„Wir bekommen E-Mails, in denen man uns beleidigt und bedroht. Inzwischen könnten wir mit diesen Mails die Wände tapezieren“, sagt Sebastian Witt, Vorsitzender des Landesverbandes für queere Vereine, Gruppen und Einzelpersonen in MV. Sein Name stand bereits auf der Todesliste der rechtsterroristischen Gruppe Nordkreuz. Die dauerhaften Angriffe auf den Verein und auf queere Menschen generell belasten ihn und sein persönliches Umfeld.
MV-weit leisten insgesamt 600.000 Menschen ehrenamtliche Arbeit.1 Das sind rund 38 Prozent der Bevölkerung. Am häufigsten in Sport- oder Kunst- und Kulturvereinen. Dieses unentgeltliche Engagement fürs Gemeinwohl stärkt auch die Demokratie. In MV, wo es seit 1990 rückläufige Bevölkerungszahlen gibt und die Bevölkerung immer mehr altert, spielt ehrenamtliche Arbeit eine besondere Rolle. So schließen engagierte Menschen teilweise soziale Versorgungslücken, vermitteln generationenübergreifend Wissen und schaffen Orte der Begegnung.2
Aus dem Jahresbericht 2023 der Ideenfabrik Zivilgesellschaft in Zahlen geht hervor, dass zivilgesellschaftliche Organisationen auch häufiger an politischen Prozessen mitwirken möchten oder sich als Impulsgeber für sozialen Wandel sehen.3 Doch mit dem Erstarken rechter Kräfte scheint sich für sie die Bedrohungslage zu dramatisieren. Anna-Konstanze Schröder ist Sprecherin für bürgerschaftliches Engagement der SPD-Landtagsfraktion und stellt fest, dass „Gewalt aus rechtsextrem motivierten Kreisen (…) vor allem solche Engagierten [betrifft], die sich ihnen offen entgegenstellen“.4
Mitarbeitende von Lobbi MV beraten Betroffene von rechter Gewalt. Darunter verstehen sie Morde, Körperverletzung, versuchte Körperverletzung, schwerwiegende Bedrohung und gezielte Sachbeschädigung, die von rechts motiviert ist. So beispielsweise der Fall eines jungen Pärchens, welches sich in Dömitz (Ludwigslust-Parchim) antifaschistisch positionierte. Auf Grund von massiven Bedrohungen und Beleidigungen sahen sie sich allerdings genötigt, die Stadt zu verlassen.5
Robert Schiedewitz ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Beratungsstelle und nimmt seit 2020 eine Zunahme von Gewalt gegen politisch Aktive wahr. „Wir spüren eine zunehmende Unsicherheit und erhalten vermehrt Anfragen zum Beispiel zu Einschüchterungsversuchen und Beleidigungen, die wir nicht als Gewalt zählen”, so Schiedewitz. Auch die Anfrage nach Sicherheitskonzepten steige.6
Ehrenamt ja, Gesicht zeigen nein
Beleidigungen beispielsweise im Rahmen von Infoständen sind nichts Neues für Sebastian Witt vom queeren Landesverband. Diese treffen ihn aber nicht nur persönlich, sondern gefährden auch die Vereinsstruktur: „Wir haben teilweise riesige Probleme, die Infostände zu besetzen.“ Sie finden zwar Ehrenamtliche, die helfen wollen, aber kaum jemand möchte mit Gesicht und Name in der Öffentlichkeit stehen. „Auch Anmeldungen für Demonstrationen sind schwierig, weil viele ihren Namen nicht auf einer Liste sehen wollen“, so Witt.
Für Schiedewitz von Lobbi MV ist das keine Überraschung. „Andauernde Bedrohung führt häufig zu einem direkten (…) Rückzug engagierter Menschen, die ihr Engagement lieber zurückschrauben, als zur Zielscheibe zu werden“, resümiert der Pressesprecher.
Schiedewitz zufolge sind Menschen, die neben ihrem Engagement explizit antifaschistisch, alternativ auftreten oder People of Colour seien, besonders gefährdet. Das merkt auch Ulrike Seemann-Katz vom Flüchtlingsrat MV. Aufgrund seines Engagements für Geflüchtete wird der Verein von extrem rechten Akteur:innen angefeindet. 2016 wurde beispielsweise bei einem Brandanschlag auf die Geschäftsstelle das mit der Hausfassade verbundene Hinweisschild des Flüchtlingsrates zerstört. Eine Zunahme der Gewalt in der jüngeren Vergangenheit kann Seemann-Katz allerdings nicht feststellen. „Das geht in Wellen. Wenn wir uns geäußert haben, in einem Medium, das viel Rezeption hat, dann kommt immer irgendwas – meistens beleidigende E-Mails“, so die Vorstandsvorsitzende.
Chatgruppen und Telefonketten
Schiedewitz animiert Vereine, ein Sicherheitskonzept anzulegen. Darin sollten Handlungsleitlinien verankert sein, auf die bei der Vereinsarbeit geachtet wird. Beispielhaft nennt er Chatgruppen oder Telefonketten, wenn es Vorfälle bei Veranstaltungen gibt. So können sich alle auf der Demo möglichst schnell verbinden. Die Existenz solcher Strukturen „hilft ungemein, (…) auch im Stress darauf zurückgreifen zu können und handlungssicher zu sein“.
Witt versucht den Helfer:innen bei Veranstaltungen Mut zu machen: „Wir lassen niemanden alleine. Wenn jemand Angst hat, allein nach Hause zu fahren, begleiten wir die Person. Und wenn doch etwas passiert, unterstützen wir bei der Anzeige.“ Ein Sprecher des Landeskriminalamtes betont die Wichtigkeit einer solchen Anzeige. Denn nur so können rechtliche Schritte gegen die Täter:innen eingeleitet werden.7
Besser als Schweigen
Schiedewitz rät dazu, nach Angriffen eventuelle Verletzungen dokumentieren zu lassen. Das geht zum Beispiel bei Opferschutzambulanzen. Dort ist es auch nebensächlich, ob die betroffene Person den Angriff überhaupt zur Anzeige bringen möchte. Ein Gedächtnisprotokoll über die Vorfälle sei außerdem hilfreich und wird auch vom Landeskriminalamt empfohlen. Um das Erlebte zu verarbeiten, sollten Betroffene offen über ihre Gefühle reden und sich Unterstützung suchen – bei vertrauten Menschen, aber auch bei der Beratungsstelle Lobbi. Generell rät Schiedewitz zur Bekanntmachung des Angriffs, allerdings nur wenn die betroffene Person vor weiteren Anfeindungen geschützt ist: „In einer Mehrheit der Fälle ist das Öffentlich-Machen des Angriffs sinnvoll und nützt den Betroffenen mehr als zum Beispiel Verdrängung und Schweigen.“
Viele Vorfälle gehen gar nicht so weit, dass es zu körperlichen Verletzungen kommt, weil sie digital und online stattfinden. Seemann-Katz zeigt entsprechende Nachrichten oder E-Mails immer bei der Polizei an. Damit folgt sie der Empfehlung des Landeskriminalamtes sowie der Online-Plattform hatefree, die prüft, ob Bedrohungen im Netz strafbar sind. Bei der Online-Meldestelle Netzverweis des Landeskriminalamtes kann man Vorfälle zusätzlich anonym melden. Auch wichtig: zur Prävention gut darauf achten, welche Informationen und Bilder überhaupt veröffentlicht werden.
Schutz vor homophober Gewalt nur nebenamtlich
Trotz ihrer wichtigen Rolle fühlen sich sowohl Seemann-Katz als auch Witt nicht ausreichend von der Politik geschützt. Witt kritisiert, dass der Landesaktionsplan für die Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern nicht mit ausreichend finanziellen Mitteln unterfüttert ist und viele Wünsche deshalb offen bleiben. Opferschutzbeauftragte in der Landespolizei, die speziell als Ansprechpartner für Betroffene von homo- und transphober Gewalt geschult sind8, arbeiten beispielsweise nur neben- und nicht hauptamtlich. So ist ein vollumfänglicher Schutz nicht gewährleistet. Willensbekundungen allein würden nicht ausreichen, um queere Menschen zu schützen, so Witt. Auch zeigen sich nicht alle Parteien solidarisch mit der queeren Gemeinschaft. Auf dem Christopher Street Day in Wismar beispielsweise waren Vertreter:innen der Linken, der SPD, den Grünen und der FDP vor Ort – nur die CDU fehlte. Seemann-Katz beklagt die schlechte Stimmung in der Gesellschaft, die ihren Ursprung auch in der Politik habe. Es fehle in den Debatten an Wertschätzung für die Menschen.
Laut Schiedewitz braucht es eine Zusammenarbeit zwischen der Zivilgesellschaft und der Politik. Es erfordere eine größere Bereitschaft als bisher, Verantwortung zum Schutz vor rechter Gewalt zu übernehmen. Entsolidarisierungen, beispielsweise eine Diskreditierung der Betroffenen als „linksextrem“, schaden dem gesamten demokratischen Konsens. Die Zivilgesellschaft solle die Betroffenen unterstützen und „immer wieder Verantwortung von der Politik einforder[n]“, so Schiedewitz. Ermittlungsbehörden müssen entsprechend konsequent arbeiten, um beispielsweise Entpolitisierung oder Bagatellisierung von Vorfällen zu verhindern. Gleichzeitig benötigt es ausreichend finanzielle Ressourcen, um Betroffene mit Beratung und Therapie zu schützen.
4.500 Euro Preisgeld für Einsatz gegen rechts
Die Regierungsparteien SPD und Linke sind sich einig, dass ehrenamtlich Engagierte einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten und dass Gewalt gegen sie entschieden bekämpft werden soll. Anna-Konstanze Schröder, Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion für bürgerschaftliches Engagement erklärt: „Jeder Angriff auf ehrenamtlich Engagierte ist einer zu viel.“ Laut Michael Noetzel von der Linksfraktion seien politische Mandatsträger:innen in gewisser Weise durch die Öffentlichkeit geschützt. Angriffe gegen Engagierte aus der Zivilgesellschaft bleiben dagegen „häufig unterhalb der Wahrnehmungsschwelle“.9
Die SPD-Landtagsfraktion verleiht jedes Jahr den Johannes-Stelling-Preis für demokratisches Engagement und den Einsatz gegen Rechtsextremismus. Aus den Mitteln der Fraktion sind für die Preisträger:innen 4.500 Euro bereitgestellt. Zusätzlich habe die Fraktion finanzielle Unterstützung für Beratungs- und Dokumentationsstellen wie beispielsweise Lobbi ermöglicht, so Schröder. Noetzel betont die Initiierung des Demokratieschutzfonds durch seine Fraktion. Dieser diene dazu, Ehrenamtliche finanziell zu unterstützen und Schäden und Nachteile, die durch ihr Engagement entstehen, auszugleichen. Er ist im Landeshaushalt festgeschrieben.
Anhaltende Angriffe auf Einzelpersonen und Organisationen gefährden die Vereinsstrukturen und das demokratische Engagement insgesamt, auf die das Bundesland angewiesen ist. Um ehrenamtlich Aktive zu schützen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft, Politik und Ermittlungsbehörden – sowie einer deutlichen gesellschaftlichen Wertschätzung für ihr Engagement.
- Staatskanzlei MV (Hg.): Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement in Mecklenburg-Vorpommern, auf: regierung-mv.de. ↩︎
- Stiftung für Ehrenamt und bürgerliches Engagement in MV (Hg.): Ehrenamtsmonitor MV 2022, auf: ehrenamtsstiftung-mv.de. ↩︎
- Schubert, Peter; Kuhn, David; Tahmaz, Birthe: ZiviZ-Survey 2023; S.20, auf ziviz.de (2023). ↩︎
- E-Mail von Hannes Henffler, Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion MV, vom 12.11.2024. ↩︎
- Lobbi MV (Hg.): 12. Mai 2024 – Dömitz (Ludwigslust-Parchim), auf lobbi-mv.de. ↩︎
- E-Mail von Robert Schiedewitz vom 11.11.2024. ↩︎
- E-Mail von Niels Borgmann, Kriminalhauptkommissar im Landeskriminalamt, vom 8.11.2024. ↩︎
- Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung MV (Hg.): Bilanzierung des Landesaktionsplanes für die Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern; Seite 9, auf: regierung-mv.de (März 2021). ↩︎
- E-Mail von Claudia Schreyer, Pressesprecher der Linksfraktion im Landtag MV, vom 6.11.2024. ↩︎