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Proteste gegen AfD-Parteitag

Journalist:innen im Polizeikessel

In der sächsischen Kleinstadt Riesa fand am Wochenende der Bundesparteitag der AfD statt. Rund 15.000 Menschen protestierten bei Kundgebungen oder mit Sitzblockaden dagegen. Dabei kam es zu Grundrechtseingriffen und Gewalt durch die Polizei. Auch die Pressefreiheit wurde massiv eingeschränkt. Wir waren vor Ort.

Als wir gegen 5 Uhr früh den Bus vor dem Veranstaltungsgelände des Parteitages, der WT-Arena, verlassen, ist noch kaum etwas los in der Stadt. Gemeinsam mit einer Gruppe Demonstrierender aus Rostock, die wir für einen Dokumentarfilm begleiten, gehen wir zum Bahnhof. Die Polizist:innen vor Ort sind entspannt und begleiten uns. Dort angekommen, warten bereits Hunderte Menschen darauf, an der angemeldeten Demonstration Richtung WT-Arena teilzunehmen. Die Stimmung ist ausgelassen, es wird gesungen. Aber das soll sich bald ändern.

Abschied vom Lautiwagen

An der Kreuzung Brückenstraße/Rudolf-Breitscheid-Straße fährt der Lautsprecherwagen der Demonstrierenden in Richtung einer weiteren Kundgebung an der Friedrich-List-Straße weiter. Die Polizei will den Demozug allerdings über die Fußgängerbrücke auf der Rudolf-Breitscheid-Straße leiten. Die Situation wird unübersichtlich, als Demonstrierende versuchen, dem Lautsprecherwagen zu folgen. Sie werden von der Polizei zurückgedrängt. Ab jetzt, so wird es durchgesagt, gilt jegliche Vermummung als Straftat. Auf die Witterung, mit Temperaturen um den Gefrierpunkt, wird keine Rücksicht mehr genommen.

Die rund 4.000 Demonstrierenden folgen schließlich den Anweisungen der Beamt:innen und biegen ab. Warum die Einsatzleitung Tausende Menschen trotz Gefahr einer Massenpanik über eine enge Fußgängerbrücke schleust, lässt sie auf spätere schriftliche Nachfrage unbeantwortet.

Einschränkung der Pressefreiheit

Besonders weit kommt der Demozug allerdings nicht. Kurz hinter der Fußgängerbrücke haben die Einsatzkräfte die Straßen mit Polizeibussen und Beamt:innen versperrt. Damit beginnt eine zweieinhalbstündige Polizeiblockade, die Beobachter:innen später als „Polizeikessel“ bezeichnen.

Die Karte zeigt das Demonstrationsgeschehen im Rahmen der Proteste zum AfD-Parteitag in Riesa. Zu sehen sind die orte, an denen Polizeiblockaden stattfanden.

Wir sprechen Polizisten vor Ort an, fragen nach dem Grund und der Dauer der Einkesselung. Antworten und Kontakt zur Einsatzleitung werden uns trotz Presseausweis verweigert. Wir dürfen den Kessel nicht verlassen, obwohl uns das im Rahmen unserer Arbeit zusteht. In einer Pressemitteilung spricht die Gewerkschaft Verdi davon, dass mehr als 30 Medienvertreter:innen rund 45 Minuten festgehalten worden seien. Das sei „eine klare Einschränkung der Rechte von Journalist:innen und damit der grundgesetzlichen Pressefreiheit“, so die Gewerkschaft.1

Uns begegnen auch parlamentarische Beobachter:innen, denen das Durchkommen verweigert wird. Parlamentarische Beobachter sind Mitglieder von Parlamenten, die auf Demonstrationen die Exekutive, also die Polizei, kontrollieren. Auch Nam Duy Nguyen war als parlamentarischer Beobachter vor Ort. Der Linkenpolitiker wurde von einem Polizisten im Rahmen der Proteste bewusstlos geschlagen.2

Wenige Meter hinter der Polizeiblockade steht eine Versorgungsstation für die Demonstrierenden. Zugang dazu erhalten sie allerdings nicht. Wenig später rückt ein Wasserwerfer an.

Kessel oder kein Kessel?

Polizeisprecher Marko Laske begründet das Vorgehen auf Nachfrage schriftlich: „Um die Anreise der Teilnehmer des Parteitages zu ermöglichen“, sei es notwendig gewesen, den Aufzug an der Rudolf-Breitscheid-Straße vorübergehend zu stoppen. Außerdem könne er „eine Einkesselung wie von Ihnen beschrieben (…) nicht bestätigen“.3

Anders sieht das das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Der politisch unabhängige Verein beobachtet seit 1981 Demonstrationen mit dem Ziel, Verletzungen der Versammlungsfreiheit zu dokumentieren.4 Das Komitee bezeichnet die Maßnahme der Beamten an der Rudolf-Breitscheid-Straße als Polizeikessel. „Selbst einzelne Personen, die den Platz seitlich oder in Richtung der WT-Arena verlassen wollten, wurden gewaltsam (…) davon abgehalten“, schreibt Michèle Winkler, die die Demobeobachtung koordiniert hat.5

Gepfefferter Polizeieinsatz

Nachdem wir und weitere Journalist:innen aus dem Polizeikessel entlassen werden, brennen uns plötzlich Nasen und Augen. Von uns angesprochene Beamt:innen bestätigen, dass auch sie Reizgas riechen. Einen Grund für die Verwendung können sie allerdings nicht nennen. Später berichten uns Demonstrierende über den aus ihrer Sicht unverhältnismäßigen Einsatz von Pfefferspray. Winkler äußert sich im Nachhinein schockiert über den „Einsatz großer Mengen“ davon.

Kurz vor 9 Uhr drängt die Polizei die Demonstrierenden mit dem Wasserwerfer von der Blockade an der Rudolf-Breitscheid-Straße aus zurück. „Bleiben Sie friedlich und zeigen Sie Kooperationsbereitschaft“, kommt eine Durchsage aus dem Fahrzeug. „Wir sind friedlich. Was seid ihr?“, rufen die Demonstrierenden zurück. Der Wasserwerfer zieht sich daraufhin zurück.

Die Polizei äußert sich auf Nachfrage nicht zum Einsatz von Pfefferspray oder dem Vorrücken des Wasserwerfers. Den Vorwurf, die Eskalation sei von der Polizei ausgegangen, bestreitet der Sprecher.

Einsatz von körperlicher Gewalt

Kurz vor 10 Uhr, der AfD-Parteitag hätte längst beginnen sollen, gibt es Gerüchte, dass die Blockade bald aufgelöst wird. Wir positionieren uns nah an den Polizeifahrzeugen, um direkt filmen zu können, wenn es so weit ist.

In den Schmutz auf den Scheiben der Busse wurden polizeifeindliche Parolen geschrieben. Das wollen wir filmen. Plötzlich werde ich heftig von einem Polizisten geschubst. Keiner der anwesenden Beamt:innen will die Situation gesehen haben. Ein wenig später herangezogener Beamter des Medienschutzteams der Polizei entschuldigt sich für das Vorgehen seines Kollegen. Es habe sich um eine Stresssituation gehandelt. Es sei außerdem nicht klar gewesen, ob ich nur filme oder potenziell das Fahrzeug anzünden wolle. Der Beamte verspricht mir, mit der entsprechenden Polizeieinheit ins Gespräch zu gehen. Auch Marko Laske bestätigt das: „Der Einsatz am vergangenen Wochenende in Riesa wird von der Polizeidirektion Dresden nachbereitet. Dies umschließt auch die von Ihnen benannten Vorfälle im Zusammenhang mit der Pressefreiheit.“

Wir sind allerdings nicht die einzigen Medienvertreter:innen, die körperlich angegangen werden. Laut Verdi wurden mehrere Journalist:innen Opfer von Tritten, Schlägen und Pfefferspray der Polizei.

Freiheit nach zweieinhalb Stunden

Gegen 10 Uhr endet die Blockade an der Rudolf-Breitscheid-Straße ohne Angabe von Gründen. Zurück bleibt die massive Kritik am Vorgehen der Einsatzkräfte durch Demonstrierende, Beobachter:innen und Journalist:innen.

Polizeisprecher Laske ist zufrieden mit dem Einsatz: Es bleibe „festzuhalten, dass die Polizei ihre Ziele erreicht hat. So konnte auf der einen Seite der Parteitag stattfinden. (…) Auf der anderen Seite hat die Polizei den Protest in Sicht- und Hörweite ermöglicht und damit das Recht auf Versammlungsfreiheit gewahrt.“

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie kommt dagegen zu einer anderen Einschätzung: „Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Versammlungsfreiheit eben gerade nicht gewährleistet ist, wenn nur punktuell Proteste stattfinden können, die der Polizei ins Konzept passen. Versammlungsfreiheit ist erst dann hergestellt, wenn alle Protestierenden ihr Versammlungsrecht weitgehend ungestört – und vor allem unverletzt – ausüben können.“

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Weiterlesen: Proteste und Polizeigewalt in Riesa

  1. Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di (Hg.): Riesa: Einschränkung der Pressefreiheit, auf: mmm.verdi.de (13.1.2025). ↩︎
  2. Muschenich, David; Schröder, Lilly: Hart im Widerstand, auf: taz.de (12.1.2025). ↩︎
  3. E-Mail von Marko Laske vom 13.1.2025. ↩︎
  4. Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Demonstrationsbeobachtung verteidigt eine radikal-demokratische Interpretation der Versammlungsfreiheit, auf: grundrechtekomitee.de. ↩︎
  5. Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Pressemitteilung: Gegendarstellung zur Polizeiversion: Gewährleistung des AfD-Parteitags in Riesa nur durch gezielte Polizeigewalt ermöglicht, auf: grundrechtekomitee.de (12.1.2025). ↩︎

Autor:innen

  • Porträt von Lilly Biedermann Redakteurin Katapult MV in Greifswald

    Redakteurin in Greifswald

    Geboren und aufgewachsen in Sachsen. Ist zum Studieren vom tiefen Osten in den kalten Osten nach Greifswald gezogen.

  • Bild von KATAPULT MV Redakeurin Victoria Flägel

    Redakteurin in Rostock

    Rostock-Redakteurin und kinderlose Katzenlady

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