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Extremismus an Schulen

AfD-Schlumpfvideo ist nur die Spitze des Eisbergs

Von und

Lesedauer: ca. 5 Minuten

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14. März: Die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit veröffentlicht einen angeblichen Fall von unverhältnismäßiger Polizeigewalt am Richard-Wossidlo-Gymnasium in Ribnitz-Damgarten (Vorpommern-Rügen). Demnach soll eine 16-jährige Schülerin von der Polizei aus dem Unterricht abgeführt worden sein – wegen eines AfD-werbenden Tiktok-Videos, in dem Schlümpfe zu sehen sind. Dies sei dem Schulleiter im Vorfeld per Mail zugesendet worden, bevor er die Polizei verständigt haben soll. Mit den Beamt:innen habe es ein klärendes Gespräch in einem Nebenraum der Klasse gegeben. Das Ziel: Prävention.

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass der Polizeieinsatz anders ablief, als anfänglich beschrieben, und der Auslöser dafür auch kein Schlumpfvideo war. Die Schülerin soll laut Polizeiangaben bereits im Vorfeld mehrfach Aussagen getätigt haben, die möglicherweise staatsschutzrelevante Inhalte enthielten. So stand beispielsweise in der Profilbeschreibung eines ihrer Social-Media Profile „heimat freiheit tradition, multikulti endstation“. Laut MVs Innenministerium wurden Screenshots von ihrem Handy geprüft. Eine Gefährdung liege aber nicht vor. Strafrechtliche Ermittlungen gebe es laut dem Polizeipräsidium Neubrandenburg inzwischen trotzdem – wegen des Verdachts der Bedrohung gegen den Schulleiter. Daneben laufen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Hausfriedensbruch, weil am Montag Unbekannte vom Dach des Gymnasiums ein Banner aufgehängt haben sollen. Ebenso laufe ein weiteres Verfahren gegen Unbekannt wegen eines Drohanrufs am Dienstag, bei dem ein Mann einen Amoklauf an der Schule ankündigte. 

Häufung von rechter Hetze an Schulen?

Im vergangenen Monat gab es landesweit sechs angezeigte Fälle von rechter Hetze an Bildungseinrichtungen, zu denen die Polizei gerufen wurde. So soll in Rostock ein 16-jähriger von vier Mitschülern häufig rassistisch und homophob beileidigt worden sein. In Vellahn wurden weiterhin Hakenkreuzschmierereien an einer Schule vorgefunden. 

Laut einer Sprecherin des Polizeipräsidiums Neubrandenburg habe es auch in der Region Anklam in den vergangenen zwei Monaten eine leichte Steigerung rechter politisch motivierter Kriminalität (PMK) an Schulen gegeben. Vor allem Schmierereien und verfassungsfeindliche Parolen seien dabei gewesen, allerdings – so die Polizei – „ohne jeglichen Kontext zu fremdenfeindlicher Hetze“. 
Auch die Regionalzentren für demokratische Kultur, die Beratung in diesen Fällen anbieten, bestätigen eine Zunahme von meldepflichtigen Fällen in ganz MV.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft MV (GEW) spricht von einer Häufung rechter Hetzkampagnen an Schulen: Es sei zu begrüßen, wenn Schulen, wie das Wossidlo-Gymnasium in Ribnitz-Damgarten, auf extremistische Bestrebungen schauen und reagieren. „Gerade im Vorfeld der Kommunal- und Europawahlen sollen Lehrkräfte eingeschüchtert werden, die sich im Unterricht kritisch mit rechtsextremen und menschenfeindlichen Tendenzen, wie zum Beispiel in der AfD, auseinandersetzen“, äußern sich die Landesvorsitzenden Annett Lindner und Nico Leschinski. Sie fordern vom Bildungsministerium Solidarität gegenüber Lehrkräften, ansonsten bestehe die Gefahr, „dass sich in solchen Fällen niemand mehr traut, Hinweise zu geben oder sich zu rechtsextremen Tendenzen zu positionieren.“ 

Auch Robert Schiedewitz von der Beratungsstelle Lobbi beobachtet die Vorgänge an Schulen mit Sorge. An diesen gehen gesellschaftliche Diskurse nicht vorbei. Zwar haben rechte Gruppierungen junge Menschen nicht erst in den letzten Jahren als Zielgruppe erkannt, aber früher hätte es mitunter klarere Erwiderungen gegeben. Ein Zusammenhang zwischen der Anzahl rechter Angriffe an Schulen und registrierten Fällen könne aber nicht festgestellt werden. Anfragen zu rassistischem Mobbing und Drohungen hätten bei Lobbi allerdings zugenommen.

Präventive Maßnahmen zunehmend wichtiger

In MV gibt es mehrere Kontaktstellen für Betroffene und Augenzeug:innen mutmaßlich rechtsextremer Gesinnung in der Schule oder am Arbeitsplatz.
Die Polizei selbst versucht, in einzelnen Inspektionen mit Vorträgen im Unterricht präventive Arbeit zu leisten. Das sei besonders in den letzten sechs Monaten von Schulen in Vorpommern angefragt worden.  

Während Lobbi in der Opferberatung in ganz MV tätig ist, bietet der Verein RAA-Demokratie und Bildung Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise Bildungsarbeit an. Grundsätzlich gilt laut den Beratungsstellen des Landes: Wenn Lehrkräfte von potenziell rechter Gesinnung auf dem Schulgelände hören, sollten sie zuerst das Gespräch suchen. Bei direkten Taten, wie Schmierereien oder Übergriffen, ist die Polizei zu verständigen.

Marieke Schürgut arbeitet für den Verein RAA. Bei diskriminierenden Äußerungen im Schulalltag sieht sie die Lehrenden in der Pflicht zu widersprechen, damit die Schule ein sicherer Ort für alle Kinder bleibt. Auch sollte sich die Zeit genommen werden, das Gesagte einzuordnen, ohne dass jemand an den Pranger gestellt wird. Für konkrete Fälle von Gewalt muss schon im Vorfeld feststehen, wer zusammenkommt und was zu tun ist. Wichtig sei auch, Betroffene nicht zu vergessen. Richten sich Schmierereien beispielsweise gegen bestimmte Menschen an der Schule, sollten diese in die Aufarbeitung des Falles miteingebunden werden.

Langfristig müssen alle Personen, die sich in Schulen aufhalten, regelmäßig sensibilisiert werden. Das kann zum Beispiel durch Weiterbildung der Lehrkräfte zu rechtsextremen Codes und Symbolen geschehen oder durch Projekttage von externen Bildungsträgern. Schürgut betont dabei, dass solche Projekttage nur ein Impulsgeber seien und kein „Allheilmittel“. Strukturen wie ständige Arbeitsgruppen können dabei helfen, dauerhaft Toleranz an der Schule zu schaffen. 

Robert Schiedewitz empfiehlt: „Sollte es zu Vorfällen in der Schule kommen, sollte man sich auf jeden Fall Unterstützung suchen. Das können die Beratungsstellen sein, aber auch das eigene Kollegium wie die Schulsozialarbeit. Betroffene oder Zeug:innen können sich auch anonym an Lobbi wenden. In jedem Fall gilt: Wenn Vorfälle nicht gemeldet werden, gibt es keine Handhabe und die Schule bleibt eine Blackbox“.


Eine Liste möglicher Anlaufstellen gibt’s hier: beratungsnetzwerk-mv.de

In einer vorherigen Version der unteren Grafik war das Regionalzentrum Rostock als "RAA Regionalzentrum Landkreis & Hansestadt Rostock" eingetragen. Das haben wir korrigiert.

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Fußnoten

  1. Meckelein, Martina: Fall Loretta: „Ich hätte nicht für möglich gehalten, was meiner Tochter angetan wurde“, auf jungefreiheit.de (15.3.2024). 
  2. Telefonat mit Marie Boywitt, Pressestelle Innenministerium MV am 19.3.2024. 
  3. E-Mail der Pressestelle des Polizeipräsidiums Neubrandenburg vom 20.3.2024.
  4. Polizeipräsidium Rostock (Hg.): Polizeieinsatz in Rostocker Schule, auf presseportal.de (15.3.2024).
  5. Polizeipräsidium Rostock (Hg): Verfassungsfeindliche Symbole und Schriftzüge - Polizei sucht Zeugen, auf: polizei.mvnet.de (11.03.2024).
  6. E-Mail der Pressestelle des Polizeipräsidiums Neubrandenburg vom 20.3.2024.
  7. E-Mail von Veit Walden vom 21.03.2024.
  8. E-Mail der GEW vom 19.3.2024.
  9. Telefonat mit Robert Schiedewitz am 20.03.2024.
  10. E-Mail von Marieke Schürgut vom 20.03.2024.

Autor:innen

Redakteurin bei KATAPULT MV.

Redaktionsleitung bei KATAPULT MV.

Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach Meck-Vorp.

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