolfs immer willkommen sind. Vor allem im Rahmen von sogenannten Kneipen oder öffentlichen Partys sind Externe gern gesehen. Die Kneipe ist eine traditionelle Form der Veranstaltung, die von allen aktiven Verbindungen praktiziert wird. Nach festen Regeln und mit einem leitenden Präsidium werden Lieder gesungen und Reden gehalten. Nach einem offiziellen Teil sitzt man gemütlich zusammen. Einmal im Jahr organisieren die Mitglieder des Rostocker Wingolfs eine Strandkneipe in Warnemünde. Für Moritz Brüggemann ist das eine der schönsten Veranstaltungen.

Die Kneipen dienen nicht nur dem Zusammensein, sondern sollen auch freies Sprechen vor Menschen oder organisatorische Fähigkeiten trainieren. Philister Wolff sagt dazu: „Uns zeichnet aus, dass gerade die jungen Mitglieder Führungspositionen bekleiden. Dadurch machen sie natürlich Fehler. Das es ist aber, woran man lernt und über sich hinauswächst.“ Für Christoph Labrenz war die Organisation einer Mittelalterkneipe das Highlight des letzten Semesters. Mit Kostümen, Spielen und selbstgemachtem Met verbrachten die Mitglieder des Wingolfs und ihre Gäste den Abend. „Ich finde es spannend, alte Traditionen mit neuen Ideen zu verweben und nicht alles immer nach einer gewissen Schablone zu machen“, erinnert er sich.

Einzig zu Conventen sind keine Gäste erlaubt. Es sei denn, ein Mitglied beantragt es. Bei Convents werden ähnlich wie bei Vereinssitzungen finanzielle oder organisatorische Angelegenheiten besprochen.

Einen Bierjungen trinken

Bei Veranstaltungen meistens dabei: Bier. Alkohol ist ein wichtiger Aspekt im Verbindungsleben. Im sogenannten Bier-Comment, an den sich Verbindungen jeweils mehr oder weniger halten, ist geregelt, wer wann was zu trinken hat. Wird man zum Beispiel aufgefordert einen Bierjungen zu trinken und nimmt die Herausforderung an, gibt es einen Wettkampf darum, wer am schnellsten ein Glas Bier leeren kann.

Im Rostocker Wingolf steht es jedem frei zu entscheiden, was und wie viel man trinken möchte. Auch der Bierjunge muss nicht immer mit Bier durchgeführt werden. Labrenz hat dem Alkohol bei Veranstaltungen komplett abgeschworen: „Wenn ich Veranstaltungen organisiere, möchte ich dabei einen klaren Kopf behalten.“ Natürlich gebe es immer wieder Mitglieder, die den Konsum übertreiben. Möglichkeiten zu trinken gibt es schließlich viele.

Ganz so entspannt wie im Rostocker Wingolf ist es nicht in allen Verbindungen. Der Bier-Comment regelt auch, dass Teilnehmende einer Kneipe, die nicht trinken wollen, das dem Präsidium mitteilen müssen. Dieses entscheidet dann, ob die dafür vorgebrachten Gründe ausreichend sind, um sich „bierkrank“ zu melden. Der Allgemeine Studierendenausschuss der Universität Münster hat ein Buch herausgegeben, das sich kritisch mit Studentenverbindungen und ihren Traditionen auseinandersetzt. Darin wird hinterfragt, warum es der Entscheidung einer anderen Person überlassen wird, ob jemand Alkohol konsumiert.15

Veraltetes Frauenbild

Auch das Frauenbild in Studentenverbindungen wird im Buch kritisiert. Die Männerbünde würden Frauen systematisch diskriminieren und ein Weltbild unterstützen, in dem es nur zwei Geschlechter mit fest zugeschriebenen Rollen gibt: Männer müssten durch Gewalt und Alkohol ihre Männlichkeit in der Gruppe unter Beweis stellen. Frauen dagegen würden nur über ihre Beziehung zu Männern definiert werden. Sie sind beispielsweise Partnerinnen oder Kommilitoninnen der Mitglieder.16

April Gibson17 hat sexistische Übergriffe auf Verbindungspartys erlebt und darüber geschrieben. Ihr Artikel ist im Moritz Magazin der studentischen Medien der Universität Greifswald anonym erschienen. Darin fasst sie die Erlebnisse von drei Partys zur Erzählung über eine fiktive Party zusammen. Sie selbst habe anfangs nicht gewusst, was eine Studentenverbindung sei und was sie auf einer Party dort erwarte. Mit ihrem Artikel möchte sie andere Frauen aufklären. Aus Sorge vor möglichen Konsequenzen jedoch nur anonym: „Ich kann gar nicht einschätzen, wozu die Mitglieder in der Lage sind. Vielleicht auch zu gar nichts. Es sind aber eben Verbindungen von mehreren Menschen und damit verbunden ist immer eine gewisse Macht.“

Im Interview erzählt sie von einer Party, die sie etwas eher verlassen wollte: „Es kamen mehrere Männer zu mir, die deutlich älter waren als ich, und haben mich gefragt, warum ich schon gehen will, man könnte doch noch etwas zusammen trinken. Beim Sprechen kamen sie mir viel zu nah. Ich habe das als ziemlich aufdringlich empfunden.“ Durch die günstige Verfügbarkeit von Alkohol auf den Partys, aber auch durch die Motivation der Verbindungsstudenten, habe sie mehr getrunken als sie eigentlich wollte. Einmal ging ihr Glas zu Bruch, weil sie zu betrunken war, um es festzuhalten. Als Reaktion darauf gab man ihr den Alkohol im Plastikbecher. Bei einer Party legte ihr ein Mann, den sie erst wenige Minuten kannte, die Hand auf den Rücken. Sie hatte das Gefühl, dass man sie bewusst „abfüllen“ wollte, damit sie ihre Hemmungen verliert.

Heute würde sie nicht mehr auf Verbindungspartys gehen, sagt sie. In ihrem Artikel resümiert sie: „Letztlich ist es natürlich deine Entscheidung, ob du auf eine Verbindungsparty gehst oder nicht. Dir sollte aber klar sein, dass du damit das Konzept dieser unterstützt und als weiblich gelesene Person einem konservativen Frauenbild entsprechend behandelt wirst.“

Wenig Frauen, mehr Sexismus

Ähnliche Erfahrungen hat Hanna gemacht. Sie verbrachte im ersten Semester ihres Jurastudiums viel Zeit im Haus der Akademischen Turnverbindung Greifswald. Dort hat sie keine negativen Erfahrungen gemacht: „Ich hatte dort einen sehr sicheren Rahmen, weil ich nie allein war, sondern immer Freunde um mich hatte.“ Wenn andere Verbindungsstudenten zu Besuch kamen, wurde es manchmal unangenehm. So wurde beispielsweise von Gästen infragegestellt, warum sie sich als Frau mit im Raum aufhält, obwohl dort ein Bierjunge getrunken wird. Auf einer Party in einem anderen Verbindungshaus akzeptierte ein Mann ihre Zurückweisung nicht und drängte sie zu einer Runde Tischkicker um ihre Telefonnummer. Sie gewann und musste sie nicht mitteilen.

Sexismus in Verbindungen kennt auch Torben Bjarne Wolff: „Wir haben in unserer Verbindung Sexismusdebatten und reflektieren uns dahingehend, sodass das Problem bei uns bei weitem nicht so verbreitet ist wie teilweise in anderen Verbindungen. Das liegt daran, dass wir eine weibliche Perspektive gespiegelt bekommen.“ Wenn in Verbindungen Grenzüberschreitungen als solche nicht wahrgenommen werden, sieht Wolff den Grund dafür in einer fehlenden weiblichen Perspektive.

In den Häusern der Verbindungen können die Mitglieder, dank der Spenden von Alten Herren oder Philistern, günstig wohnen. In teuren Städten wie Rostock ein verlockendes Angebot. Frauen sind davon, bis auf wenige Ausnahmen, ausgeschlossen. Auch die Kontakte zu den Alten Herren und spezielle Weiterbildungsangebote exklusiv für Verbindungsstudenten, mit denen teilweise geworben wird18, sind für Frauen nicht zugänglich. Berufliche Vorteile, die daraus entstehen, kommen dann nur Männern zugute. In Verbindungen, die rassistische Einstiegsvoraussetzungen haben, werden zusätzlich Menschen mit Migrationsgeschichte diskriminiert.

Verbindungen und ihre Außenwirkung

Die Universitäten Greifswald und Rostock gaben an, dass Studentenverbindungen im universitären Leben keine Rolle spielen.19 In beiden Städten positioniert sich außerdem die Studierendenschaft gegen die Existenz von Verbindungen. So antwortet der Allgemeine Studierendenauschuss (Asta) der Universität Rostock auf Nachfrage: „Die rückwärtsgewandten und geschichtsrevisionistischen Einstellungen vieler dieser Institutionen stehen klar im Widerspruch zu den Werten, die der Asta vertritt. […] Oft in diesem Kontext auftretendes rassistisches und sexistisches Gedankengut hat keinen Platz an unserer Uni und in der Studierendenschaft. Wir setzen uns entschieden dafür ein, dass Veranstaltungen von Verbindungen durch den Asta und Stura20 weder beworben noch in irgendeiner Form unterstützt oder mit Mitteln der Studierendenschaft gefördert werden.“21

Erst im vergangenen Jahr verabschiedete das Studierendenparlament (Stupa) in Greifswald einen Beschluss, in dem studentische Gremien dazu aufgefordert wurden, bei Veranstaltungen nicht mit Verbindungen zu kooperieren.22 Im Zuge dieses Beschlusses gab es intensive Diskussionen, in deren Folge eine Verbindungsstudentin bei der studentischen Vollversammlung in Tränen ausbrach.23 Bei einer Diskussionsrunde organisiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung berichtete die Ostsee-Zeitung, dass sich Verbindungsstudenten diskriminiert und ausgegrenzt fühlen.24

Die negative Außenwahrnehmung ist einer der Gründe, warum es nicht nur beim Rostocker Wingolf Mitgliedermangel gibt. Es ist den Wingolfiten deshalb ein Anliegen, Vorurteile offen anzusprechen und gegebenenfalls zu beseitigen. Für diesen Artikel wurden 18 Damenverbindungen, Corps, Turner-, Burschen-, Landsmannschaften und andere Verbindungen mehrfach angefragt. Acht von ihnen haben gar nicht geantwortet. Neun Verbindungen haben ein Interview abgelehnt.

NameFarbenOrtGeschlechtSchlagend?Politisch?Dachverband?
ADV! Gratia Auroraschwarz weiß rosaHWGweiblichneinneinkeinen
Akademische Turnverbindung Greifswaldweiß schwarz blau weißHWGmännlichneinneinAkademischer Turnbund
Alte Greifswalder Turnerschaft Markomanno-Teutoniahellblau silber rotHWGmännlichjaneinCoburger Convent (CC)
Burschenschaft Markomannia Aachen Greifswaldschwarz gold rotHWGmännlichjajaDeutsche Burschenschaft
Corps Borussiaschwarz weiß schwarzHWGmännlichjaneinKösener-Senioren-Convents-Verband (KSCV)
Corps Guestfaliagrün weiß schwarzHWGmännlichjaneinKösener-Senioren-Convents-Verband (KSCV)
Corps Marchia Greifswaldrosa weiß rosaHWGmännlichjaneinWeinheimer Senioren-Convent (WSC)
Corps Pomeraniahellblau silber hellblauHWGmännlichjaneinKösener-Senioren-Convents-Verband (KSCV)
Greifswalder Burschenschaft Rugiarot weiß grünHWGmännlichjajaDeutsche Burschenschaft
KDStV Alemannia zu Greifswald und Münsterschwarz gold grünHWGmännlichneinneinCartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen
Turnerschaft Cimbriagrün silber rosaHWGmännlichjaneinCoburger Convent (CC)
Verein Deutscher Studenten zu Greifswaldschwarz weiß rotHWGmännlichneinneinVerband der Vereine Deutscher Studenten
Akademische Landsmannschaft Baltiarot gold grünHRmännlichjaneinCoburger Convent (CC)
Akademische Verbindung Asteria Rostockgrün gold pinkHRweiblichneinneinkeinen
Alte Rostocker Burschenschaft Obotritiablau gold rotHRmännlichjajakeinen
Burschenschaft Redaria-Allemanniahellblau weiß rotHRmännlichjajakeinen
Corps Vandaliagold dunkelblau rot goldHRmännlichjaneinKösener-Senioren-Convents-Verband (KSCV)
Corps Visigothiablau weiß goldHRmännlichjaneinKösener-Senioren-Convents-Verband (KSCV)
Nautische Kameradschaft Poseidonblau gold rotHRalleneinneinConvent der Nautischen Kameradschaften
Rostocker Wingolfschwarz weiß goldHRmännlichneinneinWingolfsbund

Dieser Artikel erschien erstmalig in der 35. Ausgabe von KATAPULT MV.

  1. Coburger Convent (Hg.): Über uns, auf: coburger-convent.de. ↩︎
  2. Markomannen Wiki (Hg.): Göttinger Mensurenprozess, auf: markomannenwiki.de. ↩︎
  3. Report Mainz (Hg.): Braune Burschenschaften – Das rechtsextreme Netzwerk der AfD, auf ardmediathek.de (14.5.2024). ↩︎
  4. Diekmann, Florian; Trenkamp, Oliver: Burschenschafter planen Neuauflage des „Ariernachweises“, auf: spiegel.de (23.5.2013). ↩︎
  5. Schmidt, Daniel: Junge Alternative sucht Schulterschluss mit Neonazis, auf: webmoritz.de (26.10.2018). ↩︎
  6. Aktionsgruppe Nord Ost (Hg.): Vortrag von Martin Sellner in Greifswald am 23.02.2019, auf: youtube.de (25.2.2019). ↩︎
  7. Markomannia Greifswald (Hg.): Was Burschenschaft bedeutet | B! Markomannia Aachen Greifswald, auf: youtube.de (1.9.2023). ↩︎
  8. Kronauer, Jörg: „Alternative“ mit Schmiss, auf: der-rechte-rand.de (September 2016). ↩︎
  9. Fredrich, Benjamin: 76 Prozent rechtsextrem, auf: katapult-mv.de (24.06.2021). ↩︎
  10. Greifswalder Burschenschaft Rugia (Hg.): Über uns, auf: rugia-greifswald.de. ↩︎
  11. @rugia-greifswald: Beitrag vom 15.9.2020, auf: instagram.de. ↩︎
  12. Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz (Hg.): Hitlers Lieblings-General Rommel und unsere demokratische Erinnerungskultur, auf: upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de (23.7.2020). ↩︎
  13. Spiegel (Hg.): Verfassungsschutz nimmt zwei Burschenschaften ins Visier, auf: spiegel.de (24.4.2019). ↩︎
  14. E-Mail der Pressestelle des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung MV vom 29.7.2024. ↩︎
  15. Asta der Universität Münster (Hg.): Studentenverbindungen in Münster, S. 86-91 (August 2018). ↩︎
  16. Asta der Universität Münster 2018, S. 73-81. ↩︎
  17. Name geändert. ↩︎
  18. Beispielhaft kann der Verein C!rkel genannt werden, der sich ausschließlich an Corpsstudenten richtet. ↩︎
  19. E-Mail der Pressestelle der Universität Rostock vom 4.7.2024. / E-Mail der Pressestelle der Universität Greifswald vom 9.7.2024. ↩︎
  20. Studierendenrat. ↩︎
  21. E-Mail des Asta der Universität Rostock vom 17.7.2024. ↩︎
  22. Biedermann, Lilly: Ab jetzt nur noch unverbindliche Partys, auf: webmoritz.de (31.5.2023). ↩︎
  23. Fromm, Johannes: Veranstaltungsverbot für Verbindungen: Greifswalder Studentin bricht in Tränen aus, auf: ostsee-zeitung.de (14.6.2023). ↩︎
  24. Fromm, Johannes: Greifswalder Studenten aus Verbindungen klagen über Mobbing: „Werden ausgegrenzt“, auf: ostsee-zeitung.de (1.7.2023). ↩︎

Autor:in

  • Porträt von Lilly Biedermann Redakteurin Katapult MV in Greifswald

    Redakteurin in Greifswald

    Geboren und aufgewachsen in Sachsen. Ist zum Studieren vom tiefen Osten in den kalten Osten nach Greifswald gezogen.

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